Kleine Völker - Düstere Kobolde aus Erdestiefen

KLEINE VÖLKER - Das sind nicht die Zwerge und Elfen, wie man sie aus anderen Rollenspielen kennt. Es sind die sagenhaften und verborgenen Koboldgestalten unserer Mythologie, die hier und da in düsteren Winkeln oder in der Erde hausen und uns das Leben zum Albtraum machen können.
KLEINE VÖLKER - Das sind Wichteln, Salvans und Aguane, Red Caps, Pixies, Nachtmahre, Korred, Kielköpfe, Kirchengrimme, Hobgoblins, Hämmerlinge und Erdluitle, das sind Tillenberger, Fastachee und die Zwerge Dvalin, Alvis, Andvari und vor allem - die Nibelungen!

vom Backcover von Kleine Völker – Düstere Kobolde aus Erdestiefen

Ich war da ja sehr skeptisch. Ein Band über Zwerge oder zumindest zwergenhafte ist ja im Rollenspielsektor wirklich nichts ungewöhnliches; kommt er aber für Cthulhu daher, wird man ja schon hellhörig.
Schon die ersten Ankündigungen machten aber klar, hier geht es nicht um Gimli und seine Artgenossen, hier geht es um klassische Zwergengestalten, Kobolde und die 'Kreaturen' aus germanischen und mittelhochdeutschen Sagen.

Trotzdem ja eher eine eigentümliche Idee. Zumal, ganz klar, die Cthulhu-Angewohnheit, Themen-Abenteuerbände zu publizieren bereits zum jetzt auch schon etwas länger vergangenen Erscheinungstermin von "Kleine Völker" (2002) schon seltsame Auswüchse demonstriert hatte; so ist es ja mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass der – in meinen Augen beste – Teil des Wales-Bandes von Thomas Finn ursprünglich gar nichts mit Wales zu tun gehabt hatte.
Doch das Abenteuer war ja zumindest gut und der vorliegende Band komplett unter deutsche Regie entstanden, da kann man ja mal einen Blick riskieren.

Das Erscheinungsbild des Bandes gleich eigentlich durchweg seinen Artgenossen. Aufgemacht wie eine Mischung aus Kollage und altem Bucheinband erstrahlt der hochglänzende Umschlag vor allem in kräftigen Braun- und Gelbtönen und sieht, kurz und gut, einfach sehr gut aus.
Das Backcover ist, wie zu der Zeit leider noch üblich, recht schlecht lesbar, der Titelschriftzug dagegen sehr markant hervor gesetzt. Über Sinn und Unsinn des Untertitels (was bitte sehr sind 'düstere Kobolde'?!) lasse ich mich aber jetzt mal nicht aus; interessiert vermutlich eh niemanden.
Die Gestaltung des inneren ist gewohnt hervorragend, sowohl was das Layout als auch was die Bebilderung betrifft. Die wird erneut mit zeitgenössischen Fotos bewerkstelligt und gefällt durch einen düsteren Grundton und passende Motive; Handouts sind wie immer am Ende des Bandes und sind größtenteils sehr glaubwürdig und echt gelungen.
Bleiben Bindung und Druck, wo ich eigentlich auch – bis auf eine recht schlecht lesbare Karte auf Seite 35 – nichts zu beanstanden habe.

Kommen wir also zum spannenden Teil: dem Inhalt.
Ganz zu Beginn erwarten einen zwei einleitende Seiten die sich vor allem mit dem Thema Inflation befassen; wirkt etwas wie ein Platzfüller, ist zwar durchaus interessant aber in heutiger Zeit durch die Deutschland-Box natürlich auch schon wieder weit ausführlicher behandelt worden.
Der nachfolgende Artikel passt dann schon eher zum Buch und definiert das Thema: "Von Elfen, Elben, Zwergen und anderen Wesen aus den Schatten." Der stammt einmal mehr von Wolfgang Schiemichen verfasst, widmet sich klar der Frage, wie man all diese Gestalten in sein Spiel einbauen kann.
Er ist recht gut geworden, das vorweg. Ich glaube zwar nicht, dass abseits der in diesem Band geschilderten Abenteuer viele zwergenhafte Wesen in Zukunft über die Cthulhu-Runden dieser Welt hereinbrechen werden, aber gerade weil hier bewusst auf eine 'Verdunkelung' der vorgestellten Wesen verzichtet wurde. Somit weiß man zwar noch immer nicht, was 'düstere Kobolde' sind, aber über den Rest ist man bestens informiert.

