Sandman - Endless Nights

Neil Gaiman, "The Sandman", zwei Namen die wohl vollkommen synonym mit Comicunterhaltung oberster Qualität und der Begründung der modernen Graphic Novels gebraucht werden können.
Seine Neuinterpretation des "Sandmans" war ein meisterhafter Mix aus den Mythen und Geschichten aller Kulturkreise, vornehmlich natürlich der westlichen Breitengrade, eine epische Geschichte um "Dream", der nicht nur sozusagen der personifizierte Traum ist, sondern auch Herr der Geschichten; umso passender, dass seine Geschichte in vielen einzelnen, oft auf bekannten Vorbildern beruhenden, Erzählungen, geschildert wurde.
Mehr ist hier auch gar nicht zu sagen, das hier ist Pflichtlektüre im Comicsektor.

Wenn dann aber, lange nach dem offiziellen Ende der Erzählung, ein neuer Band erscheint, dass wird der skeptische Mensch natürlich misstrauisch. Eigentlich ... eigentlich sollte doch alles gesagt sein, was zu sagen ist, oder? Jede Geschichte, die zu erzählen ist, erzählt sein?
Nun, wer Neil Gaiman kennt, der weiß, dass dem vermutlich nicht so ist und nachdem wir die Freude hatten, einer seiner Lesungen in Köln beizuwohnen, in der er auch die 'Endless Nights' erwähnte. Auf kurz oder lang war mein Schicksal besiegelt, zu sehr Fan der Reihe bin ich doch, weshalb wir nun, hier, einmal die Dreistigkeit wagen und uns anmaßen, die Fortsetzung einer Legende zu beurteilen.

Bei den 'Endless Nights' handelt es sich um einen einzelnen, in sich abgeschlossenen Band. Edel aufgemacht, in prächtiges Hardcover eingeschlagen und natürlich durchgängig farbig und mit einem wundervollen Cover von Dave McKean versehen, macht der Band schon mal einen sehr guten Eindruck, selbst bei den 25 $, die er kostet.

Er enthält sieben Geschichten, der Titel suggeriert es dem Eingeweihten ja schon, die sich jeweils mit einem der Endless beschäftigen. Die Endless, das sind – grob gesagt – Personifizierungen bestimmter Konzepte der Welt, etwa 'Death' oder 'Destruction'. So wie es sieben Geschichten gibt, so gibt es dementsprechend auch sieben Endless.

'Death' ist die erste, um die es sich hier dreht. Der Titel der Geschichte, 'Death and Venice', spielt ja bereits gewohnt gekonnt auf den Fäden, die wir Mythen nennen. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der in Kindestagen eine ganz besondere Begegnung hat, die ihn danach nie wieder loslassen sollte sowie einer Gruppe von Menschen, die versuchen, den Tod zu überlisten. Eine sehr schöne Geschichte, mit einer der wohl populärsten der Endless als Hauptfigur und noch recht typische Kost; hohe Qualität, aber auch keine große Überraschung; auch das Artworld von P. Craig Russel und Lovern Kindzierksi ist zwar schön, aber auch recht konventionell.

'What I've tasted of Desire' dreht sich, richtig erkannt, um den recht geschlechtsneutralen Endless. Gaiman zeigt hier einfach eine sehr interessante Seite des Verlangens und spielt hier eine sehr typische Geschichte mit einigen sehr untypischen Wendungen durch.
Nett erzählt und von Milo Manara fast gemäldehaft und wunderschön illustriert. Ein sehr detailverliebter Stil, der perfekt zur Thematik passt.

"The Heart of a Star" widmet sich einmal mehr am Rande Desire, allerdings dreht sich die eigentliche Geschichte alleine um 'Dream' – den Alten, für Kenner der Urserie.
Einmal mehr dreht sich die Geschichte um eine Beziehung zwischen ihm und einer Frau, einer recht Besonderen dieses Mal. Eine sehr schöne Geschichte, auch über die Beziehungen der Endless untereinander (inklusive eines Auftritts von Delight, für die Kenner da draußen), sehr schön – wenn auch eigentümlich – von Miguelanxo Prado umgesetzt.

'Fifteen Portraits of Despair' ist dann ein ganz ungewöhnliches Kapitel, kaum mehr Comic zu nennen. Cover-Guru Dave McKean inszeniert Bilder von Barron Storey, die wiederum fünfzehn einzelne Schicksale aus Gaimans Feder schildern. Sehr ungewöhnlich, optisch noch viel mehr als inhaltlich, aber die vielleicht beste Darstellung des Konzepts der Verzweiflung, die man sich denken kann.

'Going Inside', ja, hmm, ist die Geschichte zu 'Delirium'. Inhaltlich hüte ich mich mal davor, zu schildern, was passiert, aber eines kann man mit Gewissheit sagen: die Erzählung, der unglaublich künstliche Stil von Bill Sienkiewicz und einige alte Bekannte machen auch diese Geschichte zu einem absoluten Muss, wenn auch hier die Optik erneut etwas an den konventionellen Rändern der Comic-Welt rüttelt...

Anders liegen die Dinge bei Destruction. 'On the Peninsula' folgt erneut dem bewährten Konzept, sowohl den personifizierten Endless als auch das von personifizierte Konzept (hier also Zerstörung) zu zeigen. Von Glenn Fabry und Chris Chuckry zeigen in sehr klassischen Comic-Bildern die Erlebnisse einer jungen Frau bei einer mysteriösen Ausgrabung sowie die Teilnahme eines recht ungewöhnlichen Grabungshelfers.
Neben einigen schönen Szenen mit Destruction gefällt an der Geschichte vor allem auch ihre ernste Seite, die sich vor allem um den Missbrauch von Zerstörungspotential dreht.

Den Abschluss dann bildet jedoch Destiny. 'Endless Nights', wie der Band, ist die Geschichte betitelt in der Frank Quitely in großen, gemalten Bildern von Destiny erzählt, von dem Buch, das er trägt. 'Geschichte' ist hier eigentlich schon das falsche Wort, denn es passiert ja eigentlich nichts – und dennoch ist es ein wundervoller Ausklang für diese Reihe von Geschichten, deren letzten Worte vermutlich den meisten Lesern auch noch eine ganze Weile nachhallen werden.

Was man abschließend sagen kann, ist, dass dieser Band eine klare Kaufempfehlung verdient.
Es ist nicht einfach ein simples Wiederaufleben alter Charaktere und Ideen, wobei die Geschichten das natürlich auch sind, sondern in jeder steckt auf ein Funken mehr.
Wenn Gaiman im Vorwort schreibt, dass er diese Geschichten erzählen wollte, dann ist das glaubwürdig und der Leser wird sicherlich von der Umsetzung dieses Wunsches profitieren.
Wer natürlich noch nie Kontakt mit der Reihe hat, für den stellen die alten zehn Bände vermutlich den lohnenderen Kauf dar; wer sich aber nach "The Wake" so furchtbar zurückgelassen fühlte, der kann hier, zumindest für flüchtige 160 Seiten, noch einmal in die Welt der Endless eintauchen.
Sehr schön!


Neil Gaiman
160 Seiten Hardcover, Vertigo/DC
ISBN: 1-4012-0089-3 {jcomments on}