Zeitlose Ängste
Ein ungewöhnliches Szenario in den 1920ern
Eine Gangsterballade in den 1930ern
Ein unheimliches Abenteuer in den 1950ern
Ein rollenspiel- und intrigenreiches Abenteuer für Cthulhu now
vom Backcover von Zeitlose Ängste
Es liegt eine Ähnlichkeit in nahezu all den Titeln der CW-Bibliotheksreihe. „Hinter den Schleiern“, „Aus Äonen“, „Jenseits der Schwelle“ – da passt der Neuzugang „Zeitlose Ängste“ ja perfekt hinein. Wie auch schon mancher Band zuvor wurden hier ungewöhnliche Einzelabenteuer in teilweise ungewöhnlichen Settings zusammen getragen und als Anthologie veröffentlicht.
Wie auch die Bände zuvor erscheint „Zeitlose Ängste“ im Softcover und wie immer ist der Umschlag von Manfred Escher gestaltet. Der überzeugt hier noch einmal mehr als sonst, hat eine traumhaft schöne Gestaltung in ungewohnter Farbgebung und sogar mit Bezug zu einem der enthaltenen Abenteuer geschaffen. Sehr fein, so lobe ich mir das.
Die Innengestaltung ist von dem gewohnten, alten Stil, über den ich mich jetzt nicht mehr weiter auslassen werde. Das Layout-Problem mit den weißen Rahmen rund um die Kästen ist bekannt und – mittlerweile ist es ja Fakt – ab der „Arcana Cthulhiana“ keines mehr, weil dort ein neues Layout folgt.
„Zeitlose Ängste“ sieht aber noch aus „wie immer“, mit der Einschränkung, dass das letzte Abenteuer im Band nicht mit Fotos, sondern mit Zeichnungen versehen wurde. Mein lieber Mann, wo auch immer man Marc Hermann her hat, ich hoffe, er geht dorthin zurück. Seine Gesichtszeichnungen gehen ja noch in Ordnung, sind teils sogar recht stimmig, aber alles andere? Viele Bilder sind auf erschreckendem Fanzine-Niveau und die Drachentätowierung auf S. 107 sicherlich sogar darunter. Ich weiß ja auch, dass bei den CW-Bänden die Geldbörse nicht immer locker sitzt, aber man hatte an dieser Stelle schon Thorsten Kettermann, Christine Schlicht und XY haben für die CW gezeichnet – muss da so etwas sein?
Aber gut, kommen wir zum Inhalt des Buches, den vier Abenteuern. Da macht sogleich der Auftakt klar, dass „Zeitlose Ängste“ kein klassischer Cthulhu-Band wird. Denn zwar spielt „Daoloths erster Schleier“ in den 1920ern, da endet die Klassik aber auch. Autor Peter Schott ist Physiker und greift auch sogleich tief in die dortige Trickkiste. Man nehme die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, rühre das alles etwas durch den Dramaturgiefilter und heraus kommt ein wissenschaftlicher Kongress, der die Realität selbst zu bedrohen vermag.
Das Szenario ist für reine Geisteswissenschaftsmenschen wie mich schon recht harter Tobak, aber Schott schafft es, auch solche Leser zu begeistern. Zwar habe ich seine Kurzfassungen der realweltichen Physik-Theorien nicht so ganz verstanden, aber zusammen mit seiner kongenialen „wichtig klingende, wissenschaftliche Wörter“-Liste am Ende reicht es sicher aus, um seinen Spielern einen unterhaltsamen Ritt zu bieten.
Hat mir gut gefallen.
Ebenfalls gut, aber ganz anders, ist Beitrag Nummer 2, „Last Man Standing“. Die Charaktere schlüpfen in Gangsterrollen in den 1930ern, verüben einen Bruch, scheitern, fliehen vor der Polizei und landen letztlich mit sterbendem Wagen in einem entlegenen Wüstenkaff. Seltsame, scheinbar geistig nicht ganz fitte Wüstenbewohner sind schlimm genug, doch ein Geheimnis tief aus dem Erdreich sorgt dafür, dass sich die Charaktere sehr bald in einem waschechten Zombie-Dorf wiederfinden.
