Do - Pilgrims of the Flying Temple

Ah ja, Evil Hat Productions, Schmiede für Indie-Rollenspiele, Erfinder des FATE-Regelwerks, erfolgreich mit dem Dresden Files RPG, Herausgeber solcher Spiele wie Don't Rest Your Head, mit welchem Geniestreich werden sie die Rollenspielwelt als nächstes bereichern? Jeder, der jetzt laut ruft: "Mit einem Kinderbuch!", der hat richtig gelegen. Moment, was? Ein Kinderbuch? Echt?

Jau! Do - Pilgrims of the Flying Temple ist ein kleines, nettes Erzählspiel ab 12 Jahren, in dem die Spieler die Rolle von jugendlichen Mönchs-Azubis übernehmen, die durch verschiedene Welten reisen, um die Probleme ihrer Bewohner zu lösen. Erfinder und Autor des Ganzen ist Daniel Solis, der anscheinend eine ganze Menge Zeit damit verbringt, ziemlich coole Gesellschafts- und Partyspiele für Jung und Alt zu erfinden, über die man sich auf seinem Blog informieren kann. Mit Do - Pilgrims of the Flying Temple ist ihm ein weiterer Erfolg geglückt.

Einen ganz besonderen Reiz des Buches macht das Design aus: Der stabile quadratische Band ist vollgestopft von bunten Bildern, die alle kindgerecht, cool und von hoher Qualität sind. Layout und Illustrationen ergeben einen durchgängigen Look und beim Durchblättern könnte man den Band leicht für ein Märchen- oder Kinderbuch halten. Die Motive zeigen vor allem Kinder und Jugendliche in fantastischen Kostümen, und Kreaturen und Landschaften, die direkt Alices Wunderland entsprungen sein könnten - Erwachsene sind in dem Buch angenehm abwesend.
Die Illustrationen dienen aber nicht nur der Zierde, auch die Regeln werden durch Abbildungen der Spielgruppe und des Spielmaterials detailliert dargestellt, ähnlich wie man es von aktuellen aufwändigen Brettspielen her kennt.
Die Sprache ist an eine Zielgruppe angepasst, die gerade begonnen hat, ihre ersten eigenen Bücher zu lesen. Der Text verzichtet auf komplizierte Wörter und Zusammenhänge, Regeln und Hintergrund des Spiels werden sehr direkt und verständlich dargestellt. Der Ton ist dabei aber nie herablassend oder bevormundend, ich hatte immer den Eindruck, dass mit dem Leser auf Augenhöhe kommuniziert wird. Der Text ist übersichtlich gegliedert und mit zahlreichen Überschriften durchsetzt, "Textwüsten" kommen gar nicht vor. Auch bei den Gestaltungsmöglichkeiten durch Farbe, Type, Größe und Absatzformatierung wurden alle Register gezogen, um ein schönes, lesbares Textbild zu schaffen, bei dem alle wichtigen Punkte und Stichworte klar hervorgehoben sind.
Insgesamt ist Do - Pilgrims of the Flying Temple nicht nur ein außergewöhnlich schönes Produkt geworden, sondern auch eins, bei dem man sich leicht vorstellen kann, dass Kinder es gern haben wollen, selbstständig etwas damit anfangen können und ihre Freunde und Klassenkameraden überzeugen können, mitzuspielen.

Die Idee für das Spiel ist nach eigener Aussage inspiriert durch Werke wie Der kleine Prinz, die Zeichentrickserie Avatar - The Last Airbender und die Anime-Serie Kinos Reise (Kino no tabi - A Beautiful World). Die Spieler reisen als eine Bande von Kindern herum, die verschiedene Orte besuchen und sich mit den örtlichen Gepflogenheiten und Konflikten auseinandersetzen müssen.
Die Spielwelt besteht aus vielen einzelnen Welten, manche groß wie unsere Erde, manche so winzig, dass nur ein einzelnes Haus darauf passt. Diese Welten schweben in einem endlos großen Himmel umher und sind die Heimat von vielen unterschiedlichen Bewohnern, Kulturen und Eigenheiten. In der Mitte des Ganzen schwebt der Fliegende Tempel, zu dem immer wieder Leute kommen, um Rat zu suchen oder Mönch zu werden.
Ab und zu werden auch Waisenkinder beim Tempel ausgesetzt und von den Mönchen großgezogen. Weil diesen im Tempel aufgewachsenen Kindern aber weltliche Erfahrung fehlt, haben sich die Mönche etwas ausgedacht: Bevor sie selbst Mönche werden können, müssen die Kinder erst als Pilger verschiedene Welten bereisen und ihre Bewohner kennenlernen. Damit diese Erfahrung nicht langweilig wird, kann jeder Bewohner der Welt seine Probleme in einem Brief an den Tempel schicken. Die erlernen die Fähigkeit zu fliegen, bekommen einen Stapel Briefe in die Hand gedrückt und ziehen hinaus in die Welt, um Erfahrung zu sammeln und Leuten zu helfen.

