Degenesis - Kultbuch Spitaler

Einen großen Ausstoß an Büchern kann man Degenesis nun wahrlich nicht nachsagen. Um so erfreulicher ist da die Veröffentlichung des Kultbuches Spitaler, welches sich den neoprentragenden und selbsternannten Rettern der Menschheit widmet. Vorweg lässt sich schon einmal sagen, dass das Buch einen ganz anderen Weg geht, als der Feldbericht Psychonauten. Fanden sich in dem Buch quasi nur vage und verwirrende Geschichten, so platzt das Kultbuch der Spitaler fast vor brauchbarer Information. Das Werk ist demnach viel eher fürs Spiel geeignet, als das eher „künstlerisch“ veranlagte Psychonauten-Buch.

Fangen wir einmal bei dem Punkt an, der bei Degenesis immer als erstes ins Auge springt: Artwork und Layout. Schön ist es wieder geworden, mit vielen Illus, die Spitaler im Kampf gegen Wesen des Primers, im Alltag, bei der Behandlung oder schlicht in ihrer Arbeitskluft zeigen. Dabei gilt es vielleicht zu bemängeln, dass sich viele der Charakter ähnlich sehen, aber hey... es geht um Spitaler und die laufen alle im Neoprenanzug herum und rasieren sich den Kopf... Weniger überzeugend ist hingegen das Layout. Auch das ist schön anzuschauen, doch leider erfüllt es den eigentlichen Zweck von Layout, die Inhalte besser lesbar und übersichtlicher zu gestalten, überhaupt nicht. Praktisch jede Seite sieht anders aus, so dass man nicht mit einem Blick sehen kann, wo man sich gerade im Buch befindet. Es gibt keinen Rand, oder auch nur eine Fuß- oder Kopfzeile, welche über das aktuelle Kapitel informieren würde. Zudem sorgt das Layout dafür, dass einige der Seitenzahlen hinter schwarzen Zierstrichen verschwinden. Etwas weniger künstlerische Betätigung beim Layout zugunsten der Übersichtlichkeit und Navigation hätten dem Buch sicherlich gut getan.

Eingeteilt ist das Buch, wie bei Degenesis üblich, in vier Kapitel von sehr unterschiedlicher Länge. So nimmt das erste Kapitel „Ein Spital, eine Welt“ mit satten 160 Seiten mehr als die Hälfte des Buches ein. Hier wird das Leben der einzelnen Fachbereiche des Spitals, das Spital selber und die Aktivitäten der Spitaler in den bekannten Teilen der Welt vorgestellt. Die unterschiedlichen Fraktionen, bzw. Karrierewege, die man im Spital einschlagen kann, werden am meisten Seiten gewidmet. Es gibt nicht mehr die einfachen Spitaler sondern Rekruten, Famulanten, (Feld-)Ärzte, Chirurgen, Epigenetiker, Pharmazeutiker, Hygieniker, Anästhesisten und Hippokraten. Während Rekruten nur Kinder und Teenager darstellen, denen eine Zukunft im Spital bescheinigt wird, haben die Famulanten bereits den nächsten Schritt getan und stellen junge, aufstrebende und vor allem sehr zahlreiche Hilfsärzte für alle möglichen Bereiche. Ihre Aufgaben reichen von der Essensausgabe an Kranke, über das Einschleimen bei Fachärzten, bis hin zu den Kampfhundertschaften im Krieg gegen den Primer. Lebt der Famulant lange genug und erweist sich bei einer der Fachrichtungen als würdig, so kann er eine Prüfung für das Spezialgebiet ablegen und ist dann von den niederen Arbeiten eines Famulanten weitestgehend befreit. Feldärzte stehen an der Front und flicken Verbündete zusammen, oder eröffnen irgendwo in einer Stadt ein kleines Krankenhaus. Chirurgen führen Eingriffe durch, Epigenetiker erforschen den Primer, Pharmazeutiker mixen Medikamente und Kampfstoffe und Hygieniker sichern die Reinheit der Arbeitsgeräte, Ärzteschaft und der Anlagen gegen Schmutz, Infektion und Fäulnis. Die Anästhesisten betäuben den Patienten und stehen im Extremfall als Notarzt bereit, die Hippokraten kontrollieren die Ärzte auf Ethik sowie die Einhaltung der Arbeitsvorschriften und produzieren nebenbei eine riesige Bürokratie. Es gibt eine weitere Berufsgruppe innerhalb der Spitaler, doch diese wird erst im letzten Kapitel erwähnt. Wer das ist und wieso die nicht hier stehen, dazu werde ich beim gegebenen Kapitel etwas schreiben. Jede der Berufsgruppen wird sehr detailliert beschrieben, mitsamt der einzigartigen Aufnahmerituale, Arbeitsweisen, Aufgaben und Ausrüstungsgegenständen. Abgeschlossen wird jede Fachrichtung von den stereotypen Ansichten der Fachrichtung gegenüber anderen, sowie einem beispielhaften NSC. Das liest sich alles gut, keine Frage, doch fragte ich mich nach den Fachbereichen bereits, wieso so viel Raum für sie verwendet wurde. Eine genauere Unterteilung macht zwar Sinn, doch unterscheiden sich die Werdegänge der einzelnen Fachbereiche eher nur in Detailfragen. Außerdem werden die Informationen nur dann wirklich relevant, wenn man eine Kampagne spielt, bei der eine Gruppe von Rekruten nach und nach durch die Ränge des Spitals aufsteigt und die Spielercharaktere jeweils unterschiedliche Fachrichtungen wählen.

