Millennium – Staffel Eins

I become capability. I become the horror - what we know we can become only in our heart of darkness. It's my gift. It's my curse. That's why I retired.
- aus Frank Black, Millennium – Pilot

Man schrieb das Jahr 1996. „Akte X“ lief seit drei Jahren fest und erfolgreich auf Fox und irgendwo in den Führungsetagen kam man auf die Idee, dass Surf-Fan Chris Carter, der Schöpfer von Mulder und Scully, zweifelsohne noch weitere Hits im Herzen tragen würde.
Also gab man ihm freie Hand bei der Konzeption einer Serie, die er alsbald – etwas zum Schrecken der Fox-Mitarbeiter – als „im Grunde der Film ‚Sieben‘“ beschrieb.

Was er dort ersann, fand niemals die große Liebe wie es die X-Akten schnell erreicht hat, fand aber anders als Carters Nummern drei und vier, „Harsh Realm“ und „The Lone Gunmen“, auch keinen nahezu sofortigen Tod.
Drei Staffeln wurden produziert, vom Ansatz her sehr unterschiedlich, und nun, im Jahre 2005, liegen sie auch endlich alle auf DVD vor. Freilich zum Zeitpunkt dieser Rezensionen noch nicht in Deutschland, wenn „Staffel eins“ auch bereits angekündigt ist, weshalb sich die vorliegende Rezension auch auf die holländische Veröffentlichung der Season One bezieht und die nachfolgenden Rezensionen die britischen Veröffentlichungen als Grundlage haben.
Überhaupt ist es faszinierend, denn Millennium, obschon eine amerikanische Produktion, wurde in Europa immer weit euphorischer aufgenommen als in den USA, weshalb die RC2-Veröffentlichungen schon vollständig wahren, als die Amerikaner noch nicht mal die zweite Staffel kaufen konnten.

Wenn man versuchen müsste, „Millennium“ in ein Wort zu fassen, so wäre es vermutlich „Angst“ – im Deutschen wie im Englischen. Protagonist der Serie ist Frank Black, ein ehemaliger Profiler des FBIs. Doch erschöpft und ermattet von der harten Arbeit mit Serienmördern hat er seinen Hut genommen und zieht, gleich zu Beginn des Pilotfilms, mit seiner Familie – Frau Catherine und Tochter Jordan – nach Seattle.
Er arbeitet jedoch mit der sogenannten Millennium Group zusammen. Ähnlich wie die real existierende Academy Group (nein, nicht die mit den Oscars, das ist die „Academy“) sind dies freischaffende Fachleute, etwa eben Profiler, die das FBI sowie die örtlichen Polizeibehörden mit ihren Ressourcen und ihrer unbürokratischen Herangehensweise unterstützen.

Unter der Anleitung von Peter Watts, Vorgesetzter und neuer Freund Franks, ermittelt er nun in 22 Episoden in diversen Fällen. Fälle, die weit über das hinausgehen, was man aus normalen Krimis kennt. Da sind einmal die Täter zu nennen, die psychotischer wirken und grausamer vorgehen als alles, was man bis dato aus vergleichbaren Sendungen her kannte. Und auch heute, in unserer skrupellosen Fernsehwelt des 21. Jahrhunderts, wirkt der schonungslose Blick der Serie noch immer erscrhreckend.
Doch auch Franks gesamtes Umfeld gibt das wieder. Der Film „Sieben“ steht hier wirklich gut Pate, denn in nebligen Vororten und von Dauerregen geplagten urbanen Molochen muss Frank Tag für Tag mit ansehen, wie Menschen sich aus Habgier, außer Kontrolle geratenen Trieben, Zorn und Eifersucht oder auch einfach reinem Sadismus an die Kehle gehen.
Nicht nur die Täter. Diese sind zwar immer mehrere Gangarten schlimmer, doch auch der Rest der Welt scheint jeglich Hoffnung und Moral ad acta gelegt zu haben.
Es gibt gleich im Pilotfilm von einer Striptänzerin einen Satz, der es auf den Punkt bringt. Sie sagt, ihr Publikum würde sicherlich applaudieren, „aber dafür bräuchten sie beide Hände“.
Insofern ist Millennium auch kein leichter Genuß. Sich Woche für Woche, oder im Falle der vorliegenden DVD sogar am Stück, vorzeigen zu lassen, wozu Menschen fähig sind, wenn nur Egoismus, Wollust, Gier oder andere derartige Ströme die Kontrolle erlangen, ist nicht wirklich angenehm. Man mag Splatter- oder Zombiefilme locker schauen, doch wenn man dieser Serie aufmerksam folgt und sich immer vor Augen hält, dass das, was man sieht, beileibe nicht so unrealistisch ist wie wandelnde Tote, der wird manche Episode nur mit Schaudern beenden.
Das haben natürlich auch die Fox-Leute Carter und seinen Mannen vorgeworfen. Doch Carter, der übrigens anders als bei Akte X fast nur beratend tätig war, schrieb er hier doch nur vier Episoden und inszenierte keine einzige selbst, brachte es gut auf den Punkt: „Bestraft uns nicht dafür, dass wir es schaffen, euch unter die Haut zu gehen.“

