John Constantine, Hellblazer – Original Sins

Eröffnen wir diese Woche unsere Comic-Rezension doch noch einmal mit einer Frage: Was ist ein Hellblazer?
Nun, jemand einen Vorschlag? Eine Idee?
Die korrekte Antwort lautet „Das Ergebnis eines Copyright-Konfliktes.“ Denn als sich DC anno dazumal anschickten und ihre neue Comic-Reihe für Erwachsene zu starten, sollte sie auf den klangvollen Namen „Hellraiser“ hören. Nur gab es da einen gewissen Clive Barker, der zeitgleich ein Filmprojekt unter diesem Namen entwickelte und da sich die Comicverleger (wohl mit Recht) wenig Chancen gegen eine solche Anwaltsmacht ausrechneten, wurde der Titel geändert. Und da den Machern auf die Schnelle und kurz vor der Auslieferung ganz offenbar keine richtig senkrechte Idee mehr kam, nahm man eben etwas, was zumindest ähnlich klang.
Daher „Hellblazer“. Nun gut, muss man mit leben können.

Aber wenn ich von „anno dazumal“ spreche, so rede ich in Wirklichkeit von dem Jahr 1984. Das ist recht jung für Comichelden, die ja teilweise schon mehr als fünfzig Jahre älter sind als das, doch andererseits auch schon wieder ein stolzes Alter für eine eher untypische Reihe.
Der Protagonist – John Constantine – entstammt eigentlich Alan Moores „Swamp Thing“-Reihe. Dort trat er als mehr oder minder regemäßig wiederkehrende Gestalt auf, als ein Hexer und Magier.
1984 erhielt er dann seine eigene Comicreihe unter der Federführung von Jamie Delano, deren erste neun Ausgaben unter dem vorliegenden Titel, „Original Sins“, gesammelt und neu aufgelegt wurden.

Der Band ist dabei ein ziemlicher Backstein geworden und straft mit seinem satten Umfang und dem fairen Preis von 19,99 US-Dollar mal wieder viele heute Veröffentlichungen ab, die für merklich weniger Umfang weit mehr Geld sehen wollen.
Ihre Herkunft aus der Pionierzeit der amerikanischen Comics für erwachsene Leser merkt man den einzelnen Geschichten allerdings dann auch deutlich an, sowohl optisch wie auch inhaltlich. Der visuelle Aspekt ist dabei aber noch recht leicht zu erklären – Comics sahen vor den Zeiten der computerbasierten Coloration nun einmal noch anders aus, genauso wie die Ästhetik der Bildaufteilung in den nunmehr 22 Jahren deutliche Veränderungen durchgemacht hat.
„Original Sins“ sieht zweifelsohne auch heute noch beeindruckend aus, aber es ist wohl so in etwa wie mit Schwarzweiß-Filmen. Einige davon sehen einfach bahnbrechend aus, aber wer mit der Filmästhetik MTVs groß geworden ist, findet keinen Zugang mehr. Mir jedenfalls haben die Bilder von Ridgway und Alcala sehr gut gefallen. Die Cover sind übrigens von Dave McKean und damit ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

Und inhaltlich? Da bemerkt man zunächst einmal, was für ein erstaunlich tiefgründiger Charakter dieser John Constantine doch ist. Der blonde Brite ist zwar Zyniker und, man verzeihe mir die Direktheit, ein Arschloch, aber er ist all das nicht einfach aus Prinzip.
John hat gelernt, Magie zu nutzen und macht dies auch. Es sind Rituale, Formeln und Regeln, die aus unterschiedlichsten Paradigmen, mit denen er sich dort herumplagen muss und die ihn letztlich an einen Ort zwischen allen Fronten gebracht haben. Anders als der Film-Constantine (ja, einmal muss ich die Parallele mal ziehen) liegt hier kein rein christliches Glaubensmodell zugrunde und Constantine ist auch kein Exorzist. Er ist vielmehr Teil eines ewig verwobenen Apparates und versucht im Grunde nur, am Ende des Tages als Sieger auf der Treppe zu stehen und nicht als Verlierer im Grab daneben zu liegen. Das passiert schnell und daher auch öfter Leuten, die ihm näher standen. Daher wird er bitterer, dadurch selbstzerstörerischer und in Konsequenz sterben noch mehr Menschen in seiner Nähe – es ist buchstäblich ein Teufelskreis, nach dessen Regeln er hier spielen will.

