John Sinclair Abenteuerspiel

Zur SPIEL 2009 konnte Ulisses mit dem Abenteuerspiel zu John Sinclair aufwarten. Und wenn man schaute, dass Sonntag nur noch ein paar Ansichtsexemplare am Stand lagen, dann scheint es auch sehr positiv aufgenommen worden zu sein.

Dabei kann das Buch bereits optisch überzeugen. Im praktischen B5-Format (wie schon die Savage Worlds: Gentleman's Edition, bitte mehr in diesem Format!) kommt es matt-schwarz-glänzend mit Hardcover und rotem Lesebändchen daher, mit dem großem Schriftzug der Romanreihe und einigen Illustrationen von Monstern und dem titelgebenden Helden. Die Illus von Karsten Schreuers sind mal wieder hervorragend, da sie nicht nur sehr gut aussehen, sondern auch den Stil der Heftcover sehr gut einfangen. Allerdings ist die Verteilung der Zeichnungen nicht ganz so gelungen. Während man zunächst nur sehr selten auf Bilder trifft, sind sie am Ende bei der Auflistung der wichtigen Figuren und Monster sehr gehäuft.
Das Layout ist zweispaltig, wobei die äußere Spalte schmal ist und für Beispiele und Anmerkungen sehr oft und auch sinnvoll genutzt wird. Ein funktionales und dennoch schick wirkendes Layout, auch wenn ich gerne noch den Kapitelnamen am Rand oder in der Kopf- bzw. Fußleiste gesehen hätte, um die Navigation zu erleichtern. Wichtige Begriffe und Überschriften sind zudem in der Regel rot gesetzt, damit sie leichter ins Auge fallen.

Nachdem der Band bereits beim ersten Durchblättern einen guten Eindruck macht, kommen wir mal zum eigentlichen Setting. Die Figur John Sinclair wurde 1973 von Helmut Rellgerd erfunden, der seitdem praktisch jede der knapp 1.800 (!) Geschichten des Geisterjägers unter dem Namen Jason Dark geschrieben hat. John Sinclair ist Ermittler bei Scotland Yard in der Abteilung für Übersinnliches und seit vielen, vielen Jahren damit beschäftigt Vampiren, Ghoulen, Dämonen, Zombies und ähnlichem Geschmeiß der Hölle mit seinem Team ordentlich in den Hintern zu treten.
Und damit ist auch schon das Spiel erklärt. Die Charaktere übernehmen eine ähnliche Gruppe von Geisterjägern, die von Scotland Yard damit beauftragt werden, gegen das Übernatürliche vorzugehen. Damit ist Spielziel und grundlegende Struktur der Aufträge bereits definiert, denn Superintendent Powell kontaktiert die Charaktere und sagt ihnen, was oder wem sie bitte nachgehen sollen. Sehr fein. Dabei ist das Buch zu Beginn der Serie angesiedelt, genauer dem Zyklus um den Schwarzen Tod, oder noch genauer, den ersten 102 Heftromanen und 26 Hörspielen.

Da sich das Buch weniger an den gestandenen Rollenspieler, sondern vielmehr an die Leser der Hefte, und damit Neulinge im Hobby, richtet, finden sich zunächst einmal sehr ausführliche Erklärungen, wie das ganze erstmal funktionieren soll. Zur besseren Orientierung gibt es ein kurzes Soloabenteuer, das aufgrund der Kürze nur wenig Möglichkeiten bieten kann, aber dafür gut die Stimmung des Spiels vermittelt. Später wird das Soloabenteuer dann noch mal aufgegriffen und erweitert, wenn der SL die gleiche Geschichte noch einmal als Erzähler mit seinen Spielern durchlebt. Das Abenteuer ist auch so aufgebaut, dass man alle Fertigkeiten sinnvoll einsetzen kann und auch alle Mechaniken einmal vorkommen. Ein dickes Lob dafür! Trotzdem sollte man auch genug Wert auf die Kampfstärke der Truppe legen, denn die Gegner sind direkt zu Beginn nicht ohne.

