Unknown Armies (dt.)
„Es ist etwas Großes im Gange. Keine Ahnung, was. Aber es ist überall spürbar. In der Luft, in den Schlagzeilen, in den verzerrten Fernsehbildern. Irgendo, das ist sicher, gibt es einen Ort der Ideen.
Und dort finden alle Sehnsüchte und Wünsche ihre Erfüllung. Aber an diesem Ort lauern Gefahren. Leute verschwinden einfach oder sterben auf grausame Weise. Andere werden wahnsinnig, drehen durch. Und alles wegen des Geheimnisses, das irgendwo in dieser unheimlichen, verborgenen Welt zu finden ist.
Das ist der okkulte Untergrund.
Finde ihn, bevor er dich findet!
vom Backcover von Unknown Armies
Langes Abwägen, sorgfältiges Lesen und viele Notizen sind es, die mich heute zu meiner Rezension führen. Denn eine Besprechung der deutschen Ausgabe des amerikanischen Rollenspiels „Unknown Armies“, die ist für mich nicht ganz unproblematisch.
Einerseits finde ich den Eifer, mit dem die Macher allesamt hinter ihrem Produkt stehen, sehr lobenswert und finde, es gehört auch honoriert. Denn hier haben sich einmal mehr eine ganze Reihe Leute gefunden, die bisher kaum verlagstechnisch in Erscheinung getreten sind, und haben sozusagen aus dem Nichts eine deutsche Ausgabe eines amerikanischen Insider-Tipps aus dem Boden gestampft. So etwas beeindruckt mich immer sehr.
Leider habe ich mit dem Endprodukt an so mancher Stelle meine Problemchen, weshalb die Endnote nicht so gut ausfallen kann, wie ich sie gerne vergeben hätte. Das klingt jetzt vermutlich auch überheblich, war mir aber ein Anliegen, im Vorfeld gesagt zu sein.
Ebenfalls ein Anliegen ist es mir noch, euch zur Vorsicht zu raten, diese Rezension und jene, die wir vor langer Zeit zur englischen Ausgabe veröffentlicht haben, in direkte Relation zu stellen. Marcel hat die damals geschrieben und steht einzelnen Aspekten des Spiels ganz anders gegenüber als ich es tue. Beides sind nachvollziehbare Rezensionen, denke ich – es geht mir nur darum, dass eventuelle Leser nicht einfach nur die Endnoten vergleichen. Ich persönlich finde die deutsche Ausgabe des Spiels besser als die englische, was aber nichts daran ändert, dass ich Marcels Euphorie nicht teile und insgesamt einfach meine Vorbehalte habe.
Vorweg, für alle, die von dem System noch nie gehört haben: Unknown Armies ist ein „Modern Day“-Setting rund um Horror, Mystik und das Okkulte. Es geht davon aus, dass jenseits der allgemeinen Wahrnehmung etwas schlummert, etwas brodelt, dass es Dinge gibt, die sich den Augen der Menschen auf den ersten Blick entziehen. Sei es in einem verstörenden Stil wie bei David Lynch, sei etwas verdorben-brutal wie bei Clive Barker, Unknown Armies ist ein Spiel für jene, die diese Grenzen durchbrechen.
Fangen wir aber mal mit den Details, wie immer, außen an. 440 Seiten ist der Brecher vor mir schwer, ein beachtliches Kampfgewicht, noch verstärkt durch ein recht dickes Papier. Ein schweres Buch also. Der Einband ist auch schön geworden – das Cover von Tobias Mannewitz ist nicht im klassischen Sinne ein Wrap Cover, sondern zeigt vielmehr die gleiche Szene auf der Vorder- wie der Rückseite, nur eben einmal von hinten und einmal von vorne. Das gefällt mir gut, ist eine nette Idee und schön in Szene gesetzt. Auch das viele Schwarz und die matte Verarbeitung tragen zu einem generell ziemlich edlen Eindruck des Buches bei, dessen Flachrückenbindung zudem eine eindrucksvolle Traglast zu bewältigen scheint.
