Crow, The

Den Film kennt jeder. Dass er auf einem Comic basiert, wissen die Meisten. Aber ich schätze dennoch, wenn die ganzen Fans des Films (oder gar der Filme) ihren ersten Kontakt mit dem Comic haben, so sind viele doch überrascht.
Die Rede ist natürlich von J. O‘Barrs Kultklassiger aus dem Jahre 1992: The Crow. Die Geschichte ist dabei sehr schnell erzählt: Eric und Shelly sind ein jung verliebtes Paar, haben jedoch eine Autopanne und bleiben irgendwo im nirgendwo liegen. Zu ihrem Unglück kommt zu diesem Zeitpunkt jedoch auch die brutale Gangsterbande von T-Bird dort vorbei und beschließt, den jungen Mann zu erschießen und sich etwas mit der hübschen Frau zu vergnügen, bevor man sie ebenfalls umbringt.
Doch Erics Seele kann das Unrecht nicht auf sich sitzen lassen. In Begleitung einer Krähe kehrt er aus dem Reich der Toten zurück, um sich an seinen Peinigern zu rächen.

Viel mehr geschieht eigentlich in dem relativ dicken Comicband nicht. Wer sich an Proyas‘ Verfilmung erinnert, der wird feststellen, dass viele der dortigen Nebenhandlungen wirklich Produkt des Filmes waren. Einige existieren zwar auch ansatzweise in diesem Band, etwa die Charaktere Sarah (wenn hier auch anders geheißen) oder Detective Albrect, aber sind eben nur kleine Nebenfiguren.
Die Geschichte konzentriert sich vollends auf Erics Rachefeldzug, der auch bedeutend blutiger und mit höherem Bodycount abläuft, als er das im Film tut. Diese Konzentrierung lässt die Geschichte wesentlich intensiver wirken, da es auch gar keine nebenlaufenden Geschichten gäbe, die von Erics Leiden und Rache ablenken könnten.
Kenner des Films haben es bereits bemerkt – auch auf der Schurkenseiten gibt es sich anders, als man das im Kino gesehen hat. Zwar sind die Charaktere des Films hier auch alle zu finden, sehen aber teils frappierend anders aus und wurden teilweise untereinander getauscht – so ist Top Dollar hier nur einer unter vielen, T-Bird dagegen der Anführer der Raub- und Mordrotte.

Das Setting des Comics ist eigenwillig. Einerseits ist es weniger vordergründig als etwa Millers Sin City, andererseits ist eine Lokalität, in der rund vierzig Verbrecher regelmäßig ihre Schandtaten begehen können, ohne mittlerweile alle verhaftet oder tot zu sein, definitiv zu einem beängstigenden Grad defekt.
Die Intensität der Geschichte rührt allerdings auch aus einem simplen Fakt her: „The Crow“ basiert auf einer wahren Geschichte. Keine wahre Geschichte von einem Mann, der von den Toten zurückkehrt um den Verlust seiner großen Liebe zu rächen, aber die wahre Geschichte eines Mannes, dessen große Liebe verstarb und der daher auch innerlich starb, körperlich aber weiter in dieser Welt weilte. Dieser Mann war O‘Barr, und „The Crow“ ist sein Weg, dies zu verkraften.

Es erscheint daher nur logisch, dass er auch selber zeichnet – und er ist gut! Es ziehen sich eine Reihe verschiedener Zeichenstile durch den Band, die die symbolische Ebene sehr verstärken. So sind Rückblenden in die gute Zeit mit Shelly zumeist in sanften, weichen Bildern festgehalten, während ein kalter, grober Stil aus einzelnen, schwarzen Linien und sehr dezentem Einsatz von Rasterfolie den Rest dominiert. Vor allem Eric kommt darin gut zur Geltung, das Harlekinsgesicht wirkt auf O‘Barrs Zeichnungen einschüchternder als in irgendeiner anderen Inkarnation.
Der angesprochene Symbolgehalt ist es aber auch, der „The Crow“ eben doch zu mehr macht. Die Charaktere, die Handlung, alles ist nur Träger der Botschaft. Es gibt keine inhaltliche Tiefe, nur so eine Art Tiefe in der Meta-Geschichte rund um den Band. Eric ist ‚der Charakter, der Shelly unsterblich liebt‘, Shelly ist ‚der Charakter, den Eric unsterblich liebt‘. Es gibt keine anderen Facetten.
Doch bedarf es auch keiner weiteren Facetten, denn es ist alles, was man wissen muss. „The Crow“ ist der Graphic Novel-gewordene Anreiz, einmal darüber nachzudenken, was wir in unserem Leben alles verlieren können und wie sehr wir uns eigentlich durch das definieren, was wir haben. An Objekten wie auch an Menschen.
O‘Barr fragt sich, was bleibt, wenn man einem Menschen all das nimmt und das Ergebnis dessen ist eine faszinierende Schreckensvision in Form einer Rachegeschichte, unter dem spirituellen Einfluss von The Cure und Joy Division.

Ich glaube nicht, dass „The Crow“ ein Comic für jeden Menschen ist, der den Film oder eben gar die Filme gemocht hat. Die Geschichte spielt auf einem anderen Level und wer zu diesem keinen Zugang findet, der wird sie vermutlich nur als sehr simpel und direkt empfinden.
Wer den Zugang aber findet, den wird der Band zweifelsohne sehr ansprechen und wenn es wohl auch für jeden Menschen andere Momente sind, so bietet „The Crow“ doch viele dieser Eindrücke, die man danach noch ein Weilchen mit sich trägt.
Wer glaubt, dass dies auf ihn zutreffenden könnte, der sollte unbedingt mal einen Blick auf diesen nunmehr ja auch dreizehn Jahre alten Klassiker werfen.


James O‘Barr
240 Seiten Softcover, Pocket Books Graphic Novel{jcomments on}
ISBN: 0-7434-4647-X