Secretary

E. Edward Grey: Look, we can't do this 24 hours a day, seven days a week.
Lee Holloway: Why not?
- aus Secretary

Einleitende Worte
Wer in letzter Zeit regelmäßig hier mitliest, hat vermutlich mitbekommen, dass ich schon lange keinen Film mehr besprochen habe. Insofern ist es schon bemerkenswert genug, dass ich diese Zeilen überhaupt schreibe, jedenfalls für mich. Umso bemerkenswerter ist es wohl, dass es sich bei dem vorliegenden Film, zumindest bei einer oberflächlichen Betrachtung, um einen Liebesfilm zu handeln scheint. Ein Genre, mit dem ich mich gemeinhin sowieso schwer tue.
Schauen wir also einmal, was es ist, dass mich an „Secretary“ derart beeindrucken konnte.

Der Filmbeginn
Eine junge Frau, geschätzt irgendwo Mitte zwanzig, scheint als Sekretärin zu arbeiten. Sie geht durch die Büroräume, sammelt unterwegs ein paar Unterlagen ein, heftet einige Blätter zusammen, ergreift noch eine Kaffeetasse und verschwindet dann im Büro ihres Chefs.
Das sind die ersten wirklichen Bilder des Films „Secretary“ und es klingt eigentlich recht unspektakulär. Doch weiß man um ein weiteres, entscheidendes Kriterium, ändert sich der Eindruck, denn die Arme der jungen Frau werden durch eine Metallstange wie am Kreuz gespreizt. Und während man sich noch fragt, was genau man da wohl sieht, verschwindet sie in einer Türe und sechs Monate früher setzt die eigentliche Filmhandlung ein.

„Secretary“ erzählt die Geschichte der jungen Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal), die gerade aus psychiatrischer Behandlung heimkehrt, in der sie wegen Autoaggressionen war. Ihre Familie ist nur nach außen hin eine Stütze für sie, doch macht sie sich auf die Suche nach einem Platz im Leben. Mehr eine Laune führt sie zur Bewerbung als Sekretärin in der Kanzlei des Anwalts E. Edward Grey, doch soll diese Stelle ihr Leben auf ewig verändern.
Zu Beginn ist der Umgang der beiden recht belastet, denn der perfektionistische Grey findet eine Menge Dinge an Lee, die er kritisiert. Zunehmend jedoch wird dieses Verhältnis zu der ihm untergeordneten Sekretärin von einer sexuellen Komponente durchzogen und graduell entwickelt sich zwischen den beiden eine sadomasochistische Liebesbeziehung.
Doch irgendwann kommen Grey Zweifel an ihrem tun und das, was zwischen ihnen bis dahin entstanden ist, wird auf eine harte Probe gestellt.

Zum Film
Der 2002 erschienene Film „Secretary“ ist die (offenbar recht freie) Adaption von Mary Gaitskills Kurzgeschichte „Bad Behavior“ durch Regisseur Steven Shainberg. Der relativ unbekannte amerikanische Regisseur adaptierte die Geschichte selber (zusammen mit Erin Cressida Wilson), nachdem er bereits einen Kurzfilm zu dem gleichen Stoff gedreht hatte, und schafft es mit seinem Film, erstaunlich elegant ein sehr Tabus behaftetes Thema zu inszenieren. Er hatte nach eigenem Bekunden große Probleme, einen Filmverleih zu finden, der ihn einen Film produzieren ließe, an dessen Ende die sadomasochistische Hauptfigur nicht „glücklich von ihrem Leiden geheilt“ sein würde, doch dieser mutige Schritt, gemeinsam mit souveräner Filmarbeit und den guten Darstellern, machen „Secretary“ zu einer sehr sehenswerten Melange.