Womit man dann zum ersten Abenteuer des Bandes kommt, "Siegfriedslust", einer zweischneidigen Sache. Die Urheberschaft ist hier etwas komplizierter zu entwirren, aber grob gesagt: es wurde von Wolfgang Schiemichen nach einem Konzept von Steffen Schütte verfasst, erweitert und aufpoliert von Frank Heller und Jan Christoph Steines.
Einerseits ist das Abenteuer, welches – der Titel zeigt es schon – sehr vom Nibelungenlied zehrt, eine willkommene Abwechslung vom Gewohnten. Es ist sehr rasant, reich an Action und somit mal etwas wirklich anderes für gestresste Investigatoren im wörtlichen Sinne. Zwar erfordert es daher auch physisch besser bestellte Charaktere, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen, aber wenn man dies einmal als Voraussetzung akzeptiert, gibt es ja keinen Grund zur Klage.
Dennoch aber habe ich so meine Probleme mit dem Szenario, welches die Spieler auf kurz oder lang, SPOILER in Sicht, auf die Suche nach einigen Artefakten aus der Nibelungen-Sage schickt, aus verschiedenen Gründen.
Zunächst einmal ist das Abenteuer schlichtweg überfrachtet mit Details, Gruppierungen und allgemein einfach 'Objekten der Handlung'. Eine mysteriöse Erbschaft, ständige Action, zügig wechselnde Settings bis hin zum französisch besetzten Ruhrgebiet, Kriminelle und Nationalisten, ja selbst Indiana Jones und Belloq haben ihren Weg in das Abenteuer gefunden ... was vermutlich zu viel ist, als das die Spieler es jemals auseinander gedreht bekommen.
Das schien auch dem Verfasser der kursiven Zeilen auf S. 19 bewusst gewesen zu sein, in dem es heißt "In Gegensatz zum Spielleiter wissen die Spieler lange Zeit nicht, warum all die Dinge geschehen, die ihnen widerfahren, und kennen auch lange Zeit nicht ihre eigentlichen Gegner."
Schlimmer noch ist aber die, nicht zuletzt aus der ständigen Action resultierende, Art des Szenarios, an bestimmten Stellen einfach bestimmte Ereignisse zu erwarten. Klar, dass dies im Endeffekt dazu führt, dass der Spielleiter beständig den Kurs der Spieler justieren muss; bei einem guten SL mag das funktionieren, insgesamt ist das aber etwas, was in einem 'professionellen' Kaufabenteuer eigentlich nicht der Fall sein sollte.
Somit ertrinken gute Ansätze und interessante Ideen leider etwas in ihrer schieren Fülle, die den engen Trichter, den der Plot-Verlauf bildet, verstopft. Schade.

Gegenüber der 51 Seiten der "Siegfriedslust" gibt sich "Gestohlene Leben", das zweite Szenario des Bandes, nicht einmal halb so lang. Geschrieben wurde es von Florian Hardt und ich gebe zu, nach den ersten Seiten war ich etwas skeptisch:
"Vor vielen Jahrhunderten lebte das Volk der Hschogfgn in den Tiefen des Alls, auf dem dunklen Begleiter des Aldebaran. Die Ursprünge dieses Volkes sind unbekannt. Fest steht, dass es aus einem Teil des Raums kommen muss, in dem ganz andere Naturgesetze gelten."
Die Praxis zeigt aber, dass sich das Abenteuer weit konventioneller, als diese Einleitung oder auch das vorherige Abenteuer vermuten ließe – was nicht schlecht ist.
Es ist ein typisches Szenario, dessen Einstieg man kaum entkommen kann, welches man sowohl mit mythosunkundigen Charakteren wie auch einer ganz neuen Gruppe (oder auf einer Con) spielen kann. Auch hier bediente man sich der germanisch-deutschen Heldensage und auch hier ist das Spielfeld sehr begrenzt, aber ich denke, der Plot funktioniert recht gut und ist auch gut umsetzbar. Präsentiert ohne viel Schnörkel, aber durchaus mit dem nötigen Raum versehen, dass die, die mehr Details wollen, diese auch noch hinzufügen können
Hat mir gut gefallen.

Danach folgen noch allerlei Anhänge. Eine (sehr eng bedruckte) informiert den Leser noch etwas mehr über die Natur von Mythosbüchern, der Rest gehört dann Handouts, Mythosbuch-Auszügen und einigen zusätzlichen Hintergrundinfos.

Zieht man nun am Ende ein Resümee, so kommt ein guter Abenteuerband heraus. Ein Abenteuer war gerade mal Durchschnitt, eines war gut, dazu der recht gute Artikel am Anfang, das führt klar zu dieser Einschätzung.
Er ist nicht der beste Band der Reihe bisher, ist noch immer weit über dem, was alle Konkurrenten produziert haben, aber haben müssen tut man ihn wohl nicht. Dann wiederum ist er mit 16,80 € recht günstig und kann vermutlich von jedem mal irgendwann dazwischen geschoben werden.
Wer das Thema mag oder dringend neues Futter braucht, kann zugreifen ... allen anderen empfehle ich aber erst einmal einen Blick auf "Berlin", "Um Ulm Herum" oder "Kinder des Käfers".


Name: Kleine Völker
Verlag: Pegasus Press {jcomments on}
Sprache: Deutsch
Autoren: Florian Hardt, Steffen Schütte, Wolfgang Schmiemichen u.a.
Empf. VK.: 16,80 Euro
Seiten: 128