Unknown Armies

But there is dangere there. People vanish, die horribly, become madmen for the sake of whatever the secret is that lies at the heart of the unseen world.
vom Backcover von Unknown Armies

Manchmal schreibt das Leben seltsame Geschichten. Da machte einer der letzten größeren Rollenspielläden der näheren Umgebung die Pforten zu und verkaufte seine letzten Bestände mit 50% Rabatt auf alle Artikel. Natürlich ein Grund für uns dort einmal vorbei zuschauen, natürlich geschah das unvermeidliche und ich verlies den Laden mit jeder Menge Zeug, das ich unter normalen Umständen nie gekauft hätte, unter anderem das Grundregelwerk zu „Unknown Armies“(UA).
Zwar hatte ich im Vorfeld bereits viel Gutes über das Spiel aufgeschnappt, aber es fehlte der entscheidende Kick, der letzte Grund das Spiel zu kaufen, welcher mir dann durch den Kampfpreis von 20 EUR präsentiert wurde.
Die Pointe dieser Geschichte ist, dass UA heute mein Lieblingsrollenspiel ist. Doch gehen wir trotz Vorwegnahme des Fazits in gewohnter Manie auf das Spiel ein. Das Grundregelwerk ist mittlerweile nur noch in der zweiten Edition erhältlich, die auch ich hier vor mir liegen habe, und man hat gut daran getan das optische Design gegenüber der ersten Edition zu verändern auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so scheint, denn das neue Cover, welches in einem Bildstreifen in seiner Mitte drei eher steril wirkende Gestalten vor der Fassade einer amerikanischen Großstadt zeigt, ist dem alten Cover, das auf der ersten Seite des Werkes selber zu sehen ist, nicht nur handwerklich hoffnungslos unterlegen.
Das aktuelle Cover bemüht sich zwar redlich eine gewisse Atmosphäre aufkommen zu lassen, etwa durch die Farbwahl des Stadthimmels, der durch ein dunkles lila versucht eine dunkle, unwirkliche Atmosphäre zu skizzieren, doch fällt der Blick des potentiellen Käufers zunächst auf die Figuren im Vordergrund, die zum einen sehr künstlich wirken und zum anderen einfach nichtssagend sind. Bei Zweien von ihnen handelt es sich um den Klassiker der Spät90er, also lange schwarze Mäntel und coole Haltung, während der Dritte in einem Unterhemd neben den Beiden steht und gar nicht recht zu den Anderen passen will, was aber ironischerweise kein Kritikpunkt, sondern das Stärkste an diesem Cover ist. Sieht man nun noch an dem auffälligen Lensflare an der geballten Faust der Dritten Person vorbei und bemerkt, dass das Unterhemd keine Blutspritzer, sondern Einschusslöcher aufweist gibt einem das Cover letzten Endes doch noch ein kleinen Eindruck auf das was UA eigentlich ist.
Das Innenlayout ist dagegen gegenüber der ersten Edition stark verbessert worden, so fügen sich Seitenrand und Textkästen wesentlich homogener ineinander als dies bei so manchem Buch der ersten Edition der Fall war und die gesamte Seitengestaltung wirkt auch um einiges professioneller. Die Illustrationen sind von sehr durchwachsenem Charakter, zum einen haben wir sehr gute dem Stil von Christopher Shy, bekannt durch die Cover der dritten Mage-Auflage, ähnelnde Bilder und auch viele gute Zeichnungen, wie etwa auch das alte Cover, auf der anderen Seite stehen Bilder, die man getrost als Stangenware bezeichnen kann, etwa die Illustrationen der Adeptenschulen, oder die einfach als hässlich bezeichnet werden dürfen, so zum Beispiel die Bilder im Kapitel „Kampf“.
Zusammengefasst kann man sagen, dass UA leider nicht durch ein brilliantes Layout glänzt, dafür ist es einfach zu durchwachsen, sowohl was die Qualität als auch was die Sitlrichtung der Bilder angeht, hier haben uns nicht zuletzt „Die Chroniken der Engel“ gezeigt, was durch einen einheitlichen Stil möglich ist.

