Cthulhu Now - Verschlusssache

Verschlusssache unterstützt die Spieler in ihrem Kampf gegen den Abgrund, der sich in der Welt aufgetan hat. Im Mittelpunkt stehen professionelle Ermittler, also Polizisten, Drogenfahnder, Kopfgeldjäger, Geheimagenten, Rechtsmediziner und andere Profis, die vielleicht noch gar nicht ahnen, welche Schrecken ihr nächster Fall für sie bereithält.

vom Backcover von Verschlusssache

Mit „Verschlusssache“ liegt einmal mehr ein neuer Band für Cthulhu Now vor. Das Buch erstrahlt in dem bereits gewohnten Look der Reihe rund um Schrecken in der Gegenwart mit dem grauen Seitenrahmen, dem verstörenden, urbanen Cover und, natürlich, als Hardcover. Auf ein Lesebändchen muss der geneigte Käufer bei dem vorliegenden Buch verzichten, dafür aber weiß die Innengestaltung ansonsten zu gefallen. Wie schon das Grundregelwerk und einige andere Now-Produkte wurde auch „Verschlusssache“ komplett von vorne bis hinten von Jens Weber gestaltet, illustriert und gesetzt, was dazu führt, dass das Buch einen ganz hervorragenden, optischen Eindruck hinterlässt. Alles wirkt wie aus einem Guss, ist düster und verfallen, stimmungsvoll und dennoch praktisch. Ein sehr, sehr schönes Buch. Schon mal ein dicker Pluspunkt hier.

Aber was genau ist „Verschlusssache“ nun? Es ist ein Buch, das sich an alle Arten von Ermittlern richtet, sowohl die mit Staatsmacht wie auch die ohne. Damit ist es sicherlich ein cleveres Produkt, denn auch wenn – wie Forendiskussionen manchmal zeigen – sich einige Spieler sogar aktiv dagegen verwehren, dass Cthulhu als Ermittlungsspiel gesehen wird, so erreicht ein solches Produkt doch eine große, potentielle Käuferschar. Oder, anders ausgedrückt, es klingt nach einem Buch, dem viele Spielrunden etwas abgewinnen können sollten.

Es gliedert sich, von den üblichen Formalia abgesehen, in neun große Abschnitte, die mir allerdings nicht alle gleich gut gefallen haben. Eigentlich steht mein größtes Sorgenkind sogar gleich an erster Stelle. Unter dem Namen „Werdegang eines Ermittlers“. Hier sollen die Hintergründe der Charaktere beleuchtet werden, was generell nach einer guten Sache klingt. Leider hat man sich dazu entschieden, dieses Konzept vor allem mit Zufallstabellen umzusetzen. Acht Tabellen stehen bereit, um dem Charakter einen Hintergrund zu bieten. Darin findet man schöne Anregungen, vor allem auch viele dunkle Seiten, um – passend zu Now – den Figuren direkt einen dunklen Dreh zu geben. Was leider völlig abhanden kommt, ist das Balancing.
Das ist bei Cthulhu ja eh immer so ein Problem, hier aber wird es richtig kritisch. Nehmen wir Tabelle 5: Begabungen und Schwächen. Das ist eh etwas, was ich so glaube ich noch nie ausgewürfelt habe. Nun gut. Erwürfelt man dort eine 98, so ist man ein „Träumer“ und kriegt u.a.+15% auf alle Kunstfertigkeiten. Hat man einen Punkt mehr, man hat eine 99 gewürfelt, dann ist man bei „Raucht/kifft/trink übermäßig“ angekommen und hat, nehmen anderen Makeln, auch noch KO-4. Hat man eine 78 geworfen, dann entscheidet allein 1W4 ob man etwa mit IN+7 (Ergebnis 1) oder IN-7 (Ergebnis 2) ins rennen startet. Da man auf zwei der Tabellen zwei Mal würfelt, kommt man insgesamt auf zehn Würfe, von denen immerhin drei wiederholt werden dürfen. Alles etwas archaisch.
Nee, sowas gefällt mir ja gar nicht...
Als Inspiration zur Ausgestaltung des Charakterhintergrundes aber vielleicht noch nützlich.

