Ephorân
„Gerade ein Meister braucht ein gutes Werkzeug!“
vom Backcover von Ephorân
„Ephorân“ ist ein eher seltener Vertreter der Rollenspielzunft. Es ist ein Universalrollenspiel, 2008 erstmals auf dem Markt erschienen und, das ist vielleicht das faszinierendste, eine deutsche Eigenentwicklung. Eigentlich sogar eine recht extreme One-Man-Show, denn der auf dem Umschlag aufgedruckte „Verlag Thot“ ist in erster Linie ein Label, unter dem Herausgeber Ingo Heinscher schreibt, druckt und verlegt. Moderne Drucksysteme sorgen dafür, dass das Buch dabei auf den ersten Blick sogar richtig professionell erscheint, allerdings ein Eindruck, an dem ich gleich noch rütteln werde.
Aufgefallen ist mir das Produkt das erste Mal, als Schöpfer Heinscher im Tanelorn für sein Projekt nach Begeisterten suchte, vor allem aber auf Gegenwind stieß. Nur will ich ein Spiel nicht nach seiner Forenvertretung beurteilen, weshalb ich mir das 176 Seiten dünne, edel weiße Hardcover einmal zur Brust nahm.
Wie schon gesagt, der erste Eindruck ist weitestgehend positiv. Das Cover von Karsten Schreurs ist schön und zeigt, was das Buch neben den eigentlichen Universalregeln auch noch bietet: Drei Settings, Phantastik, SciFi und Horror.
Das Logo des Spiels versaubeutelt das Titelbild dabei aber ziemlich und blockiert nicht nur unschön die Sicht auf einen guten Teil des Covers, sondern ist dazu auch noch nicht schön. Sieht die Vorderseite dabei aber „nur“ unscharf aus, ist das Backcover teils schon regelrecht pixelig, ganz besonders das offenbar viel zu gering aufgelöste Verlagslogo. Das ist ein Eindruck, der sich bei den meisten Illustrationen im Inneren des Buches fortsetzt, wenn es dort auch nicht meine größte Kritik ist.
„Ephorân“ verwendet keine eigenen Illustrationen, sonst greift auf gemeinfreies Material zurück. Das passt mal besser, mal schlechter, ist aber bei einem derartigen Solo-Projekt eigentlich noch zu verzeihen, nicht aber, das keine Quellen genannt werden. Man liest im Impressum „weitere Illustrationen sind gemeinfrei“ und das war es dann. Es wäre alleine schon eine Sache der Höflichkeit gewesen, hier Quellen und sofern bekannt Urheber zu nennen, auch wenn die juristische Pflicht vielleicht nicht bestanden hat.
Allerdings ist die gesamt Innengestaltung des Buches erschreckend hinter der Zeit und erinnert strafend an die Zeit, als Word noch das einzige Heimanwender-Werkzeug zum Erstellen eines Layouts war. Durchgängiger, zweispaltiger Satz, großteilig phantasielos eingebettete Bilder, zweckmäßige Tabellen und vor allem sehr, sehr viele Seiten, die irgendwo mittig enden und demnach zur Hälfte weiß erstrahlen. Alles in allem hat das Buch den Charme eines Readers in der Uni, ist fernab von dem, was eigentlich so ziemlich jeder Konkurrent, den ich in den letzten Jahren gesehen habe, aufbietet.
Der On-Demand-Anbieter Schaltungsdienst Lange hat sich dagegen nicht lumpen lassen und liefert mit dem vorliegenden Buch ein sehr sauber produziertes, stabiles und mit Lesebändchen veredeltes Buch ab. Die wissen offenbar, was sie tun.
Aber nun gut, wenn es schon keine Schönheit ist, so ist es ja vielleicht zumindest gut spielbar...
Schon ein Blick auf den Bogen zeigt, dass das Spiel zumindest ... anders ist. Anstelle der gewohnten Attribute gibt es fünf Eigenschaften (Grundschaden, Stabilität, Ausdauer, Traglast und Resistenz) sowie vor allem vier Bewegungsarten (Laufen, Schwimmen, Springen und Klettern). Darunter folgen dann zehn Fertigkeiten (Bewegen, Fernkampf, Fingerfertigkeit, Handwerk, Lenken, Nahkampf, Sozialfertigkeit, Technik, Wahrnehmung und Wissen). Hmm. Komisch, erstmal.
Die Nicht-Attribute werden dann auch zügig erklärt. Grundschaden ist, was der Name vermuten lässt, Stabilität nicht. Gemeint ist hier, was andere Konstitution nennen, als das Maß dessen, was der Charakter aushalten kann. Dem gegenüber geben dann Ausdauer noch seine Kondition und Resistenz seine Widerstandskraft gegen Krankheiten, Gifte und andere indirekte Einflüsse wieder.
