Der letzte Exodus
Der Dritte und Letzte Tanz,
die entscheidende Schlacht um
Himmel und Erde hat begonnen
Die Zeit des Letzten Exodus ist gekommen.
Wen wirst du retten?
vom Backcover von Der letzte Exodus
Ich gestehe. Ich bin leicht zu fangen und leicht zu manipulieren. Ich bin Wachs in den Händen eines geschickten Händlers und so hatte auch der Bursche von Disaster Machine Productions auf der SPIEL 2002 mit mir leichtes Spiel: Ein paar Gratis-Plätzchen, ein paar nette Worte und schon hatte er mich am Wickel. Wenige Minute später war ich um ein paar Euro ärmer und um ein Rollenspiel "reicher". Bereits nach dem ersten flüchtigen durchblättern war mir klar: Hier ist sie. Die Strafe für meinen schwachen Geist, die längst überflüssige Lehre. Einfach schrecklich. Doch will ich den geneigten Leser dieser Rezension nicht schonen und mein Leid mit ihm teilen, gehen wir also ins Detail.
Fangen wir, wie gewohnt, mit dem offensichtlichsten an, dem Layout, dem Cover. Zu sehen sind dort vor einem an Windows erinnernden blauweißen Hintergrund im Wolkenmuster ein paar Krude Symbole, die sich im Laufe der Lektüre aber noch klären, sowie eine halbnackte Frau mit einer Spielzeugpistole. Selbige befindet sich auch auf dem Backcover. Und auf der ersten Seite. Sie schaut auf allen Photos sehr überzeugend drein, so als stünde neben dem Photograph jemand mit einer echten Pistole der sie zu den Photos "überredet" hat. Dennoch denke ich, dass sie ihrer Funktion als "Eyecatcher" gerecht wird auch, wenn mich das Gesamtarrangement eher an VOX B-Movies erinnert…
Das Innenlayout ist gar nicht mal schlecht und eigentlich das Beste am ganzen Spiel, wobei ich hier wohlgemerkt das Layout meine und nicht die Zeichnungen. Ein paar Bonuspunkte bekommt man für die nette Idee mit den "Intime-Chats" einiger Charaktere, zwar nicht wirklich neu - Stichwort: Shadowtalk - liest sich aber nett.
Die Zeichnungen verdienen mehr denn je einer Sondererwähnung, nicht etwa weil sie besonders gut oder besonders schlecht wären, sondern weil sie so… unterschiedlich sind. Das Spiel besitzt keinen durchgängigen Zeichenstil, in keinem Spiel das ich kenne ist dies derart auffällig. Irgendeinen besonderen Wunsch? Garantiert enthalten von übertriebenem Manga-Stil über scheußliche Rendereien bis hin sehr schicken Zeichnungen ist alles dabei. Es wirkt wie der Versuch es jedem recht zu machen, letzten Endes wird aber niemand zufrieden gestellt. Die wild durcheinandergemischten Stile erweisen sich als recht atmosphärestörend, insbesondere zeigt sich dies auf den Seiten 166ff. wo der Stil mit jeder Seite wechselt.
Was ich allerdings sehr bemerkenswert finde ist, dass die meisten Zeichnungen von demselben Mann stammen, Frank B. Fallon, er scheint ein wahres Multitalent zu sein.
Doch steht und fällt ein Rollenspiel ja nicht mit seinem Layout oder seinem Cover, sonder muss durch seinen Inhalt überzeugen zu wissen und hier gerät "der Letzte Exodus" ganz arg ins schleudern.
Angefangen bei der wirren Hintergrundgeschichte die buchstäblich bei Adam und Eva anfängt, nein eigentlich noch viel früher als alle Seelen in ihrer ursprünglichsten Erscheinung an einem Ort namens Eden lebten. Neue Seelen wurden durch "Ahura Mahzda" erschaffen, den wir kurz Gott nennen wollen. Einige Seelen, namentlich Luzifer und Mephistoteles war ein Gott aber nicht genug und so sammelten sie 666 Wissenschaftler und schufen eine weitere GOTTHEIT (nein, meine Shifttaste klemmt nicht, das Wesen heißt wirklich so).
Da infolgedesssen ganz fürchterliche Unruhen entstanden und ganz, ganz viele Seelen starben bequemte sich Gott doch mal einzuschreiten und verbannte die GOTTHEIT und alle die ihr folgten auf die Erde. Da reine Seelen auf der Erde nicht überleben konnten formte die GOTTHEIT ihnen Körper aus Erde und Lehm, uns Menschen.
Die GOTTHEIT indessen fiel nach getaner Arbeit in Wut darüber, dass sie an diesem Ort keine neuen Seelen schaffen konnte in eine Art Dämmerzustand.
