Horror im Orient-Express Bd. 3 - Von Italien nach Zagreb

Band 3: Von Italien nach Zagreb reisen die Charaktere im dritten Band der Kampagne.
vom Backcover von Horror im Orient-Express Bd. 3 – Von Italien nach Zagreb

„Schon wieder so dick!“ Definitiv mein erster Gedanke, als ich den dritten Band der Orient-Express-Kampagne in den Händen hielt. Der Band, diesmal in dezentem Braun gehalten, steht dem zweiten Buch der Kampagne in Sachen Umfang definitiv schon einmal nichts nach.
Ebensowenig in Sachen Optik. Der prachtvolle Einband stammt wieder aus der Schmiede von Manfred Escher, setzt das bisherige Design konsequent fort und zeigt den Orient-Express dieses Mal über eine Brücke hinwegrauschen. Schön. Einfach schön.
Man muss auch nicht weit in den Band hineinblättern um zu sehen, dass Konstantyn Debus und seine tapfere Layoutcrew sich ein weiteres Mal gesteigert hat. Gleich das Einleitungsbild zum ersten Kapitel, sich über die obere Hälfte einer Doppelseite erstreckend, ist einfach ein Anblick, der die Kinnlade nach unten sausen lässt.
Nachdem ich jüngst mit einigen der regulär gelayouteten Pegasus-Bände ja etwas härter ins Gericht gegangen war, kann man hier doch wieder und wieder ins Schwärmen geraten. Sogar die Handouts sind wieder lesbarer geworden, einzig die Seitenzahlen-Usability-Kritik bleibt bestehen. Uhren und Abfahrtszeiten sind keine große Hilfe zur schnellen Referenz.

Viel Inhalt wird auch dieses Mal geboten. Gleich fünf Szenarien (vier davon gehören zur Kampagne, eines ist neu) werden geboten und führen von Mailand bis Zagreb. Den Auftakt macht „An die Kehle“ bringt die Charaktere auf die Spur des größten Teils des Sedefkar-Simulakrums. Die Atmosphäre in Mailand ist großartig geschildert, verstörend für die Spieler und doch gut am Tisch zu inszenieren, dass Finale in der Oper sogar sehr denkwürdig.
Band 3 startet direkt mit einem gelungenen Szenario durch, so dass man doch gespannt ist, wie es weitergehen wird.

Nach Venedig geht es, in das Kapitel „Der Tod – und die Liebe – in Venedig“. Anders als in Chaosiums Original hat man den Aufenthalt in der Stadt der Gondeln in die Zeit des Karnevals verlegt, was der Geschichte direkt sehr viel Flair gibt.
Das zieht auch die eigentliche Handlung direkt wieder nach oben, die nach dem Opernfinale des ersten Abenteuers erst mal wieder Fahrt aufnehmen muss. Dem Spielleiter hilft dabei die sehr gute Einteilung der Handlung in Tage und Tageszeiten, die einem eine gute Orientierung bietet, wann wohl was passieren wird.
Faschisten, Figuren und Puppen ganz besonderer Art pflastern zudem ihren Weg, der sie letztlich in den Besitz des linken Beines des Simulakrums bringen dürfte.

Weiter geht es nach Triest, wo „Ein kalter Wind“ weht. Hier wird der historisch belegte Tod des Vatikan-Bibliothekars und Archäologen Johann Joachim Winckelmann anno 1768 in einen etwas anderen Kontext, den Mythos, gesetzt und bringt die Lloigor ins Spiel. Ein denkwürdiger Ausflug herab in einige Tropfsteinhöhlen ist ebenfalls auf dem Reiseplan unserer Gruppe.

Bevor jedoch im Anschluß noch Zagreb selbst erreich werden kann, greift Peter Schotts neues Szenario „Der große Zugraub“. Faszinierend daran ist, dass es eine ganz weltliche Bedrohung auf die Charaktere loslässt. Die Idee, dass eine Gruppe cthuloider Ermittler nicht etwa von Großen Alten und alten Schrecken bedroht wird, sondern durch eine ganz „banale“ Gruppe jugloslawischer Bahnräuber ihr Leben zu verlieren droht, hat mit sogleich gefallen.
Es gibt daher ‘ne gute Prise Action und etwa Unterhaltung abseits des Mythos, was gerade an diesem so fortgeschrittenen Punkt recht erfreulich ist.