Das zweite Kapitel namens „Eingliedern“ gibt Hinweise für die Erstellung eines Charakters, sowohl im Regelsystem, wie auch von der Motivation und dem Hintergrund. Kapitel drei trägt den fast schon selbsterklärenden Titel „Arsenal“. Dort werden einige Sonderregeln für die Fachbereiche sowie die neue Ausrüstung vorgestellt. Ferner finden sich hier einige Krankheiten, viele Medikamente und zu allem direkt eine passende Erklärung samt Regeln. Bei den Erklärungen wurde darauf geachtet, dass auch Laien etwas mit den medizinischen Bezeichnungen anfangen können, was bis auf ein paar Ausnahmen auch gelungen ist.

Das letzte Kapitel namens „Sperrzone“ ist für die Augen des Spielleiters bestimmt. Hier findet sich ein Novum für Degenesis, denn hier werden viele Punkte des Metaplots nicht nur zusammengefasst, sondern auch erklärt und mit Tipps versehen, wie man diesen Elemente in sein Spiel einbauen kann. Der Leser kann erfahren, was hinter der VITAS-Epidemie steckt, welche einen großen Teil der Menschheit auslöschte, was die Preservisten in Arnsberg treiben, was die Forschungsgruppe HIVE anstellt und was es mit den Echein-Spinnen auf sich hat. Das Ganze war längst überfällig! Die Preservisten sind im Übrigen der sehr militante Teil des Spitals, der allerdings nicht wirklich den Ethik-Richtlinien der Hippokraten folgt und der sich weitestgehend aus gebrochenen Gestalten zusammensetzt. Das erklärt auch, wieso diese „Fachrichtung“ nicht bei den anderen im ersten Kapitel zu finden ist. Die Preservisten eignen sich nur bedingt als Spielercharaktere, da es sich um soziopathische Einzelgänger mit dem ein oder anderen Knick in der Persönlichkeit handelt. Wieso das ziemlich harmlose Echein-Projekt jedoch in der Sperrzone gelandet ist, verschließt sich mir. Jedenfalls steckt in dem Kapitel eine Menge Material für Abenteuer und gute Geschichten.
Die Abenteueransätze sind ein Punkt, bei dem ich in dem Buch eher zwiegespalten bin. Die Fachrichtungen unter- und gegeneinander, das Spital gegen andere Menschen und vor allem den Primer... Konflikte für interessante Geschichten liefert das Buch viele. Mein Problem ist nur, dass diese Ansätze eben meist nur interessante Geschichten liefern, aber keine interessanten Abenteuer, die ganz anderes aufgebaut sein müssten, damit die Spieler nicht nur den Konflikt und das Drama um sie herum wie Statisten erleben, sondern die Akteure in der Geschichte sind. Hier hätte ich mir mehr direkte Tipps und Hinweise für Abenteuerhandlungen gewünscht.

Sehr angenehm ist mir der ausführliche Index am Ende, sowie die Auflistung der NSCs, samt knapper Beschreibung aufgefallen. Und ich erinnere hier gerne noch einmal daran, dass ein Index eigentlich ein MUSS ist und nicht die löbliche Ausnahme bilden sollte.

Tja, was ist nun mein Fazit zu diesem Buch? Einerseits ist es meiner Meinung nach das beste Degenesis-Produkt seit Justitian. Nur hätte man das Buch auch mit etwas mehr als der Hälfte der verwendeten Seiten produzieren können, ohne all zu viele Informationen einbüßen zu müssen. Dabei sind die Texte nicht schlecht, nur öfter redundant oder zu ausführlich. Allerdings stellt das Buch im Vergleich zu den teils ewig langen, verwirrenden und uninformativen Texten der bisherigen Bücher einen enormen Sprung in die meiner Meinung nach richtige Richtung dar. Das Buch richtet sich vor allem an diejenigen, welche eine Kampagne nur mit Spitalern spielen wollen (Überraschend, oder?). Wer den Kult nur am Rande vorkommen lässt, oder wer als Spieler nur einen wandernden Spitaler weitab des Spitals verkörpert, für den ist das Buch zwar hilfreich, aber keinesfalls notwendig. Dass so viele wichtige Elemente des Metaplots in einem so speziellen Buch geklärt werden, mag etwas ärgerlich sein, doch sind die Spitaler womöglich der wichtigste und einflussreichste Kult der Degenesis-Welt. Und da sie die Welt formen, entfällt auch ein guter Brocken des Metaplots auf sie.
Ich zumindest freue mich über die Entwicklung, die Degenesis mit diesem Buch gemacht hat und harre erwartungsvoll der kommenden Produkte.


Name: Kultbuch Spitaler {jcomments on}
Verlag: Sighpress
Autoren: Christian Günther, Alexander Malik, Valentin Maier und Michal Szopa 
Sprache: deutsch
Empf. VK.: 34,95 Euro 
Seiten: 268 s/W, Hardcover 
ISBN: 9783939688013