An dieser Stelle mache ich einen kleinen Zeitsprung und komme direkt zu Jesus Christus, der Zugleich Gottessohn und Menschensohn war, was bedeutet, dass sowohl Gott als auch die GOTTHEIT an seiner Zeugung beteiligt waren, doch was damals genau geschah bleibt ein Mysterium.
Das wirklich interessante geschah aber erst bei Jesus Tod, denn zu diesem Zeitpunkt spaltete er sich in zwei Wesen auf: Den Gottessohn, der nach Eden zurückkehrte und dort nun den himmlischen Heerscharen vorstand und den Menschensohn der auf der Erde blieb und überall wo er auftauchte Tod und Verderben brachte.
Heute, 2000 Jahren später, findet das nächste große Ereignis statt: Es werden Messiasse geboren, doch hat sich mittlerweile die Welt in zwei Fronten gespalten und so gehören die Wiedergeborene entweder zu den Christen oder Antichristen, stehen also entweder in der Tradition des Gottes- oder des Menschensohnes. Diese Messiasse verfügen über einige und können zwischen Eden und der Erde hin und herreisen, wobei sie in Eden ihre Seelenform annehmen.
Natürlich haben sich sowohl die Christen als auch die Antichristen in Verbünden zusammengeschlossen, namentlich das Apostat und die Sanhedrin, in wobei sich auch innerhalb dieser Gruppierungen wieder Untergruppen mit unterschiedlichen Weltanschauungen gebildet haben. Ähnlichkeiten mit Camarilla, Sabbat sowie den einzelnen Clans sind rein zufällig und von den Autoren sicherlich nicht beabsichtigt.
Während das Apostat nun versucht so viele Seelen wie möglich zurück nach Eden zu führen tun die Sanhedrin das was Bösewichte nun einmal so tun, plündern, morden, brandschatzen und benehmen sich auch sonst ganz derbe daneben, Welteroberungs- und -zerstörungspläne inklusive.
Soweit also zur Hintergrundgeschichte, was sich in dieser Zusammenfassung schon nicht besonders gut konzeptioniert wirkt liest sich im Buch noch wesentlich wirrer und ist von noch wesentlich mehr schlechtem Pathos versehen als "Luzifer, Mephistoteles und 666 Wissenschaftler".
Die Hintergrund von "der letzte Exodus" wirkt auf mich nicht vollkommen durchdacht, man hat vieles von vielen Religionen entwendet und zusätzlich noch viele eigene Ideen eingearbeitet, da das Ganze vielleicht mehr, aber auf gar keinen Fall weniger als die Summe seiner Teile sein kann wirkt das Endergebnis entsprechend überladen, hier wäre weniger deutlich mehr gewesen. Ich finde sehr schade, dass hier soviel Potential verschwendet wird, denn einige der Ideen, wie zum Beispiel die Geschichte um Jesus Christus, fand ich durchaus recht interessant, in der aktuellen Zusammenstellung ist das Hintergrundkonzept aber einfach nur schlecht und hätte noch einmal einer deutliche Überarbeitung bedurft. Potential war dar, doch es wurde leider nicht genutzt.
Kommen wir zu einem weiteren Punkt an dem "der Letzte Exodus" für mich krankt: die Spielercharaktere. Beim lesen sprach mich keine der Charakterklassen an, ich hatte bei keiner das Gefühl, dies spielen zu wollen, da waren keine Innovationen dabei und - vor allem - keine Sympathieträger, keine die ich mochte.
Hinzu kommt, dass manche der magischen Fähigkeiten der Spielercharaktere nur als lächerlich zu bezeichnen sind, dem Fass den Boden aus schlägt die Fähigkeit "Stigmata", mit der man so tolle Sachen wie Puppen oder Behausungen aus Blut fertigen kann, diverse andere Beispiele wussten auch kaum zu überzeugen.
Schließlich bleibt noch ein weiterer wichtiger Punkt bei einem Rollenspiel übrig: Das Regelsystem. Als kleine Besonderheit verwendet "der letzte Exodus" nicht die gewohnten und liebgewonnen Würfel, sondern ein Pokerkartenspiel für die Entscheidungsfindung, das grundsätzliche System sieht dabei wie folgt aus:
Die Attribute der Charaktere sind in vier Gruppierungen eingeteilt, in "Seele", "Geist", "Körper" und "Kultur", jedem dieser Attribute entspricht eine Kartenfarbe. Die Fertigkeiten eines Charakters werden, ähnlich wie bei Trinity, den einzelnen Attributen zugeordnet, wobei sie hier allerdings nicht vorgeschrieben sind, sondern der Spieler sich seinen Fertigkeitssatz selber zusammenstellen kann, was ich persönlich sehr löblich finde und als den besten Aspekt am ganzen Spiel betrachten… es spricht jedoch auch wieder für sich, wenn das Beste am Spiel die Wahl der Fertigkeiten ist.
