In Labyrinthen - Dunkle Pfade im Osten

Millionenstädte an der Küste, ein Gewirr aus Straßen, Schienen, Gassen und dunklen Winkeln, Häuser jeglichen Stils, himmelsstürmend. Darunter Menschen, gleich Ameisen mit Autos dazwischen, das sind Labyrinthe. Kirchen, strahlendweiß, umgeben von jahrhundertealten Häusern zwischen felsigen Buchten, tiefe, verwilderte Wälder inmitten langer Schatten, lehmiger, holpriger Straßen zwischen herandrängenden Bäumen, weite Felder und verfallene Herrschaftshäuser inmitten rauer Wildnis, dies ist der ländliche Nordosten, dies sind Labyrinthe.
Vom Backcover von In Labyrinthen

Lange hat die Gemeinschaft der Cthulhu-Spieler auf diesen neuen Band aus dem Hause Pegasus Press warten müssen. Einen Band, den man gewissermaßen als Abenteuerergänzungsband zum bereits länger erhältlichen Amerika sehen kann, was auch dadurch verdeutlicht wird, dass man ab der SPIEL 2001 beide Bände in einer Box vereint, unter dem simplen Namen Amerika - die Box, erwerben kann. Doch bevor wir hier weiter ziellos in die Zukunft starren, betrachten wir doch lieber mal, was wir hier vorliegen haben, und das sind immerhin 112 vollständig bedruckte Seiten…

Aber beginnen wir auf der Außenseite. Das Cover entspricht dem üblichen Pegasus-Design, welches ja schon seit dem Grundbuch als etabliert betrachtet werden kann. Wie immer wurde aber das orange gefärbte Bildnis in der Mitte des oberen Drittels des Buches verändert. So darf Cthulhu dort seine Schwingen diesmal über einer alten Ruine ausbreiten…
Ansonsten hat sich - wenig überraschend und auch gar nicht anders nötig - nicht viel verändert, auch wenn selbstredend diesmal ein anderer Schriftzug auf dem Cover prangt, dessen Lesbarkeit zwar in einigen Rezensionen bemängelt wurde, ein Eindruck, den ich aber nicht teilen kann.
Nun denn, gehen wir aber mal zum Innenraum über, der ist ja ohnehin viel interessanter. Rein optisch bekommt man da Gewohntes geboten, angefangen bei den angebrannten Rändern, über die seit Anfang an verwendete, an Leonardo da Vincis Handschrift angelehnte, Schrifttype bis hin zu der Illustration durch "echte" Fotografien aus den 1920s. Besonders Letztere haben mir dabei wieder besonders gut gefallen, sind sie doch fast durchweg stimmungsvoll, relativ düster und i.d.R. auch gut zur Illustration der Szene geeignet, was ja durchaus erwähnenswert ist, denn ich stelle es mir recht schwer vor, immer ein passendes Bild zu bekommen.
Nun, auch die eigentliche Verarbeitung des Buches ist mal wieder makellos, und anders als bei einigen Sourcebooks eines anderen Verlages, die mir vor kurzem unterkamen (nein, ich nenne keine Namen), kann man das Buch auch einer normalen Beanspruchung (inkl. Handouts herauskopieren etc.) aussetzen, ohne danach die Seiten kleben zu müssen. Gewohnte Qualität also in allen Punkten.
Dann wollen wir uns doch nun einmal den geschrieben Worten des Bandes zuwenden. In Labyrinthen ist, das deutete ich zu Beginn ja schon an, eine Abenteuersammlung, die es auf stolze fünf einzelne Abenteuer, ist aber zudem auch noch mit einem Hintergrundartikel über die indianischen Schamanen in den Vereinigten Staaten angereichert, dem wir uns aber am Ende mal zuwenden werden.
Schon das Vorwort ist aber im Hinblick auf die Abenteuer interessant, heißt es da doch: "[Sie stammen], bis auf das Debüt eines neuen deutschen Autors, aus den Anfangszeiten des Cthulhu-Rollenspiels. […] Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass hier ‚alt' nicht gleicht ‚gut' ist."
Eine, wie ich meine, sehr ehrliche und interessante Notiz, die aber kein Grund zur Sorge ist. Warum? Nun, gehen wir die Abenteuer mal nacheinander durch:
Den Anfang macht DAS NEST, eine Übersetzung des englischen Szenarios "The Warren". Das gut 20 Jahre alte Szenario ist die Umsetzung der Lovecraft-Geschichte "Die lauernde Furcht" und sicherlich kein Glanzlicht des Bandes, zumindest für alte Hasen nicht. Es ist gradlinig und es erinnert zeitweise sogar an klassische Dungeoncrawls, was es zwar für Freunde klassischer Cthulhu-Szenarien eher unbrauchbar macht, aber es zu einem guten Einsteigerabenteuer werden lässt. Und dass es auch so gedacht war, zeigt nebenbei auch der kurze Artikel "Von echten Schrecken und schrecklichen Spielleitern", in dem am Beispiel vom "Nest" erläutert wird, wie ein Newbie ein Szenario aufzuziehen hat.

