LodlanD

Ewiger Winter beherrscht die Kontinente. Die Menschheit hat sich in die Weltmeere gerettet. Eine neue Gesellschaft ist in den endlosen Wassern der Tiefsee entstanden – eine Welt voller Gefahren, Intrigen und Abenteuern, aber auch voller Hoffnung.
Nur wenige Zentimeter Stahl entscheiden über Leben und Tod...
vom Backcover vom Lodland Grundregelwerk

Liest man amerikanische Kolumnen, so kann man an vielen Stellen lesen, dass der englischsprachige Rollenspielmarkt wohl in einer Krise stecke. Zugegeben, WotC und White Wolf demonstrieren mit ihren vielen Inkarnationen eigentlich etwas das Gegenteil, doch zumindest für den Nachwuchs gilt es erkennbar. d20 auf der einen Seite und WoD/Exalted auf der anderen stecken recht unumstößlich und souverän ihr Revier ab; wer mitspielen will, muss sich an die Regeln halten oder spielt außerhalb dieses Paradigmas ... allein.
In Deutschland dagegen sieht die Lage eigentlich genau gegenteilig aus. d20 kommt nicht zu Potte und ist nun erst einmal in die sicherlich fähigen Hände von Feder&Schwert gegangen und der Platzhirsch röhrt sicher und unverwüstlich, ist aber auch nicht so Gebietend wie D&D3rd zuweilen wirkt.
Im Schatten dieser Institutionen sprießen nun hierzulande junge Systeme, die ohne Zweifel mehr verdient haben als ein Dasein als Mauerblümchen. 'Endland' war vermutlich der Wegbereiter, gefolgt von großartig laufenden Neuzugängen wie 'Degenesis' und 'Arcane Codex'. Doch noch ein anderes System kam quasi aus dem Nichts getreten und hat sich doch schnell eine gewisse Fanbasis erarbeitet: Lodland.
Und genau das dazu gehörige Regelwerk, ebenfalls kurz und knackig "Lodland" betitelt, ist nun hier zur Debatte gestellt.

Die Aufmachung des Grundregelwerks ist weitestgehend sehr schön geraten. Alleine das Cover des mit 226 Seiten für ein Grundbuch überraschend dünnen Werkes ist schon sehr schön. Zwar sieht man streng genommen nicht viel, doch das tiefe Blau, welches von Scheinwerfern durchschnitten wird, sowie die geheimnisvolle Landschaft machen eigentlich direkt Lust auf mehr.
Auch das Artwork innerhalb des Bandes ist sehr schön geraten, obwohl (oder gerade weil) keine der wirklich großen Namen hier genannt werden. Christine Schlicht etwa kann man zwar kennen, doch wurde hier, bewusst, vermute ich, auf die Caryads und Marco Djurdjevics der Szene verzichtet.
Das Buch hat daher einen nicht minder Guten, zugleich aber auch sehr eigenen Stil erhalten der gut gefällt und, gemeinsam mit dem recht ansprechenden und übersichtlichen Satz, die Seiten erfreulich gut auflockert. Neben den "gewohnten" Zeichnungen kann der Band dann auch etwa mit topografischen Karten und schematischen Skizzen begeistern.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, wenn er hier auch eher klein ausfällt. Doch während Druck und Bindung beileibe keine Kritik aufkommen lassen, so ist zumindest der Einband grenzwertig geraten. Das Buch ist nicht nur im Softcover, eigentlich schon schlimm genug bei einem Buch, das so viel Frontdienst in den Klauen von Spielern und Spielleitern während einer Sitzung leisten muss, dieser weiche Einband besitzt auch wirklich kaum eigene Konsistenz.
Es wirkt eher so, als habe er die Dicke von drei normalen Seiten des Buches, nicht aber so, als sei er eine schützende Bastion gegen äußere Einflüsse. Es ist natürlich klar, dass da wirtschaftlich gerechnet wurde, denn gibt der nicht wirklich stabil wirkende Einschlag klaren Abzug in der B-Note.

Inhaltlich dagegen beweist das Buch gleich in mehrerlei Hinsicht ein sehr gut durchdachtes Konzept, gleich auf mehreren Ebenen. Positiv fällt etwa auf, dass man die Regeln hinten in das Buch verbannt hat und man beim erstmaligen Lesen zunächst in den Hintergrund eingeführt wird und nicht in die Charaktererschaffungsregeln eintauchen muss, bevor man überhaupt weiß, was man da tut.
Ganz zu Beginn wird aber auch klar gestellt, dass an "Lodland" viele fähige Fachleute mitgewirkt haben, um eine glaubwürdige Zukunft zu kreieren, mit durchdachter Technik und glaubwürdiger Umwelt. Ebenfalls ein seltener, aber sehr, sehr lobenswerter Ansatz!