Millennium ist dabei aber, so zumindest die Lesart der aufmerksameren Zuschauer, die über das objektiv gezeigte hinauszugehen wussten, keine negative, sagen wir dystopische Serie. Frank funktioniert gerade deshalb als Held, weil er in diesen Wogen der Dunkelheit aufrecht steht. Er gibt die Hoffnung niemals wirklich auf und stellt sich, egal was passiert, dem Bösen entgegen. Vielleicht kämpft er auf verlorenem Posten, aber er kämpft. Aufrecht.
Seine Motivation dafür liegt sicherlich auch zuhause. Seine Frau und seine Tochter sind klar die Quellen seiner Kraft. Sie leben in einem schönen Haus, rein von der Inszenierung her meist in leichtem Weichzeichner gehalten und in Gelb- und hellen Orangetönen gehalten. Man merkt, dass Frank versucht, hier ein Refugium zu schaffen. Er versucht, dass Grauen der Welt von seiner Familie fernzuhalten, egal wie aussichtslos das erscheint. Catherine meint einmal, er müsse doch wissen, dass das nicht immer funktionieren kann, worauf er nur entgegnet, er wolle sie dennoch glauben machen, dass er es könnte.
Und wirklich, das Böse lauert auch auf ihn. Jemand versucht ihn, die Serie über, einzuschüchtern, indem er ihm geheim aufgenommene Fotos von seiner Familie im Alltag schickt – die klare Botschaft: „Ich komme unbemerkt an sie heran, wenn ich es nur will.“
Franks alter Mentor Mike Atkins meint an einer Stelle einmal zu ihm, er solle alles versuchen, was er könnte, um seine Familie zu schützen. Doch solle er sich darauf einstellen, dass es nicht genug sein könnte. Frank antwortet wieder sehr klar darauf: „Es muss genug sein.“

Catherine vergleicht ihren Mann einmal mit dem Fänger im Roggen, direkt zitiert nach Sullivans „The Catcher in the Rye“. Die Metapher verfehlt ihr Ziel nicht, könnte so für die Serie geschrieben sein und ist zugleich Zeugnis für die enorm hohe Intertextualität Millenniums.
Man muss kein Literaturstudent sein, um die Folgen zu gucken, doch wer etwas Ahnung mitbringt, wird gerade aus Richtung dunkler, teils apokalyptischer Dichtung, wie man sie etwa bei Blake und Yeats findet, viel wiedererkennen können.
Und aus der Bibel. Besonders aus der Bibel. Die Serie heißt „Millennium“ und mehr als nur einzelne Fragmente suggerieren in der Tat ein kosmisches Ereignis zur Jahrtausendwende, so das der Begriff „Fin de siècle“ automatisch in den Sinn kommen muss.
Dabei wird der Weltuntergang nicht theatralisch durch feuerumflackerte Dämonen und geflügelte Engel dargestellt, sondern vielmehr subtil suggeriert. Serienmörder, die sich als Boten Gotten bezeichnen, biblische Prophezeiungen, die einfach auf Franks Umfeld passen und zuweilen bedeutungsschwangere Hinweise aus den Reihen der Millennium Group erzeugen einen Gesamteindruck, in dem nichts sicher und dennoch vieles nachvollziehbar erscheint.
Einzelne Charaktere heben sich aus diesem Gesamtbild dennoch ab, zumeist, indem sie Franks Weltbild oder die Sicherheit seiner Familie selbst betreffen. Inbesondere Lucy Butler in der Folge „Lamentation“ sowie Al Pepper und Samiel in „Powers, Principalities, Thrones and Dominions“ sind Personen, deren Unmenschlichkeit sich alleine in der Reaktion der Menschen auf sie spiegelt – subtil wie genial.
Erstaunlich ist dabei auch, wie die Mythologie auch nach Verhallen der Jahrtausendwende, offensichtlich ja ohne Weltuntergang, nichts an ihrer Wirkung verloren hat. Wir schreiben nun vielleicht das 21. Jahrhundert, aber die Menschen sind wohl dennoch nicht besser geworden.