Als nächstes folgt DER FALL ("The Case"), ein Szenario, an das ich nur schwer völlig unbefangen rangehen kann, ist es doch die Umsetzung eines meiner liebsten Romane von H.P. Lovecraft: "Der Fall Charles Dexter Ward".
Grob gesagt untersuchen die Spieler einen starken Persönlichkeitswandel bei einem "Spross alten neuenglischen Geldadels" und stoßen dabei erwartungsgemäß auf ein schreckliches Geheimnis. Um die Neutralität zu behalten, habe ich das Szenario auch gleich einer Testsitzung unterzogen, und im Endeffekt hat es mir (wie auch meinen Spielern) ziemlich gut gefallen. Spielenswert, wenn auch ein wenig gradlinig.

Szenario Nr. 3 ist das oben in einem Zitat schon angedeutete Werk eines neuen, deutschen Autors, namentlich Frank Heller, der ja gerade auch durch den neuen SL-Schirm und das neue Cthulhu-Hausmagazin "Cthuloide Welten" dabei ist, sich weiter einen Namen zu machen. Hinter dem Titel DAS ENTSETZLICH EINSAM GELEGENE HAUS IM WALD verbirgt sich eine klassische Horrorgeschichte: die Spieler sehen sich nach einem Unfall von der Außenwelt abgeschnitten und durchleben im titelgebenden "entsetzlich einsam gelegenen Haus" eine ‚schöne' Schreckensgeschichte. Die entstehende Stimmung ist dabei sicherlich das Glanzlicht des Szenarios, aber auch der verwendete Hintergrund macht das Abenteuer zu einem Genuss. Für mich eines der Highlights des Bandes.

Mit einem Unfall beginnt im Übrigen auch AUTONARREN ("Furious Driving"), danach sehen sich die Spieler plötzlich in ein seltsames Geflecht um einen New Yorker Geldadel verwickelt und müssen bald merken, dass eine Liebe zu Autos und die Suche nach einem verschollenen Bruder doch nicht alles ist, womit sie dieses Szenario konfrontiert.

Den Abschluss macht dann noch mal ein regelrechtes Hammerszenario namens DER GOTT IM LABYRINTH ("The Pale God"), welches ich wirklich beim allerbesten Willen nur erfahrenen Spielleitern und Spielern zumuten wollte.
Weshalb? Nun, der titelgebende Gott, entnommen aus Ramsey Campells Geschichte "Before the Storm", ist in dem Abenteuer wirklich anzutreffen, wenn man sich dumm anstellt, und daraus erwächst für beide Seiten des Spieltisches ein Problem: Der Spieler müssen höllisch aufpassen, um nicht jener Gottheit zum Opfer zu fallen, und der SL muss aufpassen, dass er die Spieler nicht augenblicklich tötet. Wem das aber gelingt, dem steht auch mit dem GOTT IM LABYRINTH ein feines Szenario zur Verfügung…

