Cthulhu Now - Unfassbare Mächte
Nur wenige wissen um das wahre Wesen der Welt, um die düsteren Geheimnisse hinter der Fassade der vermeintlichen Realität.
vom Backcover von Unfassbare Mächte
„Unfassbare Mächte“ war der erste Ergänzungsband zu Pegasus‘ Reihe „Cthulhu Now“. Nach dem von mir hier in höchsten Tönen gelobten Grundbuch, eine Einschätzung die ich nach wie vor Teile, liegt mit den „Mächten“ nun ein Abenteuer für den lovecraft‘schen Horror in der Gegenwart vor.
Es handelt sich dabei um eine Übersetzung von „Unseen Masters“, einer in Amerika viel gelobten Kampagne, die qualitativ auch spürbar in dem großen Wust von Chaosium-Produkten hervorsticht. Die englische Ausgabe war noch ein voluminöses Softcover, die deutsche dagegen erscheint wie gewohnt im Hardcover. Gut 200 Seiten zwischen zwei matten Umschlagsdeckeln, solide Verarbeitet und schön aufgemacht. Einzig ein Lesebändchen fehlt, was aber nur ein winziger Kratzer im Lack ist. Das Cover zeigt eine Collage, die vom Stil her an die des „Now“-Grundbandes erinnert, wie immer von Manfred Escher und wenn auch keine seiner allerbesten Arbeiten, so doch durchaus stimmungsvoll.
Das wie immer schwarzweiße Innenlayout orientiert sich ebenfalls an der künstlerisch sehr anspruchsvollen und ansprechenden Gestaltung des „Now“-Buches durch Jens Weber, sieht also sehr modern aus. Die Illustrationen dagegen entstammen direkt der englischen Ausgabe und sind damit von Paul Carrick, fügen sich aber hervorragend in das deutsche Design ein.
„Unseen Masters“ war schon von der Idee her ein sehr ambinitioniertes Buch. Es enthält drei Abenteuer, die alle von Bruce Ballon geschrieben waren. Er wollte mit dem Buch einen neuen Maßstab für moderne Cthulhu-Szenarien und eben Horror in der Neuzeit an sich setzen und ich denke, alleine die Tatsache, dass hier einmal nur minimal etwas am Inhalt des Buches geändert wurde (soweit ich es gesehen habe jedenfalls), spricht dafür, dass ihm dieses Vorhaben auch durchaus geglückt ist.
Die enthaltenen Szenarien sind düster, transportieren gut das Feeling, das Konzept des Gegenwarts-Horrors und sind dazu noch sehr interessant aufgebaut. Jedes der drei Abenteuer, auf die ich in Folge auch inhaltlich noch kurz eingehen werde, ist vom Aufbauschema her gleich. Der Autor präsentiert zunächst dem Spielleiter die Grundsituation des Abenteuers. Ein genereller Überblick, Einstiegsmöglichkeiten und dergleichen mehr halt. Von dort aus aber folgt dann kein normaler Fließtext, sondern das, was in dem Buch „Entwicklungsmöglichkeiten des Szenarios“ genannt wird. Das sind je nach Abenteuer 10 bis 14 Unterpunkte, die von den Spielern im Laufe der Handlung wohl abgegrast werden.
Teilweise ist das nur Nomenklatur, oft unterstützt diese Gliederung aber auch hervorragend ein recht freies Leiten der durchaus kriminalistisch angehauchten Szenarien.
Was haben wir da also an Szenarien?
„Die wilde Jagd“, Beitrag Nummer 1, führt uns zu den Missetaten eines Serienkillers. Das ist angenehm klassisches Material und bietet den Charakteren, von denen einer im Dienste der Polizei stehen sollte, zunächst einmal den Rahmen für eine schöne, kriminalistische Untersuchung. Darüber hinaus wird die Geschichte aber auch sehr mysteriös und bizarr dadurch, dass sie einen großen Einfluss aus Richtung „Tindalos“ erhält.
Das Szenario führt tief in die Goth- und SM-Szene(n) hinein, was recht plakativ geschieht, insofern der Stimmung des Szenarios aber sehr wohl zuträglich ist.