Das zweite Kapitel dagegen hat mir weitaus besser gefallen. „Professionelle Ermittler“ beschreibt Polizisten, Drogenfahnder, die Militärpolizei, Rechtsmediziner, Geheimagenten, Ermittler der Justiz, Kopfgeldjäger, Privatdetektiv, Journalisten, Hacker, Gauner und Verbrecher sowie kirchliche Ermittler. Zu allen Gruppen gibt es lange Beschreibungen zu Arbeitsweise und Alltag, spieltechnische Informationen und Beispielcharaktere. Das bringt eigentlich jeden, ganz gleich welchem Spielstil folgend, irgendwie weiter und dürfte das Spiel alleine schon durch die neuen Facetten der beschreibenden Texte entsprechend bereichern.
Der große Kritikpunkt hier ist allerdings, dass das Kapitel in weiten Teilen ohne jedweden direkten Mythosbezug steht. Hier wären einige beispielhafte Anregungen, wie denn nun beispielsweise ein Absolvent des Studiengangs „Ethical Hacking & Countermeasures“ in den Kontakt mit dem Mythos kommt.

Dahingehend ist der Abschnitt „Ermittler ohne Dienstmarke“, Kapitel 3 also, schon besser gelungen. Weniger archetypisch, da hier ja keine festen Organisationen umrissen werden, aber dennoch sehr nützlich und inspirierend. Wie lebt man, wie ermittelt man und wie überlebt man, wenn man sich auf eigene Faust dem Mythos stellt? Welche Konsequenzen hat laienhaftes Vorgehen, wie üben sich Wahnvorstellungen, Verschwörungen und Paranoia aus?
All das findet man hier. Sehr übersichtlich dargelegt, aber voller guter Ideen, mit wesentlich konkreterem Bezug zu all den Fragen des Mythos und dennoch sogar mit einem ganzen Satz beispielhafter Charaktere (inkl. eines ziemlich schönen Eastereggs).
Ein rundum gutes Kapitel, das mir durchgehend exzellent gefallen hat und das gar keine Not zur Kritik lässt.

„Ermittlungsmethoden“ ist kurz, aber knackig. Es bietet genau, was der Name verheißt: Eine Übersicht über bestehende Ermittlungsmethoden, gegliedert in die drei Themengebiete „Überwachen und Abhören“, „Fahndung und Festnahme“ und „Spurenauswertung“. Hat mir extrem gut gefallen, da es den Cthulhu-typisch gut recherchierten Eindruck macht, aber am Wesentlichen bleibt, im Umfang nicht explodiert und zudem noch ordentlich und überschaubar gegliedert ist.
Kurz, aber sehr gut.

„Das große Spiel“ ist dann als Thema etwas schwerer zu fassen. Es geht um Verbindungen, Machtstrukturen, Kontakte und Informationsmonopole, um Verschwörungstheorien und wirtschaftliche Einflussnahme, um Militarismus, Terrorismus und Staatsfeinde.
Hier geht es zwar auch nicht um den Mythos, aber um vieles, was „Cthulhu Now“ eben „Now“ macht. Die „Gegenwartsdystopie“, die dieses Setting irgendwie ja doch darstellt, wird hier sehr schön transportiert und die Schrecken der Moderne werden einmal mehr gut umrissen. Das deutsche „Now“ ist eben, anders als das englische Material, nicht einfach nur ein „1990s“-Setting mit geändertem Namen, es ist neben dem Mythosbezug auch ein Hintergrund mit einer ganz eigenen Feeling. Und das kommt in diesem Abschnitt hervorragend zum Tragen.

Mythosbezüge kehren dann auch direkt wieder, wenn „Ermittlungen im Mythos und Okkulten“ thematisiert werden. Das auch die Wege der Informationsbeschaffung anno 200x anders sind als die in den 1920ern ist eigentlich einleuchtend; hier aber wird es ausformuliert. Gegliedert in verschiedene Unterthemen werden hier etwa auch Sammler des Mythos umrissen oder das Internet und die andren digitalen Medien. Das ist schön, konnte mich subjektiv nicht ganz so begeistern wie das vorige Thema, aber ist ebenfalls eine Bereicherung.

