Justifiers - Grundregelwerk
Markus Heitz hat bislang fast drei Dutzend Romanveröffentlichungen hinter sich und packt nach vielen Jahren des Rollenspielens seinen Namen nun auch auf ein entsprechendes Spiel. Warum? Justifiers ist eines seiner Lieblingsrollenspiele, das 1988 erschien und in Deutschland praktisch unbekannt blieb. Dennoch sicherte sich Heitz die Rechte, veröffentliche bereits einen Roman dazu und nun auch das Rollenspiel, allerdings in einer kompletten Neuinterpretation der Vorlage auf Basis der Abenteuerspiel-Regeln von Ulisses.
Doch worum geht es überhaupt? Die Spieler verkörpern sogenannte Betas, Tier-Mensch-Hybride, die im Jahre 3042 für Konzerne neue Planeten erkunden. Ja, es ist ein Furry-Rollenspiel und wieso man für diese Aufgabe gerade solche Hybride einsetzt, wird zwar nicht wirklich klar, bringt aber merklich Farbe ins Spiel.
Das Buch kommt wie auch schon das John-Sinclair-Abenteuerspiel im B5-Format daher, ist vollfarbig und mit Lesebändchen ausgestattet. Die hohe Verarbeitungsqualität und das dicke Papier sorgen dafür, dass das handliche Buch um einiges schwerer ist, als es aussieht. Das Cover wirkt zunächst mit seinen geschwungenen Formen cool, doch leider ist kaum etwas von der Coverillustration zu sehen. Worum es in dem Spiel geht, wird leider nicht auf den ersten Blick klar und auch ein Gefühl von Lust auf Mehr wird nicht geweckt. Die Illus im Inneren sind okay, sind aber eher selten und werden zudem noch fast alle an anderer Stelle im Buch noch einmal wiederverwendet. Die meisten Illus weisen eine Art von Unschärfeeffekt auf, wohl um Dynamik und Schnelligkeit zu vermitteln, was aber leider nicht erreicht wird… Das Layout ist weitestgehend einspaltig, mit weiteren Anmerkungen an den äußeren Rändern der Seiten. Da hochglänzendes Papier verwendet wurde und alle Überschriften und Hinweise zu Regeln in hellem Rot gesetzt wurden, kann die Übersichtlichkeit schnell mal verloren gehen, gerade beim Abenteuerteil am Ende stellen die roten Abschnitte nicht selten einen guten Teil des Textes, so dass die Signalwirkung verloren geht. Wenn dann noch graue Textkästen mit Erklärungen und gelbe Kästen mit Zitaten der Justifiers hinzukommen wird das Ganze dann doch unübersichtlich statt übersichtlicher. Ich hoffe, dass für die nächsten Bände (die dicke 1 auf dem Buchrücken ist da ein ziemlich klares Indiz für weitere Teile…) noch etwas an der Layoutschraube in Sachen Übersichtlichkeit gedreht wird.
Aber zurück zum Inhalt! Die Regeln folgen denen des John-Sinclair-Abenteuerspiels, wobei sie um einige Elemente bereichert werden, die sich bei John Sinclair erst im zweiten Band als Erweiterung finden, wie etwa die Sammelherausforderungen. Das heißt aber auch, dass der Regelteil bei Justifiers ein ganzes Stück umfangreiches ausfällt, als noch beim ersten Abenteuerspiel aus dem Hause Ulisses. Grundsätzlich wird mit einem Pool aus sechsseitigen Würfeln getestet, ob eine Aktion gelingt und wenn ja, wie gut. Der Pool setzt sich aus dem Attribut und der Fertigkeit der Spielfigur zuzüglich möglicher Spezialisierungen zusammen. Jede gewürfelte 5 und 6 ist dabei ein Erfolg. Als Attribute stehen Körper, Geist und Seele zur Verfügung, die dann eine Handvoll von passenden, untergeordneten Fertigkeiten haben. Die Attribute reichen von eins bis fünf, wobei der Durchschnitt für Justifiers bei 3 liegt, was alleine schon ausreicht, um das Powerniveau gegenüber dem John-Sinclair-Abenteuerspiel zu erhöhen… doch die zahlreichen neuen Spezialfähigkeiten erhöhen das Powerniveau gegenüber John Sinclair merklich. Falls das noch nicht reichen sollte, haben die Justifiers auch noch einige Schicksalspunkte, um weitere Würfel zu werfen, die auch noch durch eine einfache Aktion im Spiel zurückgewonnen werden können. Dadurch kam es in unserer Testrunde konstant zu sehr guten Ergebnissen und sie Spieler kamen kaum einmal in Bedrängnis.