Jeder Spieler übernimmt in Do - Pilgrims of the Flying Temple die Rolle eines Pilgers, der regeltechnisch durch einen "Indianernamen" dargestellt wird: Pilgerin Flinkes Wiesel, Pilger Starker Zweig, Pilger Listiger Berg usw. Dabei stellt das Attribut dar, auf welche Weise ein Pilger in Schwierigkeiten geraten kann und das Hauptwort, wie er Probleme von Leuten löst: Pilgerin Erhabener Knüppel gerät zum Beispiel durch ihre Arroganz in Schwierigkeiten und löst die Probleme der Leute mit einem Knüppel. Pilger Lecker Kuchen gerät in Schwierigkeiten, weil er gern nascht und löst die Probleme der Leute mit seinen Backkünsten. Wenn das alles aufgeschrieben wurde, ist der Pilger fertig.
Außerdem gehört zu jedem Spiel noch ein Brief, der die Probleme schildert, die die Pilger lösen müssen. Dieser Brief kann frei formuliert (und auch gern ein wenig albern) sein, wichtig für das Spiel ist jedoch vor allem eine Liste mit Stichworten, die das Problem beschreiben.
Schließlich braucht man noch ein Säckchen mit schwarzen und weißen Steinen, Stift und Papier und einen Problemmarker für jeden Pilger, der so ziemlich alles sein kann, von der Ü-Ei-Figur über ein Radiergummi bis hin zu einem Gummibärchen.

In Do - Pilgrims of the Flying Temple erzählen die Spieler kollaborativ ein Geschichte. Dazu nimmt ein Spieler drei Steine aus dem Beutel und wählt eine Farbe, die er behalten möchte - die anderen Steine legt er wieder zurück. Je nachdem, wie viele Steine er dann in der Hand hält, darf er dann entweder seinen Pilger an der Problemlösung teilhaben lassen (wobei er den Namen seines Pilgers und ein Stichwort aus der Liste verwenden muss) oder die anderen Spieler dürfen seinen Pilger in Schwierigkeiten bringen (meist wieder ausgehend von seinem Namen und einem Stichwort der Liste). Ein Pilger, der in Schwierigkeiten ist, muss erst aus diesen wieder herauskommen, um frei handeln zu können, allerdings können weitere Schwierigkeiten auftauchen. Es ist auch möglich, andere Pilger aus den Schwierigkeiten herauszuholen.
Was am Ende zählt, ist, die Stichwortliste des Briefes komplett abzuarbeiten, bevor ein Pilger zu viele Steine angesammelt hat. Wenn das gelingt, ist das Problem gelöst und die Pilger werden als Helden gefeiert, wenn das nicht der Fall ist, sind die Pilger gescheitert und werden aus der Welt gejagt. Dabei ist es allerdings egal, ob die Stichworte durch die Lösung der Pilger oder durch Schwierigkeiten verbraucht werden - man muss sich also gut überlegen, wem man hilft und was man macht, um das Gruppenziel zu erreichen.

Am Ende haben die Pilger auf jeden Fall eine Erfahrung gemacht und je nachdem, welche Steine sie gesammelt haben, ändert sich das Attribut oder das Hauptwort ihres Namens zum nächsten Abenteuer. Aus Pilger Nasser Hund könnte also Pilger Treuer Hund oder Pilger Nasser Schrank werden. Die Farbe der Steine hat auch Einfluss darauf, wie ein Pilger seine Pilgerfahrt beendet: Lässt er sich irgendwo nieder, kehrt er zum Tempel zurück, um Mönch zu werden oder bleibt er ewig auf Pilgerschaft?
Was bleibt, ist eine selbstgeschriebene Geschichte, die alle gemeinsam geschaffen haben und die man immer wieder lesen kann.

Do - Pilgrims of the Flying Temple ist eine schöne, professionelle und charmante Anleitung für ein Spiel, das für Kinder geeignet ist, aber auch Erwachsenen Spaß machen kann. Allerdings gehören viel Fantasie, Kreativität, ein guter Umgang mit Sprache und (in Deutschland) solide Englischkenntnisse dazu, damit Spiel Spaß macht. Wer seine aufgeweckte junge Verwandtschaft ans Rollenspielhobby heranführen will, wer die Inspirationsquellen für das Spiel gern gelesen und gesehen hat oder wer einfach einmal entspannt seinen verrückten Ideen freien Lauf lassen will, der wird an dieser Fiasco-Variante für Kinder bestimmt viel Freude haben. Natürlich kann man sich auch einfach nur ein sehr hübsches und ungewöhnliches Buch ins Rollenspielregal stellen.


Titel: Do - Pilgrims of the Flying Temple
Autor: Daniel Solis
Verlag: Evil Hat Productions
ISBN: 978-1-61317-0000-7
Seitenzahl: 96
Sprache: englisch
Preis: US$ 25,-{jcomments on}