Ich schreibe „Melange“, denn es ist nicht so ganz leicht, herauszubekommen, was „Secretary“ eigentlich ist. Die deutsche DVD verkauft einem den Film als „schräge Komödie“, a ber das ist mutmaßlich irreführend, denn der Film hat auch sehr viele ernste Seiten, ist keine Sammlung flacher Schenkelklopfer.
Rein strukturell ist der Film eigentlich eine typische Liebesgeschichte, in der Mann und Frau sich im Beruf erst kennen, über hassen dann lieben lernen, um dann zum Finale hin mit einer großen Hürde konfrontiert zu werden. Aber irgendwie tut man dem Film auch unrecht, wenn man ihn derart beschriftet, denn im großen Regal der Liebesfilme wäre er zwischen diversen Julia Roberts-Schoten sicherlich auch falsch aufgehoben.
Nennt man ihn dagegen Drama, denn das ist ja bekanntermaßen das Sammelbecken ernsterer Filme, die man nicht zuordnen kann, so ist das auch fraglich, denn die Leichtigkeit, in der die Erzählung erfolgt, passt auch nicht richtig in diese Schublade.

„Secretary“ ist eine Beobachtung, kann man vielleicht sagen. Zwei Leute, Lee und Grey, die offenbar ihre Plätze im Leben nicht wirklich gefunden haben, auch wenn Letzterer seine eigene Kanzlei besitzt, beginnen einander in zunehmend heftigeren Bahnen zu umkreisen und entdecken dabei, hier greift der Liebesfilm vielleicht dann doch, nicht nur einander, sondern auch jeweils sich selbst.
Dass diese Entdeckungen, die sich auch in ihren sadomasochistischen Spielen miteinander festigen, zwar beobachtet, aber nicht mit einem starken Voyeurismus begafft oder mit starrem, moralischen Blick verdammt werden, ist dem großen Feingefühl aller Beteiligten zu verdanken.

Da ist etwa das überaus brillante Spiel der Hauptdarsteller. Maggie Gyllenhaal, die gerade ein Jahr zuvor mit „Donnie Darko“ weitläufigere Aufmerksamkeit geerntet hatte und dieses Jahr vermutlich als die Frau an Batmans Seite in „The Dark Knight“ sich endgültig einen Namen machen wird, schafft es, Lee sehr viel Tiefe zu geben. Die Gefahr, die Hauptfigur zwischen Autoaggression und Sadomasochismus als buchstäblich „krank“ zu inszenieren war sehr groß, doch gelingt es der jungen Schauspielerin, diese Türe niemals einzurennen. Vielmehr verleiht sie ihrem Charakter eine unglaubliche Hingabe, die sich in ihrem Gegenpart auch widerspiegelt.
Grey könnte leicht also Despot, als Tyrann oder dergleichen missverstanden werden. James Spader, der damals nach „Stargate“ und noch vor „Boston Legal“ schon länger keinen größeren Ruhm mehr geerntet hatte, legt jedoch eine bravouröse Vorstellung hin und zeigt Grey ebenfalls als menschliche und durchaus verletzliche Person. Was beiden zusammen gelingt, ist etwas, was mich durchaus sehr beeindruckt hat: Es gelingt ihnen, die unglaubliche Zuneigung in ihrem Tun zu transportieren.

Ich denke, der Film hat mich nicht zuletzt deshalb so begeistern können, weil er die Beziehung zwischen den beiden Figuren, so ungewöhnlich sie vielleicht erscheinen mag, greifbar und glaubhaft schildert.
Er bedient insofern ein ähnliches Feld wie der von mir so innig geliebte „Chasing Amy“, indem er eine, ich sag mal, nicht-klassische Liebesbeziehung inszeniert, aber sich all dem von außen her gar nicht als etwas Ungewöhnliches nähert. Ich hatte mich, bevor ich „Secretary“ gesehen habe, mit dem ganzen Themankomplex SM noch nie auseinander gesetzt und der Film funktionierte trotzdem als schöne Liebesgeschichte, einfach weil man es den Figuren auf dem Bildschirm glaubt und man sieht, dass für sie dort das Potential für echtes Glück gegeben ist..

