Cthulhu Spieler-Handbuch
vom Backcover des Cthulhu Spieler-Handbuchs
Also irgendwann anno 2003 die Grundregelwerke im Lagerhaus von Pegasus Press rarer wurden, gab es genau zwei Möglichkeiten. Die einfache Variante wäre es sicher gewesen, das alte und – zweifelsohne – sehr gute Buch einfach neu aufzulegen, oder aber einen Schritt nach vorne zu wagen und eine neue Edition herauszubringen.
Denn es hatte gerade in der jüngeren Zeit viele Anregungen und Wünsche bezüglich eventueller Neuerungen gegeben, vor allem im offiziellen Forum unter www.cthulhu-forum.de.
Grob gesagt, so kann man sagen, ist diese 'Operation' gelungen, dem 'Patienten' geht es seit den Neuerscheinungen besser denn je. Doch da diese Aussage natürlich kaum Nutzen hat, schauen wir uns die Neuauflage doch mal im Detail an.
Die offensichtlichste Neuerung, die aus dem Forum aufgegriffen wurde, ist eindeutig die Zweiteilung des Bandes. Was bisher ein Grundregelwerk war, ist nun in ein Spieler- und ein Spielleiter-Handbuch getrennt. Das aber, so versicherte die Redaktion von Anfang an und so glaubt man auch gerne bei den 600 Seiten, die die Grundregeln nun insgesamt haben, nicht um die Kunden auszubeuten.
Vielmehr wird man den Titeln gerecht und hat nun in das Spielerhandbuch alle Regelmechanismen und generelle Informationen gepackt, während sämtliche Informationen, die am besten nur hinter dem Schirm bekannt sind, im Spielleiter-Handbuch zu finden sind.
Vor uns, zwecks Rezension, liegt nun aber erst einmal der erste Band des Sets, das Handbuch für die Spieler.
Das Buch ist ein Hardcover von gut 230 Seiten, massiv gebunden, kräftig gedruckt und dank mattem Einband und eingearbeiteten Lesebändchen sehr edel.
Die Optik des Buches ist grandios und gefällt auf den ersten Blick. Die Aufmachung als alten Folianten kennt man zwar schon seitdem Pegasus das System vertreibt, nie aber kamen Front- und Backcover an die optische Wucht der Neuauflage heran. Manfred Escher, ehemaliger Webmaster der Webseite des offiziellen Magazins 'Cthuloide Welten' (CW) ist zum System zurückgekehrt und hat gleich zum Einstand eine grandiose Collage aus dem Gesicht H.P. Lovecrafts sowie diverser Zeichnungen und Zeichenelementen gebastelt, an den Rändern wie in Eisen geschlagen. Das Cthulhu-Logo wurde überarbeitet und erstrahlt mittlerweile ohne den kleinen, übermäßig niedlichen grünen Cthulhu ist ebenso verschwunden wie das kleine Tentakel-Ende, das einst noch unten hineinragte.
Auch das interne Artwork wurde gehörig poliert. Der alte verbrannte Seitenrand wurde erweitert und umrahmt nun die gesamte Seite, weiße Hintergründe gibt es ohnehin nicht mehr.
Die meisten 'Illustrationen' sind nun zeitgenössische Fotos aus dem Zwanzigern, was nicht nur stimmungsvoll ist, sondern sich zudem auch besser ins Gesamtbild des Systems fügt. Bisher war es ja alleine das Grundregelwerk, das eben keine Fotos enthielt.
Dazu gesellen sich noch einige alte Illustrationen der Chaosium-Ausgabe (recht hässlich), die aber noch durch wiederum sehr schöne neue Bilder ergänzt wurden. Die Zeichnungen von Caryad kannte man dabei schon aus dem alten Grundregelwerk, die Bilder von Paul Carrick sind ebenfalls bekannt aber auch hervorragend gefertigt, doch vor allem die unzähligen kleinen Bilder von François Launet werten das Buch optisch unglaublich auf.
Die Optik ist rundum gelungen und selbst innerhalb des hohen Standards der deutschen Produktlinie herausragend – da ist man gespannt, ob der Inhalt da mithalten wird.
