Transmetropolitan, Band 0 - 10

„Did you ever want to set someone‘s head on fire, just to see what it looked like? Did you ever stand in the street and think to yourself, I could make that nun go blind just by giving her a kiss? Did you ever lay out plans for stitching babies and stray cats into a Perfect New Human? Did you ever stand naked surrounded by people who want your gleaming sperm, squirting frankincense, soma and testosterone from every pore? If so, then you‘re the bastard who stole my drugs Friday night. And I‘ll find you. Oh, yes.“
- Spider Jerusalem

Heute möchte ich euch meine allerliebste Comicreihe vorstellen. Und entgegen der landläufigen Meinung ist das ebensowenig Gaimans Sandman wie Loebs Batman, ebensowenig etwas von Alan Moore wie von Frank Miller. Nein, mein liebstes Stück Comic-Kultur wurde von Warren Ellis entworfen und von Darick Robertson illustriert; es ist die epische Geschichte des fiktiven, dystopischen Gonzo-Journalisten Spider Jerusalem.

Jerusalem hatte sich eigentlich komplett aus dem bebenden Moloch zurückgezogen, der durchgängig nur „the city“ heißt. Doch ein alter Vertrag, der ihn dazu verpflichtet, einem Verlag noch zwei Bücher zu schreiben, treibt ihn zurück in die Straßen der Metropole.
Nachdem er also al abschließende Abrechnung die Pinte, in deren Nähe er in den Bergen hauste, mit einer Panzerfaust dem Erdboden gleichgemacht, ein Unfall in einer Reinigungszelle ihm den fortan so charakteristischen Glatzenlook verpasst und sein, den Replikatoren aus Star Trek sehr verwandter, „Maker“ sich als drogensüchtig erwiesen hat, was ihm die ebenso berühmt gewordene Brille mit dem rechteckigen grünen und dem runden roten Glas einbringt, beginnt er seinen Feldzug.
Sein erstes größeres Ziel ist der amtierende Präsident, der den Rufnamen „the beast“ trägt und ein hart durchgreifender Bursche der alten Nixon-Schule ist. Doch Spider lässt sich nicht einschüchtern und gräbt Dreck um Dreck aus, nur um eine Wahl später seinem wahren Feind auf dem Präsidentschaftsthron gegenüberzustehen: dem „Smiler“. Der neue Präsident ist aalglatt und ein reiner Medienmensch, doch zugleich die Verköprerung all der schlechten Eigenschaften, die ein Politiker haben kann.
Was die Lage noch verschlimmert ist Spiders Gesundheitszustand, der ganz offenbar eine Talfahrt angetreten hat. Somit hat er letztlich ein klares Ziel: bevor sein Leben endet, muss der Smiler abdanken.

In gewisser Weise kann man „Transmetropolitan“ als epische Geschichte bezeichnen. Ein Mann, wenn auch kein sehr edler, kämpft gegen einen illegitimen Herrscher an, muss zahlreiche Teilsiege erringen, um langsam seinem Ziel näher zu kommen.
Doch so gut die Geschichte auch ist, die Faszination geht bei „Transmetropolitan“ noch von drei anderen Elementen aus: Zunächst einmal ist da das Setting. Die Stadt ist die Verkörperung all der schlimmsten Seiten, die eine moderne Großstadt haben kann – nur schlimmer. Body Modification wurde durch die Transgen-Bewegung abgelöst, in der Menschen sich außerirdische Gene spritzen, sich teilweise mutieren, um der Bewegung zu folgen. Die Polizei ist ein brutales Organ voller selbstgefälliger Schläger, das gnadenlos zugreift – aber nur in ausgewählten Fällen. So etwas wie Ordnungsdelikte scheint es gar nicht mehr zu geben. Die Menschen treiben nur noch von falschem Kick zu falschem Kick, Sex und Drogen müssen immer schräger, immer durchgeknallter sein, um dem perversen Verlangen der Massen noch nachkommen zu können. Die Armen dagegen verrotten geradezu auf den Straßen.
Element zwei ist die Darstellung dieser Welt durch Darick Robertsons Zeichnungen. Der Stil ist markant und nett anzusehen, doch sind es die kleinsten Details, die einen immer wieder fesseln. Sei es nun ein Buchrücken mit besonderer Nachricht, ein „Bitte ruhig sein – hier schlafen Obdachlose“-Schild an einem Müllcontainer oder einfach bizarre Vorgänge in den Massen, die so oft den Bildhintergrund darstellen. Jedes Panel dieser Reihe ist etwas Kunst und manche Seiten mag man gar nicht umblättern, so bildgewaltig kommen sie daher; ganz ohne künstliches Pathos.
Und Faszinationselement Nr. 3 sind die vielen, großartigen Charakte. Spider wird gleich von zwei großen Konflikten dominiert. Er verachtet die Politiker und ihre raffgiereigen Spielchen, genauso wie er das Volk verachtet, dass sich mit ihrer Gutgläubigkeit von jenen an der Nase herumführen lässt. Andererseits ist es dieses gutgläubige Volk, dass Spider seine Macht verleiht, das ihn seine Kolumnen erst schreiben lässt.
Und Spider hast die Stadt mit all ihrer Verderbtheit, doch braucht er die Stadt, vielmehr seinen Hass auf die Stadt, um kreativ sein zu können. Es ist ein Teufelskreis: Spider hasst Stadt und Bewohner, lässt sich auch gerne gleichermaßen mit Hass überschütten und zieht daraus die Energie für seine Kolumnen; andererseits sind seine Kolumnen beliebt und führen dazu, dass das Volk ihn liebt, was ihn nun eher anekelt als freut.
Dieser unlösbare Konflikt ist Spider wieder und wieder anzumerken und macht aus ihn mehr als nur einen einfachen, randalierenden Schläger mit Hang zum Schreiben.

