Midgard - Corrinis – Stadt der Abenteuer

„Weitgereiste Seefahrer, geschäftstüchtige Händler, gelehrte Zauberer, verführerische Kurtisanen, listige Schmuggler und waghalsige Diebe – das ist Corrinis, die Hafenstadt auf der Insel der Kraniche.“
vom Backcover von Corrinis – Stadt der Abenteuer

Bereits 1980 brachten die Amerikaner Stephen und April Abrams den Quellenband „City of Carse“ heraus. Er erschien als Regionalbeschreibung für die Welt Midkemia und beschrieb die titelgebende 5000-Seelen-Stadt Carse.
In Deutschland ward man auf das Buch Aufmerksam, übersetzte es und transferierte es in die Hintergrundwelt eines ganz anderen Systems: Midgard. Dort taufte man die Stadt Corrinis und verlagerte die Stadt zwischen die Grenzen von Alba und Erainn, ließ aber den sonstigen Text weitestgehend gleich.
Ja, so war das damals, in den Pioniertagen des Hobbys.

Mittlerweile schreiben wir irgendwas zwischen 2005 und 2006 (2005 wenn ich dies schreibe, 2006 wenn ihr das lest) und manches hat sich geändert. Midgard ist mittlerweile in der vierten Edition und war zwischenzeitlich mal ein wichtiges Zugpferd bei Pegasus, ist nun aber zurück im Hause SF&F angelangt ... und auch Corrinis ist wieder da.
Das schwankte eine Weile, da – zumindest soweit ich weiß – die Rechtslage wohl etwas schwammig war, doch nun ist sie wieder da, die Stadt, in der wohl jede zweite Heldenkarriere der Midgard-Spielerschaft begonnen hat.

Manches hat sich geändert. Das alte Cover, zeichnerisch akzeptabel und doch vom Motiv (eine Frau in einer Art Bikini tanzt in einer Kneipe) wenig phantastisch, wurde gegen ein neues Bild ausgetauscht. Naja, was heißt neu, auch schon auf 1988 datiert, aber immerhin von Larry Elmore. Es zeigt zwei Gestalten mit langen Kapuzenmänteln sowie einen weiteren, bärtigen Mann in einem schummrigen Zimmer. Ich gehe jetzt mal so weit und behaupte, dass dies das schönste Cover ist, das Midgard seit Jahren gesehen hat.
Auch sonst gefällt die Verarbeitung des Bandes, solide gebunden im Hardcover, mit Flachrücken und mattem Einband; einzig ein Lesebändchen fehlt mir zu meinem perfekten Glück.
Die Innenillustrationen scheinen dagegen großteilig noch aus den 80er-Releases zu stammen und wirken teilweise schon arg überkommen – dennoch nicht hässlich, nur etwas aus ihrer Zeit gerissen. Einige Karten wurden komplett überarbeitet und erstrahlen nun in extremen Detailgrad und ganz offenbar mit Hilfe eines Computers erstellt, wohingegen die Karten der einzelnen Sttadtteile wieder ganz offensichtlich noch von damals sind. Zwar wurde auf Basis der alten Skizzen auch noch eine farbige, perspektivische Karte erstellt, deren Nutzen aber mangels Beschriftung auf ein einmaliges „Hui, hübsch.“ beschränkt sein dürfte.
Positiv dagegen fällt auf, dass auch bei Midgard mittlerweile die Plastiktaschen auf der Innenseite des Backcovers Einzug halten, wie man sie etwa auch von DSA her kennt und wie sie mir erstmals Mitte der 90er bei den Warhammer-Büchern aus dem Verlag Schwarzes Einhorn untergekommen sind.

Das Buch ist mit gut 200 Seiten auch merklich dicker als sein Vorgänger, was sich aber leicht erklären lässt. Hier wurde nicht etwa die Stadtbeschreibung erweitert, es wurden statt dessen fünf Abenteuer mit eingepackt. So kann man immerhin direkt losspielen.
Dass der Text der Stadtbeschreibung allerdings schon einige Jahre auf dem Buckel hat, wird einem schnell deutlich. Denn Quellenbände anno 1980 sahen schlicht anders auf, als sie das heute tun. So blättert man sich zunächst durch knapp 14 Seiten allgemeine Beschreibung, die einem erst einmal erklärt, wo Corrinis liegt, was es für eine Stadt ist und dergleichen mehr, bevor man auf eine Detailbeschreibung stößt, wie sie heute niemand mehr verfassen würde.

Corrinis hat gut 450 Gebäude und jedes dieser Gebäude ist mit sepatem Nummernvermerk aufgeführt und wird dann im Quellenteil beschrieben. Jedes. Um das mal an einem Beispiel zu illustrieren: Haus O5 ist ein Wohnhaus. Dort wohl Lelia NiTuron, die Nichte von Dimrod MacTuron (Wohnhaft in Haus U15). Ihr Nachbar (Haus O6) ist der Töpfer Tilloch aus Byrne, dem Bruder von Mindon, dem Barbier (Wohnort: D16) und Vynrod, dem Tuchwalker (NN2).
Solche Bücher werden heute einfach nicht mehr geschrieben. „Leider!“ rufen die einen, „Das hat auch seinen Grund...“ spotten die anderen. Soweit es die Stadtbeschreibung betrifft, so bleibt es wohl auch letztlich genau bei der Wahl, welcher dieser Aussagen man zustimmt.
Corrinis wird in einem endlos hohen Detailgrad beschrieben und das nicht gerade durch einen dramaturgischen Filter. Wer eine moderne Stadtbeschreibung mit viel Atmosphärentexten und gekennzeichneten Abenteueraufhängern sucht, der wird hier wohl eher unglücklich bleiben, Fans von simulationsbasiertem Spiel freuen sich dagegen, dass es keine weißen Flecken auf dieser Karte gibt.