Schlägt man das Buch aber auf, so beginnt der Glaubenskrieg. Chefredakteur Tim Struck meinte mal, er habe versucht, ein Rollenspielgrundregelwerk zu erschaffen, dass nicht aussieht, wie ein Grundregelwerk, wenn ich das Zitat richtig im Kopf habe. Nun, ob korrekt zitiert oder nicht – zumindest das hat er erreicht.
Das Design ist generell schwarzweiß gehalten – es gibt nicht nur keine Farbe, auch relativ wenig Graustufen. Statt dessen dominieren Zierformen, quer durch die Seiten laufende Striche, etwas, was man seitens des Verlages mal „moderne Runen“ nannte, an Perforationshinweise gemahnende gepunktete Linien und dergleiche mehr. Es wirkt in etwa, als wenn man eine Topp-Liste typischer Gestaltungselemente der aller-modernsten Design-Schulen nimmt, diese massiv auf die Spitze treibt und dann ohne Schema auf das Buch abfeuert.
„Ohne Schema“ ist für mich der größte Kritikpunkt daran, denn das Layout verfehlt es, dem Leser in irgendeiner Weise eine Rückmeldung zu geben, wo im Buch er sich nun gerade befindet. Da klassische Designelemente wie eine gleichmäßige Kopf- oder Randleiste komplett ausgespart wurden und es auch sonst ein erkennbares Durchzähl-Schema gibt, irrt man manches Mal doch ziemlich durch den Wälzer.
Das wäre zu ertragen, wenn es einen guten Index gäbe, doch die einzelne Seite, die das Buch abschließt, kann diesen Wunsch kaum erfüllen. Knapp 140 Einträge sind dort zu finden – das bedeutet, dass weniger als jede dritte Seite dort nur genannt sein kann. Da nun zudem noch massig NSCs mit im Index stehen, bleibt rein rechnerisch schon kaum die Möglichkeit, das alles Wichtige dort erwähnt wird. Eine These, die von der Praxis bestätigt wird.
Doch nicht nur die Usability leidet unter dem ungewöhnlichen Layout. Gerade das erste Viertel des Buches leidet schmerzlich an einem Mangel an Illustrationen. Acht Illustrationen findet man auf den ersten 100 (!!) Seiten, wovon noch zwei als kapiteleinleitende Bilder etwas aus der Zählung heraus fallen. Zwar wird der Schnitt später besser und die Bilder selbst sind auch durchaus sehr schön geraten, aber dennoch – so weniger Bilder auf so vielen Seiten empfand ich persönlich als ziemliche Zumutung. Dazu eine hohe Textdichte und ein Satz mit ziemlich breiten Spalten, fertig ist die Textwüste.
Naja, fast, denn zumindest ein Element des Designs hat mir persönlich ausnehmend gut gefallen: die Zitate. Auf nahezu jeder Seite befindet sich ein besonders abgesetztes „Zitat“, ominöse Botschaften aus dem okkulten Untergrund. Ein Beispiel? Wusstet ihr, dass Flugzeuge gar nicht fliegen können, sondern es sich um eine komplizierte Täuschung handelt, da die Menschheit die Quantenphysik ebensowenig versteht, wie sie ihr traut?
Klingt komisch, schafft aber Stimmung. Was für eine Stimmung, das lasse ich mal im Raume stehen, hat mir aber definitiv gut gefallen. Einige der Zitate sind eher zum Schmunzeln (etwa das über den Penis von John Dillinger), andere sogar tatsächlich als Plothook geeignet, kommt also gut.
Illustrationen kann es aber dennoch nicht ersetzen.
Eine letzte Kritik am Layout wurde in meinem direkten Bekanntenkreis zwar auch mehrfach geäußert, kann ich aber nicht teilen. Fans der eher dunklen und dreckigen Seite von Unknown Armies kritisierten mehrfach, dass das Spiel zu steril aussehen würde. Nun, es wirkt irgendwo steril, zugegeben, ich finde allerdings, dass das eher dem postmodernen Chrarakter zugute kommt, als dass es schadet.