Worum es genau bei Justifiers geht, macht die lange Kurzgeschichte von Markus Heitz zu Beginn deutlich, die fast 20 Seiten einnimmt. Darauf folgen eine Chronologie der Ereignisse von heute bis zur Gegenwart des Spiels und eine Einleitung in das Setting. Die Chronologie ist aber aus zwei Gründen eigentlich wertlos, denn a) spielt die Vergangenheit keine Rolle, da man nur in der Gegenwart des Settings spielt und b) da die gesamte Zeitleiste in der Einleitung des Settings durch den Eisbär-Beta Ice McCool noch einmal wiederholt wird (wobei die ausführliche Erklärung des Heimatplaneten auch egal ist, da man da eh keine Zeit verbringt…). Aber Moment mal, Ice McCool, der Eisbär-Beta... ja, der gleiche Charakter, der in der Kurzgeschichte zusammen mit seinem Team den Planeten Ugly-U erkundet. Das Spiel steckt voller solcher Albernheiten, die stark an der Grenze des infantilen Humors kratzen. Eigentlich bin ich ein Fan von so etwas, aber hier finde ich es zu gehäuft. Die Testrunde hingegen ging voll darauf ein und nahm alles mit, was das System und ihre Fantasie dazu beisteuern konnte. Die Archetypen des Spiels tragen Namen wie Fu Manchu für die Fuchs-Kontaktspezialistin oder Johnny Crash für den Nashorn Waffenexperten. Die Spieler sahen das als Herausforderung und kreierten Dr. Rhino, den Nashorn-Wissenschaftler, Soon U’Dai den sibirischen Tiger-Aufklärer oder Bolzmann, den Schimpansen-Piloten. Als die Spielerin von Mosh T. Trample, dem Bison-Feldtechniker dann auch noch feststellte, dass sie sowohl die besonderen Eigenschaften „Breite Brust“ und „Nimm mich!“ hatte, gab es dann kein Halten mehr. Das zieht sich übrigens bis in die Ausrüstungslisten, wie die zweihändige Streitaxt St. Anger samt Verweis auf den alten Erdenkult Metallica, die Hattori-Hanzo-Schwerter oder die Badaboom-Granaten gibt. Dabei fällt auch auf, dass Justifiers einen sehr starken Hang zu Anglizismen hat. Es gibt die „Ancients“, die „Collectors“, den „Buyback“ usw. Da hätte man durchaus ein paar deutsche Worte mehr nutzen können… apropos Buyback…
Der Buyback ist ein besonderes Spielelement von Justifiers. Da jeder Charakter von einem Konzern (im ersten Buch nur Gauss Industries) erschaffen wurde, fordert der Arbeitgeber einiges an Leistung, um die Kosten für die Erschaffung des Charakters zu bezahlen. Der Buyback wird zu Beginn aufgrund der Rasse (und möglicher Psi-Fähigkeiten) festgelegt und stellt sozusagen ein Spielziel des einzelnen Charakters dar. Er geht auf Missionen, um möglichst viel wertvollen Kram zu finden, der ihn auf seinen Buyback angerechnet wird. Wird der Wert erreicht, so ist er frei zu tun und zu lassen, was er will. Auch wenn es schön ist, ein Ziel zu haben, auf das man zuarbeiten kann, so bringt das Spielkonzept doch einige Probleme mit sich. Zum einen hat jeder Charakter in der Runde einen anderen Wert, der zwischen 2000 und 4000 liegen kann. Während Spieler A also theoretisch zwei weniger wertvolle Charaktere in die Freiheit entlässt, kommt Spieler B gerade einmal mit einem davon. Das setzt aber auch voraus, dass man das Ziel irgendwann erreicht, denn der Planet im Buch verfügt über ein Potential von etwa 300 Punkten, so dass man sieben bis zwölf Missionen (von je geschätzt etwa zwei Spielabenden) benötigt, um den Buyback zu erreichen. Deswegen bleibt der Buyback ein eher abstrakter und nicht wirklich spielbestimmender Wert.