„Die Wahrheit wird euch frei machen“ setzt dagegen ganz anders an und lässt die Charaktere auf eine unglaubliche Veschwörung stoßen, die darauf hindeutet, dass alle Nahrungsmittel mit einer schwer wahrnehmungsverzerrenden Droge versetzt worden sind und nur einer von ihnen vermag, hinter den Schleier zu blicken.
So scheint es wenigstens, denn der Clue des Szenarios liegt im Wahnsinn; einer der Charaktere leidet an Schizophrenie und seine „großen Erkenntnisse“ sind sein eigener Wahn, dem er verfällt. Ungeheuer knifflig zu leiten, da es sehr, sehr viel Improvisation erfordert, aber eine richtig gute Idee, um das Wahnsinn-Topos des Cthulhu-Horrors an die Spieler zu tragen.
„Groß werden“ zuletzt verbindet eine ganze anderer, klassischer Elemente moderner Mystery- und Horrorelemente – ein Ferienlager, in dem Seltsames vorgeht und verschwörerisch agierende Gesandte eines unheimlichen Konzerns etwa – mit einer ganzen Reihe lovecraft‘scher Einflüsse, von Nyarlathotep und Nitocris über ein Tiefes Wesen bis hin zum leuchtenden Trapezoeder.
Auch dieses Szenario bietet eine Menge Potential, viele schöne Ideen und verbindet gut die unterschiedlichen Elemente zu einem großen Gesamtwerk, passt zudem schön in den Verschwörungsbereich von „Now“ und ist zudem vermutlich auch wieder leicher zu leiten als „Die Wahrheit...“
Ein paar kleine Kritikpunkte bleiben. So findet man, vermutlich der direkten Übernahme des englischen Textes geschuldet, einige Tugenden neuerer Pegasus-Produkte an diesem Punkt nicht wieder. Vor allem vermisst habe ich knackige Schilderungen der Inhalte der einzelnen Abenteuer. Immerhin zwei von dreien haben einen Abschnitt „Handlungsabriss“, aber „zwei von drei“ ist nicht genug. Auch die besagten Abrisse sind wieder sehr lang und wer das Buch jetzt gerade erworben hat und auf die Schnelle wissen will, was jetzt genau was ist, der wird leider auf dem Backcover noch knackiger mit Informationen bedient als im Text selber. Schade.
Bei den Handouts gibt es viel Grund des Lobes – so gibt es da etwa eine Comicseite, die im Original auch von Carrick gezeichnet war und so gar nicht nach Comic aussah, in der neuen Fassung der deutschen Ausgabe aber sehr wohl – aber auch etwas Kritik. So ist der Druck des Buches sehr dunkel geraten, was gerade einen Handout zumindest in dem Buch einfach unlesbar macht. Das ist ärgerlich, wenn Pegasus in solchen Fällen ja auch meist schnell online Abhilfe schafft.
Zuletzt weniger Kritik als vielmehr warnende Anmerkung: Ballons Texte streben sehr gezielt eine sehr stilisierte und (nicht humoristisch) überzeichnete, dunkle Gegenwart an. Wer in seinem Spiel einen Schwerpunkt auf eine möglichst wirklichkeitsgetreu dargestellte Spielwelt legt, wird mit dem vorliegenden Buch eventuell seine Probleme haben. Allerdings ist er dann vermutlich auch bei „Now“ insgesamt falsch aufgehoben; mir jedenfalls hat es gut gefallen.
Somit fällt mir das Fazit auch leicht. Die fehlenden Tugenden und anderen minimalen Kritikpunkte sehe ich dem Buch ohne Schwierigkeiten sofort nach. Der Band ist voller guter Ideen, die drei Abenteuer alle spielenswert und die Aufmachung toll. Der Preis ist mit 24,95 Euro durchaus fair und ich gehe davon aus, die durchschnittliche Spielrunde kann auch recht lange mit diesen drei mehr oder weniger urbanen Schreckensszenarien seine Freude haben.
Wer ein Buch mit Horrorszenarien in der Gegenwart sucht, selbst für andere Systeme, der macht mit „Unfassbare Mächte“ eigentlich nichts falsch.
Lohnt sich!
Name: Unfassbare Mächte
Verlag: Pegasus Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: Bruce Ballon, Übersetzt von Robert Maier
Empf. VK.: 24,95 Euro
Seiten: 204