Das Finale des Bandes ist dann aber wieder „all mythos“ und führt die Charaktere nach Zagreb. Die „Stadt der Türme und der Glocken“ steht ganz im Zeichen Thomas Ligottis und verspricht daher, nicht zu Unrecht, einige schöne, bizarre Erlebnisse. Allerdings habe ich mit dieser Episode so meine Probleme.
Wie schon in Lausanne wird auch hier geträumt, doch gibt das Traum-Zagreb „den Charakteren kaum Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Das ist vom Autor auch so beabsichtigt, da vor allem Interesse an einer höchst atmosphärischen Schilderung besteht.“
Weiß ja nicht, wie es der geneigten Leserschaft geht, aber so etwas empfinde ich persönlich immer als sehr frustrierend. Da wird, unter dem Deckmantel einer atmosphärischen Schilderung, genau das geliefert, wovor etwa Thomas Finn immer wieder warnt: eine Geisterbahn.
Man wird hindurchgefahren, wirklich machen kann man aber nichts. Das ist schade. Zwar lässt sich aus dem Traum-Zagreb mit etwas investierter Mühe durchaus noch etwas herausholen, doch so, wie es hier präsentiert wird, kann das Szenario spielerisch nicht überzeugen. Eine gute Geschichte macht eben noch kein gutes Abenteuer. Man kombiniere dies mit einer recht guten Chance, durch Würfelpech seinen Charakter für eine ganze Weile, vielleicht gar für immer, auszuschalten sowie einen bisweilen bemüht literarischen, keinesfalls aber praktischen Schreibstil und erhalte am Ende eine mit viel Potential gesegnete, praktisch aber unausgegorene Episode der Reise.

Danach folgt, wie schon von den Vorgängerbänden bekannt, der Quellenteil. Thema diesmal ist alleine Italien, da der Balkan im nächsten Band folgt und die hiesige Zagreb-Episode ohnehin nicht historisch sein will.
Der Italien-Teil ist dafür noch umfangreicher, als es schon die Regionalbeschreibungen aus Band 2 waren. Das Land, die wichtigsten Provinzen, die wichtigsten Städte und natürlich zahllose weitere Details zu Mailand, Venedig und Triest harren darauf, von kreativen Spielleitern in spannende Abenteuer verwandelt zu werden.
Hier gibt es nichts zu meckern, im Gegenteil, einmal mehr wird es hier höchst vorbildlich.

Abschließend kann man auch vom dritten Orient-Express-Band nur schwärmen. In traumhafter Optik präsentiert sich auch der vorletzte Akt der großen Kampagne als spannende Geschichte voll schöner Ideen. Die Zagreb-Episode ignoriert man entweder ganz (was ohne Probleme ginge) oder arbeitet sie um, der Rest kann so, wie er im Buche steht, schon genug begeistern.
Der Quellenteil ist informativ und macht den Band einmal mehr auch für jene lohnend, die an der Kampagne an sich gar kein so großes Interesse haben. Allerdings gibt es, anders als noch bei Band 2, dieses Mal keine wirklich zum One-Shot geeigneten Szenarien.
Dennoch, wer die ersten Bände mochte, braucht Band 3 sowieso und wer bisher noch kein Interesse zeigte, hat hiermit einen weiteren, sehr guten Grund, vielleicht doch mal einen Blick zu riskieren.

 


Name: Horror im Orient-Express Bd. 3
OT: Horror on the Orient Express
Verlag: Pegasus Press {jcomments on}
Sprache: Deutsch
Autoren: Frank Heller (Redaktion und Konzeption), u.v.a.
Empf. VK.: 19,95 Euro
Seiten: speziell