Unknown Armies - Schnellschüsse
5 Szenarien, die unter die Haut gehen!
der Untertitel von Schnellschüsse
Doch schon auf den ersten Blick merkt man, dass die Macher zumindest optisch kräftig an dem Buch gerarbeitet haben. Das Buch ist mit 126 Seiten einen ganzen Zacken dicker als die englische Ausgabe und ansonsten gar nicht zu vergleichen. Das Cover wurde komplett neu angefertigt, stammt von Nic Klein und ist überaus schön anzuschauen. Oben drauf tront auch das neue UA-Logo, um das im Vorfeld recht viel Wind gemacht wurde, wenn auch in meinen Augen mehr als nötig.
Die Innengestaltung passt zum deutschen Layout, wurde aber gegenüber dem Grundbuch noch einmal kräftig überarbeitet. Es ist nun übersichtlicher und weniger konfus, hat dabei aber nicht seinen Charme eingebüßt. Sehr eindrucksvoll, das gefällt mir sehr gut. Einzig an der Illustrationsfront ist es noch immer nicht so ganz ausgereift. Jedes Kapitel hat ein neues, individuelles Einleitungsbild bekommen – und die rocken auch alle, keine Frage. Jedes Abenteuer hat vorgenerierte Charaktere und jeder von denen hat eine eigene Illu, auch das gefällt mir. Aber wenn wir diese, die im Fließtext auch nur briefmarkengroß erscheinen, sowie die Kapitelbilder einmal außen vor lassen, so findet man in dem Buch nur drei (!) weitere Illus und einige (schöne) Karten. Das ist schon schlimm genug, wird aber noch dadurch übertroffen, dass von diesen dreien zwei aus der englischen Ausgabe stammen ... und weitere drei Bilder der englischen Ausgabe nicht übernommen wurden. Die Bilder wären da gewesen!
Es wird noch etwas obskurer, da sogar ein Bild, das als Preview seinerzeit im offiziellen UA-Forum zu sehen war, offenbar ebenfalls unter den Tisch gefallen ist. Ja, ich habe auch gelesen, dass es vielen vom Motiv nicht so gefallen hat ... aber! Mehr Bilder!
Nachdem das Layout also dann doch nur „noch gut“ zu nennen ist, was letztlich vor allem der Übersichtlichkeit und der eigentlichen Qualität der sehr wenigen Bilder anzurechnen ist, kommen wir zum Inhalt.
Wie uns der Untertitel verraten hat, beinhaltet „Schnellschüsse“ fünf Szenarien. Allen gemein ist, der englische Titel sagt es, dass sie Einzelabenteuer („One Shots“) sind. Ebenfalls allen gemein ist, das sagt nun der deutsche Titel, dass man sie sehr flink vorbereiten und eigentlich immer fast sofort und spontan leiten kann.
Gehen wir die Szenarien doch mal durch.
„Der Ausbruch“ ist vom Szenenveteran Greg Stolze verfasst und hieß im Original „Jail Break“. Ein Teil der Spieler übernimmt darin die Rolle von einigen flüchtigen Sträflingen, der Rest die Rolle von Geiseln besagter Übeltäter. Der Rest ist dann eigentlich vor allem auf der Interaktion der Charaktere basierend. Das Abenteuer gibt einem zwar gute Anregungen an die Hand, aber es obliegt der Gruppe, etwas daraus zu machen.
Das hat so seine Sonnen- und Schattenseiten gleichermaßen. Toll ist sicherlich alleine schon, dass man hiermit mal wieder richtig neues Terrain beschreiten kann. „Der Ausbruch“ entfernt sich markant von traditionellen Abenteuerformen und gibt die Dynamik komplett in Spielerhand.
Die Nachteile sind dabei leider ebenfalls offensichtlich. Zum einen kann dieses Abenteuer mit der falschen Gruppe mächtig schiefgehen. Wenn die „Chemie“ zwischen den beiden Fraktionen nicht da ist oder es einfach an Ideenreichtum mangelt, dann wird es eine recht dröge Sitzung werden, denn eine gewohnte, SL-getriebene Geschichte ist ja genau das, was hier vermieden werden soll.