Skeptisch war ich dann noch mal, was das Kapitel „Ermittlungsausrüstung“ betrifft. Der Cthulhu-Waffenkatalog ist ja nun schon raus und eigentlich in der Praxis auch echt kein Buch, das ich oft aus dem Schrank nehme. Hier aber geht es, das merkt man schnell, vielmehr um Gimmicks und Gadgets. Videobrillen, Tastaturspeicher, Enterhakenschleudern und EC-Kartenleser, aber auch abgefahrenes Zeug wie ein Chameleon Suit oder der Big Dog-Roboter (wer den nicht kennt, mal googlen, ist beeindruckend!) sind hier versammelt. Ebenso beispielsweise Anmerkungen zum Hacken von W-LAN-Verbindungen oder zur Blutanalyse mit Luminol – kurzum, eine ganze Menge cooler Kram, der aus „Ich würfle auf 'Verborgenes Erkennen'.“ einen spannenden und vielschichtigen Abschnitt machen kann. Vor allem ist hier, genauso wie etwa bei den Ermittlungsmethoden, einfach ein großer Vorteil, dass die Spieler auch etwas Know-How gewinnen können und damit auch selber im Spielverlauf dem, was sie tun, mehr Form und Farbe geben können.

Der nächste Abschnitt ist dann ein Solo-Abenteuer. Mit denen konnte man bei Pegasus ja schon öfters gute Erfahrungen machen und auch „Die Kirche der Wiedererweckung“ machte beim Antesten einen sehr guten Eindruck. Denn da bin ich ehrlich, ganz gespielt habe ich es dieses Mal aus Zeitgründen nicht. Macht aber Spaß und ist spannend, keine Frage.

Im Anschluss folgt dann noch ein Kapitel für den Spielleiter. Gute Anregungen, wie man Ermittlungsabenteuer am Spieltisch spielen kann, wo in diesem speziellen Kontext „Railroading“ anfängt, wie man Spannung aufrecht erhält, was für unterschiedliche Geschmacksrichtung von Ermittlungen man verwenden kann oder aber, wie man „Charaktere im internationalen Kampf“ darstellen kann. Hier sind viele, gute Ideen enthalten, da das Thema tatsächlich nicht so trivial ist, wie man meinen sollte. Aber Neulinge wie alte Hasen finden hier vermutlich noch ein, zwei schöne Ratschläge. Beispielsweise die Anmerkungen zum Railroading treffen den Nagel auf den Kopf und sind eine schöne Erklärung, gerade wo Ermittlungsabenteuer doch aus anderen Richtungen immer mal wieder gerne wegen ihrer starren Struktur angegriffen werden.
Etwas kurios ist der Kasten „Tipps für Spieler“ mitten im „Hinweise für den Spielleiter“-Abschnitt, aber hey, das tut ja keinem was. Im Gegenteil dazu dürften viele Leute von diesem Abschnitt spürbar profitieren können und somit hebe ich auch hier gerne beide Daumen hoch.

Somit sind wir durch das Buch hindurch und es verbleibt, ein Fazit zu finden. Weite Teile des Buches sowie seine komplette optische Erscheinung haben mir ausnehmend gut gefallen. Ebenso ist der Preis sehr angenehm und mit knapp 25 Euro sehr fair bemessen.
Der fehlende Mythosbezug in Kapitel 2 ist mir negativ aufgefallen, mehr aber noch das erste Kapitel, das in seiner unausgewohnen Zufallsfixierung eigentlich so gar nicht zu gefallen weiß. Eine Höchstnote bleibt dem Buch daher verwehrt, aber auch nur knapp. Auch wenn es auf den Preis gerechnet nur „voll gut“ ist, so kann glaube ich jede Now-Runde mit Ermittlungsbezug durchaus Nutzen aus dem Buch ziehen.


Name: Verschlusssache
Verlag: Pegasus Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: Julia Erdmann
Empf. VK.: 24,95 Euro
Seiten: 170