Midgard - Myrkgard

Ein Valianisches Imperium in voller Blüte und magischer Verderbtheit, Breitseiten aus den Mündungen der Kanonen des Zweikronenreichs, tollkühne aranische Himmelskrieger auf ihren fliegenden Teppichen und intelligente Zombies aus Minangpahit in einem immerwährenden Kampf gegen die Sritras – ja, das ist Myrkgard!
vom Backcover von Myrkgard

Es ist unglaublich. Es ist Mitte April, viele Monate nach der Spielemesse in Essen, und noch immer haben wir nicht alle der zahlreichen Neuheiten von Pegasus Press aus dem vergangenen Oktober rezensiert.
Vor uns liegt ein weiteres Buch aus dem Produktereigen des letzten Herbstes. Ein mächtiges Hardcover ist es geworden, 200 Seiten dickes Papier und daher eindrucksvoll hoch. Und schon auf den ersten Blick wird einem klar, dass dies hier ein besonderes Produkt ist.

Nicht der gewohnte Felsrand umrahmt das Cover, sondern eine violette Fläche – und anstelle des Midgard-Logos prangt an oberhalb allem das Logo der Welt "Myrkgard". Das sieht etwas komisch aus, mit schlangenartigen Geschöpfen mit lustigen Zähnen und trübem Blick, ebenso wie das vorherrschende Violett nicht gerade mein Fall ist. Ein Ziel wird aber erfüllt, es wird klar, dass dies ein Band außerhalb der gewohnten Reihe ist.
Das Cover ist ... nichtssagend. Man sieht drei Gestalten mit bemüht finsterer Miene in teils mehr, teils minder farbenfrohen Gewändern an einem Kartentisch. Das sagt nun wirklich nichts aus. Schade, ist es doch sogar recht gut – wenn auch nicht überragend – gezeichnet.

Innerhalb des Bandes ist die Optik dann schon schöner. Werner Öckl hat eine hübsche Zierleiste gezeichnet, es gibt gut aussehende Karten und – nach dem "Heißen Land Buluga" zum zweiten Mal – Innenillustrationen von Thorsten Kettermann. Den schätze ich allgemein sehr, sein comichafter Stil ist eine angenehme Abwechslung zur typischen Standard-Illustration und, ganz wichtig, passend. Allerdings leidet das Buch diesbezüglich an etwas, wofür der Illustrator selbst gar nichts kann: es gibt zu wenig Bilder.
Ich habe 32 Bilder gezählt, und bei 208 Seiten macht das eine Illustration auf je sechs bis sieben Seiten. Wenn man dann bedenkt, dass hier ja auch noch Länderein vorgestellt werden so fragt man sich doch, warum da nicht mehr illustriert wurde.

Aber nun gut, kommenden wir zum Inhalt. Das Vorwort verrät zunächst einmal, worum es hier geht. "Myrkgard" ist, wie man wissen kann, die dunkle Schwesterwelt zur normalen Welt Midgard, oder – wie sie der Differenzierung halber genannt wird: Ljosgard.
Die ganze Idee zu der Parallelwelt stammt ursprünglich aus dem "Zyklus der zwei Welten", einer großen Kampagne, deren letzter Band "Die schwarze Sphäre" (Teil 4 nach "Hauch der Heiligkeit", "Legion der Verdammten" und "Das graue Konzil") hier bereits rezensiert wurde.
Man habe seinerzeit überlegt, was man nun mit Myrkgard anfangen solle und entschied sich letztlich dazu, es in die Hände der Fans zu geben.
Diese Hände wiederum erschufen das vorliegende Werk, welches eben diese Welt als festen Kampagnenhintergrund, ganz losgelöst vom besagten Zyklus, beschreibt.

Es gliedert sich in zwei größere Kapitel, die sich aus dem Inhalt ergeben. Ihnen voraus gehen noch einige allgemeine Einleitungen, die eben die Eigenheiten der Schwesterwelt beleuchten, bevor der erste große Abschnitt beginnt: "Das dunkle Imperium".
Nacheinander werden die Magokratie von Valian, die Nordlande von Alba, die Wüsten von Eschar, Moravod und die Insel Serendib beschrieben. Eindrucksvoll ist bei allem der überraschend gute und professionelle Stil, da an dem Buch kein redaktionell tätiger Autor beteiligt war. Dennoch werden die Länder sehr anschaulich beschrieben und ganz gleich, ob man nun mit Ljosgard gut vertraut ist oder nicht, die vorstellten Ländereien erwecken einen guten Eindruck und erscheinen spielenswert.
63 Seiten werden diesem Bereich gewidmet.