So sieht er sich in den ersten neun Bänden mit den unterschiedlichsten Konflikten konfrontiert, von klassischer Besessenheit bis hin zu Yuppie-Dämonen mit Maggie Thatcher-Affinität. Überhaupt sind Delanos Geschichten sehr politisch und greifen viele heikle Themen auf, von rassistischen Übergriffen bis hin zum Vietnam-Krieg. Den verarbeitet er in „When Johnny comes marching home“, meiner Meinung nach der vielleicht stärksten Geschichte im Band, die auch zugleich zeigt, was John so faszinierend macht. Er ist kein Held, aber im direkten Sinne auch kein richtiger Antiheld. Er ist einfach ein Charakter mit ausgeprägtem Überlebensinstinkt.

„Original Sins“ beginnt wie es endet – sehr plötzlich. Da den amerikanischen Lesern der Charakter des John Constantine aus den „Swamp Thing“-Bänden bekannt war, wird hier wenig Raum darauf verschwendet, ihn weiter vorzustellen und vom „Hellblazer“-Leser einfach erwartet, dass er sich seinen Teil selbst ergänzt. Das gelingt erstaunlich gut.
Bedauerlich ist das plötzliche Ende des Bandes, dass etwas abgerissen wirkt, da dort, damals, eine Überkreuzung mit der „Swamp Thing“-Reihe stattgefunden hat, von der man aber in diesem Band erst einmal nichts weiter erfährt, außer in einigen, wenigen Worten Delanos zu Beginn des Sammlers.
Das macht nichts uns es war wiederum sinnvoll, nach Heft 9 auch dem Band mal einen Abschluss zu gönnen, aber unbedarfte Leser mag es trotzdem eher verwirren.

Mir ist bewusst, dass das nun viel sehr allgemeines Blabla gewesen zu sein scheint. Das liegt auch daran, dass es schwer ist, über einen Sammler stringent zu schreiben, der anders als oft heute mal keine durchgängige Handlung, sondern allenfalls verwobene Einzelepisoden aufzuweisen hat.
Es ist zwar ein halbgarer Tipp, aber diesmal muss er sein: jeder sollte sich „Original Sins“ mal selber schnappen und kurz anlesen. Wenn der Band einen dann auch nur marginal hat, dann heißt es, zugreifen! Constantine ist ein faszinierender Charakter und die enthaltenen Geschichten haben oftmals einige sehr tiefgehende Anspielungen und viel Subtext. Außerdem markiert es trotz fehlender, expliziter Einführung einen exzellenten Einstieg den ein letztes Feature von „Hellblazer“ habe ich bisher verschwiegen: John Constantine altert in Echtzeit. Das, was hier 1984 veröffentlicht wurde, schildert auch „wirklich“ seine Erlebnisse im Jahre 1984. Damit folgt die gesamte Reihe einer klaren Linie und wer wissen will, wo die Wurzeln des Verhaltens dieses Charakters in den nachfolgenden Bänden liegen, der kommt an „Original Sins“ nicht vorbei.

Leider gibt es die nachfolgenden der 26 von Delano geschriebenen Bände nur in extrem verhackstückelter Form in verschiedenen Sammlern. Die Trade Paperbacks setzen erst wieder mit Garth Ennis‘ Lauf ab Heft Nr. 41 ein, wenn er über Constantines „Dangerous Habits“ schreibt. Doch dem wollen wir uns dann kommende Woche widmen.


Jamie Delano, John Ridgway, Alfredo Alcala
256 Seiten Softcover, Vertigo{jcomments on}
ISBN: 1-56389-052-6