Aber kommen wir endlich einmal zum Inhalt.
Das Buch ist in vier kleinere „Bücher“ eingeteilt, die Schritt für Schritt in Regeln und Welt des Spiels einführen. Die ersten drei Bücher gliedern sich entsprechend nach Graden von Einsteigern über Eingeweihte bis hin zu Erleuchteten. Der vierte Teil dagegen ist ausschließlich dem Spielleiter vorbehalten.
„Die geheimen Straßen“, der erste Teil, ist vor allem der Regelabschnitt des Buches. Mit wenigen Ausnahmen findet man hier vor allem Charaktererschaffung, Kampf und Wahnsinn. Dabei wird generell ein Prozentersystem verwendet, allerdings mit ein paar Abweichungen zu dem, was man etwa von „Cthulhu“ oder „Warhammer Fantasy Roleplay“ her kennt.
Neu ist es etwa, dass man zwar auch hier versucht, seinen Wert zu unterwürfeln, es aber generell besser ist, innerhalb dieses Rahmens hoch zu würfeln. Bei einem Wert von 50 wäre eine 46 somit besser als eine 43, eine 51 zwar noch höher, aber oberhalb des Wertes und somit gescheitert. Fand ich eher komisch, aber tut dem Spiel an sich sicher nichts.
Auch dass die Werte generell niedrig erscheinen, da das System ausgeht, dass Problem außerhalb von Streßsituationen eh früher oder später gelingen werden und entsprechende Streßmodifikatoren schon direkt in den gegebenen Werten enthalten sind, finde ich eher komisch als nützlich.
Definitiv streitbar ist allerdings das Fehlen eines klassischen Fertigkeitensatzen. Hier sind Spieler gehalten, sich entsprechend einiger Guidelines einen auf den individuellen Charakter angepassten Satz zu erstellen. Das geht zuweilen allerdings merklich auf Kosten der Vergleichbarkeit und hat bisweilen in der Spielpraxis zu Problemen geführt, wenn einige Leute einzelne Skills einfach durch ungünstige Schnittmengen der erdachten Fertigkeiten einfach nicht hatten.
Größere Probleme erwachsen für mich aber aus den anderen beiden großen Regelgebieten Kampf und Wahnsinn. Der Kampf an sich geht noch, hat nur so seine einzelnen Tücken, allen vorran die Initiative-Regelung(en), die unnötig verworren und variantenreich geraten sind.
Der Wahnsinn dagegen kann sich je nach Spielstil richtig querstellen. Der wahre Kern der psychologischen Definition eines Charakters liegt in den Stresswürfen. Die gibt es in den Geschmacksrichtungen Gewalt, Übernatürliches, Hilflosigkeit, Isolation und Identität. Nehmen wir auch hier mal ein Beispiel:
Der Spieler tötet jemandem im Kampf. Das ist ein Gewaltwurf der Stufe 4 (was das heißt, erkläre ich gleich). Der Spieler würfelt danach einen W100 und vergleicht dieses Ergebnis mit seinem Verstandswert. In jedem Falle erhält er eine sogenannte Kerbe – bei Gelingen eine sogenannte Härtekerbe, bei misslingen eine Traumakerbe.
Diese werden für jeden Aspekt separat verwaltet, was zu insgesamt zehn Werten führt. Härtekerben führen zu einem Abstumpfen, Traumakerben, nun, traumatisieren den Charakter merklich. Übersteigt die Menge der Kerben die Stufe des Ereignisses, muss kein Wurf abgelegt werden. Hätte der Spieler also bereits vier Härtekerben im Bereich Gewalt gehabt, wäre nichts weiter passiert.
Wo der Haken liegt? Nun, das System ist durchdacht und ausführlicher als vergleichbare Regelungen anderer Rollenspiele, sei es nun die gS von Cthulhu oder das Moral-System der neuen WoD. Doch leider kann es bisweilen ziemlichen Wildwuchs verursachen.