Aber zum Hintergrund, nachdem wir ja nun schon so oft an ihm vorbei gestreift sind. Lodland ist ein Science Fiction-Rollenspiel und spielt demnach, klar, in der Zukunft. Wann genau, wir dicht genau bestimmt, ist aber auch nicht relevant.
Es ist keine blühende Zukunft allerdings – die Umweltbedingungen einer durch einen Unfall herbei geführten Eiszeit haben die Menschheit unter die Oberfläche ihrer Meere getrieben und ihre Kultur daher nachhaltig verändert.
Unterschiedliche Völker haben sich in diesem Gefilde herausgebildet, die in Kuppelbauten leben und den Verkehr demnach mit U-Booten verschiedener Welten bestreiten. Wer etwa PC-Spiele wie "Schleichfahrt" kennt, kann sich da in etwa eine Vorstellung machen. Positiv fällt dabei der große Anteil von 'echten' Wissenschaftlern auf, die die Crew von Lodland beraten und sich darum bemüht haben, das Spiel realistischer und glaubwürdiger zu machen. In vielen Bereichen kann ich es dann zwar weder be- noch widerlegen, der Eindruck aber, dass das, was hier präsentiert wird, durchdacht und unter den gegebenen Umständen auch umsetzbar ist bzw. wäre, ist durchgängig präsent.

Wie bereits zuvor gesagt, eröffnet das Buch dann auch direkt mit diesem Hintergrund. Nach einem umfassenderen Vorwort von Chefredakteur André Wiesler, in dem er unter anderem eben auf die wissenschaftliche Korrektheit und Motivation hinter diesem Buch schreibt, wird zunächst einmal das Leben unter Wasser genauer beschrieben. Ein interessantes und sinnvolles Kapitel, dass neben Konzepten wie menschlichen Klonen und den nun vorhandenen Psi-Kräften eben auch ganz harmlose Themen, etwa die kleinen Wohnräume unter Wasser (und warum sie den Menschen dort gar nicht klein vorkommen), angeht.
Das Kapitel ist eben so kurz wie nützlich, gerade als einleitende Lektüre für Spieler dürfte es auch große Dienste leisten.

Nach einem in meinen Augen dann etwas unnötigen, aber dennoch nicht störenden, Schnellstart-Abschnitt geht es auch schon tief in den Hintergrund. Der "Rat der Länder", kurz RDL, ist der Zusammenschluss von sieben angrenzenden Ländern. Zunächst wird der Rat selbst beschrieben, gefolgt von den einzelnen Völkern. Da wären die Arbiträer, welche vor allem die Grenzen der RDL patrouillieren und Piraten jagen, den Bund freier Städte (BFS), einem autoritären und auf Effizienz seiner Bürger bedachten Systems, das zweigeteilte Kobe-Uppland, die Handelsstadt Lod, die in Knechte und hohe Wissenschaftler geteilten Scientianer, das geradlinige Schwerindustrieland Stawa und, letztlich, die Union nordischer Länder (UNL). Bei der UNL sind für sich alleine auch ein faszinierendes Setting, denn schwere Vergiftungen haben hier das Erbgut scheinbar irreparabel geschädigt, was jedoch dem Kampfesmut der Region nur zuträglich war.
Die Beschreibung der Länder ist stets sehr umfangreich und gut gegliedert, wie – um das gleich noch mal zu betonen, in dem Buch eigentlich nahezu alles gut gegliedert ist. Es werden nicht nur notwendige Fakten gegeben, sondern auch etwa Redewendungen für jede Zivilisation geboten, typische Namen gelistet und Volksboni verteilt, auf die wir aber später noch mal kommen werden.
Denn bevor wir nun zu den Regeln vorstoßen werden, sei zumindest noch die Übersicht über die Feiertage im RDL hingewiesen, sowie auf einige weitere von den Völkern nicht direkt abhängige Kapitel. Etwa die Übersicht über sämtliche Konzerne der Spielwelt, ein weit über generische Piraten hinausgehender Überblick über potentielle Feinde der RDL sowie einen Blick auf Strataqua, dem wohl beliebtesten Brettspiel der Spielwelt.

Kommen wir also, wie auch das Buch an dieser Stelle, mal zu den Regeln. Diese sind betont simpel gehalten und für Anfänger wie Profis gleichermaßen ausgelegt; so verspricht es jedenfalls die Einleitung.
Im Grunde handelt es sich bei den Regeln um ein Prozent-System, wie man es beispielsweise vom BRP-System, welches etwa "Cthulhu" zu Grunde liegt, her kennen kann. Acht Attribute (Stärke, Geschick, Konstitution, Wahrnehmung, Intelligenz, Intuition, Ausstrahlung und Willenskraft) und rund 50 Fertigkeiten werden zu Beginn der Charaktererschaffung mit Punkten bedacht, wobei einige Sonderregeln schon einen Unterschied zu anderen W%-Systemen herstellen. Attribute müssen sich bei der Generierung immer in einem Rahmen zwischen 20 und 80 Punkten bewegen, während man bei Fertigkeiten, deren Werte auch durch das gewählte Volk modifiziert werden, seinen Wert nur mit sogenannten Spezialisierungen über 60% heben kann. Das System geht davon aus, dass diese 60% eben ein Maximum an breitgefächertem Wissen in einem Sachbereich darstellen, alles was darüber hinaus geht, ist halt spezifischer. Ein interessanter Ansatz, gefällt mir.
PSI-Fertigkeiten funktionieren generell nach dem gleichen System, sind aber bedeutend teurer in der Anschaffung, weshalb man es sich eigentlich nicht leisten kann, nebenbei auch noch viele Punkte in diesem Bereich zu lassen, was dem Spielgleichgewicht sehr entgegen kommt.
Die restlichen Regeln (PSI, Kampf, Schiffskampf u.ä.) bleiben dem Motto der Einfachheit dann auch treu, weshalb ich da nicht mehr großartig drauf eingehen möchte, sondern belasse es mal bei der Erkenntnis, dass die Regeln einen durchdachten und gut funktionierenden Eindruck machen.

