Les aventures de Tintin 03 – Les cigares du pharaon

Weiter geht unsere Tour durch die Abenteuer von Tim und Struppi, oder halt, gemäß dem französischsprachigen Original, Les aventures de Tintin. Der dritte Band hört auf den klangvollen Titel Les cigares du Pharaon (oder, auf Deutsch, wörtlich übersetzt Die Zigarren des Pharaos). Ein Band, der gleich aus einer ganzen Reihe von Gründen bemerkenswert ist.

Zunächst einmal bildet der Titel zusammen mit dem demnächst hier auf dem Plan stehenden Le Lotus Bleu eine Art losen Zweiteiler. Spätere Mehrteiler der Reihe sind dann enger miteinander verwoben und weniger in sich geschlossen wie dieser und der nachfolgende Band, aber dennoch macht Hergé mit dieser Geschichte einen sehr großen Schritt hin zu komplexeren Erzählformen und deutlich fort von den episodischen, teils fast cartoonhaft anmutenden Stückwerken, die bisher zu finden waren. Das mag man auch bereits dem Titel ansehen, der erstmals einen Schritt fort macht von der „Tintin [in einem Land]“-Form der vorigen Veröffentlichungen; ein Format, das Hergé nur gegen Ende der Reihe noch einmal mit Tintin au Tibet aufgreifen sollte.

Aber genug von anderen Büchern, worum also geht es in diesem Band?

Tim/Tintin macht einmal mehr eine Seereise, dieses Mal von Port Said nach Shanghai. Aber natürlich dauert es nicht lange, bis sein Lebensweg ihn erneut ins Abenteuer führt. Er lernt an Deck den offenbar wirren Forscher Philémon Siclone kennen, einem Ägyptologen, der auf der Suche nach einem verlorenen Grabmal ist. Er lädt den jungen Reporter, nachdem sich der für ihn eingesetzt hat, dazu ein, ihm bei der Suche zu helfen – doch steckt offenbar noch mehr dahinter, als man anfangs vermutet.
Schon bald wird Tim/Tintin Drogenschmuggel in die Schuhe geschoben und er sieht sich nicht nur mit zwei ihn fortan verfolgenden Ermitteln konfrontiert – der erste richtige Auftritt von Dupont und Dupond, bzw. hierzulande Schulze und Schultze – sondern auch mit einem Verbrechersyndikat, dessen Interesse an dem Grabmal keinesfalls in der Archäologie begründet liegt.

Die Qualität des Bandes ist dabei sehr auffällig. Es ist noch immer kein Buch, das ich vorbehaltlos empfehlen kann, aber der Anstieg gegenüber dem Vorgänger ist atemberaubend. Das betrifft dabei sowohl die Geschichte als auch die Qualität der Zeichnungen, denn man merkt auf jeder Seite, dass Hergé hier einen Reifeprozess durchlaufen hat. Nicht gereift ist er dagegen in seiner Darstellung fremder Kulturen. Gerade die arabischen Figuren sind ziemliche Klischees, doch auch die dicklippigen Schwarzen, die im Vorgängerband bei der letzten Überarbeitung noch entfernt worden waren, feiern auf einigen Bildern hier ihre Wiederkehr.
Darüber kann man aber gut hinwegsehen, wenn die Geschichte spannend ist – und das ist hier klar der Fall. Lange bleibt unklar, was genau dahinter steckt und auch wenn Freund Zufall noch manches Mal zu oft dem Helden unter die Arme zu greifen scheint, ist alleine das Konzept des „poison qui rend fou“ (also grob: das Gift, das Wahnsinnig macht) toll. Das wird im Comic durchgehend als Waffe und unterhaltsame Alternative zum farblosen Ermorden von Informanten eingesetzt, ein Mechanismus, den ich zweifelsohne auch mal für eine Rollenspielrunde zweckentfremden werde. Und auch das Finale enttäuscht dieses Mal nicht.

Interessant ist das Buch aber auch nicht zuletzt, weil es das Tintin-Universum um einige ziemlich markante Konstanten erweitert; neben dem trotteligen Detektiv-Zwillingspaar Dupond und Dupont ist unter anderem Rastapopoulos zu nennen, der noch in einigen späteren Geschichten als Gegenspieler zu finden sein wird.
Zudem stellt Philémon Siclone den ersten wirren Wissenschaftler in den Geschichten dar, ein Archetyp, der letztlich in Professeur Tournesol / Professor Bienlein seine Vollendung finden wird.

Wie ich eingangs schrieb, wird die Geschichte im nächsten Band fortgesetzt. Das ist nicht zwingend nötig, die eigentliche Handlung von Les cigares du pharaon schließt mit der letzten Seite des vorliegenden Buches, aber ich rate stark dazu, sich wenn gleich beide Bände zu schnappen.
Die vorliegende Version basiert dabei übrigens auf der letzten Überarbeitung des Buches von 1970. Die Erstausgabe von 1934 war wie schon bei den anderen Titeln schwarzweiß und weicht in einigen Punkten recht drastisch von der späteren Fassung von 1955 ab. Diese wiederum unterscheidet sich nur in einem etwas abstrusen Detail von der aktuellen Version – wenn Tim bei einem Scheich zu Gast ist und der stolz seine Ausgabe der jüngsten Abenteuer des jungen Reporters präsentiert, so zeigen diese eindeutig das Cover von Objectif Lune, dem 16. Band der Reihe. Das ist natürlich reichlich absurd und ein immenser Anachronismus im inneren Kanon der Aventures de Tintin. Wenn es auch nichts ist, was die Erzählung selber behindert.

Bei den bisherigen Bänden waren es ja noch mehr die Kuriositäten, die mich bei der Stange hielten. Der vorliegende Band hat zwar noch seine Schwächen, doch ist er der erste Titel der Reihe, den ich auch guten Gewissens wegen seines Eigenwertes empfehlen kann. Wer spannende Abenteuergeschichten mag, der wird an den Zigarren des Pharaos sicherlich seine Freude haben!


Titel: Les aventures de Tintin – Les cigares du pharaon
Originalausgabe
Autor: Hergé
Verlag: Casterman
ISBN: 978-2-203-00306-4
Seitenzahl: 64 Seiten Vollfarbe
Sprache: Französisch
Preis: 6,25 Euro{jcomments on}