Womit wir bei der Spielwelt wären. Diese zu beschreiben ist weniger einfach. Im GroFaFo läuft gerade ein Thread in dem versucht wird UA in einem Satz zusammenzufassen und da liest man dann Formulierungen wie „David Lynch und David Cronenberg“, „Vielleicht Akte X goes Twin Peaks “ oder „Hellraiser meets PulpFiction“ und sie alle sind richtig, wenn es um das Setting und die Atmosphäre geht. Die Tagline wie das Spiel sie auf dem Cover selbst festhält ist „A Roleplaying game of power and consequences“ rückt dabei etwas näher an Spiderman heran wobei diese Nähe sich hauptsächlich in dem Thema der aus Macht wachsenden Verantwortung zeigt.
Die Atmosphäre lässt sich dabei wirklich am besten durch die Namen Lynch, Cronenberg und Tarrantino wiedergeben, will man stattdessen andere Rollenspiele zum Vergleich heranziehen gelangt man am ehesten zu einer Mischung aus „Hunter“, „Mage“ und „Cthulhu“, wobei es auch zu diesen Dreien immer noch große Unterschiede gibt.
Verglichen mit vielen anderen urbanen Horrorrollenspielen fällt bei UA sehr schnell auf, das dieses Mal eine Gestalt das Zentrum des Spieles darstellt, die in den anderen sehr oft im Schatten größerer Dinge vergessen wird: Der Mensch.
In der Tat lehrt uns UA, dass es nichts größeres als den Menschen gibt, dass er buchstäblich die Macht hat die Welt nicht nur zu verändern, sondern eine gänzlich neue zu schaffen und es lehrt uns auch, dass es kein größeres Monster als den Menschen und keinen tieferen Abgrund als dessen Seele gibt.
Zwar scheint es den Spielern zunächst als seien auch UA wieder größere Dinge als der Mensch am Werke, doch dann erkennen sie, dass deren Ursprung der Mensch ist und können schließlich selbst zu einem solchen Ursprung werden.
Die Spielwelt wird einem bei UA, genau wie die Regeln, in drei Etappen näher gebracht, das Spiel spricht hierbei von „Street Level“, „Global Level“ und „Cosmic Level“.
Auf dem „Street Level“ sind die Charaktere der Spieler zu Beginn meist noch recht unbedarfte Bürger, die meist über einem ersten Kontakt mit okkult-myteriösen Ereignissen hinaus, dem sogenannten „Trigger“ keine Erfahrung mit dem Übernatürlichen haben. Doch schon bald tut sich ihnen die Tür zum sogenannten „Okulten Untergrund“ auf. Der okkulte Untergrund ist eine Subkultur, ein Auffangbecken für Menschen, die das Potential des Menschen allgemein und zumeist ihres speziell erkannt haben und nun versuchen Kapital aus ihrer Macht zu schlagen oder sich ihrer Verantwortung zu stellen.
Auf dem „Global Level“ sind die Charaktere dann zumeist ein Teil des Okkulten Untergrundes, Magier, die ihre magische Macht aus ihrem wahnsinnigen Weltbild ziehen oder sogenannte Avatere, die versuchen ein bestimmtes Konzept so sehr zu Leben, dass sie dieses Konzept selbst werden und als Versinnbildlichung desselben in die „invisible Clergy“ aufzusteigen. Im okkulten Untergrund geht das Gerücht um, das diese Welt endet, wenn in der Clergy erst einmal 333 Plätze besetzt sind und das dann ein neue Welt entsteht, deren Antlitz dem der 333 Mitglieder der Clergy entspricht. Es scheint also also als ginge es um nichts geringeres als die Zukunft und irgendjemand muss doch entscheiden wie diese aussieht ... warum also nicht du selbst? Aber immer dran denken: Aus großer Macht erwächst große Verantwortung.
Auf dem „Cosmic Level“ schließlich, stellt die Gruppe zumeist mindestens einen Avatar, der kurz davor ist in der Clergy Platz zu nehmen und die restliche Gruppe versucht nach Leibeskräften ihn dabei zu unterstützen sich gegen seine letzten und auch gefährlichsten Gegner durchzusetzen. Nicht vergessen darf man hierbei auch, dass der Platz auf den man es abgesehen hat vielleicht sogar schon besetzt ist und derjenige, der sich dort eingerichtet hat findet sich sehr ungern wieder auf der Erde wieder.
Im Rennen um die Plätze in der Clergy ist man also gerade auf die Zielgerade eingebogen und nun heißt es bloß nicht noch zu stürzen. Die große Frage, die sich jedem Aspiranten hierbei stellt ist: Wie weit bist du bereit zu gehen? Und die meisten haben sie für sich auch schon beantwortet: Sehr, sehr weit...
Das Setting von UA schlug mich sofort in seinen Bann. Durch die fast schon ungewohnt gewordene Konzentrierung auf den Menschen, der es unnötig Macht irgendwelche anderen Konstrukte zu erfinden und der hier bei allem was er tut immer selbst die Verantwortung trägt und sie nicht auf böse Mächte oder ähnliches schieben kann.
Darüber hinaus erlaubt das Setting sehr viele bizarre Szenarien von denen sich einige Beispiele im Grundregelwerk finden lassen und die, um den Kreis zu schließen, sehr an die Werke David Lynchs oder auch Quentin Tarrantinos erinnern können.