Dies wird natürlich nicht zuletzt durch ebenso geniale Darsteller ermöglicht. Megan Gallagher ist wundervoll in der Darstellung von Franks liebender Frau Catherine, die junge Brittany Tiplady ist ebenfalls sehr eindrucksvoll in der Rolle der Tochter zu sehen. Alle Darstellungen aber werden überschattet von Lance Henriksen, der Frank das Gefühl eines Mannes verleiht, der jederzeit am Abgrund wandelt, um andere Aufzufangen, die diesem zu nahe kommen – das Motiv des Fängers im Roggen eben.
Das markante, furchige Gesicht des Darstellers, sein fester Blick und seine minimale, teils nonexistente Gestik verleihen Frank Black eine unglaubliche Tiefe und man kann nur glücklich sein, dass Carter seine Idealbesetzung trotz Henriksens für Hollywood hohen Alters bei den Zuständigen durchsetzen konnte.

Was Frank von anderen Menschen abhebt, ist seine Gabe, in die Seele von Mördern zu blicken. Das ist nicht als Psi-Kraft zu verstehen, wenn auch oft so fehlgedeutet. Vielmehr hat die Serie hier etwas geprägt, was später als innovatives Markenzeichen von „CSI“ beliebt werden sollte: wenn Frank das Profil des Mörders erstellt, werden in schnellen, oft verstörenden Schnitten seine Impressionen der Tat eingespielt. Dort mischen sich dann Gewalttat und Symbolik oft zu faszinierenden Puzzeln, die man als Zuschauer oft erst bei wiederholtem Sehen komplett entschlüsseln kann.
Und ganz im Sinne Nietzsches ist auch Frank ein Mann, der tief in den Abgrund blickt und daher Gefahr läuft, dass dieser ihn eines Tages übermannt. Catherine deutet eine solche Angst mehrfach dezent an, doch auch ein kritischer Blick auf Franks Umfeld belegt diese These. Er hat keine Freunde außerhalb der Polizei und eigentlich keine Kontakte außerhalb der Gruppe, seine Verwandten schätzen ihn zwar, suchen ihn aber selten auf und Catherines Verwandte halten ihn teilweise für einen schlechten Umgang für sie.
Symptomatisch erscheint hier auch die Einschätzung einer Tierärztin aus der Episode „Broken World“, die ihn beim Anblick seines Eheringes fragt, ob er wirklich verheiratet sei, oder ob er diesen nur trage, um normal zu erscheinen.

Frank ist dabei, anders etwa als Mulder und Scully, auch nicht statisch, ebensowenig wie sein soziales Umfeld. Man merkt, dass Frank auf einer Reise in die Finsternis ist, dass er immer weiter in eine düstere, böse und menschenfeindliche Welt eindringen muss, damit er seiner Familie ein sicheres Zuhause bieten kann.
Somit ist die Serie vor allem das Zeugnis eines Mannes, der für seine Familie und für das Wohl seiner Mitmenschen kämpft, in einer Welt, in der dies vollkommen aussichtlos erscheint. Einer Welt, die unserer dabei erschreckend ähnlich ist. Und obwohl er diesen Kampf aufnimmt gibt es nirgends Garantien, dass er überhaupt eine Chance hat – ganz wie Mike Atkins es sagte.

Es ist, auch das sagte ich schon, keine leichte Kost. Doch ist es eine spannende Kost, mystisch angereichert und gekonnt inszeniert, bravourös gespielt und definitiv ein Meilenstein in der Welt der TV-Serien. Wer Lust hat, gemeinsam mit Frank diese dunkle Reise anzutreten, der wird es definitiv nicht bereuen.
Die DVD-Box umfasst alle 22 Episoden der ersten Staffel auf sechs Silberlingen, angereichert mit Audiokommentaren zu den ersten beiden Episoden, einem rund 50 Minuten langen Making of zur ersten Staffel unter dem Namen „Order in Chaos“ sowie den beiden Featuretten „Chasing the Dragon: A Conversation With The Academy Group“ sowie „Creating the Logo and Title Sequence“.
Wer „Sieben“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ mochte, wer wirklich gut gespiele Charaktere mit Entwicklung schätzt oder wer einmal Lust hat auf eine anspruchsvolle, spannende und düstere Thriller-Serie, der sollte keine Sekunde länger warten und zu „Millennium“ greifen.
Besser kann Fernsehen kaum werden!


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