Keine 45 Seiten später ist man also schon wieder aus dem Regeln heraus und kann erneut auf Hintergrundbeschreibungen blicken. "Die Stadt Lod" als sogar titelgebendes Setting wird da 15 Seiten beschrieben, so wie auch die Kuppeln der anderen Völker beschrieben werden. Es gibt weitere Details zu Schiffen und Booten (neben den Länderkennungen auch etwa Hinweise zu Personal und Technik, Steuersystemen und Antriebsmethoden, gefolgt von einigen beispielhaften Typen mit kompletten Werten.

Anschließend gibt es unter der Überschrift "Kampagnen" noch ein sehr, sehr lesenswertes Kapitel in dem nicht die gewohnt abgedroschenen SL-Tipps anderer Bücher folgen, sondern vielmehr verschiedene Stile einer Lodland-Kampagne vorgestellt werden. So gibt es beispielsweise Agenten-Kampagnen, Forscher- oder auch Medien-Kampagnen – sowie einige weitere Typen. Jeder Typus wird von einem Atmosphäre-Text eingeleitet, gefolgt von Beschreibungen der Stimmung, des Inhalts, der Art des Spiels, möglicher Gruppe, Zielen, Abenteuerideen und der sogenannten "Bilder", also Szenen, die in einer solchen Kampagne vorkommen könnten.
Das hat mir einmal ausnehmend gut gefallen und gibt gerade noch etwas ungeübteren Spielleitern einen extrem guten Start, jenen mit langjähriger Erfahrung dagegen neue Inspirationen. Löblich!

Bleibt noch ein kurzes, nettes aber nicht weltbewegendes Einführungsabenteuer, dann eben doch noch die eher üblichen SL-Ratschläge (wenn auch gut geschrieben), eine lange Ausrüstungsliste sowie eine einzelne Seite, die dann noch mal Charaktererschaffung, Fertigkeiten, PSI-Fertigkeiten und die Währungen und Sprachen aller Länder zur Schnellreferenz listet, sowie ein nützlicher Index.

Es ist schon fast erstaunlich, aber tatsächlich ist das Lodland-Regelwerk mit seinen gerade mal 226 Seiten ein vollständig zu nennendes und sehr gut gelungenes Regelwerk geworden. Zwar kann man diverse Bereiche noch merklich erweitern, aber mit diesem Buch alleine kann man schon lange Zeit zufrieden spielen.
Neben dem ungewohnten Setting ist gerade die gelungene Ausarbeitung einer recht frischen Idee sowie eben das in sich so gute Grundregelwerk schon Grund genug, mal auf den Grund des Meeres herabzusteigen. Doch insgesamt kann man sagen, dass André Wiesler und seinen Mannen hier sozusagen aus dem Stegreif ein rundum gutes Grundregelwerk gelungen ist, wenn es auch nicht ganz ohne Makel ist. So ist der Einband wie schon gesagt nicht gerade vorbildlich und, in Kombination damit, der Preis von 29,80 € nicht gerade umsonst.
Wenn man aber schaut, was die (wohlgemerkt deutschsprachige) Konkurrenz aber mittlerweile für Quellenbücher haben will, kann man da auch nicht wirklich meckern, zumal zwei zusätzliche Schätze innerhalb des Buches noch gar keine Erwähnung fanden:
Einmal die sogenannten "weißen Flecken", also Gebiete, die die Redaktion von Anfang an dem Spielleiter überlässt und die niemals anderweitig tangiert werden sollen, sowie einen grandiosen Online-Support. Denn in jedem Grundregelwerk ist eine Nummer hinten zu finden, mit der man sich auf der offiziellen Seite sehr nützliche zusätzliche Downloads, etwa weitere Abenteuer, freischalten kann.
Wer da nicht mal den Sprung ins Wasser wagt, ist wohl selber Schuld.
Ich jedenfalls bin von diesem Einstand sehr angetan...


Name: Lodland {jcomments on}
Verlag: Image 3033 
Sprache: Deutsch
Autoren: André Wiesler, Stefan Bogdanski, u.a.
Empf. VK.: 29,80 Euro 
Seiten: 226