Die Regeln von UA legen ihren Schwerpunkt, genauso wie das Setting, auf den Menschen, hier also auf den Charakter der Spielfigur. Dies spiegelt sich im Hauptsächlichen darin wieder, dass jeder Charakter mit einer „Obsession“ ausgestattet ist, eine Obsession, die sein Leben nicht nur beeinflusst, sondern meisten erheblich bestimmt; eine solche Obsession kann das Streben nach Geld aber auch das Beschützen der eigenen Familie oder das Vergöttern des Lieblingstars sein.
Weiterhin erreichen die Charakter Tiefe durch das festlegen eines „Rage“ eines „Fear“ und eines „Noble“ Stimulus, also der größten Angst des Charakters, dem was den Charakter vor allem anderen in blanke Wut versetzt und dem, was den Helden, in ihm weckt. Nicht nur die schriftliche Fixierung dieser Eigenschaften, sondern auch ihre spieltechnische Relevanz, so können sie Einfluss auf Würfelwürfe haben, sorgen teilweise für ein wesentlich deutlicheres Ausspielen dieser Eckpfeiler der Charaktere durch die Spieler, so zumindest habe ich es erlebt.
Man kann sich einfach besser mit der Spielfigur identifizieren, wenn einem immer vor Augen geführt wird, dass es sich hierbei um einen Menschen handelt. Der Grad der Identifikation wird sogar noch erhöht durch die Tatsache, dass man die Fertigkeiten vollkommen frei wählen kann, zwar wird jeder Charakter mit einem Grundsatz an Fertigkeiten, aber selbst diese kann man umbenennen, um sie so besser auf den Charakter zuzuschneiden. Hierbei werden die Fertigkeiten den Attributen Body, Speed, Mind und Soul zugeordnet und die Gesamtpunktzahl der Fertigkeiten einer Kategorie darf das zugehörige Attribut nicht überschreiten. Die Attributwerte wiederum erstellt man aus einem Punktepool, der von dem Level abhängig ist auf dem man spielt.
UA ist ein Prozentwertsystem und es fällt sehr schnell auf, dass die durchschnittlichen Werte der Charaktere recht niedrig sind, was dadurch erklärt wird, dass es sich hierbei um Stresswerte handelt. Also die Werte, die der Charakter hat, wenn er die Fähigkeit unter Stress, weil er zum Beispiel verfolgt wird, einsetzt, dadurch kommt UA über große Strecken ohne Aufschläge oder Abzüge auf die Proben aus.
Stellt sich langsam die Frage wie so eine Probe denn nun geworfen wird. Ein Probe fällt grundsätzlich in eine von drei Klassen: Minor, Significant oder Major skill chek.
Ein Minor check ist dabei sehr einfach und jeder Charakter, der in der geforderten Fertigkeit einen Wert von 15% aufwärts hat brauch gar nicht mehr zu würfeln. Ein Significant check ist dagegen schon schwieriger und muss zumeist gewürfelt werden, hierbei ist der Charakter auch dann noch erfolgreich, wenn er unter dem Wert des zugehörigen Attributes bleibt, allerdings ist die Probe dann schon mehr schlecht als recht gelungen. Bei einem Major check muss man dann schlussendlich unter seiner Fertigkeit bleiben, um erfolgreich zu sein.
Hierbei macht auch Magie für einen Adepten oder einen Avater keinen besonderen Unterschied, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass gerade der Adept seine Magie „aufladen“ muss und dies immer mit einem sehr gestörten Weltbild einhergeht, so gibt es Adepten, die ihre magische Macht dadurch beziehen, dass sie sich selbst verstümmeln.
Für den Kampf gelten auch dieselben Fertigkeitsregeln, er bringt zwar noch ein paar Reglementierungen mit sich, etwa die obligatorische Regelung der Initiative., aber im Grunde nichts Besonderes, bis auf eine Kleinigkeit: Nur der SL weiß über den aktuellen Lebenspunktestand der der Charaktere Bescheid. Schaden, den der Charakter einsteckt wird dem Spieler grundsätzlich nur beschrieben, abermals ein Detail, das den Identifikationsgrad erhöht und sorgt es doch dafür, dass der Spieler direkter betroffen ist als nur durch Verringerung des Abstraktum Lebenspunkte, zwar werden auch sonst immer die Auswirkungen eines Treffers beschreiben, aber es ist doch ein ziemlicher Unterschied ob man weiß wie viel man noch hat oder ob man es nicht weiß.
Wie bereits deutlich geworden sein sollte zieht sich die akkurate Abbiuldung eines Menschen durch das ganze Regelwerk und auch der letzte wichtige Punkt desselben schlägt in diese Kerbe: Die Stress-checks.
Bewegt man sich einmal im okkulten Untergrund begegnet man vielen Situationen, die den eigenen Geisteszustand attackieren, seine es die Konfrontation mit übernatürlichen Phänomenen, ein Gefühl tiefer Ohnmacht oder ein brutales Blutbad, all dieses Dinge machen einem Menschen schwer zu schaffen. Auf der Regelseite ist dies dadurch erfasst, das man die eben bereits benannten Stress-checks durchführen lässt. Eine solcher Wurf fällt in eine von fünf Kategorien: Violence, The Unnatural, Helplessness, Isolation und Self, wobei die Namen hier alle sehr selbst erklärend sind.
In jeder dieser Kategorie führt man zwei Leisten, eine nennt sich Hardened, diese erhöht man, wenn der Stress-check gelingt, die zweite nennt sich failed und erhöht sich bei einem Fehlschlag. Je mehr Hardened-Kästchen man abhakt, desto mehr härtet man auf diesem Gebiet ab und befindet sich so mehr und mehr auf dem Weg dazu ein gefühlskalter Soziopath zu werden. Mit füllen der Failedleiste wird man auf schlicht und ergreifend wahnsinnig.
Die Regeln des Spieles bilden das Setting und den Schwerpunkt des Spieles in allen wichtigen Teilen in meinen Augen geradezu hervorragend ab und sind dabei fast schon erschreckend einfach geraten. So einfach, dass die Kernmechanismen auf eine DIN A4 Seite passen. Und auch, dass es in den Foren zu UA kaum Regeldiskussionen gibt spricht eindeutig für diese. Zwar gibt es auch hier ein paar Details, wie zum Beispiel die seltsame Regelung des Fallschadens, aber sie sind eben genau das, Detailmakel, und können somit den äußerst guten Gesamteindruck kaum schmälern.

