Erdenstern - Into the Light

Wir haben zu dem Zeitpunkt, an dem ich das schreibe, ja nun echt schon viel rezensiert hier auf der DORP. Dies ist die 1418. Rezi der DORP, und in all dieser Zeit haben wir Bücher, Regelwerke, Filme, Hörspiele, Videospiele, Würfelboxen, die Verpackungen von Würfelboxen und – wenn auch vom Sand der Zeit begraben – eigene Urlaube rezensiert. Was wir aber noch nie gemacht haben, ist eine Musik-CD zu besprechen.
Und es ist mir eine Freude, das heute zu ändern.

Auftritt: Erdenstern. Vor mir liegt und auf meine Ohren schallt in diesem Moment Into The Light, das – wenn ich mich jeweils nicht verzählt habe – achte „Into The …“-Album und elfte Werk der Gruppe aus Hamburg. Nach Grün, Rot, Blau, Dunkel, Gold, Grau und Weiß geht es nun also ins Licht. Die Veröffentlichung beschließt den Zirkel dieser Reihe nun auch und entstand unter viel Einfluss durch die Fans, die sich für den Abschluss noch wünschen durften, was in ihrem musikalischen Rollenspielkabinett noch fehlte.

Herausgekommen sind vier Themengebiete auf zwei CDs, im Umfang zwischen neun und elf Liedern von zwei bis fünf, im Schnitt aber so drei bis vier Minuten Länge. Und um vorweg zu greifen: Tatsächlich hört man sofort, wenn man ein Themenfeld gewechselt hat – über Vielfalt kann man hier also keinesfalls klagen.
Bevor wir aber dazu ins Detail gehen, sei noch gesagt, dass das Album wie seine Vorgänger bisher nur als Datenträger zu erhalten ist. Wer also wie ich mittlerweile Musik vor allem digital bezieht, muss sich hier noch mal ans eigenhändige Digitalisieren machen. Dafür wird man aber mit einem echt schönen Produkt belohnt. Eingehüllt in tolles Artwork präsentieren sich die beiden CDs in einem schuberlosen Digipack, in dem man zudem ein bebildertes, zehnseitiges Begleitheft findet. So machen CDs Spaß und so gefällt mir das doch auch gleich gut im Regal.
Aber es geht nicht nur um Schmuck: Jedes der Lieder wurde im Begleitheft mit Schlagworten versehen. Schaut man etwa das erste Lied überhaupt an, „Initially …“, so liest man dort die Schlagworte „rhythmisch, mystisch, fremd“. Ich hab ein paar Beispiele gebraucht, um ein Gefühl für die Art und Weise zu kriegen, wie die Begriffe je benutzt werden, aber danach hilft es einem tatsächlich, passende Lieder zu finden. Und wer jetzt mit der gesamten „Into the …“-Reihe da steht und seine Sitzung plant, der wird davon sicherlich profitieren.
Doch zu der Anwendung am Spieltisch bzw. der Anwendung allgemein komme ich am Ende noch mal.
Angemerkt sei noch, dass das alles seinen Preis hat. Mit 23,99 Euro ist das Album nicht ganz günstig, wenn auch gerade im Kontext ihrer zwischen 15 und 18 Euro liegenden Einzelveröffentlichungen gesehen durchaus fair. Wer aber neu bei Erdenstern ist und nur mal schnuppern will, der findet zwar hier eine besonders große Vielfalt, aber die Schwelle zum Eintritt ist halt auch etwas höher.

Kommen wir aber damit auch zu dem, worum es wirklich geht: Die Musik. Die vier Themenfelder, die am Ende herausgekommen sind, heißen „Ancient Realms“, „Empire of Faith“, „Era of Steam“ und „The Last Days“ – Titel, die bereits im Grunde alles sagen, was zu sagen ist. Gehen wir das doch Reihenfolge nach mal durch.

„Ancient Realms“ hat einen relativ starken Maya-Azteken-Einschlag, schon vom Artwork her, doch weckte es beim Hören insgesamt bei mir auch gleichermaßen klassische Barbarenfilm-Assoziationen. Was ja durchaus nichts Schlechtes ist. Gerade „Gory Rituals“ (fremd, extatisch, rhythmisch; so sagt es das Heft) hat mich sofort in seinen Bann geschlagen. Die Tracks sind alle ziemlich stark und denke ich auch recht vielseitig einsetzbar. So findet man mit „Gods“ auch einen kleinen Abstecher Richtung „Indianer-Gesang“, und „Ruins“ würde sicher auch etwa mancher Earthdawn-Runde und jeder anderen, verlassenen Katakombe, gleich welchem Setting, gut zu Gesicht stehen. Sehr starker, guter Einstieg.

„Empire of Faith“ geht sakrale Themen an. Die Liedtitel sagen es schon – da gibt es „Cathedral“, „Crusade“, „Temptation“ oder etwa „Wrath of the Gods“. Auffällig ist aber auch hier die gebotene Vielfalt. Genanntes „Temptation“ ist mehr die Begleitmusik zu einem intensiven Charaktermoment, in dem jemand vom Pfad des Glaubens abkommt und zur Verdammtnis schreitet, während „Wrath of the Gods“ die Redewendung von Pauken und Trompeten durchaus aufgreift. „Feast Of Sacrifice“ kommt dagegen sogar erfreulich unchristlich daher und schafft es auch ohne die Orgeln und Glocken, die viel in diesem Segment betonen, gut dazustehen.