Alle neu aufgelegten Szenarios wurden dabei auch noch einmal überarbeitet, was weiterhin für eine Qualitätssteigerung sorgt. So enthält der Band auch noch 27 Seiten mit Handouts, die alleine schon für einen Anstieg sorgen können. So werden dort auch Auszüge aus so illustren Werken wie dem "Thaumaturgical Prodigies in the New England Canaan", "Monsters and their Kynde", "Revelations of Glaaki", "Cultes des Ghoules", dem "Book of Eibon" oder schlichtweg dem "Necronomicon" zum Austeilen angeboten. Auch dort ist die optische Gestaltung exzellent, und alte Bücher wirken auch Älter als sie es jemals zuvor getan haben…
So weit, so gut, bleibt eigentlich nur noch etwas, zu dem - ja, nennen wir es mal so - zu dem "Bonusartikel" des Bandes zu sagen. Warum ich ihn so nenne, das erläutere ich gleich noch näher… Was Wolfgang Schiemichen unter dem Namen "Mythen, Medizinmänner und magische Persönlichkeiten" abliefert, ist jedenfalls höchst interessant, wenn auch natürlich nicht in die selbe "Ready to Run"-Kategorie wie der Rest des Bandes fallend.
Jedenfalls ist schon die Einleitung passend: "Zumal, ganz Cthulhu gemäß, der Artikel auf Auszügen eines Buches beruht, die der Autor dieses Artikels vor Jahren einmal für private Zwecke kopierte und von dem er sich nun weder an den Titel des Buches noch an den Namen des Autors erinnern kann. […] Eines der üblichen obskuren, halb vergessenen Büchern also - nur dass dieses existiert." Wenn das mal kein guter Auftakt ist.
Danach wird die Funktion und Bedeutung eines Medizinmannes in aller erwünschten Detailtiefe erläutert, angefangen bei der einfachen Frage "Was ein Medizinmann ist", über Geheimkulte der Schamanen bis hin zu "Peyote-Kulten". Ich persönlich fand den Artikel höchst lesenswert, und nur ein marginaler Makel befleckt ihn: er wirkt auf gewisse Weise unmotiviert. Nicht im Hinblick auf den Text selbst - da gab es keinen Grund zur Klage - nein, sondern vielmehr im Hinblick auf die Gesamtkonzeption des Buches, denn irgendwie scheint er doch Selbstzweck zu sein.
Andererseits, warum beschwere ich mich? Das Buch hat einen wundervoll-geringen Verkaufspreis von 32,80 DM, der auch für die Abenteuer alleine schon preisgünstig ist, und die Dreingabe des Artikels ist doch da ein netter "Bonus" - womit ich dann auch den Kreis zum oben gebrauchten Begriff "Bonusartikel" geschlossen und meine Wortwahl hoffentlich klar gemacht habe.
Nun, ein Fazit wäre nicht schlecht, oder? Ich würde es kurz und knapp sagen: KAUFEN! Ich denke zwar, dieser Band kann nicht ganz an die hohe Qualität des Amerika-Bandes anknüpfen, weit abgefallen ist er aber auch nicht. Selten ist mir eine Abenteuersammlung von derartiger Qualität untergekommen, und wer noch eine solche sucht und zwischen den Bänden von Chaosium und In Labyrinthen steht, der sollte klar zum deutschen Buch greifen. Ob man das Buch auch braucht, wenn man nur eigene Szenarien leitet, sei mal dahingestellt, aber zumindest weiß der Band zu inspirieren, in alten Cthulhu-Hasen das Gefühl von Nostalgie zu wecken und man erhält noch schöne, auch anderweitig verwendbare Mythosbuchauszüge sowie einen schönen Artikel über Medizinmänner. Also, ab in den Laden und zugreifen!!


Name: In Labyrinthen - dunkle Pfade im Osten
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch
Autoren: Wolfgang Schiemichen, Frank Heller u.a.
Empf. VK.: 16,80 EUR {jcomments on}
Seiten: 112