Gewürfelt wird aber ohnehin nicht auf diese Werte, sondern auf die Fertigkeiten. Dazu werden 3W6 geworfen und addiert, mit eventuellen Modifikatoren verrechnet und dann mit der Zielzahl vergleichen, die je nach Schwierigkeit zwischen 20 (einfach) und 34+ (für Genies) liegt. Zeigen alle drei Würfel eine sechs, dürfen sie alle noch mal gewürfelt werden. Zeigen sie dann wieder drei Sechsen, auch noch ein drittes Mal usw.
Ein Durchschnittsmensch hat einen Wert von 10 in seinen Fertigkeiten, was schon ganz interessante Dimensionen eröffnet. Gemäß der in dem Buch gegebenen Tabelle liegen für den Durchschnittsmenschen die Chancen bei einer einfachen Probe bei 63%, bei einer mit Schwierigkeit 34 schon unterhalb von 0,5%.
Verfeinert (und komplex) wird das System durch so genannte „Spezialkenntnisse“, also enger gefasste Unterbereiche der selben Fertigkeit. Auch wenn das System im Vorfeld sehr gehyped wurde hat man es hier vor allem mit einer Variante der üblichen Spezialisierungssysteme anderer Spiele zu tun, insbesondere etwa so, wie es im Cortex System („Serenity RPG“, „Battlestar Galactica RPG“ etc.) vorgemacht wird. Das alleine ist aber sicher kein Nachteil.
Für jede passende Spezialisierung erhält man einen kumulativen Bonus von +1; wer also clever baut, kann sich viel herausholen.
Das System wirkt in seiner Form allerdings nicht wirklich ausgereift, immer wieder bleiben Bereiche unklar. Ganz offensichtlicher Fall: Medizin. Biologie und vermutlich auch Anatomie regelt man über „Wissen“, die Diagnose von Krankheiten über „Wahrnehmung“ und das Stoppen einer Blutung ist ein Beispiel unter „Handwerk“. Wer jetzt gerne einen Arzt generieren will, am Besten noch mit vielen Spezialisierungen, der hängt bald in einem ziemlich Wust von Fertigkeitsgruppen fest. Ebenso wurde in diversen Foren in meinen Augen durchaus schon sehr schlüssig argumentiert, dass man bei so einem System immer Missbrauch treiben kann durch „Mikro-Spezialisierungen“.
Doch meine größere Kritik an dem System in seiner Gesamtheit spielt sich gar nicht so sehr innerhalb der Charakterwerte ab, sondern wenn man darüber hinausgeht. Denn als Universalsystem müht sich „Ephorân“, sehr flächendeckend und für alle Fälle gerüstet zu sein, schlägt dabei aber – zuweilen unter Zuhilfenahme der Physik – auch kräftig über die Stränge.
So liest man beispielsweise in dem Buch, dass 1 Kilogramm TNT einen Explosionsschaden von 42.000 Punkten verursachen würde. Ein Mensch hat ganz generell 100 Punkte. Nun hat man sich durchaus was dabei überlegt und eine regelrechte Formel zum Berechnen von Explosionsschaden aufgestellt: Je 500.000 Joules Energie der Explosion wird ein Punkt Schaden berechnet. Das ist schön und gut, nur derart verkopft konstruiert, dass es jedweden Nutzen verliert – ganz gleich wie korrekt die Formel ist, bei einer derartigen Diskrepanz ist es egal.
Aber es gibt ja sogar noch Dinge, die mehr Schaden machen. So schreibt das Buch dann auch beim Raumschniffkampf: „Wichtig ist, im Raumschiffkampf die Schadenswerte zu runden. Normalerweise interessieren nur die ersten drei Ziffern eines Schadenswertes – wer 12,5 Millionen Punkte Schaden nimmt, dem ist es egal, ob noch einmal 47.863 Punkte [...] abgezogen werden müssen.“ (S. 145)
Es ist natürlich Geschmackssache und prinzipiell funktioniert das System durchaus – aber wenn die Zahlen irgendwann achtstellig sind, dann sollte man sich doch mal langsam fragen, ob Skalen nicht auch anderweitig aufgezogen werden können.
Aber es ist offenkundig, „Ephorân“ liebt seine Zahlen und seine Rechnungen. Auf der Seite 144 wird der Start von Raumschiffen von Planetenoberflächen in einen sprungtauglichen Orbit behandelt. Man rechnet dazu die Maximalbeschleunigung minus der Schwerkraft in m/s? und liest dann in einer Tabelle nach. Dort findet man dann die Angabe „Kosten in Sekunden Vollschub“, die mit der Maximalbeschleunigung des Schiffes in m/s? multipliziert werden muss, um die Kosten zu erhalten, die dieser Start erzeugt.