Dazu gibt es dann noch ein paar Appendizes (etwa ein alphabetischer Index der örtlichen Geschäfte) runden den Band ab. Gut, ob ich jetzt unbedingt wissen musste, dass 1 kg Wurst in Corrinis 4 bis 6 SS kostet, während es Käse für 2 bis 5 SS das Kilo gibt ... naja, die Listen sind aber generell ganz praktisch.

Somit ist man auf Seite 94 angelangt und es folgen noch die Abenteuer. Denen will ich mich hier nur eben im Schnelldurchlauf widmen. „Der gefälschte Gildenbrief“ ist dabei so ein Urgestein. Es beginnt mit einer Anwerbung in der Taverne und bringt die Charaktere auf den Pfad einer kleinen Detektivgeschichte, in der ein Händler von einem Schreiber mit dem Wissen um einen gefälschten Gildenbrief erpresst wird, der Schreiber aber kurz vor Beginn der Geschichte sein Leben aushaucht.
Nichts weltbewegendes, aber ein ganz feines, einfaches Stadtabenteuer.

In „Des Bettlers Himmelreich“ infiltrieren die Spieler als Stadtfremde die Bettlerschaft der Stadt. Es heißt, eine Welle gefährlicher Drogen solle durch die Mittellosen als Kuriere unter das Volk geschafft werden und die Spieler sollen Licht in dieses Dunkel bringen. Auch diesem Abenteuer merkt man sein Alter an, aber die Idee ist sicherlich nett; daraus kann man was machen.

„Sieben kamen nach Corrinis“ ist der Szenarien dritter Teil. Hierbei handelt es sich um eine vertrackte Intrigengeschichte, die mit 45 Seiten auch das mit Abstand umfangreichste Abenteuer des Bandes ist. Der Aufhänger ist anno 2005 auch schon etwas ausgelutscht: Einer der Spielercharaktere besitzt nämlich eine frappierende Ähnlichkeit mit einem wiederum sehr wichtigen NSC. Zwar kann man das heute eigentlich nicht mehr machen, ohne als Plagiat des genialen „The Enemy Within“-Auftakt „Mistaken Identity“ aus der WFRP-Ecke zu gelten, aber auch hier wollen wir ob des Alters des Szenarios mal ein Auge zudrücken.
Die Handlung an sich ist jedenfalls schön aufgezogen und eine gute Intrige ist doch eigentlich immer die Lektüre wert.

Bleiben zwei. Einmal hätten wir da „Das zweite Gesicht“. Hier ist der einflussreiche Händler Gundar MacBeorn durch einen Doppelgänger ersetzt worden, was die Spieler letztlich in einige groß angelegte Drogenschmugglereien verwickelt.
Es gilt, was schon gesagt wurde. Das Szenario ist generell gut, nur etwas alt und daher in einigen Punkten nicht mehr so frisch, wie es das wohl mal war.

„Der Geflügelte Ring“ zum Abschluss stößt in geradezu epische Dimensionen vor. Ein altes Rätsel nebst Geheimnis aus der lange vergangenen Zeit des Kriegs der Magier bedroht auch heute noch die Welt und könnte eine erneute Gewaltherrschaft von Zauberern verursachen.
Die Spieler können dies in diesem in seiner zweiten Hälfte sehr freien Szenario in die Hand nehmen.

Damit ist man dann auch durch „Corrinis“ durch und an uns ist es, ein Fazit zu ziehen. Generell merkt man dem Band sein Alter leider an vielen Ecken und Enden an. Die Szenarien leiden darunter, da man vieles heute einfach schon öfter gesehen hat, der Quellenteil ist einfach sehr unmodern geraten.
Ob das nun aber gut oder schlecht ist, muss jeder selber wissen. Die Abenteuer sind tendentiell gut und auch der Quellenteil sehr detailliert, nur eben nicht für jedermann geeignet.
Pluspunkte gibt es bei den Abenteuern noch für eine saubere Strukturierung und klare Darlegung der ausstehenden Handlung(en), Abzüge dagegen für das komplette Fehlen eines Index.
Insgesamt ist der Band für mich „noch gut“; Altersflecken und die mir persönlich etwas zu simulationsartig arrangierte Stadtbeschreibung verhindern bessere Noten; viel Abenteuerpotential, viel Inhalt, die solide Verarbeitung und recht hübsche Gestaltung sorgen allerdings dafür, dass „Corrinis – Stadt der Abenteuer“ dennoch recht weit oben in der Liga der besten Midgard-Quellenbände landet.


Name: Corrinis – Stadt der Abenteuer {jcomments on}
OT: The City of Carse (siehe Rezi wg. Details) 
Verlag: Pegasus Press Sprache: Deutsch
Autoren: Stephen und April Abrams, Heinrich Glumper, Gerd Hupperich u.a.
Empf. VK.: 24,95 Euro 
Seiten: 205