Auf seiner Seite stehen dann noch zwei Frauen, die er selber nur „filthy assistants“ nennt (zu Recht, wie man anmerken muss) und eine zweiköpfige Katze, die überall uriniert. Dem gegenüber eben Beast und Smiler, dazwischen dagegen ein wahres Sammelsurium an Freaks und Außenseitern, kleinen Sinnbildern für die „moderne Kultur“ unserer Zeit.
Spider ist auch kein wirklicher Held. Er ist der Protagonist, aber er ist auch eben nur deshalb der „Gute“, weil alle anderen verkommenere Schweine sind als er. Er steht für die Wahrheit ein und kämpft dafür, aber mit mitteln, wie man sie sonst nur von irgendwelchen Schurken her kennt. Er raucht, mehr als ich je einen Charakter habe rauchen sehen, trinkt, verprügelt arglose Leute, randaliert, zerstört, nimmt Drogen, beschimpft die Menschen um ihn herum – vulgär gesprochen ist er ein regelrechtes Arschloch. Aber dennoch der einzige Mensch, den die Wahrheit interessiert.
Auch das ist zweifelsohne interessant.

„Transmetropolitan“ ist von Anfang an als abgeschlossene Reihe konzipiert worden. Es gibt einen klaren Story Arc, der sich von Band 1 bis Band 10 der sammelnden TPBs erstreckt. Beginnend mit „Back on the Street“ erstreckt sich die Reihe demnach über „Lust for Life“, „Year of the Bastard“, „The New Scum“, „Lonely City“, „Gouge Away“, „Spider‘s Thrash“, „Dirge“, „The Cure“ und „One More Time“.
Auszunehmen davon ist Band 0, der nicht etwas ein Prequel oder dergleichen darstellt, sondern wiederum ein Sammelband ist. „Tales of Human Waste“ sammelt die beiden Spezialbände „I Hate It Here“ und „Filth of the City“, die jeweils „echte“ Artikel von Spider enthielten und auch nicht von Robertson, sondern von jeweils einem renomierten Comic-Künstler pro Seite gestaltet wurden. So finden sich da Namen wie Risso, Cassaday, Talbot, Bradstreet oder Kaluta, unter anderem. Außerdem enthalten ist ein sehr liebreizendes Weihnachtsspezial namens „Edgy Winter“, das ursprünglich in „Vertigo: Winter‘s Edge 2“ erschienen ist.

Warum sollte man „Transmetropolitan“ lesen? In einem toll gezeichneten Charakter nimmt es ein chronischer Anti-Held mit einer gesamten, korrupten Gesellschaft auf, bietet daher den Rahmen für intelligente Gesellschaftskritik und gleichzeitig spannende Unterhaltung. Spider selbst ist eine großartige Hommage an Hunter S.Thompson, den Erfinder des Gonzo-Journalismus und irgendwie verachtenswert und liebenswert gleichermaßen.
Irgendwie ist er ein Held. Kein strahlender Ritter, aber schon ein Held.
Und ganz wichtig: „Transmetropolitan“ macht Spaß. Auf eine sehr anarchistische Art und Weise.

Ein wenig kann man es mit Spiders eigenen Worten sagen: „I hate it here. That‘s why I keep coming back.“


Warren Ellis und Darick Robertson{jcomments on}
10 Softcover, Vertigo