Lenore - Noogies

Ein sehr bizarres Stück Comic liegt hier vor uns – und schon der Haupt- und Titelcharakter macht dieser Absurdität alle Ehre. Lenore ist ein kleines, süßes Mädchen mit blonden Augen und vollkommen apathischem Blick und sie ist, vor allen Dingen, tot. Kein Gothic-Anhänger oder so etwas, richtig tot.
Die Blonden, drahtigen Haare werden von zwei Haarspangen in Form von Totenköpfen zurückgehalten, ihre Haut ist fahl und blass und normalerweise trägt sie ihr Totengewand.
Lenore lebt in einer bizarren Welt, die man nur schwer beschreiben kann. Man nehme eine gute Priese eines frühen Tim Burton, eine satte Portion allgemeinen Totenglauben, einen Sack voll Mythos und LWKs voll schwarzem Humor und schlicht verstörten bis verstörenden Elementen und man kriegt eine ungefähre Idee.

Begründet wurde diese Welt – wie auch Lenore – von Roman Dirge, einem Comiczeichner aus San Diego. Nachdem er früher von seinen Lehrern nur mit Sorgen bedacht wurde (da er, nach eigenen Angaben, anstelle Autos und Hasen zu malen, lieber Autos malte, die Hasen überfuhren), startete er Anfang der neunziger Jahre ein eigenes Comic-Magazin und – da ihm Material für die letzten Seiten fehlte – sah sich gezwungen, auch selber einmal mehr den Stift in die Hand zu nehmen. Das Ergebnis war "Lenore, the cute little dead girl".
Wider Erwachten jedoch fand Lenore schnell den Weg in die Herzen vieler Fans, ihre bitterbösen und zumeist brutalen, eine bis vier Seiten umfassenden Cartoons trafen anscheinend exakt einen Nerv bei den Lesern.
Durch den Erfolg getrieben schaffte es Dirge, seine Idee letztlich dem Verlag "Slave Labor Graphics" anzutragen und die wiederum veröffentlichten bald eigene "Lenore"-Comichefte, mit großem Erfolg.
Der vorliegende Band nun sammelt die ersten vier Ausgaben.

Natürlich macht es die Natur dieser Comics, beziehungsweise ihr kurzer Umfang, es recht schwer ganzheitlich über den Band zu sprechen. Es ist halt mehr eine Sammlung von einzelnen Sketchen, wie man es ja auch von anderen Konzepten, etwa den "Knights of the Dinner Table" oder "Dork Tower" kennt.

Doch Lenore ist schon anders; krasser. Die relative große Häufung des Begriffs 'bizarr' deutet es schon an. Dirges Humor ist extrem schwarz, seine Comics hart und wer über Witze auf (teils hohe) Kosten anderer nicht lachen kann, der wird diesen Band hier hassen.
Lenore tötet, verletzt und misshandelt auf den gut 100 Seiten dieses Bandes mehr Menschen, Tiere und andere ... Dinge ... als es wohl kaum jemand sonst geschafft hat. Oft aber nicht aus Bosheit, eher aus einer gewissen Naivität und Sorglosigkeit heraus.
Wer aber dementsprechend schwarzem Humor etwas abgewinnen kann, der hat hier schon mal einen guten Punkt, der ihn zum Kauf bewegen sollte.
Bizarr sind aber auch die Charaktere an sich. Neben Lenore selbst wären da unter anderem Ragamuffin, der in eine Puppe gebannte Vampir-Lord, Lenores unbeschreiblich seltsamer und pferdeköpfiger Nachbar Taxidermy und sein ... Haustier ... Freund ... oder so ... namens Malakai, Lenores Katze 'Kitty' und viele andere Gestalten, die eigentlich nur wilden Alpträumen entsprungen sein können. Und das, so versichert der Autor, teilweise auch sind.
Bizarr zuletzt auch aufgrund des sehr markanten Zeichenstils. Dirge, Autor und Zeichern zugleich, überzeichnet sehr, ohne dabei Karikaturen abzuliefern. Lenore hat einen sehr überakzentuierten Kopf, ihr Blick ist einfach nur wirr zu nennen. Der Look der Umgebung, sowie auch der anderen Charaktere, liegt dabei dann irgendwo zwischen einer Burton-artigen Alptraumwelt à la 'Nightmare before Christmas' und Kinderzeichnungen, ist sehr schön durchgeführt und wirkt durch sehr ausgiebigen Gebrauch von Graustufen und Schattierungen auch sehr plastisch.

Abschließend kann ich nur sagen, wer sich für einen teils brutalen, teils morbiden und teils auch 'nur' schwarzen Humor begeistern kann, der sollte dringend einen Blick auf die kleine 'Noogies' werfen.
Mir haben die einzelnen Comics eigentlich alle gut gefallen und der Preis von 11,95 US-$ ist für etwas mehr als 100 Seiten in kräftigem Druck und stabiler Bindung im Softcover auch nur fair zu nennen.
'Lenore' ist ein ganz eindeutiger Insider-Tipp und 'Noogies' ist eine exzellente Einstiegsmöglichkeit für neue Fans! Sollte man sich auf jeden Fall mal ansehen!


Roman Dirge{jcomments on}
108 Seiten Softcover, Slave Labor Graphics
ISBN: 0-943151-03-1