Andererseits ist es auch unfair, die Besprechung des Filmes alleine an diesen Aspekt anzubinden. „Secretary“ ist auch abseits seiner mutigen Grundhandlung ein durchweg gelungener Film mit spritzigen Dialogen, schönen Nebenfiguren und einer gelungenen Dramatik. Man hat durchaus etwas zu lachen wenn man den Film sieht und oftmals fühlen sich lachende und weinende Augen gleichzeitig wohl, etwa wenn Lees alkoholkranker Vater, von ihr kritisch auf das Bier in seiner Hand angesprochen, es – während er mit ihr spricht – weiterreicht, aber nachdem sie weitergegangen ist, fast noch in der gleichen Bewegung, sich die Flasche wieder holt. Das ist einerseits unterhaltsam gespielt, andererseits leider durchaus traurig lebensecht.

Ebenfalls lobenswert zu erwähnen ist dabei die handwerkliche Umsetzung des Films. „Secretary“ ist dabei weniger ein Film der neuen Ideen, aber das Produkt von durch und durch geschulter Handwerkskunst. Die Kameraführung ist klar und nachvollziehbar, der Schnitt dem Tempo des Films angemessen, die Ausstattung ist gut und wer Freude an Bildsprache hat, kann viel entdecken, schon mit dem bewussten Einsatz bestimmter Farben beginnend.
All das wird untermalt von einem wunderbaren Soundtrack von Angelo Badalamenti, den man sonst nicht zuletzt von seiner Arbeit an den Filmen von David Lynch her kennt.

Die DVD ist dabei okay, wenn auch nicht weltbewegend. Das in 1:1,85:1 vorliegende, für 16:9 optimierte, anamorphe Bild ist gut und kommt mit kräftigen Farben und scharfen Rändern daher, der Ton ist ebenfalls in Ordnung. Es mutet dabei schon etwas eigenartig an, den Film dabei in fünf Formaten (Deutsch DD 5.1, DTS und Dolby Surround, Englisch in DD 5.1 und Dolby Stereo 2.0) vorliegen zu haben, aber gerade die besseren Formate klingen auch ziemlich ordentlich. Ärgerlich ist, dass es Untertitel nur in deutscher Sprache gibt, aber immerhin sind diese abschaltbar.
An Bonusmaterial gibt sich die DVD etwas karg und bietet drei Interviews (je zwischen drei und fünf Minuten), Behind the Scenes (sechs Minuten unkommentierte B-Roll-Aufnahmen), Biografien (in Textform) und diverse Trailer. Der bisweilen sehr gelobte Audiokommentar der amerikanischen DVD entgeht dem deutschen Kunden hingegen vollständig.
Die Erstauflage der DVD kam in einem schönen Pappschuber daher, die neue Auflage gibt sich dagegen nur in einer Amaray die Ehre.

Für wen also lohnt sich „Secretary“?
Ich denke, wer skurrile, unterhaltsame Filme mag, wer nicht immer brachiale Kalauer zum Schenkelklopfen sucht und wen vielleicht auch die besonderen Umstände der Liebesziehung zwischen Lee und Grey reizen, der sollte in jedem Fall zugreifen. Zumal man durchaus erwähnen kann, dass der Film bereits für sehr kleines Geld zu haben ist, einem Experiment also auch insofern nichts entgegen steht.
Dem Film gelingen gleich eine Menge feiner Sachen: Er unterhält, er rührt an, er bringt zum lachen und er ist ein wundervolles Plädoyer dafür, dass jeder sein Glück suchen sollte und dass, wenn es zwei Menschen auf eine Art und Weise finden, die vielleicht nicht den gängigen Normen entspricht, sie es dennoch beim Schopfe packen sollten.
„Secretary“ hält dieses Plädoyer bisweilen mit einem Augenzwinkern, doch das macht die Botschaft nur umso süßer.


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