Die Spezialisierungen der Charaktere sind aber durchweg sinnvoll gewählt, wenn auch die Spotlights nicht unbedingt gleich glamourös ausfallen. Während man den Piloten jede Runde braucht und er immer unterwegs ist, kann es sein, dass der Techniker jede Runde nur in der Basis sitzt und an den beschädigten Erkundungsfahrzeugen schraubt. Welche Rasse und welche Spezialisierung (man könnte auch von Klasse sprechen) der Spieler wählt ist eigentlich nur eine Geschmacksfrage, da die Charaktere allesamt mächtig sind. Ob Dr. Rhino als Wissenschaftsexperte nun sieben Würfel im Pool hat oder ein Wäschbär-Wissenschaftsexperte nun acht macht kaum einen Unterschied. Natürlich gibt es effektive Kombinationen, auf die dankenswerterweise auch hingewiesen wird, aber darauf angewiesen ist man nicht. Selbst in Kampfsituationen waren wenig kampfversierte Charaktere kaum zu halten und haben Gegner umgehauen, ohne wirklich in Gefahr zu geraten. Dabei sei noch erwähnt, dass man als Spielleiter nicht zu würfeln braucht und das Kampfsystem angenehm abstrakt gehalten ist. Die Spieler handeln zuerst in jeder Runde anhand eines wandernden Startspielmarkers und greifen die Feinde in einer von drei Entfernungskategorien an, sofern ihre Waffe das erlaubt. Gegner treffen automatisch mit einer Anzahl von Erfolgen, die die Spieler dann mit einem Ausweichen- oder Widerstandswurf widerstehen müssen oder Schaden erleiden. Sehr elegant, einfach und schnell.
Das hervorstechendste Merkmal von Justifiers ist aber der Explorationsmodus, in dem die Spieler mit ihren Charakteren nach und nach einen Teil des Zielplanten erkunden, begonnen vom Orbitscan aus dem Shuttle, das sie sich selbst zusammenstellen durften, bis hin zu Erkundung mit ihren Fahrzeugen, die sie sich vor Missionsbeginn ebenfalls selbst ausgewählt haben. Dazu legt der Spielleiter verdeckt Terrainkarten auf den Tisch, welche die Spieler nach und nach aufdecken und mit bestimmten Proben erkunden, um dort Ereignisse auszulösen oder bestimmte Gegenstände, Orte oder Personen zu treffen. Hier zeigt sich am deutlichsten, dass Justifiers kein klassisches Rollenspiel, sondern eben ein Abenteuerspiel ist, denn die Interaktionsmöglichkeiten sind arg begrenzt. Zwar sind die Freiheiten im Vergleich zu der Einschienenbahn John Sinclair geradezu fantastisch, aber den Spielern sollte im Vorfeld klar sein, dass sie vor allem Ereignisse auslösen und dann abwürfeln, statt sich frei wie im klassischen Rollenspiel zu bewegen. Bei den Terrainkarten hätte Ulisses ruhig etwas mehr Mut zu den Brettspielelementen beweisen können, denn jede Karte bietet neben einem Bild der Region samt Photoshopfilter nur den Namen wie Binnensee I oder Wald VI, aber keinen Seitenverweis was die Arbeit des Spielleiters ERHEBLICH vereinfachen würde, da es das Herumgeblättere reduziert. Ich glaube, ich habe noch nie bei einer Spielrunde so viel in einem Buch hin- und herumgeblättert, um passende Abschnitte zu finden. Wer die Karten nicht als separates Set kaufen möchte, findet sie auch hinten im Buch als Kopiervorlage sowie auf der Homepage zum Download.