Die 230 Seiten Text gliedern sich in acht Kapitel und zwei Ergänzungen, namentlich Vorwort und Anhang. Das Vorwort alleine ist hier aber interessant, denn neben etwa einer halben Seite Vorwort zur englischen Ausgabe (oder hier ja eher: Vorlage) gibt es fast fünf Seiten vom deutschen Chefredakteur Frank Heller, der erläutert, was nun alles neu ist.
Während ich auf grundsätzliche Änderungen wie neue Inhalte in den jeweiligen Kapitel eingehen werde, so erfährt man auch bereits, das noch eine Kinderkrankheiten der Übersetzung bereinigt wurden und gerade Streitthemen wie „Tiefe Wesen“ und „Wesen aus der Tiefe“ nochmal beleuchtet wurden.
So interessant das Kapitel für Kenner der alten Auflage ist, auch im Hinblick auf die Hintergründe des gesamten Projekts, so unnötig ist es natürlich für Neueinsteiger. Abseits der Erkenntnis natürlich, dass hier wirklich noch am System gearbeitet wird.
Doch Kapitel eins legt dann direkt schon mal gut los, die „Spielmechanismen“ stehen auf dem Speiseplan. Dreizehn Seiten umfasst der Abschnitt, welcher wirklich bei den Grundlagen anfängt. Was ist ein Rollenspiel? Was ist Cthulhu? Was sind Spieler und Spielleiter? Doch auch ein Glossar über spielmechanische Begriffe und ein Abriss über typische Aktionen in einer Cthulhu-Sitzung (von Recherche bis Schießereien) werden gegeben, wenn natürlich auch sehr kurz. Aber wir haben hier ja auch das Spielerhandbuch – wobei es eindeutig ein Pluspunkt ist, das man auch durchaus nur mit diesem Band hier schon starten kann, was einen effektiven Einstieg in ein neues Rollenspiel für nur 20 Euro ermöglicht.
Kapitel Nummero zwei zeigt dann aber noch deutlicher, dass wir hier im neuen Regelwerk sind: „Ein Überblick über die Zeit des Jazz“. Kurz und gut: neun Seiten über zwanziger Jahre in Deutschland wir Amerika. Das ist eine Spielumgebung, das ist Hintergrund und das ist etwas, das bisher klar fehlte. Nun muss man wohl nicht mehr zum „Amerika“-Band oder gar zur gleichnamigen Box greifen, wenn man überhaupt wissen will, wo man da wohl vermutlich spielt. Auf die 1890er und die Gegenwart wird dabei nicht eingegangen, was zwar schade ist, aber da auch die restlichen Produkte diese Zeitlinien kaum oder gar nicht unterstützen, geht das wohl auch in Ordnung.
Im dritten Kapitel werden Nägel mit Köpfen oder, genauer gesagt, Charaktere mit Werten gemacht. Auch hier ist offensichtlich, das viel ergänzt wurde. Mechanisch gibt es hier nichts Neues, aber drum herum wurde viel gebaut. Denn hat man einmal alle Zahlenwerte ausgefüllt, stößt man auf den weiteren Unterpunkt „Hintergrund“, dem sich gut dreizehn Seiten widmen, während den Werten und Zahlen nur rund acht Seiten entsprachen – ein lobenswertes Verhältnis.
Viele der Hintergrundinformationen wurden in Würfeltabellen arrangiert, wobei ich offen sage, dass die Idee, sich etwa besondere körperliche Kennzeichen wie große Nasen und heisere Stimmen zu erwürfeln für etwas befremdlich halte, so kann man die Listen auch gut als Inspiration verwenden und Neulingen kommt das sicherlich auch entgegen, damit nicht mehr unzählige John Does, wie aus dem Klontank gepurzelt, auf Mythosjagd gehen.
Allerdings muss diesem an sich sehr gut gemachten ersten Teil des Kapitels dennoch Schelte ausgesprochen werden. Denn leider wurde, ganz entgegen meiner Hoffnung, doch wieder ein sehr großes Augenmerk auf das Rollen von Würfeln gelegt.