Das Erheben von Toten zu beobachten ist etwa ein Stufe-9-Ereignis, einer der ganz dicken Happen also. Ein Charakter, der beispielsweise viel in diesem Gebiet zu tun hat, kommt eigentlich kaum um den Wahnsinn herum. Er kriegt sowieso immer eine Kerbe, Traume oder Härte, jenachdem, und das unentwegt, da die Stufe 9 entsprechendes Potential mit sich bringt. Schnell ist die Skala bis zum Anschlag getrieben und die geisteskrankheitsbedingte Unspielbarkeit rückt nahe.
Dazu hat dann jeder Charakter noch ein Temperament, das sich aus drei Impulsen konstituiert: dem Furchtimpuls, dem Wutimpuls und dem Tugendimpuls. Und jeder Charakter hat eine Obsession, etwas wovon er durch und durch besessen ist, denn „[m]an muss schon besessen sein, um den Weg in den okkulten Untergrund zu finden.“
Mein Problem war es im Spieltest einfach, dass all diese psychologischen Feinheiten simples Charakterspiel für mich untergraben, da die Kerben, die ich nach wenigen Sitzungen auf dem Bogen hatte, einfach nicht mehr den Charakter wiedergaben, den ich spielen wollte.
Nun kann man natürlich sagen, hey, dann nimm doch andere Regeln – das Buch macht dies sogar mehr oder weniger, auf S. 51, am unteren Ende der linken Spalte – aber darum kaufe ich kein Grundbuch mit einem derart langen Regelteil.
Auch sehe ich da generell ein Problem im Hintergrund, wenigstens für mich, denn offen gestanden sind mir UA-Charaktere generell einfach zu krass. Das gilt schon für diese erste, lockere Stufe, die weiteren Bücher treiben das noch auf die Spitze.
„Die Welt unserer Wünsche“ führt uns in die Welt der Magie ein. Es gibt drei Arten, in UA Magie zu wirken, Ritualmagie, Adeptenmagie und Avatarmagie. Die Rituale sind dabei mehr oder minder genau das, was man unter dem Namen erwartet. Adepten dagegen sind Menschen, die die Welt durch ihre ganz eigene Weltsicht zu formen wissen. Bibliomanten etwa zaubern über Bücher, Kliomanten mögen bedeutsame Orte, Dipsomanten ziehen ihre Kraft aus dem Alkohol, Plutomanten hantieren mit Geld und Pornomanten ... nun, ist klar, oder?
Bleiben die Avatare. Das ist fummliger zu erklären – ein Avatar ist ein bestimmter Archetyp, dem man folgen kann. Man versucht, diesem Archetypen so nahe wir möglich zu kommen. Man latscht in deren ausgetretenen Pfaden, dient Wesen, die keine echten Götter sind, sondern vielmehr Repräsentationen des menschlichen Seins, die jedoch keine fiktiven Konstrukte, sondern durchaus machttragende Wesen sind. Der Avatar der Mutter verkörpert entsprechend Ernährung, Trost und Schutz während ‚der wahre König‘ die Einheit von Herrschaft, Volk und Land darstellt. Dies ist sicherlich das esoterischste Konzept, aber vermutlich auch das hintergrundtechnisch flexibelste.
Generell kann meine letzte Kritik am ersten Buch auch auf das zweite übertragen werden. UA-Charaktere sind krasse Gesellen, insbesonders, wenn sie Adepten- oder Avatarpfade beschreiten. Da werden fanatische Konzepte geradezu herangezüchtet und ein Ringen um Normalität fast direkt übersprungen.
Das neue „Mage: the Awakening“, um den Vergleich zu ziehen, ist ein Spiel darüber, wie man versuchen muss, trotz unglaublicher Macht einen Funken Menschlichkeit zu bewahren. Ein Epideromant etwa muss sich selbst nicht gerade glimpfliche Verletzungen zufügen, will er an magische Macht kommen, Entropomanten müssen unnötige Risiken eingehen und Pornomanten ... ja, schon klar.