Abgerundet wird das GRW durch Kapitel wie sie in scheinbar in ein modernes Regelwerk hineingehören: Das obligatorische Spielleiterkapitel ist ebenso vorhanden wie ein paar Beispielabenteuer, die hie nicht im Detail besprochen werden sollen, es sei viel mehr darauf hingewiesen, dass das hohe Niveau des restlichen Buches gehalten wurde, was nicht zuletzt auch der Playtest ergab.

Nun sei es mir am frühen Morgen endlich vergönnt das Fazit zu ziehen:
Ich wiederhole mich, aber mit Vergnügen: Unknown Armies ist mein Lieblingsrollenspiel. Es ist quasi von 0 auf 1 geschossen und hat dabei den alteingesessenen Platzhirsch „Mage: the Ascension“ verdrängt.
UA ist für jeden der sich für urbanen Horror interessiert mindestens einen Blick wert, wenn nicht gar schon fast einen Blindkauf. Die Sprachbarierre, denn leider ist das Spiel bisher nur in englisch zu haben, soll übrigens auch bald überwunden werden, denn die Deutsche Version ist bereits im Entstehen begriffen.


Name: Unknown Armies
Verlag: Atlas Games {jcomments on}
Sprache: englisch
Autoren: John Tynes, Greg Stoltze
Empf. VK.: 39,95 US-Dollar 
Seiten: 335 Seiten