Warum nicht – wenigstens optional – ein Kaufsystem mit einbauen? Nahezu jedes Regelsystem, von GURPS zur WoD, von DSA zu D&D, hat mittlerweile zumindest optional eines und wenn das von d20, als Beispiel, nun auch schon nicht toll ist, so ist es doch wenigstens da. Irgendwie ist es doch frustrierend, wenn man auch 2003 noch vollkommen dem Wohlwollen der kleinen Vielecke ausgeliefert ist und – was viel schlimmer ist – Neueinsteigern gar nicht gezeigt wird, dass es Alternativen gibt.
Doch der Rest des Kapitel gleich dies auf beeindruckende Weise wieder aus. Wo das alte Grundbuch gerade mal ein paar Zeilen mit Berufsvorschlägen enthielt, hat auch hier der Amerikaband Pate für das neue Regelwerk gestanden und auf sage und schreibe 44 Seiten werden beeindruckende 132 Berufe, teils von historischen berühmten Beispielen untermalt, vorgestellt.
Hilfreich dabei ist sicherlich auch die alphabetische Übersicht, auf der sogar noch typische Cthulhu-Berufe markiert sind. Das schützt vor der Anfängergruppe, bestehend aus Alleinunterhalter, Viehzüchter, Leichtathlet und Zahnarzt, die einen SL schon vor gewisse Plotnöte stellen kann.
Zwar konnten aus lizenzrechtlichen Gründen einige Fehler nicht behoben werden – der Buchhalter hat weiterhin nur zwei Berufsfertigkeiten und diese daher fast unvermeidlich zu Beginn schon bis zum Anschlag gesteigert – aber damit kann man leben.
Drei Seiten zum Beispielcharakter Harvey Walter und eine vollkommen deplatzierte Grafik (die auf S 106, für die Interessierten) später ist man dann beim vierten Kapitel angelangt, den „Regeln und Fertigkeiten“. Hier fallen vor allem Detailänderungen ins Auge. Die Regeln waren schon vorher einfach verständlich, gut erklärt und leicht zu erlernen und sind das auch heute noch, wurden aber teilweise um optionale Varianten erweitert. So kann man nun Proben erschweren, einen „Bingo“ erzielen (sozusagen ein 'voller Erfolg') und in Kämpfen Trefferzonen (inklusive kritischer Treffer) bestimmen. Wie gesagt, die Regeln sind optional und teils mehr, teils weniger sinnvoll, die drei optionalen Fertigkeiten (Hypnose, Schiffsführung und Tauchen) hätte es aber sicherlich nicht gebraucht.
Dass das Kapitel mit gleich zwölf Seiten zu Fahrzeugen und Verfolgungsjagdregeln endet erscheint mir dagegen etwas übertrieben. Zwar weiß jeder CW-Leser um die große Liebe gewisser Redaktionsmitglieder zu Vehikeln aller Art, vor allem aber der Autos, doch ob das nötig gewesen wäre? Naja, tut auch nicht weh...
Gerade hier merkt man aber auch die korrigierte Übersetzung: 'Kreditwürdigkeit' ist nun 'Ansehen', 'Navigation' korrekt 'Orientierung' und die zuvor absolut enigmatisch gebliebene 'Naturgeschichte' darf sich nun 'Naturkunde' nennen. Ja, doch, sehr gut!
Kapitel fünf richtet sich dann klar an eines der liebsten Themen fast aller Cthulhu-Spieler, „Geistige Stabilität und Wahnsinn“. Gleich 22 Seiten drehen sich um die, die ihrerseits durchdrehen, angefangen bei kleinen temporären Traumata bis hin zu schweren chronischen Leiden, sinnvoll ergänzt um Heilmethoden, ein modernes Glossar, eine Phobien-Liste und andere Nettigkeiten, die man aber natürlich so auch schon öfter gesehen hat.
Hier wird unterm Strich auf Bewährtes gesetzt, der Aspekt des 'den Wahnsinn ausspielen' kommt mir in meinen Augen immer noch etwas kurz aber insgesamt kann man sich nicht beschweren, hier kriegt man alles an die Hand, was man braucht um den Wahnsinn in die Herzen seiner Spieler zu tragen.