In der „Era of Steam“ geht der Disc dann der Steampunk durch. Um es direkt zu sagen – ich empfand den Teil insgesamt als schwächsten Abschnitt des Albums. Was nicht heißt, dass er nicht gut wäre, aber die anderen wirkten insgesamt schon vom Konzept her besser durchdacht. Der Bereich schwankt zwischen optimistischen und pessimistischen Elementen, wie es sich für das Genre gehört, aber anders als in den anderen Teilbereichen gibt es einige Lieder, wo der Funke bei mir einfach nicht übergesprungen ist. Ich denke da etwa an „The Flying City“, das letzte Lied des Sets, das erkennbar einen epischen und majestätischen, ja erhabenen Eindruck erzielen will. Aber das ist auch das Dilemma – man erkennt zwar, was es will, aber mehr rational und weniger emotional.
Allerdings kann man über die „Era of Steam“ durchaus sagen, dass da, wo sie gut ist, sie auch sehr gut ist. „Conqueror of the World“ wird ja schon auf dem Backcover mit „Soon, Very Soon, It Will All Be Mine! MINE! Muhahahahahahahar!“ beschrieben – und sie wissen warum. Trommel, lärmende Hydraulik, schrille Orgel, düsterer Chorgesang? Alles da. Phantastisch.
Und das direkt darauf folgende „Out Of Steam“ ist ein wunderbares, melancholisches Klavierstück, das gerade im Kontrast dazu verzaubert. Hier sind es aber leider nur die Ausnahmen.

„The Last Days“, das letzte Segment der Doppeldisc, hat mich hingegen dann etwas überrascht. Was ich erwartet hatte, vom Titel wie dem Artwork her, war Postapokalypse, gewissermaßen das richtige Futter für jede Mad-Max-Runde und alle, die so etwas werden wollen. Das trifft es, aber nicht exakt.
Einige Lieder scheinen mehr Cyberpunk als Postapokalypse zu sein, doch das weiß durchaus auch zu gefallen. Sicherlich ist „Land of the Dawn“ dazu geeignet, dass Leute durch verlassene postatomare Wüsten stapfen auf der Suche nach … irgendetwas. Aber es würde nicht weniger gut funktionieren, wenn ein Mann im schwarzen Ledermantel durch die neonbestrahlten Gassen einer beliebigen Neo-Noir-Welt streift – und das ist klar ein Gewinn bei dem Abschnitt, um dessen Vielfalt ich mir die meisten Sorgen gemacht hatte.
Doch was in diesem oder anderen Liedern noch Sehnsucht und Melancholie ist, wird in Titeln wie „They Are Coming“ oder „Fight For Survival“ auch schnell durch treibende Musik mit stark elektronischem Einschlag ergänzt, während das Ende – Into the Light – in seiner Melancholie und Schwermut einen sehr gelungenen Schlussakzent setzt. Kurzum: Ein sehr starker, vielfältiger und dennoch das Thema treffender Teil.

Alles in allem ist Into the Light auf jeden Fall ein sehr gutes Album orchestraler Musik im Stile gelungener Filmsoundtracks geworden. Aber es ist ja nicht „nur“ Musik, es ist ja durchaus Musik mit einer Intention – es ist ganz explizit Begleitmusik für Rollenspielrunden. Ist sie das? Ich würde sagen, es kommt darauf an.

Viele Lieder auf den beiden CDs sind sehr stark, manche davon aber auch zugleich sehr einnehmend. Einige sind wuchtige, kraftvolle Titel mit hartem Antrieb, starken Rhythmen und einer gewissen Dominanz. Das muss nicht, aber das kann natürlich bei einer Runde auch störend sein. Natürlich kann man auch einfach die Lieder leiser ablaufen lassen, aber teilweise fordern die Tracks von ihrem Naturell her schon nach einer gewissen Wucht, einer gewissen Boxenauslastung, um voll zur Geltung zu kommen.
Das ist aber natürlich ein Thema, mit dem sich jede Gruppe individuell auseinandersetzen muss – nur eines ist sicher: Seichte Hintergrundbeschallung ist hier nicht durchgehend Konzept.

Dass mein letztes Urteil über das Album hingegen durchweg positiv ist, liegt aber noch an etwas ganz anderem – ich finde dass jedes der Segmente der CDs ungeheuer inspirierend geraten ist. Into the Light ist sicherlich gute Musik am Spieltisch, aber es ist auch eine fantastische Musik im Vorfeld. Wenn man als Spielleiter daheim sitzt und versucht, seine Sitzung zu planen und nach der rechten Stimmung in sich forscht, um dem Plot den richtigen Schwung zu geben, kann ich mir gut vorstellen, dass Erdenstern genau das sein könnte, was man gerade braucht.

Wer den Rest hat, sollte auch bei diesem Album zuschlagen, für alle anderen ist es aber auch sicherlich ein guter Punkt, um sich einmal von der gegebenen Klasse dieser Orchestratoren unser aller Runden zu überzeugen. Auch wenn man da, wie gesagt, vielleicht zuerst zu den günstigeren Einzelalben greifen sollte.
Bei mir wird die CD jedenfalls noch lange auf dem Tisch bleiben und wohl so manches geschriebene Wort wird auch von mancher Erdenstern-Note geprägt sein.

Mit freundliche Unterstützung durch Erdenstern.


Interpret: Erdenstern
Album: Into the Light
Vertrieb: Erdenstern
Umfang: 2 CDs, 159:33 Minuten
Preis: 23,99 Euro{jcomments on}