Straight Story

"I'd give each one of 'em a stick and, one for each one of 'em, then I'd say, 'You break that.' Course they could real easy. Then I'd say, 'Tie them sticks in a bundle and try to break that.' Course they couldn't. Then I'd say, 'That bundle . . . that's family.'"
- aus Straight Story

Zur Handlung:
Alvin Straight ist über siebzig Jahre alt und lebt mit seiner Tochter in Iowa. Doch als sein Bruder Lyle, mit dem er seit vielen Jahren im Streit liegt, einen Schlaganfall erleidet und es nicht sicher ist, ob er noch lange leben wird, beschließt Alvin, dass es Zeit für eine Aussprache ist.
Doch besitzt er kein Auto, kann auch keines fahren, um die weite Strecke bis nach Wisconsin zurückzulegen. Somit geht er den für ihn naheliegendsten Weg, baut sich einen Anhänger zusammen, hängt diesen an seinen kleinen motorisierten Rasenmäher und macht sich, unter den staunenden und zweifelnden Blicken seiner Verwandten, auf den Weg.

Zur Umsetzung:
Die vorliegende DVD transportiert sicherlich einer der merkwürdigsten Filme, die es bisher auf meinen Rezistapel geschafft haben. Die "poetische Rasenmäher-Odyssee", wie das Backcover so schön schreibt, ist sogar für einen Film von David Lynch einfach nur eigenartig und untypisch.

Die Handlung, die übrigens, so kurios das auch ist, auf wahren Tatsachen beruht, gleicht natürlich generell der eines Roadmovies. Es wird von a nach b gefahren, eine lange Landstraßen entlang, das Gefühl von Freiheit spielt auch hier eine wichtige Rolle ... doch "Straight Story" ist ein Roadmovie mit 25 Stundenkilometern.
Ein normaler Rasenmäher fährt nun mal nicht schneller, ebenso wie Alvin selbst als alter Mann nicht mehr der Schnellste ist. Somit kann ein LKW, der zügig an dem Mäher vorbei rauscht und Alvin den Hut vom Kopf weht, oder eine Talsohle mit starkem Gefälle schon zu einem echten Hindernis werden.

Klingt langweilig? Ist es wider Erwachten nicht, im Gegenteil, es geht eine große Faszination von Alvins so ungewöhnlicher Reise aus. Warum? Es sind sicherlich verschiedene Faktoren.
Einerseits ist das Lynchs gekonnte Inszenierung, eine tiefe Verneigung, eine Huldigung des von ihm ja schön öfter thematisierten, aber bisher immer versinnbildlichten Szenarios jener kleinen Orte im Nirgendwo mit ihren verschrobenen Bewohnern. Wenn die Kamera in weiten Bahnen über golden leuchtende Felder kreist, dazu die wundervolle Musik von Angelo Badalamenti ertönt und irgendwo gemütlich dieser Rasenmäher seine Bahn fährt, dann ist das Gefühl von Freiheit größer, als es die schnellste Harley auf der Route 66 je vermitteln konnte.
Man schließt Alvin schnell ins Herz und erkennt bald auch einfach an, welch riesige Hürden dieser Mann dort nimmt.

Überhaupt sind die gesamten alten und verschrobenen Charaktere in diesem Film ein Highlight für sich. Glaubt man diesem Film, so gibt es kaum junge Leute entlang der Strecke, die Alvin fährt und jene, die er trifft, scheinen auch nicht von dort zu kommen. Alvin, gerade perfekt verkörpert von dem leider kurz nach Dreharbeiten durch Selbstmord verstorbenen Richard Farnsworth, seine geistig etwas "langsame" Tochter wird ebenso gekonnt von Sissy Spacek portraitiert. Die ganzen Charaktere leben irgendwo noch in einer kleinen, heilen Welt, verleben zufrieden einen Lebensabend in der überwiegend sonnigen Landschaft zwischen einzelnen Farmen.
Dies ist irgendwo auch ein Lebensgefühl, welches der Film vermittelt, eine unglaubliche Ruhe und Kraft liegt in diesem körperlich stark behinderten Mann, der weder richtig sehen noch gehen kann, aber dennoch aus eigener Kraft die Situation mit seinem Bruder wieder gutmachen will.
Man fiebert als Zuschauer mit, man lacht, man ist gerührt und mir ist bisher noch niemand begegnet, der nach bewusstem und intensivem Gucken des Filmes am Ende nicht doch auch gespannt war, wie die Geschichte nun enden würde.

Allerdings wäre es nicht David Lynch, wenn nicht doch zumindest ein gewisser Subtext in dem Film zu finden sein würde. Generell kann man es schon als lustige Ironie auffassen, dass die Verfilmung dieser Taten es wirklich existiert habenden Alvin Straight zugleich auch Lynchs wohl geradlinigster Film sein dürfte.
Doch auch wenn er hier auf seine gewohnte Menge verstörender Elemente verzichtet, so schwingt eben doch ein sehr melancholischer Unterton mit. In der Vergangenheit seiner Tochter liegt eine sehr dramatische und traurige Geschichte, die sie letztlich das Sorgerecht ihrer Kinder gekostet hat – zugleich eine Geschichte, die sich geradezu in dem Schicksal einer jungen Frau, die Alvin unterwegs trifft, zu spiegeln scheint. So wie er selbst auch noch manche alte Last mit sich herum trägt.
Zu Beginn gibt es auch Szenen die recht deutlich zeigen, dass es auch dem Helden dieses Filmes nicht mehr gut geht und auch wenn dies, wie auch die obige Analogie, niemals explizit im Film geäußert wird, so kann man, dies im Hinterkopf, das Ende auch sehr vielschichtig deuten.
Man darf auch durchaus die Frage stellen, ob nicht vielleicht auch deshalb vornehmlich die alten Leute die Hauptrollen des Filmes übernehmen, weil sie ein Menschenschlag sind, der langsam aber sicher auszusterben droht. Beispiele für die Kehrseite dieser Idylle lassen sich am Wegesrand auch auffinden, alleine das äußerst eigentümliche Schicksal, welches eine Pendlerin auf dem Weg zur Arbeit nahezu täglich erleidet, gibt dort die Richtung an.

Ich werde mich an dieser Stelle jedoch vor einer weiteren Interpretation dieser Elemente hüten, die soll gefälligst jedem Zuschauer selbst überlassen sein. Doch gerade diese Vielfältigkeit der Sehart, sei es nun eine Idylle, ein Abgesang, eine Bestandsaufnahme oder eine Kritik, machen auch den Film zu etwas ganz besonderem, gibt es doch wenig Filme, die eine derartige Leistung vollbringen.
Die deutsche DVD ist dabei recht durchwachsen zu nennen, denn was sie mit ihrem guten Bild (16:9 anamorph) und Ton (Deutsch und Englisch in Dolby Digital 5.1) an Pluspunkten holen kann, wird recht souverän mit deutschen Zwangsuntertiteln beim O-Ton und gerade mal neun bescheidenen Minuten Bonusmaterial wieder aufgehoben.
Dennoch kann ich jedem, dessen filmischer Horizont nicht bei "Action", "Fantasy" und "Horror" endet (und ich liebe auch jene Genres, keine Frage!), "Straight Story" nur wärmstens empfehlen – man sieht es ihm auf den ersten Blick nicht an, aber das hier ist ein ganz großartiger Film.


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