Viel günstiger als Einstieg in das, hochtrabend gefasst, Verständnis von Lovecrafts Werk, bietet aber „Schatten über Arkham“, ein Soloabenteuer. Richtig gelesen, ein Soloabenteuer, das erste für Cthulhu seit ... keine Ahnung, einer Zeit, noch bevor ich meine erste DSA-Box aus der Folie pellte.
Holger Göttmann, Foren- und CW-Lesern und sicherlich bekannt, hat hier ein zwanzig Seiten langes, 133 Unterpunkte umfassendes Szenario abgeliefert das auch manch neues Konzept bietet und gerade in seiner nichtlinearen Handlung (ich zähle hier auf Anhieb fünf mögliche Enden) einen vielschichtigen und sogar wiederspielenswerten Einstieg in die Welt des Cthulhu ermöglicht.
Zwar hat es einen kleinen Makel, nämlich einige wenige irreführende Zahlenangaben, aber die sind zu verschmerzen und heutzutage leider ja auch fast schon normal bei Solos ... man fragt, sich, was Steve Jackson damals anders gemacht hat.
Egal, ein guter Einstieg ins Spiel für den man, ein ganz dickes Plus, auch keinen zweiten Mann (oder gar mehr) braucht.
Was nun folgt, sind dann schon mehr Ergänzungen. Kapitel sieben nennt sich „Geschwindigkeiten und Entfernungen“ und muss daher in seinem Inhalt kaum mehr beschrieben werden, umfasst auch nur drei Seiten.
„Ausrüstung“ dagegen ist das Thema der folgende dreizehn Seiten, die auch einmal mehr mit viel Zeitgefühl trumpfen. Wie fotografierte man in den 1920ern? Was für Lampen gab es schon? Wie konnte man kommunizieren?
Bisher einmal mehr nur in entsprechenden Quellenbänden beleuchtet, hier nun auch im Grundbuch; gefolgt von den gewohnten Tabellen mit Ausrüstung für alle drei Epochen.
Sehr nützlich, sehr übersichtlich, sehr schön, keine Kritik.
Den Abschluss bildet dann der zuvor schon erwähnte Tabellenanhang, der eine dreiseitige Waffenliste und einige kleine Regelzusammenfassungen bietet. Ist bei einem einfachen System wie BRP zwar kaum nötig, aber hilfreich.
Abgerundet wird der band dann durch die gewohnten acht Beispielcharaktere (je zwei für 1890 und die Gegenwart und vier für die 1920er), die neu gestalteten und optisch sehr schönen Charakterbögen und einigen Extras, wie dem schon bekannten Telegrammformular.
Am Schluss dann steht der Index, der mit vier Seiten sicherlich einen ausreichenden Umfang besitzt.
Ich sagte es zu Beginn und ich sage es wieder – die Operation war ein voller Erfolg.
Sicher, der erste Teil des neuen Grundregelwerks hat noch einige Schwächen, aber über die kann man locker hinwegsehen.
Es ist jedoch schade, dass – sowohl aus rechtlichen Gründen wie auch aus freier Entscheidung heraus – an den Regeln selbst wenig getan wurde. Das fehlende Kaufsystem, aber auch der weiterhin etwas willkürlich gewachsen wirkende Fertigkeitensatz, die technisch vom Prozentwurf abweichenden Attribute in ihrer ganz eigenen Skala – das alles sind Themen, die man hätte angehen können. Aber darüber zu diskutieren ist müßig, es wurde halt nicht getan und wen es stört, der muss halt selber Hand anlegen.
Doch das neue deutsche Regelwerk ist, soweit es hier nun besprochen wurde, definitiv die bisher weltweit (soweit der Rezens{jcomments on}ent das beurteilen kann) beste Ausgabe der Cthulhu-Regeln und kann ohne Bedenken empfohlen werden.
Wer die alte Ausgabe schon hat, der kann ja anhand des Gesagten entscheiden, ob er auch die Neuauflage braucht, aber gerade der Kampfpreis des Spieler-Handbuchs unter zwanzig Euro macht auch hier die Kaufentscheidung einfach.
Schlichtweg: sehr gut!
Name: Cthulhu Spielleiterhandbuch
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch
Autoren: Frank Heller, mit Marcus Johanus (Konzeption), u.v.a.
Empf. VK.: 39,95 €
Seiten: 400