Ingo Ahrens ist hier der Autor und er sorgt für einen flotten Ausflug für ein schnelles Spiel, was durch beigefügte Beispielcharaktere noch begünstigt wird. Das Abenteuer ist ein feiner One-Shot und hat mich nicht zuletzt durch sein sehr freies, modulares Finale überzeugt.
Von Peer Kröger stammt dann „Vom Winde verwest“, ein kleines Meisterstück feiner Anspielungen. Im Hollywood der 50er Jahre übernehmen die Charaktere B-Film-Schauspieler, die nach einem Setunfall eine grausige Entdeckung machen: In die Knochen von einem von ihnen sind überall okkulte Symbole eingraviert.
Peer Krögers Szenario schafft es, unterhaltsam und vielleicht etwas albern, gleichzeitig aber auch sehr unheimlich und durchdacht zu sein, was ohnehin Bonuspunkte verdient. Ein lockerer Schreibstil und, einmal mehr, tolle Beispielcharaktere runden auch hier das Bankett ab.
Gerade die Charaktere sind großartig und es kommt einem Verbrechen gleich, Heroen wie „Elvis Nash“ oder „Candy Black“ einmal Leben einzuhauchen. Dass bei fast allen Kerlen zu fast allen Frauen die Beschreibung der Beziehung mit den Woten „xy ist eine heiße Braut. Du hättest nichts dagegen, mal bei ihr zu landen.“ beginnt, ist da nur eines von vielen Highlights.
Es verbleibt „Cold War - Kalter Krieg“, das defintiv die meisten Mitarbeiter hatte. Neben dem Autor Scott David Aniolowski waren noch Felix Girke und Holger Göttmann daran beteiligt, die es aus dem Englischen übersetzt und überarbeitet haben.
„Cold War“ ist auch etwas ganz eigenes. Die Spieler übernehmen die Rollen von Ithaqua-Kultisten, die sich in einer Wohnung in Toronto treffen, weil ihr Kultoberhaupt ermordet wurde. Doch neben dem allgemeinen Mojo hat auch jeder von ihnen noch eine eigene Agenda, weitere Verpflichtungen, Zugehörigkeiten und Pläne, was dazu führt, dass es kaum noch an NSCs bedarf, um ein spannendes Abenteuer zu entfalten.
Die Interaktion der Charaktere untereinander trägt den Plot, ist der Plot und so etwas kann man nur großartig nennen. Zwar war mein erster Gedanke „Das würde als LARP sicherlich besser funktionieren.“, doch sogar dieses Thema ist im Fließtext adressiert.
„Cold War“ ist am Spieltisch sicherlich anspruchsvoll, aber auch eines der frischsten Abenteuer, die ich seit langem gelesen habe. Ich weiß nicht, ob das an der Vorlage lag und wie viel da noch überarbeitet wurde. Was ich aber weiß, ist, dass „Cold War“ definitiv anspruchsvolleren Gruppen ans Herz gelegt sei.
Überhaupt bin ich von „Zeitlose Ängste“ angetan wie schon lange nicht mehr. Der Preis von 16,95 für 132 Seiten geht bei der heutigen Marktlage mehr als in Ordnung, die Aufmachung ist (mit den gewohnten Einschränkungen) bombig und ausnahmslos alle Abenteuer in dem Buch haben mich begeistert. Das ist mir bei Cthulhu lange schon nicht mehr so uneingeschränkt über die Lippen gegangen.
Wer das Spiel spielt und gerne auch mal ein ungewöhnliches Abenteuer zu spielen bereit ist, der sollte hier zugreifen. Beide Daumen hoch!
Name: Zeitlose Ängste {jcomments on}
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch
Autoren: Ingo Ahrens, Scott David Aniolowski, Peer Kröger und Peter Schott, mit weiterem Material von Felix Girke und Holger Göttmann
Empf. VK.: 16,95 Euro
Seiten: 132