Von der Natur des Menschen

„Wenn wir dir schon einen Manga schenken, kann es ja auch ein guter sein.“
Das war die relativ schlichte Begründung, mit der ich von zwei Freunden zu Weihnachten das vorliegende Buch geschenkt bekommen habe: Von der Natur des Menschen.

Das wie wir sehen werden überaus treffend betitelte Buch ist die Übersetzung des japanischen Bandes Keyaki no Ki und ist, als Manga in Deutschland, für die Massen gesehen noch etwas ungewöhnliches. Es ist ein Buch ohne Piraten, Schwerter, Drachen, Cyborgs, riesige Roboter, blanke Brüste, Nazis und Tentakel. Vielmehr ist es eine Sammlung recht stiller, menschlicher und teils philosophischer Schriften.

Aber fangen wir außen an. Das Buch erscheint als Klappbroschur im Format A5 und ist stabil und edel eingebunden. Schon das Cover deutet an, dass dies kein „Manga von der Stange“ ist, wie man ihn hier liest. Die ersten zwölf Seiten des Buches sind farbig, danach geht es mit schwarzweißen Zeichnungen weiter. Und was für welchen!
Jiro Taniguchi gehört zu den Meistern seiner Zunft, ist sowohl in Japan vielfach geehrt, aber auch in Europa geschätzt. Vor allem im frankobelgischen Bereich konnte er sich, auch unter anderem durch eine Zusammenarbeit mit Moebius, einen Namen machen. Sein Stil ist unglaublich präzise, keine noch so feine Linie scheint ungewollt oder dem Zufall entsprungen zu sein. Seine Beobachtungen sind exakt und seine Detailverliebtheit kennt bisweilen keine Grenzen.

Damit passt der zeichnerische Stil allerdings auch perfekt zu den acht vollkommen voneinander gelösten Geschichten, die in dem Buch geschildert werden. Geschrieben wurden diese von Ryuichiro Utsumi, den das Backcover zwar als „bekannten japanischen Künstler“ ausweist, der es mir aber hier gerade etwas schwieriger macht, was dazu zu sagen. Während sich in dem Buch gleich zwei Biografien zu Taniguchi finden (eine im Buch, eine auf der Klappbroschur), gibt es zu Utsumi keine Infos. Und auch das Internet, etwa die englische wie deutsche Wikipedia, schweigen sich aus. Aber nun gut.
Von dem, was das vorliegende Buch mir bietet, ein Urteil her bildend, so besitzt auch Utsumi ein sehr großes Geschick zur Beobachtung. Es ist die Dramaturgie, das Tempo der Geschichten, die oft sehr speziellen Erzählungen und ihre zumeist für den gemeinen Europäer nicht direkt ersichtlichten Konflikte, die den Reiz des Buches ausmachen.

So geht es in der ersten Geschichte um ein junges Paar, dass ein neues Haus erworben hat, offenbar wegen dem wilden Garten – doch der ist bei Einzug bereinigt. Bis auf einen Keyaki-Baum. Der Rest der Geschichte dreht sich dann um den inneren Konflikt des Mannes der Familie, der schwankt zwischen dem Wunsch, den Baum ob seiner Schönheit stehen zu lassen, und den Nachbarn, die aufgrund der vielen Blätter, die zu ihnen wehen, fordern, dass er gefällt wird. Gerade der Konfliktanteil der Nachbarn wirkt zuweilen eigentümlich, denn schnell merkt man, dass offenbar diese Unzufriedenheit den Protagonisten ganz anders betroffen macht, als etwa hierzulande jemand, wenn dort ein Nachbar sich beschwert.

Teilweise kann dieser Aspekt der kulturellen Differenz sowohl Fluch als auch Segen des Buches sein. Ich habe die Geschichten sehr gerne gelesen und war oftmals gefesselt davon, wie unterschiedlich Menschen mit verschiedenen Formen des Miteinanders umgehen können. Was hier Ehre und Familie ist, wäre bei uns ein zweifelsohne explosionsgefährdetes Missgefälle aus „Demut und Demütigung“, wie ich es in einem anderen Artikel las, den ich gerade zwecks Referenz leider nicht mehr wiedergefunden habe.
Andererseits wird das Buch vermutlich für Leute, die entweder auf der Suche nach einer epischen, dramatischen Handlung sind – nicht sagen, dass nicht auch diese Geschichten ihre Dramatik haben – oder aber auf derartige Fremdheiten eher mit einer sich verschließenden Abwehrhaltung reagieren, kaum interessant sein.

Von der Natur des Menschen ist deshalb so unglaublich treffend benannt, weil es einem präzise sagt, was einem das Buch bieten wird. Es sind Mikro-Beobachtungen über Menschen, Persönlichkeiten, Normen und Interaktionen. Wen das fasziniert, der wird den Manga – wie ich – vermutlich am Stück verschlingen.
Alle anderen suchen sich vermutlich besser wieder etwas mit Schwertern oder Tentakeln. Das ist nicht mal wertend – aber sie sind schlicht nicht Zielgruppe.
Ich für meinen Teil hoffe, dass wir noch weit mehr derartige Mangas mit der Zeit in Deutschland zu lesen bekommen werden.


Name: Von der Natur des Menschen
OT: Keyaki no Ki
Verlag: Carlsen
Sprache: deutsch
Autor: Ryuichiro Utsumi, Jiro Taniguchi
Empf. VK.: 14,90 Euro
Seiten: 220
ISBN: 978-3-551-78976-1{jcomments on}