Das favorisiert unglaub irrsinnige Charaktere, führt zu sehr abgedrehten Gestalten. Man kann daraus gleichermaßen „Bugs“ wie „Features“ lesen, aber mir persönlich ist das irgendwo zu wild, geht mir zu sehr auf Kosten einer freien Charakterausgestaltung.
„Der lebendige Himmel“, Buch drei, geht noch einen Schritt weiter und bringt nun auch noch weiterführende, metaphysische Konzepte ins Spiel ein. Hier lernt der geneigte Leser dann noch den Unsichtbaren Rat kennen, der aus Platzgründen hier nur angerissen sein kann. Doch zu jedem der oben erwähnten Archetypen gibt es einen sogenannten Gottläufer, die sterbliche Verkörperung des Konzeptes. Da es zu jedem Archetypen zu jedem Zeitpunkt stets nur einen Gottläufer geben kann, gibt es entsprechende Rangeleien und Übernahmen.
In diesem Kapitel wird geklärt, was es heißt, ein Gottläufer zu sein, wie man es werden kann und was damit alles verbunden ist. Auch einige metaphysische Kappungsgrenzen werden angerissen, angereichert mit zusätzlichen Infos zu dem Themen „Dämonen“ und „Artefakte“.
Das ist eigentlich mein liebster Teil des ganzen Grundregelwerks, da auf nicht zuletzt der Unsichtbare Rat den Avataren so etwas wie einen spieltechnischen Sinn verleiht. Allerdings ist der Teil auch sehr kurz.
Bleibt der letzte Abschnitt, eher traditionell „Für den Spielleiter“ getauft. Es werden hier verschiedene Themen aus dem bisherigen Buch noch einmal aufgegriffen und vertieft, teilweise auch nur entsprechende Denkanstöße vergeben. Diverse Gruppierungen, Sekten und Kulte werden nebst wichtiger NSCs dargestellt, Kreaturen, Artefakte und sonstige Anregungen dargeboten.
Zudem gibt es zwei Abenteuer, von denen vor allem „Die drei Leben des Bill Toge“ eine regelrechte Tour de Force hinein in den okkulten Untergrund darstellt, aber auch am Spieltisch nachweislich gut funktioniert. „Triebfedern“ dagegen haben wir so nicht gespielt, daher ist es rein theoretisch wenn ich sage, dass das Konzept an sich schon interessant ist.
Es folgt noch der Charakterbogen sowie der schon kritisierte Index und das Buch ist aus.
Somit seien abschließend noch ein paar Worte zu den deutschen Texten verloren. Es ist gut zu sehen, dass sich die Übersetzer an vielen Stellen sehr viel Mühe gegeben haben, eine adäquate Übersetzung für alles zu finden. Das ist schwer, denn UA ist im Original ein reges Schlagwort-Spiel, soweit es die Termini betrifft, aber an vielen Stellen sehr gut gelungen. Klar, es gibt Ausrutscher, aber die sind doch eher die Minderheit.
Der gewählte Sprachstil ist recht umgangssprachlich, was hier mal wertungsfrei gesagt sein soll – nicht wertungsfrei soll dagegen der zuweilen etwas überhebliche Ton einiger Abschnitte bleiben. Wenn auf S. 51 lesen muss, dass man die bisher durchgeackerten Erschaffungsregeln ruhig nicht verwenden müsse, wenn sie einem nicht gefallen, dann ist das schon frustig. Wozu kaufe und lese ich das denn dann gerade überhaupt?
Schlimmer noch fand ich die Stellen, die mir erklären, warum UA bestimmte erzählerische Aspekte so viel Besser bewältige als man das bisher kannte. Wenn ich jetzt UA da aber gerade nicht überlegen finde ... mache ich es dann falsch?
Es sind nur wenige Abschnitte, für die das gilt – dort aber habe ich mich dann auch immer satt geärgert.
Schlimmer aber ist das Lektorat. Zwei Leute für Lektorat und Korrektorat von 440 Seiten, wobei einer davon auch noch einer der leitenden Übersetzer und daher wohl Urheber vieler der Texte war, das ist eigentlich kein Zustand und das Buch zieht auch merklich seine Konsequenzen daraus.
