Read or Die

"Ich bin Otto Lilienthal! Gib mir das Buch!"
- aus "Read or Die"

Zur Handlung:
Yomiko Readman ist Lehrerin und Sammlerin besonderer Bücher, welche ihren gesamten Lebensinhalt darstellen. Fast zumindest, denn Yomiko ist ebenso Mitglied der "Royal British Library's Division of Special Operations", wo sie unter dem Codenamen "The Paper" besondere Aufträge übernimmt. Denn sie besitzt die Spezialfähigkeit, Papier kommandieren zu können.
Als eine unbekannte, graue Eminenz sich aber anschickt, mit Hilfe der I-Jin, Klone berühmter Personen der Menschheitsgeschichte wie Gen-nai Hiraga, Jean Henri Fabre und Otto Lilienthal, einen sinisteren Plan umzusetzen, muss 'The Paper' gemeinsam mit der Agentin Nancy McHarry (bzw. 'Makuhari'), genannt Miss Deep, da sie durch feste Materie wie durch Luft hindurch tauchen kann, dieser Gefahr entgegen treten.

Zur Umsetzung:
Ich glaube, von allen Anime-Serien, die ich bisher gesehen habe, dürfte die vorliegende Geschichte mit den größten "Nerd"-Faktor haben, den ich je gesehen habe. "Read or Die", der Titel suggeriert es schon, dreht sich gewissermaßen um eine mit Superkräften ausgestattete Leseratte, Yomiko Readman genannt. Diese ist auch nicht die typische Superheldin mit fadenscheinigem Hintergrund, sondern ein gewissermaßen glaubwürdiger Charakter, wie man ihn wirklich eher in einem Geisteswissenschaftsstudiengang erwarten würde.
Doch so interessant dies schon so, so erfrischend sind auch ihre Fähigkeiten, denn die Macher haben sich große Mühe gegeben, eben nicht nur einfallslose Effekte wie messerscharfe Blätter und energetisch aufgeladene Spielkarten einzubringen, sondern Yomiko wirklich einfallsreiche Anwendungsmöglichkeiten ihrer Kraft, Papier zu beherrschen, zukommen zu lassen.
Nancy, ihre Kollegin, ist mit ihrer Fähigkeit, feste Materie durchtauchen zu können, vielleicht nicht so innovativ, kann das aber auch ihrerseits durch einen ebenso interessanten wie vielschichtigen Charakter ausgleichen, der Yomiko einfach gut ergänzt.
Drake Anderson abschließend ist die obligatorische Soldatenseele, die mit Pflichtgefühl, blondem Haar und großen Muskeln, aber ganz ohne Superkräfte, die beiden Frauen unterstützt und irgendwo zwischen Rambo und dem normalen Mann von der Straße eine sympathische kleine Nische findet.

Gleich hin vielerlei Hinsicht sind allerdings auch ihre Widersacher genial zu nennen. Das Wort i-jin, unter dem sie zusammen gefasst werden, kann ebenso "Genie" und "großer Mann" heißen wie auch "Teufel", eine Mehrdeutigkeit, die dem Deutschen zwar entgeht, aber doch erkennbar Konzept ist.
Alle Schurken sind geklonte "Genies" aus vergangenen Tagen, die relativ frei für die Geschichte adaptiert wurden. So dürfte etwa der japanische Erfinder Gen-nai Hiraga wirklich niemandem hierzulande ein Begriff sein, ebenso wie etwa Genjo Sanzo wohl kein bekannter Name ist.
Doch schon in der ersten Episode taucht Otto Lilienthal auf und dürfte wohl jeden Freund abgedrehter Geschichten sofort in seinen Bann ziehen, denn der blasse Kerl, der mit leeren, pupillenlosen Augen auf seine Feinde starrt und mit tiefer Stimme, adlerförmigen, futuristischem Hangglider und einem Beutel voll Stabgranaten Angst und Zerstörung verbreitet, ist einfach ein Highlight ohne vergleich.
Doch auch der düstere Beethoven, der die Welt mit seiner Todessymphonie an sich reißen will, macht einfach Spaß, ist einfach cool und – ganz wichtig – mal wirklich innovativ.

Dies rettet auch die Geschichte sozusagen, denn da sich die Serie nur auf drei Episoden erstreckt, läuft die Handlung doch sehr komprimiert und zügig ab. Dann aber wiederum versüßen auch viele geniale Actionsequenzen dem Zuschauer seinen Aufenthalt in der Welt von "Read or Die".
Gerade die Konfrontation mit Lilienthal (man merkt, dass ich einen Narren an dem Kerl gefressen habe, oder?) über den Dächern von New York sucht schon fast ihresgleichen.

Dafür verantwortlich ist dabei sicherlich auch die wunderbare Optik der Serie, die mittels Computerhilfe gestaltet aber niemals von diesem dominiert wird, sowie der Soundtrack.
Soweit die Bildgestaltung betroffen ist, so erfreut sich das Auge des Zuschauers an unzähligen Details (wenn auch ein Überschuss wie in der optischen Gestaltung von "Vampire Hunter D: Bloodlust" ausbleibt), vielen bewegten Objekten und einem durch unzählige Ebenen oft schon extrem dreidimensionalen Look.
Iwasaki Taku hat eine treibende Musik geschrieben, auf die auch mancher Hollywood-Film neidisch sein sollte – in einer wunderbaren Mischung aus Pop, Rock und James Bond ist ein Gesamtwerk entstanden, welches sogar abseits der Serie richtig Freude macht.

Selbst die deutsche DVD ist, abseits des für Animes ja leider gewohnt extrem hohen Preis von rund 25 Euro für 90 Minuten (3 Episoden à 30 Minuten), sehr schön gelungen. Das Bild ist gestochen scharf, der Ton glasklar und die Übersetzung ziemlich gut. Es gibt sowohl den japanischen Originalton mit (abschaltbaren) deutschen Untertiteln sowie eine deutsche Synchro, wobei ich wie gehabt zur erstgenannten Variante tendieren würde. Zwar ist auch die deutsche Übersetzung nicht schlecht geraten und die Sprecher akzeptabel, aber das Original ist eben doch ein gutes Stück atmosphärischer geraten.
Bonusmaterial liegt keines vor, ist aber bei Animes auch nur selten wirklich interessant und kann daher hier gut verschmerzt werden.

Abschließend kann man Regisseur Masunari Kouji und Erfinder Kurata Hideyuki nur loben, denn "Read or Die" ist eine zu recht mit Preisen überhäufte, spannende, dramatische, lustige, dynamische und innovative Serie mit dem herrlichen Charme eines wahren Freak-Produktes.
Wer in irgendeiner Form sein Herz für Mangas und Animes öffnen kann, der sollte sich dieses Stück Anime keinesfalls entgehen lassen!


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