Der zweite Teil beschreibt dementsprechend, was nicht zum Imperium gehört. "Die unabhängigen Länder" sind Aran, die vereinten Königreiche von Clanngadarn, das vampirische Reich von Gismolok, das mystische KanThaiPan, Minangpahit, Nahuatlan, das Land der Orcs Orcâdu, Sritrara, das Land der Todesechsen, Erainn, die tegarische Steppe und das Zweikronenreich.
Auch hier gilt das Lob für die guten Beschreibungen und der gute Stil, hier wird sehr ausführlich jeder Landstrich beleuchtet – ohne dabei einschränkend zu sein.

Gruppen, die sich auf Ljosgard gut auskennen, werden dabei sicherlich die eine oder andere Überraschung erleben. So ist Nahuatlan hier das "Land des Gottvampirs" ... nicht ganz, was man kennt.
Darin liegt sicherlich auch eine Stärke des Bandes, denn gerade Gruppen, die glauben, schon alles gesehen und alles bezwungen zu haben, werden hier sicherlich so manches Mal sehr ihre Weltsicht nachjustieren müssen.
Für Spielleiter ist es aber auch kein unangenehmer Aufenthalt auf Myrkgard, denn während Ljosgard schon sehr gut und detailliert ausgearbeitet wurde, ist hier noch Raum für eigene Ideen, gerade auch im Spiel mit den Klischees und Erwartungen der Spieler kann man hier manchen Plot aufspannen, für den man im klassischen Setting nie Raum gehabt hätte.

Dennoch, wo Licht ist, da ist auch Schatten und leider ist auch Myrkgard nicht ohne Makel. Zum einen fehlt dem Band so der letzte Funke Realismus, um eine glaubwürdige Welt darzustellen. Alles ist exotischer als auf Midgard, viele Dinge sind einfach seltsam und überall scheinen Vampire und dunkle Magie zu lauern. Das ist zwar im Rahmen einer dunklen Schwesterwelt legitim, aber andererseits merkt man einfach, dass hier viele Visionen einfach geographisch nebeneinander gepflanzt wurden. Was das Buch dabei nicht vermittelt ist das Gefühl, dass da wirklich gewachsene Staaten mit "lebendigen" Bewohnern nebeneinander existieren und miteinander interagieren. Ein klassischer Fehler phantastischer Welten, der leider auch hier an dem Gesamteindruck etwas nagt.
Zum anderen ist das Buch leider auch nicht ganz vollständig. Einerseits ist es zwar verständlich, dass man die Regionen, die auf Ljosgard nicht großartig anders sind, nicht erneut beschrieben hat. Dadurch aber verliert der Band leider etwas Universalität und bleibt eine Ergänzung zu Midgard, kann sich nicht als völlig autarkes Parallelsystem verkaufen.
Und da Midgard – aus für mich unerfindlichen Gründen – bis heute keinen guten Allgemeinband zu seiner Welt bietet, hat mir hier die Chance verschenkt, gerade Neulingen einen guten Einstieg zu ermöglichen. Ebenso wie Leute, denen Midgard zu eng gestrickt ist und die eigentlich nur etwas mehr Entfaltungsraum suchten, hier dann doch wieder dazu genötigt werden, auch die klassische Reihe in gewissem Rahmen zu verfolgen.
Doch da es auch hier nur um relativ wenig Raum geht – das muss man klar sagen – hält sich der dadurch angerichtete "Schaden" durchaus in Grenzen. Schade ist es trotzdem.

Im Endeffekt kann man das Buch aber durchaus empfehlen. Es ist optisch schön, wo Illustration sind, insgesamt aber leider etwas karg; dafür stimmt der Inhalt, der umfangreich und von guter Qualität ist.
Wer Midgard spielt und mal etwas Abwechslung für seine Recken sucht, der wird einen längeren Aufenthalt auf Myrkgard sicher nicht bereuen.


Name: Myrkgard 
Verlag: Pegasus Press {jcomments on}
Sprache: Deutsch
Autoren: Horst Mark, Rainer Nagel und Christiane Ulrich
Empf. VK.: 27,95 Euro 
Seiten: 208