Auch ist es nicht mit jeder Gruppe gut zu spielen. Ich muss ganz ehrlich sagen, so einen Plot würde ich eher als Mini-LARP realisieren wollen, denn am Spieltisch kann diese große Fraktionsbildung und Spielerdynamik in Kombination zu mancher hässlichen Downtime für die gerade anderweitig tätigen Charaktere führen.
Die Idee ist gut und das Szenario mit den richtigen Leuten sicherlich eine Bombe, aber das ist eben schwer einzuschätzen.
Szenario Nummero Zwo hieß im Original „Strange Days“ und hört nun auf den Namen „Interessante Zeiten“. Das Szenario von Tim Dedopulos ist klassischer in seiner Auslegung und lockt Spielercharaktere durch okkulte Ereignisse vor die Türe, die natürlich ganz UA zur Eskalation führen. Das Szenario ist gut, sicherlich leichter zu spielen als „Der Ausbruch“, aber natürlich auch vor allem deshalb, weil es traditioneller ist.
Der deutschen Ausgabe kommt ein gesondertes Lob zu, da die Darstellung hier weitaus besser ist und einige zusätzliche Hilfen zum Erlangen und Behalten der Übersicht beigesteuert wurden. Was es aber auch in der deutschen Ausgabe bleibt, ist kurz.
An dritter Stelle folgt ein Beitrag von Nicole Lindroos und John Tynes, den ich mal ganz dreist als fast nicht übersetzbar einstufen möchte. „Freud und Leid“ hieß im Original „Joy & Sorrow“ und bereitet mir deshalb Kopfzerbrechen, weil ein für mich recht integraler Teil in der Übersetzung kaputt geht.
Es geht hier um zwei kosmische Gestalten, die ich hier nur umreißen möchte: Gewissermaßen sind sie Verkörperungen von Freud und Leid. Der deutsche Titel passt aber durchaus. Was jedoch schon verloren geht, ist die Mehrdeutigkeit. Dass das kleine Mädchen „Joy“ heißt, und die Antagonistin „Sara“ (was klingt wie ‚sorrow‘), das verfehlt in der deutschen Ausgabe seine Wirkung. Dass dann in der Übersetzung auch noch andere Worte, die nicht „joy“ waren, zur „Freude“ werden („pleasure“ etwa) macht die Gesamtlage nicht besser.
Aber ohnehin habe ich mit dem Szenario so meine Probleme. Im Endeffekt sucht ein kleines Mädchen, Joy halt, die Charaktere auf okkultem Wege auf und bittet sie, die glücklichsten Momente ihres Lebens niederzuschreiben. Während die SCs das tun taucht Sara auf und fordert die Herausgabe des kleinen Mädchens, denn sie will dem Kind ein Ende bereiten.
Es werden adäquate Motivationen für diese Handlungen gegeben, aber der eigentliche Abenteuerablauf ist leider sehr ... naja, uninteressant.
Im Grunde besteht ein Großteil des Szenarios aus den Momenten, in denen die Charaktere die glücklichsten Momente ihres vorgenerierten Charakters zu Papier bringen, während Sara immer mal wieder aufläuft und nichts Konkretes macht. Dann, wenn der letzte seine größte Freude vom beilegten Bogen abschreibt (oder so, ich meine, klar geht das auch mit mehr Elan, aber eine emotionale Bindung fehlt einfach) beschließt Sara, doch zu handeln, und es gibt ein in meinen Augen bockig umzusetzendes Echtzeit-Finale.
Naaaja. Bei „Der Ausbruch“ sage ich mal, da ist es einfach Geschmackssache, ob man sowas spielen will. „Freud und Leid“ finde ich dagegen einfach schwach konzeptioniert. Tolle Grundidee, maues Szenario.
Kommen wir zu „Gen Himmel“. Noch mal von Greg Stolze und im Original „Fly to Heaven“ getauft. Wie auch sein erster Beitrag, so ist auch dieses Abenteuer sehr frei geraten, wenn auch diesmal nicht wieder mit aufgeteilten Fraktionen.
„Cofee, tea & terrorism“ schrieb die englische Ausgabe dazu und sagt eigentlich alles, was man wissen muss. Es geht um eine Flugzeugentführung, in die die Charaktere verwickelt werden, weil sie halt zur falschen Zeit in der falschen Maschine sitzen. Schuld daran ist ein Irrer, der gerne in den Unsichtbaren Rat aufsteigen will und dafür einen ziemlich irren Plan hat.
