Horror im Orient-Express Bd. 2 - Von Paris in die Alpen

Band 2: Von Paris in die Alpen markiert den Beginn der Suche nach den Einzelteilen des legendären Sedefkar-Simulakrum. In Frankreich recherchieren die Charaktere zunächst in Paris und Umgebung, och gilt es, keine Zeit zu verlieren. In zügiger Fahr bringt der Orient-Express sie nach Lausanne in der Schweiz, wo sie sich in einer Stadt wiederfinden, die sie so nicht erwartet hatten.
vom Backcover von Horror im Orient-Express Bd. 2 – Von Paris in die Alpen

Wesentlich wuchtiger als noch Band 1 kommt der zweite Teil der Orient-Express-Kampagne daher, der neben einer deutlich gewachsenen Seitenzahl auch noch gleich zwei zusätzliche Begleithefte mitliefert.
Rein optisch überzeugt er zunächst einmal wieder durch sein Escher-Cover auf, dass eine stimmungsvolle Collage aus irren Schriften, Symbolen, Tentakeln, Fingerabdrücken sowie einem klassischen Buchumschlag ist, in deren Mitte geradezu majestätisch der Zug selber aufragt. Wunderbar.

Auch die Innengestaltung ist mal wieder wundervoll geraten. Wie schon beim ersten Band, zeichnet sich auch dieses Mal wieder Konstantyn Debus für die visuelle Gesamtkoordination verantworlich, während Patrick Strietzel den Satz übernommen hat.

Das klassisch-edle 1920er-Design habe ich in Band 1 ja bereits beschrieben – geschwungene Linien, Bilder mit abgerundeten Kanten und elegante Textkästen lassen die Kampagne, auf dickem Glanzpapier gedruckt, einfach wertvoll erscheinen. Viel Stimmung.
Auch die Bebilderung ist wunderbar. Zunächst einmal fällt positiv auf, dass es hier irgendwie weniger unscharfe Foto-Kleckse gibt als normalerweise. Do schön das Design bei Pegasus manchmal ist, oft wirken Fotos nicht richtig passend oder eben um den Fakten 100 zu oft vegrößert – nicht so hier. Alles ist gestochen scharf und markant eingebettet,
Die verzerrten Bilder zum Auftakt eines Kapitels sind dagegen richtig schaurig-schön, gerade das Einleitungsbild zum Szenario „Das Mädchen im Schnee“ fand ich faszinierend.
Einzig von der Bedienbarkeitsfront kann man leichte Kritik anbringen. Einerseits gibt es wieder keine Seitenzahlen, sondern nur Uhrzeiten. Das fand ich in Band 1 schon ungünstig, Band 2 ist nun aber auch noch umfangreicher. Das mag gehen, wenn man gemütlich in dem Buch schmökert – zur schnellen Referenz an eine unerwartete Stelle ist es dagegen vollkommen ungeeignet. Gott sei dank ist das Buch zumindest so aufgebaut, dass derartige Referenzierung nur selten notwendig ist.
Die zweite Usability-Kritik richtet sich an die Handouts, die in meinen Augen mittlerweile schon zu professionell und echt aussehen. Oft sind sie sehr schwer lesbar, was für die Spieler ganz nett, für den SL aber schon entnervend sein kann, wenn er selber wieder auf Recherche gehen muss, was da wohl steht. Zumal direkt bei ihnen zwar das Abenteuer, nicht aber die Seite angegeben ist, wo sie auftauchen, was dies auch weiterhin erschwert.
Schön sind sie allemal. Nur unhandlich „zu bedienen“.

Inhaltlich ist das Buch wieder zweigeteilt in Abenteuer- und Quellenteil, wobei der gewachsene Umfang des Bandes hier in beiden Richtungen Niederschlag findet. Vier Abenteuer sind enthalten, von denen jeweils zwei in Paris und zwei im schweizerischen Lausanne spielen, sowie jeweils zwei alt und zwei extra für die deutsche Ausgabe verfasst worden sind.
„Les fleurs du mal“ ist somit der Auftakt und gleich ein Teil der offiziellen Rahmenhandlung. Die Spieler können Nachforschungen zum Simulakrum anstellen und im Anschluss sogar ihren ersten Teil erwerben, wenn alles glatt geht. Das Szenario selbst ist dabei okay, wenn auch nicht überragend, etwas unübersichtlich präsentiert, wird vor allem von seiner Anbindung an den Plot getragen.
Das zweite Paris-Szenario dagegen ist ein Geschenk. Sixt Wetzler hat mit „Das Mädchen im Schnee“ nicht nur eine traumhafte Paris-Episode ersonnen, die von mehr Flair umgeben ist als viele direkt umworbene Szenarien, sondern auch gleich „Les fleurs du mal“ sozusagen „repariert“. Das Szenario hat nämlich mehrere Tage der Recherche, die am Spieltisch Leerlauf erzeugen – eine Bresche, in die das Abenteuer springt.