Die Regeln sind nicht sonderlich umfangreich und erinnern an Shadowrun 4 oder die neue World of Darkness. Aus dem Attribut und der passenden Fertigkeit wird ein Pool von W6 gebildet, der dann durch Modifikatoren erhöht oder gesenkt werden kann. Jede gewürfelte 5 oder 6 zählt nach dem Wurf dann als Erfolg. Als Attribute stehen Körper, Geist und Seele zur Verfügung, die dann dankenswerterweise auch nur eine Handvoll von passenden, untergeordneten Fertigkeiten haben. Die Attribute reichen von eins bis fünf, wobei zwei den Durchschnitt darstellt und fünf so legendär gut ist, dass nicht einmal John Sinclair diesen Wert irgendwo erreicht. Die Fertigkeiten reichen von null bis drei, wobei der Höchstwert hier wieder extrem selten ist.

Die Charaktere haben neben ihren Attributen und Fertigkeiten auch Sonderfähigkeiten wie Zäh (hält mehr Treffer aus), Unauffällig (Schicksalspunkte geben drei zusätzliche Würfel bei Verstecken-Proben statt zwei) oder auch Presseausweis bzw. Polizeimarke (hilft in vielen Situationen weiter). Diese Fähigkeiten haben unterschiedliche Kosten und können sowohl bei der Charaktererschaffung, wie auch später im Spiel erworben werden, um die eigene Spielfigur auszubauen.

Da die durchschnittliche, fordernde Schwierigkeit zwei Erfolge beträgt, der normale Pool aber bei drei bis vier Würfeln liegt, müssen oftmals die sogenannten Schicksalspunkte her. Mit diesen kann der Spieler sich zusätzliche Würfel für Proben kaufen, Spezialfähigkeiten oder Artefakte aktivieren und wieder auf die Beine kommen, wenn man ausgeschaltet wurde. Dabei gilt es jedoch mit dieser Ressource auch hauszuhalten, da nicht genutzte Schicksalspunkte am Ende in Abenteuerpunkte zur Verbesserung des Charakters umgesetzt werden. Das macht aus ihnen zwar einerseits eine interessante Ressource zum Pokern ("Schaffe ich den Wurf auch ohne Schicksalspunkt, um am Ende besser zu werden?"), schafft andererseits aber auch ein Ungleichgewicht ("Néomie würfelt immer so gut, dass sie nie Schicksalspunkte braucht. Deswegen hat sie immer mehr Abenteuerpunkte, was sie noch stärker macht... weswegen sie die Dinger noch seltener braucht als wir..."). Eine interessante Sache sind die 1-AP-Dinge, die man sich für einen Schicksalspunkt spontan herbeizaubern kann, wie etwa eine Taschenlampe, ein Feuerzeug oder genug Sprit, um doch noch vom Hof des Schurken zu entkommen. Allerdings sehe ich in diesem Mechanismus auch die Gefahr, dass der SL extrem kleinlich werden kann, um seinen Spielern die Schicksalspunkte zu entziehen ("Okay, wir fahren zum Hof." - "Aber ihr habt nicht gesagt, dass ihr auch tanken geht! Das kostet dich einen Schicksalspunkt!").

Das Kampfsystem ist zwar nicht sonderlich tödlich, dafür aber genau so schnell und rasant wie die Geschichten von John Sinclair. Spielercharaktere, deren Ausdauer auf null sinkt, sind erstmal außer Gefecht, können für einen Schicksalspunkt aber wieder mitmischen. Nichtspielercharaktere sind jedoch bei einer Ausdauer von null direkt weg vom Fenster, tot oder zu Staub zerfallen. Interessant ist dabei, dass der Spielleiter nicht für seine Figuren würfelt, sondern die Spieler mit einem Widerstandswurf den Angriffswert des Monsters erreichen müssen, um Schaden zu widerstehen. Dagegen müssen sie auch nur mit ihrem Pool den Verteidigungswert der Kreatur erreichen, um ihnen Schaden zuzufügen. Jedes Monster hat bestimmte Schwächen, die man entsprechend treffen muss, um es vernichten zu können. So sind Vampire beispielsweise überhaupt nicht von gewöhnlichen Waffen zu verletzen, mögen aber Feuer, Weihwasser und Pflöcke überhaupt nicht. Die Waffen, die interessanterweise wie auch der Rest der Ausrüstung mit (sehr vielen!) Abenteuerpunkten erstanden werden und dann immer zur Verfügung stehen, geben dann entsprechende Boni gegen bestimmte Typen. So hat die Pistole mit geweihten Silberpatronen einen Bonus von +2 auf physischen, geweihten und Silberschaden. Gefundene Artefakte haben ebenfalls Kosten in Abenteuerpunkten. Wenn die Ermittler das gute Stück nach dem Abenteuer weiter verwenden wollen, so müssen sie es sich entsprechend „kaufen“, oder es wartet auf sie in der Asservatenkammer von Scotland Yard, bis sie die entsprechenden AP zusammen haben oder es nicht mehr wollen. Eine sehr feine Idee, die von der Spielmechanik wie auch von der Stimmigkeit sehr gut passt.