Tippfehler, Schreibfehler, doppelte Lehrzeichen und Satzzeichen, die vom Zeilenende an den Anfang der folgende Zeile springen sind keine Seltenheit und zehren ebenfalls sehr am Gesamteindruck. Auch Klammern, die durch Anführungsstriche geschlossen werden oder Zitate, die zwar geschlossen, aber nie geöffnet werden verwirren den Leser nur und sind gerade im Abschnitt über die Waffengesetzgebung in Deutschland ein gehäuftes Phänomen.
Ziehen wir abschließend ein Fazit. Unknown Armies ist ein ungewöhnliches Spiel in einem ungewöhnlichen Design. Die Gestaltung fasziniert auf den ersten Blick, leider aber an einer zu geringen Zahl von Illustrationen, sprunghaftem Layout und einem bisweilen eher erschreckend schlampigen Korrektorat.
Die Regeln sind tendentiell simpel, aber durch Sonderregelungen etwas sabotiert und im Falle der Wahnsinnsregelungen definitiv zu rigide und restriktiv für meinen Geschmack.
Die Magie-Konzepte sind interessant, aber meines Erachtens für Spielgruppen eher ungeeignet, der okkulte Untergrund vielleicht schon etwas zu bizarr. Das, was wirklich Eigen für das System ist – der Unsichtbare Rat etwa – geht irgendwo etwas unter, da er schon Teil einer Erleuchtetenkampagne ist und somit der generischen Gruppe vielleicht nie unterkommen wird.
Es sind zweifelsohne nette Ideen drin, doch abschließend blieb bei mir die Frage zurück, wer dieses Buch denn nun wirklich braucht.
Für generischen Modern Day-Horror bietet das Spiel eigentlich abseits der hier nun weißgott oft genug erwähnten Wahnsinnsregeln nichts, was man nicht etwa bei der WoD nicht auf umsetzen könnte, allerdings mit einem für meinen Geschmack wesentlich agileren Magiesystem.
Die Idee Magie-Konzepten der Adepten sind nichts, was man nicht in einem Frei-Zauberei-System wie dem alten wie dem neuen Mage nicht auch umsetzen könnte, einerseits wieder mit einem bewährteren System und weiterführenden Möglichkeiten.
Und wer nun wirklich mehr in die Clive Barker-Ecke des Horros will, der wird da wiederum beim Klassiker „Kult“ besser bedient als hier.
Was für UA spricht sind einzelne Aspekte des Hintergrunds. Moderne Mythen, die Postmoderne als Grundlage mystischer Erzählungen, das ist ein schönes Szenario, die Ideen mit den Avataren und den Gottläufern eine sehr interessante Umsetzung davon.
Doch das wird in Kombination mit einem unnötig verkomplizierten Regelwerk mit Problemen in den Bereich Kampf, Charaktervergleichbarkeit und Charakterkontrolle ausgeliefert und einem Punkt, der Charaktere fast zu Beginn über eine Schwelle schubst, hinter der man in anderen Systemen seine Figur als „unspielbar“ an den SL herübereichen muss.
Der Preis von über vierzig Euro ist letztlich zwar auch fair, aber nicht geschenkt und das Buch selbst, auch das kann man nicht oft genug sagen, vor lauter Design in einer der Grundfunktionen eines Grundregelwerks, der Referenz, ungeeignet.
Unter‘m Strich bleibt es ein ehrgeiziges Projekt eines jungen Verlages, das jedoch meinen hohen Erwartungen und Hoffnungen nicht gerecht werden konnte und eher im soliden Mittelmaß der Modern Day-Settings landet.
Name: Unknown Armies {jcomments on}
Verlag: Vortex Verlag
Sprache: Deutsch
Autoren: Greg Stolze und John Tynes; dt. von Tim Struck, Michel Strack-Zimmermann u.a.
Empf. VK.: 42,99 Euro
Seiten: 440