Danach geht es weiter nach Lausanne. Nach einigen normalen Nachforschungen im Rahmenhandlungskapitel „Nocturne“ verschlägt es die Spieler tatsächlich in ein Traumreich, um ihre Nachforschungen dort fortsetzen zu können. Das ist dann eine erfrischend andere, vorausdeutungsreiche Episode, die sicherlich vielen Spielern lange im Gedächtnis bleiben wird. Immerhin sind Traumlande und Konsorten in deutschen Publikationen ohnehin sehr rar. Gerade den „Traum“-Faktor finde ich hier aber auch gut getroffen.
Das zweite Szenario hier stammt von Peer Kröger und spielt in den winterlichen Alpen. „Das Band der Welten“ hat wiederum nichts mit der eigentlichen Handlung zu schaffen und würde daher auch als Stand-Alone funktionieren, lässt sich aber auch gut einbinden. Die Handlung selbst ist nicht erschlagend komplex, aber doch umfangreich genug, um eine Sitzung lang zu beschäftigen. Neben der abwechslungsreichen Handlung gefällt hier auch wieder die Struktur gut, denn mit einer Handlungszusammenfassung zu Beginn, kleinschrittiger Inhaltsschilderung und sogar einem Textkasten zum Spieltest ist dieser Abschnitt sehr vorbildlich geraten.
Von den neuen Szenarien fand ich „Das Mädchen im Schnee“ von der Atmosphäre her schöner, aber beide Ergänzungen sind gelungen zu nennen.

Damit ist man aber gerade mal knapp über ein Drittel durch den Band, es folgen umfangreiche Quellenteile zu Frankreich, mit Schwerpunkt Paris, sowie der Schweiz, Schwerpunkt Lausanne, in der 1920er-Epoche.
Von historischen Fakten über gruselige Geschichten bis hin zu Zitaten berühmter Schriftsteller zu den besagten Orten, hier findet man alles, was man zur Ausgestaltung eines Abenteuers braucht. Paris ist so bekannt und so mystisch, dass der Artikel fast ein Selbstläufer sein müsste, überzeugt aber weiterhin durch viele nette Details, auch abseits allem, was mit der Kampagne direkt zu tun hat.
Von der Schweiz in den 1920ern und Lausanne allgemein hatte ich dagegen zuvor keinerlei Ahnung und habe den entsprechenden Artikel viele Informationen entnehmen können. Eine wahrlich lohnende Lektüre, wiederum auch für eigene Abenteuer.

Damit ist aber gerade mal das dicke Buch abgedeckt, dem Paket lagen zudem noch zwei weitere Hefte bei. Der „Guide Officiel Simplon-Orient-Express“ ist ein intime verfasster Reisebegleiter in zeitgenössiger Aufmachung in edlem Zwei-Farb-Druck und ohne den geringsten Hinweis auf Pegasus als Urheber, der perfekt als Handout an die Spieler gegeben kann. Eine Reisebroschüre, die Infos gibt und Stimmung macht.
„Fremde auf der Fahrt“ ist dagegen ein vollkommen schwarzweißes Heft, in dem – im Design von Reisepässen – alle NSCs der Kampagne mit langer Beschreibung, Werten, Reisebegleiterwerten, Foto und Platz für Notizen abgedruckt sind. Fand ich anfangs noch etwas seltsam, aber bei der NSC-Dichte der Kampagne sehr nützlich und eine nette Ergänzung.

Somit ist Band 2 der großen Kampagne zwar um einen der beiden Faktoren, die ich in der Rezension des ersten Bandes noch herausgestellt habe, nämlich den günstigen Preis, beraubt worden. Denn Reisebegleiter, NSC-Heft und gigantischer Umfang fordern ihren Preis und hiefen die Latte herauf auf 24,95 Euro.
Ein Preis, der sich aber lohnt. „Von Paris in die Alpen“ ist das vielleicht schönste Buch, das Pegasus bisher gedruckt haben, die Ausstattung ist prachtvoll und die enthaltenen Szenarien recht schön. Selbst wer die Kamapgne nicht spielen will, kann über einen Kauf nachdenken, denn der Quellenteil ist überragend gut recherchiert und aufgemacht und „Das Mädchen im Schnee“ sowie „Das Band der Welten“ sind zwei hervorragende Abenteuer, die auch alleine gespielt werden können.
Ein herausragendes Buch!


Name: Horror im Orient-Express – Band 2: Von Paris in die Alpen
OT: Horror on the Orient Express
Verlag: Pegasus Press {jcomments on}
Sprache: Deutsch
Autoren: Frank Heller (Redaktion und Konzeption), u.v.a.
Empf. VK.: 24,95 Euro
Seiten: speziell