Eine Probe erfolgt nun nach folgendem Schema: Der Spielleiter setzt für das Vorhaben des Spielers eine Schwierigkeit an, die es zu übertreffen gilt, der Spieler addiert nun den Wert seines Attributes und (sofern vorhanden) seiner Fertigkeit, die er bei seinem Vorhaben anzuwenden gedenkt, dies ist sein Basiswert. Nun zieht er eine Karte und addiert deren Kartenwert noch zu seinem Basiswert hinzu, wenn er Glück hat zieht er sogar eine Kartenfarbe, die der seines Attributes entspricht und darf sich einen weiteren Punkt hinzuaddieren, liegt das Gesamtergebnis über der angesagt Schwierigkeit oder entspricht dieser war der Spieler erfolgreich, ansonsten leider nicht. König und Joker haben gegenüber den übrigen Karten einen Sonderstatus: Der König repräsentiert einen besonders guten Erfolg, während der Joker einen Patzer bedeutet. Da sich Regeln am besten über Beispiele transportieren lassen hier ein ebensolches:
Klaus möchte, dass sein Charakter eine Mauer erklimmt, der Spielleiter setzt eine Schwierigkeit von 14 an. Klaus addiert seinen Wert in Körper (4) und in der Fertigkeit Klettern (2) und erhält somit einen Basiswert von 6. Klaus zieht eine Pik 7. Er addiert die 7 zu seiner 6 und kommt so auf einen Gesamtwert von 13, womit er die Probe eigentlich nicht geschafft hätte, da Pik aber die zu "Körper" gehörige Kartenfarbe ist, darf er einen weiteren Punkt hinzuaddieren und hat so die Probe letzten Endes doch noch geschafft.
Das Spielsystem weist eigentlich keine eklatanten Fehler auf und lässt sich auch gut umsetzen, es glänzt, mal abgesehen von dem Einsatz von Karten, aber auch nicht dadurch irgendwelche neuen Impulse zu setzen. Warum man sich im übrigen für Karten entschieden hat ist mir ein kleines Rätsel, denn anders wie bei "Deadlands" hat dies keine spielweltliche Begründung und verkommt so zu einer Pseudoinnovation, der Marke "Hauptsache ich bin anders", schon alleine weil die Regelung von Proben wieder sehr bekannt vorkommt, doch statt einem Würfel benutze ich Karten ohne dass ich wirklich etwas anderes mache als ich es gewohnt bin.
Damit wären wir eigentlich am Ende dieser Rezension angelangt, doch bevor ich das Fazit ziehe möchte ich noch auf etwas hinweisen, was mich an "der letzte Exodus" wirklich richtig gestört hat: Die Effekthascherei. Da wird in einem Kasten noch darauf hingewiesen, dass die Sanhedrin nicht als Spielercharaktere gedacht sind, da sie abgrundtief böse sind und somit abgrundtief bös Dinge tun, doch dann werden sie in der gleichen Weise beschreiben wie das Apostat, also durchaus als Spielercharaktere, was ich als ein sehr doppelzüngiges Verhalten empfinde. Ferner wird an manchen Stellen durch die sinnlose Darstellung extremer Gewalt versucht den Leser zu fesseln. Es wird also auf der einen Seite gesagt, man solle die Sanhedrin nicht spielen auf der anderen Seite werden diese aber immer wieder von den Autoren verwendet um sich selber in blutigen Szenen zu ergehen, was ich erstens inkonsequent finde und zweitens ohnehin nicht gut leiden kann, durch übertriebene Splattereffekte gelingt es sicher nicht die Schwächen des Spieles zu überdecken.
Ziehen wir also letzten Endes das Fazit:
Das Spiel ist schlecht. Es hat einige nette Ideen, die aber im Sumpfe des restlichen Unsinns untergehen, es setzt teilweise auf sinnlose Blutorgien, um den Leser in seinen Bann zu ziehen, was aber zum Scheitern verurteilt ist. Das Regelsystem wirkt auf den ersten Blick originell, bei genauerer Betrachtung ist es jedoch Standard. Das Spiel hat schlicht nichts, was mich irgendwie faszinieren könnte.
Doch ein gutes hat die Sache: Ich werde Verkäufern gegenüber in Zukunft weit skeptischer sein.
Name: Der letzte Exodus {jcomments on}
OT: The Last Exodus
Verlag: Disaster Machine Productiones (D)
Sprache: deutsch
Autoren: Sean Jaffe, Joshua Jaffe
Empf. VK.: 34,95 Euro
Seiten: 255 Seiten