Es ist nun an den Charakteren, für Befreieung zu sorgen – doch was genau an Bord von Flug 333 geschieht, obliegt allein der Gruppe. Das Abenteuer gibt Motivationen, Anregungen und Vorschläge an, einen direkten Szenarioablauf gibt es aber nicht.
Das macht es sicherlich knifflig zu leiten und auch diesmal wieder sehr von dem Einfallsreichtum der Gruppe abhängig, aber zumindest gibt es diesmal einige NSCs, mit denen man für Wirbel sorgen kann. Die Lokalität des Flugzeugs wird dagegen gut vermittelt und das kleine, der deutschen Ausgabe exklusive Vorwort mit Bezug auf September 11 ist sehr gut geraten und überzeugt durch eine sehr realistische Betrachtung des ganzen Themas.
Somit verbleibt das letzte Abenteuer. „Und leise wächst das Gras“, das im Original „And I feel fine“ hieß und von dem Mann geschrieben wurde, der später einmal Exalted erfinden sollte: Geoffrey C. Grabowski. Im Grunde kann man den Plot mit dem Satz „Stell dir vor du wachst auf und alle anderen Menschen sind weg“ beschreiben.
Es gibt dem Spielleiter eine Reihe von Sachen an die Hand, die man in diesem postapokalyptischen Szenario so erleben kann und liefert auch nicht einen, sondern gleich drei mögliche Ansätze zur Erklärung der Situation mit. Diese sind sehr unterschiedlich und zeigen das Potential des Szenarios, schwanken aber auch in Glaubwürdigkeit und „Okkult-Grad“ kräftig auf und ab.
Ich gebe zu, ich bin inniger Fan dieses Szenarios, denn es bietet sehr viel Potential und ein wirklich unverbrauchtes Setting. Mehr noch als viele andere Beiträge in diesem Buch ist es pefekt für eine Einzelsitzung geschaffen, kann so sogar kompensieren, dass es in jeder Version doch viele Erklärungen schuldig bleiben wird.
Es gibt einige unschöne Mauern, wenn die Spieler versuchen, das „bespielte Gelände“ zu verlassen, aber die kann man zur Not auch noch gut verpacken. Doch wenn die Gruppe sich auf den Flair des Settings einlässt, kann man mit „Und leise wächst das Gras“ eine wundervolle, melancholische und vor allem atmosphärische Sitzung leiten, deren Maß an Horror und Action auch noch herrlich modular ist.
Für mich das beste Szenario im Buch.
Insgesamt muss man „Schnellschüsse“ zunächst einfach einmal loben dafür, dass man hier endlich ein Gespür dafür bekommen kann, was die Macher mit UA eigentlich wollten. Die Abenteuer sind zum Teil wesentlich wilder als das, was man noch im Grundbuch geboten bekam und andererseits auch vielseitiger als etwa „Tally Ho!“ im Buch des Spielleiterschirms es vermuten lässt.
Es sind leider einige Elemente in dem Band, die mir nicht zusagen, die habe ich ja oben auch jeweils groß und breit erklärt. Als Fazit verbleibt gewissermaßen die Erkenntis, das innovativere Szenarien nunmal auch eher dazu neigen dürfen, Kinderkrankheiten zu haben.
Leider sind diese bei einigen Szenarien – vor allem aber bei „Freud und Leid“ – recht penetrant, weshalb es insgesamt nur zu einem „Gut“ reicht. „Und leise wächst das Gras“ sollte man mal gespielt haben, die Stolze-Abenteuer sind mit der richtigen Gruppe sehr empfehlenswert und „Interessante Zeiten“ ist okay – das Buch ist unter‘m Strich halt gut. Sehr gut ist es aber leider nicht; das w&¨rde im Zweifel auch schon die geringe Zahl von Illustrationen verhindern...
Name: Schnellschüsse {jcomments on}
Original: One Shots
Verlag: Vortex
Sprache: Deutsch
Autoren: Tim Dedopulos, Geoffrey C. Grabowski, Nicole Lindroos, Greg Stolze und John Tynes; Deutsch von Jasper Nicolaisen
Empf. VK.:
Seiten: 126