Avalon

"Was ist deiner Meinung nach das bessere Spiel: eines, von dem man glaubt, man könnte es verlassen, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht, oder eines, von dem man es nicht glaubt, obwohl diese Möglichkeit durchaus immer besteht?"
aus Avalon

Zur Handlung:
In der Zukunft flüchten sich die Menschen in eine virtuelle Umgebung, ein VR-Computerspiel namens "Avalon". Ein hartes Kriegsspiel. Ash gehört zu den besten Spielern, obwohl sie alleine spielt und niemals mit anderen Spielern kooperiert.
Doch es geht ein Gerücht um. Das Gerücht nach einer versteckten Ebene namens "Special A", doch niemand, der sie erreicht hat, kehrte je daraus zurück. Alles was bleibt, sind hirntote Wracks in einer einsamen Klinik. Doch als Ashs Freund Murphy dieses Schicksal ereilt, macht sie sich auf, den Schleier zu lüften…

Zur Umsetzung:
Es klingt wie ein generischer Cyberpunkfilm. Der Gedanke an SimSinn (Simulierte Sinneseindrücke) ist so alt wie das Cyberpunkgenre, wenn nicht gar dessen Grundstein und virtuelle Realität ist spätestens seit "Matrix" wieder "In".
Doch was Mamoru Oshii, Schöpfer des Anime-Meilensteins "Ghost in the Shell", mit Avalon kreiert hat, geht weit über das Gewöhnliche hinaus.
Avalon ist mehr ein großes Sinnbild, eine Art Metapher über die elementare Frage des Seins, über die Frage, was Realität ist und was nicht. Es ist eine große Kreation, eine Sammlung von Symbolik, ein Werk, an dem jedes Element eines jeden Einzelbildes arrangiert ist, kurz: ein Werk, dass die Grenzen des Medium Film zu sprengen droht.
Das oben angedeutete Zitat zeigt die Richtung an: was ist Realität? Wie kann man sicher sein, dass das, was man sieht, wenn man den VR-Helm absetzt, nun wirklich wirklich ist. Was ist eigentlich wirklich? Und wer bestimmt das?

Sehr heftige Fragen, über die man sicher lange philosophieren kann und eigentlich auch ein gutes Warnsignal bei einem Film - "2001" mag ein Meilenstein der Filmgeschichte sein, dennoch ist es auch ein Film, von dem zwar jeder gerne sagt, er habe ihn gesehen, den aber in letzter Konsequenz doch nur wenige wirklich gerne anschauen.
Was also macht Avalon anders, um nicht in wirrer Existenzphilosophie abzudriften und den Zuschauer zu Tode zu langweilen oder - die andere Tragödie - die Frage zu trivialisieren.

Der Dreiklang des Erfolges heißt hier Innovation, Konsequenz und Qualität.
Innovation zunächst einmal in der Darstellungsform. Ein Großteil des Films ist in Sepiatönen gehalten, scheint eine vergilbte Photographie zu sein, wirkt dadurch einfach fremd, ebenso wie die Welt, in der Ash lebt. Vieles läuft scheinbar in ewig gleichen Bahnen ab, alleine der Weg von der Spielhalle nach Hause wird drei Mal gezeigt und verläuft drei Mal exakt identisch - jeder Mensch steht immer am gleichen Ort, nur Ash und ihr Bekannter Stunner fallen scheinbar heraus.
Ebenso innovativ ist die Erzählstruktur. Der Film ignoriert bestehende Konventionen, nimmt sich für die ihm wichtigen Elemente die nötige Zeit, rafft anderes vielleicht auch einmal. Der wundervolle Soundtrack von Kenji Kawai hallt gleich einer Opernarie wohl dosiert an den rechten Stellen und wer den Film ein zweites (oder drittes) Mal sieht, dem wird aufgehen, wie exakt hier alles seine Position und seinen Zweck hat.
Dies führt auch zu dem interessante Effekt, dass man vielleicht 80 der 102 Minuten lang vollkommen sicher ist, alles zu begreifen um dann perfekt inszeniert von der Auflösung, nein, dem Ende des Films, in ein Loch geworfen zu werden, in dem man selbst zu denken beginnt, in dem man sich selbst die Fragen zu stellen beginnt, die ich oben bereits andeutete.
In dem man vielleicht auch zu projizieren beginnt und sich auf eine regelrechte Interpretation einlässt, ja, einlassen muss, um zu durchblicken, was man gerade gesehen hat.

Sicher, darin liegt auch schon die oben angesprochene Konsequenz, denn wie schon gesagt, hier ist alles arrangiert, nichts wirkt so, als habe es Oshii dem Zufall überlassen, obschon er sich erstmals vom gezeichneten Medium getrennt und dem Realfilm zugewandt hat.
Konsequent ist der Film aber auch bei der Umsetzung der Spielgemeinschaft. Zwar wirken einige Dialoge noch immer etwas aufgesetzt, doch noch nie hatte ich so sehr das Gefühl, dass da Leute über ein reales Spiel reden. Hier gibt es kein künstliches Technobabel, keine aufgesetzte Szenekultur, so, wie die Leute da reden, so reden auch Rollenspieler oder LAN-Spieler untereinander.
Dies erst ermöglicht dem Film, so in Kraft zu treten und zu walten, wie er es will. Um die Frage nach unserer Realität zu stellen, bedarf es einer hundertprozentigen Identifikation des Zuschauers mit dem Gezeigten, doch mehr noch, Oshii bindet ihn geradezu ein, lässt ihn durch sein Nachdenken Teil der Handlung werden. Nicht nur, was "Avalon" zeigt, zeichnet den Film aus, auch, welche Bilder und Gedanken er im Kopfe seiner Betrachter formt, definiert seine herausragende Qualität.

Diese Qualität zuletzt zeigt sich in der perfekten Illusion, die der Film webt. "Avalon" wurde in Polen gedreht, das polnische Heer stand Oshii zur Verfügung und dementsprechend wirken die Kriegsszenen überaus real, durch die virtuelle Inszenierung zugleich auch surreal. Die Schauspieler, ebenfalls allesamt aus Polen, spielen begnadet, sind stets ins rechte Licht gerückt und wirken einfach glaubwürdig, selbst die Synchronisation wirkt durchweg passend, wenn mir natürlich auch ein inhaltlicher Vergleich mit der polnischen Fassung verwehrt ist. Auch die Musik, der Ton, alles wirkt perfekt abgestimmt und das der Soundtrack des Film auch im Film selber existent ist, ist nur eines der vielen Beispiele, wie Oshii alle Realitäts- und Erzählebenen zum Schluss verfließen lässt und es schwer macht, den Begriff der Realität, den man doch eigentlich ohne Probleme erfassen können sollte, definiert er doch unser ganzes Sein, irgendwie zu greifen und den Zuschauer so, wie gesagt, sehr nachdenklich stimmt. Die DVD ist da nur das perfekte Medium, das Bild ist so scharf, wie es sein soll und der Ton ist glasklar - einzig an Extras mangelt es, aber die braucht man zu so einem Film auch gar nicht.

Fazit:
Ein Fazit ist leicht. "Avalon" ist sicher kein Film für jedermann, aber wer nachdenkliche Filme mag, gerne mal ein wenig der metaphysischen Philosophie frönt und bereit ist, sich auf diesen Ritt einzulassen, der kann eigentlich nur einen Fehler machen: "Avalon" nicht gleich bestellen…
Ein MUSS für Freunde anspruchsvollerer Kost aber auch für andere Leute einen Blick wert…


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