Eine weitere Besonderheit sind die Sonderaktionen, die während einer Szene zur Verfügung stehen. Der Erzähler legt in bestimmten Szenen Karten mit besonderen Aktionen aus, welche die Spieler aktivieren können. Möchten die Spieler etwa im gefährlichen Nebel, von Geistern umringt die Hilfe des Priesters und seines Weihwassers in Anspruch nehmen, so aktivieren sie die entsprechend ausliegende Karte. Der wirklich feine Punkt dabei ist dann aber, das der Spielleiter damit seine SL-Ressource der Erzähler-Schicksalspunkte erhöht. Mit diesen kann er den Spielern den Tag versauen, indem er ebenfalls ausliegende Spielleiteraktionen für die Szene aktiviert („Als ihr euch gerade umdreht, wanken noch mehr Untote aus dieser Richtung auf euch zu, die ihr vorher nicht gesehen habt!“) oder eine der allgemeinen Aktionen auswählt, etwa das einem Spieler die Munition ausgeht oder das Bossmonster doch noch einen Punkt Ausdauer hat und wieder in das Spiel eingreift. Das gibt ihm die Möglichkeit das Spiel dramatischer und spannender zu machen, ohne die Regeln zu brechen oder nach Belieben die Story nach seinen Gunsten zu drehen. Der große Nachteil dieses Mechanismus ist aber, dass man auf vorgefertigte Abenteuer samt ausdruckbarer Kärtchen angewiesen und sie nur funktionieren, solange die Szenen tatsächlich so stattfindet, wie es sich die Autoren gedacht haben. Allerdings ist das ganze Buch recht geradlinig im Abenteuerverlauf, was für ein Einsteigerprodukt für Kenner der Geschichten erstmal in Ordnung geht. Möglicherweise werden das System und die Abenteuer in den Folgebänden freier und narrativer, sobald die Einsteiger mehr Erfahrung mit dem System gewonnen haben und die Ansprüche steigen können.

Zum Abschluss gibt es dann noch ein paar Kreaturen der Hölle, deren Anordnung aber Rätsel aufgibt. Werwolf, Hexe, Zombie und dann Mumie? Nach welchem System wurden diese Wesen sortiert? In der Folge werden dann dann die wichtigsten Charaktere der Reihe vor,gestellt sowohl Helden wie John Sinclair, Superintendent James Powell und Suko, als auch Schurken wie der Spuk oder der Schwarze Tod. Hinten im Buch ist noch eine kleine Tasche zu finden, in der ein zusammengefaltetes Poster von John Sinclair steckt. Hier hätte ich allerdings lieber Bögen mit den Spielkarten für das Abenteuer gehabt.

Ehrlich gesagt bin ich von dem Buch sehr positiv überrascht worden. Die Mechaniken sind einfach und durchdacht, die Aufmachung sehr gut und die Erklärungen für neue Spielern sind wirklich gut gelungen. Nun bleibt noch zu hoffen, dass die Serie weiter in dieser Qualität ausgebaut wird. Ob das System in seiner jetzigen Form bereits „genug Fleisch auf den Rippen“ hat, um längere Kampagnen zu ermöglichen, sei einmal dahingestellt, aber ein guter Start ist es auf jeden Fall.


Name: John Sinclair Abenteuerspiel 
Verlag: Ulisses {jcomments on}
Sprache: deutsch
Autoren: Christian Günther, David Grashoff, Markus Plötz
Empf. VK.: 29,95 Euro 
Seiten: 268 farbig, Hardcover 
ISBN: 978386889023