Les aventures de Tintin 01 – Tintin au Congo

Tim und Struppi. Viele von uns sind damit groß geworden, ob nun als Comics, Hörspiele oder in Form der Zeichentrickfilme. Die genuin belgischen Bildgeschichten zählen sogar hierzulande, im generell ja eher comicfeindlichen Deutschland, zum Grundstock dessen, was man Kindern irgendwann in die Hand drückt und viele, denen die beiden Figuren was sagen, hatten ihren Erstkontakt gerade damals.
Das ist in Ordnung, aber auch fast ein bisschen schade, denn was man darüber leicht vergisst, ist das immense Alter der Bände. Die nämlich lässt einen erwachsenen Leser im Zuge der Geschichten weit mehr erfahren als nur die titelgebenden Abenteuer der beiden Helden.

Das gilt gleicht doppelt, wenn man sich an das Original heranwagt. Warum, dazu in wenigen Zeilen mehr. Die erste Ausgabe des vorliegenden Buches, Band 2 in der offiziellen Zählung, erschien 1930. Es war der erste Band, der überhaupt veröffentlicht wurde. Dass au Congo heute als Nummer 2 geführt wird, liegt daran, dass einer der anderen, schwarzweißen Bände – au pays des Soviets – noch vorangeht, da er nie überarbeitet wurde.
Dennoch, auch die vorliegende, farbige Fassung stammt aus dem Jahre 1946 und steht damit noch voll im Schlaglicht des belgischen Kolonisierungsgebaren. Und gerade das macht das Buch, das in Deutschland als Tim im Kongo veröffentlicht worden ist, doppelt spannend.


Tim und Struppi, im Original Tintin und Milou, reisen für eine nicht näher genannte Reportage in den Kongo. Dort erleben sie einige „Abenteuer“ auf der Safari, werden aber auch immer wieder von einem mysteriösen Fremden in bedrohliche Situationen gemacht. Sie können Freunde unter den Eingeborenen finden und dann schließlich auch den Missetäter endgültig dingfest machen.

Viel gibt die Geschichte ganz offenkundig nicht her. Sie liest sich sehr episodisch, ist viel zusammenhangloser als man es aus den späteren Comics kennt und mutet ab und zu noch an, als sei es eine der Bildgeschichten aus den damaligen Periodika, wie etwa auch „Prinz Eisenherz“ & Co.
Dafür starrt man so noch viel direkter auf das Weltbild, das diesen Comic ganz offensichtlich auszeichnet. Ein Blick auf einen der Kongolesen reicht eigentlich schon – tiefschwarz sind sie, mit eigenartig proportionierten Gesichtern und gummiboot-artigen Lippen. Sie sprechen oft nur gebrochen Französisch, sind in der Charakterisierung oft eher einfach gestrickt und nicht selten faul. Und wenn auf dem letzten Panel ein ganzes Dorf davon spricht, wie toll doch dieser Weiße, Tim, sei, dann ist ja alles klar. Zwar hat Hergé bei der Überarbeitung hin zur Farbfassung eine prekäre Stelle – die, in der Tim den kleinen Kindern aus dem Kongo von ihrem Vaterland, Belgien, erzählt – ersetzt, aber das wirkt so wie ein kleiner Flicken auf einem viel größeren Loch.

Noch herzhafter geht es aber dann zu, wenn Tiere im Spiel sind. So beißt Struppi einem Löwen den Schwanz ab, Tim tötet einen Affen, um sich mit dessen Fell (inkl. Kopf!) als einem der ihren zu tarnen und, in einer der obskursten Stellen, eine ganze Gazellenherde, weil er glaubt, immer auf die gleiche zu schießen und vor lauter Rauch nicht sieht, dass stets eine Neue den Platz der Toten einnimmt.
Das absolute „Highlight“ aber stellt eine Szene dar, die nur der Leser der Originalausgabe „genießen“ kann, da diese in allen fremdsprachigen Ausgaben ausgetauscht wurde. Dort bohrt Tim ein Nashorn an, da dessen Panzer zu dick war für seine Gewehrkugeln, und steckt eine Dynamitstange in das Loch, um der Beute ein Ende zu bereiten.

Alle modernen Vorwürfe gegen den Comic sind wahr. Er zeichnet ein absolut rassistisches Bild vom Kongo und er zelebriert geradezu die Gewalt gegen Tiere im Zuge einer „zünftigen“ Safari. Der Comic ist in vielen Ländern nur zensiert zu erhalten – so darf in den heutigen amerikanischen Ausgaben ein Schurke Tim nicht mehr androhen, am Morgen zu sterben – oder zumindest aus der Kinderbuchecke verdrängt worden.
Ich muss sagen, ich habe das Buch als faszinierende Lektüre empfunden. Es ist vollkommen unmöglich, den hier zur Schau gestellten Weltansichten zuzustimmen oder diese auch nur ernst zu nehmen – aber das ist auch gar nicht der Punkt. Vielmehr gibt einem das Buch einen Eindruck davon, wie die Weltsicht bezüglich des „schwarzen Kontinentes“ anno 1930/’46 war: Sie war von einer grausamen Naivität geprägt.
Rollenspieler, etwa im Cthulhu-Umfeld, verschlingen ja gerne Literatur, die einen historischen Kontext vermittelt. Tintin au Congo macht das wie kaum ein zweiter Comic, den ich in den letzten Jahren gelesen habe – nur halt zwischen den Zeilen.


Titel: Les aventures de Tintin – Tintin au Congo
Originalausgabe
Autor: Hergé
Verlag: Casterman
ISBN: 978-2-203-00304-0
Seitenzahl: 64 Seiten Vollfarbe
Sprache: Französisch
Preis: 6,25 Euro{jcomments on}