Yikes!
Wer echt mal verflucht stark auf sonstige Details steht, der wird hier glücklich werden, alle anderen werden vermutlich unter dem Gewicht der Simulation ächzen und brechen.
Aber nun gut, die Regeln sind nur ein Aspekt am Buch; aber S. 108 werden zudem drei Settings vorgestellt. „Theoyxora“ (Altgriechisch für Götterland) ist ein Fantasysetting, das auf griechischer Mythologie aufbauend ein phantastisches Europa konstruiert und dabei durchaus einer spaßigen Prämisse folgt: Die Götter haben die Menschen ihrer jeweiligen Kulturen genommen, in ihr „Götterland“ gesteckt und mit Magie ausgerüstet. Vielleicht um zu schauen, was passiert. Das Setting selbst ist okay und von denen dreien in dem Buch sicherlich noch die kreativste Perspektive. Knapp über 20 Seiten füllt das Setting.
„Galactis“ ist dagegen ein SciFi-Setting nach Schema F in sehr, sehr klarer Erbfolge von Star Wars, Star Trek und Perry Rhodan. Man hat ein riesiges, galaktisches Imperium (die „Galactis-Allianz“), das von mysteriösen Wesen bewohnte „Aphanis-Reich“ und das kriegerische und grausame „Imperium von Ponria“, dazwischen Sterne, Leere und viele, gewaltige Raumschiffe. 30 Seiten sind für die Weltraum-Oper gedacht und prinzipiell geht das in Ordnung, allerdings bleibt das Setting aufgrund seiner Größe auch bei dem Umfang blass.
Blasser aber kommt „Katoptron“ daher. Ganze sechs Seiten ist das Gegenwartssetting, das übersetzt „Spiegel“ heißt und sich nicht zwischen Superhelden und Horror entscheiden will, letztlich lang geworden, was einfach viel zu wenig ist. Man kriegt Startschablonen für alles vom Werwolf bis zum irren Wissenschaftler ... und da war es dann.
Es folgen dann noch recht manierliche SL-Tipps, ein passabler Index (zwei Seiten und ein paar Zeilen lang), der echt unspektakuläre Charakterbogen, eine Tabelle mit „zusätzlichen Angriffseffekten“ und acht (!) leere Seiten.
Was macht man nun mit einem Spiel wie „Ephorân“? Es „erleben“ war jedenfalls die Intention des Machers, denn genau das bedeutet der Titel. Aber was genau erlebt man nun dort?
Das Spiel hat ein prinzipiell funktionierendes Regelsystem. Das ist aber keine Auszeichnung, davon gibt es mittlerweile viele. Das Spiel explodiert von den Zahlwerten her in einigen Regelbereichen ziemlich und ist insgesamt etwas zu sehr vom Physikerstandpunkt her konzipiert, lässt damit die gute Grundregel außer acht, dass etwas nicht realistisch sein muss, um realistisch zu erscheinen. Zumal es dann auch nicht immer alles bis zum Ende durchdacht präsentiert – die Tabelle für Fallschaden bedenkt etwa nicht, dass es eine maximale Fallgeschwindigkeit gibt. Das ist eigentlich mal richtig egal – aber nicht bei einem Spiel, das andernorts Explosionsschaden aus Joules errechnet, ist es das nicht.
Man hätte sicherlich noch viel mehr zu den Regeln schreiben können, aber im Endeffekt bleibt die Summe bei „Ist prinzipiell robust, aber kann nichts, was nicht auch andere können“ stehen.
Die Settings sind okay, brauchbar und dahin geschludert, in dieser Reihenfolge, das Layout ein Verbrechen und die Illustrationen großteilig pixelig.
„Ephorân“ kriegt einen Sonderpreis dafür, in deutscher Sprache vorzuliegen. Das können viele der modernen Universalsysteme nicht von sich behaupten, wenn das Spiel auch sicher nicht so ein Unikum ist, wie man es teilweise präsentiert bekam und bekommt.
Wer jetzt irgendein Rollenspiel sucht, der könnte schlechtere kaufen als „Ephorân“. Das Problem des Spiels aber ist, dass es auch einfach viele, viele bessere Systeme gibt. Insofern scheitert das Produkt für mich am fehlenden Markt, an der fehlenden Notwendigkeit und sekundär zudem an den eigenen Ansprüchen.
Name: Ephorân
Verlag: Verlag Thot {jcomments on}
Sprache: Deutsch
Autoren: Ingo Heinscher
Empf. VK.: 30 Euro
Seiten: 176