Durch das Aufdecken der Karten und dem Bewältigen der Herausforderungen wie Kontakt zu Ureinwohnern, dem Finden von wertvollen Ressourcen und dem Starten von Forschungsprojekten, gibt es Missionspunkte. Diese zu erreichen ist das eigentliche Ziel der Justifiers und es motiviert durchaus, noch einen Sektor zu erkunden, um eben noch zu schauen, was es da gibt und ob es nicht wertvoll ist. Alle zehn Missionspunkte gibt es zudem eine Teamkarte, die die Gruppe nutzen kann, um in bestimmten Situationen einen Bonus zu erhalten. Der Spielleiter erhält ebenfalls Erzählerkarten, um Situationen schwieriger, sprich spannender zu gestalten. Die ganzen Karten des Grundspiels gibt es ebenfalls als separates Set auf stabilem Karton, allerdings kosten die 150 Karten mal eben halb so viel wie das Buch. Auch wenn sie natürlich nützlich sind, muss jeder für sich selber entscheiden, ob er diese zusätzliche Ausgabe auf sich nehmen möchte, vor allem da viele davon nicht nur speziell für den Planeten aus dem Grundbuch sind, sondern manche auch nur einmal in einer einzigen Szene gebraucht werden können.
Was auf Karten landet und was nicht, wirkt leider oftmals recht willkürlich. Ein größerer Charakterbogen mit mehr Platz für Erklärungen der Spezialfähigkeiten und ein eigener Shuttlebogen wären sicher sinnvoller, als Karten für Shuttle-Teile oder das angekündigte Spielerset mit Karten für Ausrüstungsgegenstände und Spezialfähigkeiten. Wobei man diese alleine dadurch enorm zusammenstreichen könnte, indem man alle Fähigkeiten, bei denen man gewürfelte 1en einmal neu würfeln kann oder drei statt zwei Würfel durch einen Schicksalspunkt erhält einfach beispielsweise Profi (Fähigkeit) genannt hätte, statt jedes Mal einen eigene Fähigkeit zu erstellen. Bei den Fachgebieten und der Fähigkeit Experte hat das ja schließlich auch geklappt. Zudem hätte ich einfach aus Platzgründen auch auf die fluffigen Texte bei den Fähigkeiten verzichtet. Was „Guter Kletterer +1“ bringt, wird schon durch den Titel ziemlich deutlich. Das es dann auch noch „Guter Geruchssinn +X“ oder „Guter Hörsinn +X“ gibt bringt mich dann auch wieder zu meinem Punkt oben mit der sinnvollen Zusammenlegung.
So, was bleibt als Fazit? Justifiers hat sehr einfache Regeln, ein klares Spielziel und nimmt dem Spielleiter einen Haufen Arbeit ab. Eigentlich so viel, dass es erstaunt, dass es überhaupt noch einen Spielleiter braucht, der hier völlig zu Recht als Erzähler bezeichnet wird, da er eh nur die ausgelösten Ereignisse vorträgt. Der Explorationsmodus ist definitiv ein faszinierendes Alleinstellungsmerkmal und viele andere Ideen des Spiels schreien ebenfalls danach, einmal ausprobiert zu werden, auch wenn das Buch vielleicht nur für zwei bis drei Abende Spielmaterial liefer, da man nur einen der vier Kontinente des Planeten erkundet. Allerdings sollte man mit Tiermenschen, albernem Humor und weniger Freiheiten als gewohnt klarkommen, aber dann steht einer Menge Spaß nichts mehr im Weg. Daumen hoch für Justifiers!
Titel: Markus Heitz‘ Justifiers – Das Abenteuerspiel{jcomments on}
Autor: Markus Heitz (u. a.)
Verlag: Ulisses-Spiele
ISBN: 978-3-86889-071-6
Seitenzahl: 336
Sprache: deutsch
Preis: 29,95 Euro