Hinter den Schleiern

Hinter den Schleiern liegen unzählige cthuloide Welten verborgen.
vom Backcover von Hinter den Schleiern

Wie schon der vor kurzem hier besprochene Band "Cthulhu 1000 AD", so ist auch der zweite CW-Sonderband "Hinter den Schleiern" schon eine ganze Weile auf dem Markt. Nun aber hat sich doch mal endlich die Zeit gefunden und wir können einen Blick auf den 120 Seiten starken Band werfen.
Anders als "1000 AD", welcher ja noch ein ganzes Setting transportierte, ist "Hinter den Schleiern" primär ein Abenteuerband mit schwindend kleinem Quellenteil. Bedient werden dabei vor allem Spielleiter von weniger typischen Cthulhu-Epochen, wie wir gleich noch feststellen werden.

Aber zunächst zur Optik. Der Band ist wie gewohnt ein Softcover von hervorragender Qualität, sowohl was die Bindung angeht, als auch, soweit es den Druck betrifft. Das Cover stammt einmal mehr von François Launet, wirkt aber in meinen Augen etwas zu sehr computergeneriert um mit seinen anderen Arbeiten mithalten zu können. Dennoch wirkt das ganze Frontdesign sehr stimmig und liegt deutlich vor manchem Konkurrenzprodukt.
Die Innengestaltung, dieses Mal von Thomas Ertmer umgesetzt, ist dagegen weniger schön geraten. Es gibt einen neuen Zierrand – kein Verbrechen an sich, aber leider optisch bei weitem nicht mit der normalen Gestaltung vergleichbar. Eine relativ geringe Zahl von Fotos und eine im Gegenzug etwas konzeptlos wirkende Verwendung von grafischen Elementen machen den Band zwar nicht direkt hässlich, aber die Referenz aus eigenem Hause wird nicht erreicht. Auch negativ fällt auf, dass die Handouts jeweils am Ende der einzelnen Abenteuer, nicht aber am Ende des Buches aufgeführt sind – das zwingt einen dann wohl dazu, sie mitten aus dem Buch herauszukopieren. Und das macht sicherlich niemand gerne.
Andererseits kann zumindest eines der enthaltenen vier Abenteuer mit Illustrationen von Thorsten Kettermann aufwarten, die sehr schön und passend geraten sind.

Vier Abenteuer – schon mal wieder ein gutes Stichwort. Doch bevor wir uns in das erste Szenario stürzen können, gilt es erst einmal, einige Seiten Hintergrund zu verarbeiten. "Cthulhu 1200 AD" von Steffen Köhn richtet sich, wie auch sein Abenteuer, ans Spieler von "Cthulhu 1000 AD" und bringt das im ersten Sonderband präsentierte Setting auf den Stand des Hochmittelalters. Dieser Artikel ist mit seinen drei Seiten sehr kurz und kann daher nicht mit dem Detailgrad der Vorlage konkurrieren, andererseits ist das Hochmittelalter wohl auch zugänglicher als die finstere Zeit davor.
Seine Hauptaufgabe, nämlich das folgende Szenario zu unterstützen, meistert es ohnehin ohne Probleme.

"Der Zirkel des Baphomet" führt also unsere Charaktere aus dem Jahr 1200 AD auf eine Queste, setzt sie auf die Spur des Kitab Al-Azif, besser bekannt als Necronomicon. Die Handlung spielt in Konstantinopel, schwebt im Dunstschatten des vierten Kreuzzugs und dreht sich, der Titel suggeriert es schon, auch um Templer und Assassinen.
Das Szenario selbst ist dabei sicherlich kein Meilenstein, hat mir aber insgesamt durchaus sehr gut gefallen und ist definitiv spielenswert.

Das zweite Szenario kommt von Frank Heller und ist ebenfalls kein Stand-Alone-Produkt. "Der goldene Skorpion" ist im wilden Westen angesiedelt und ist, wenn auch in die 1890er oder 1920er portierbar, erst einmal die Fortsetzung des Szenarios "Die Jagd nach Kid Carson" aus der zweiten regulären CW-Ausgabe. Die Spieler brechen hier, anhand der mutmaßlich im oben genannten Szenario erbeuteten Schatzkarte auf um den "Tempel des goldenen Skorpions" zu finden. Was sie nicht ahnen ist, dass es weniger großer Reichtum, sondern ein aztektischer Schrecken ist, der auf sie wartet.
Das Abenteuer bietet einige für Cthulhu sehr ungewöhnliche und erfrischende Elemente und hat mir sehr gut gefallen. Vor allem wird aus dem Wild-West-Szenario erfreulich viel Gewinn geschlagen, denn obschon das Abenteuer auch optional einsetzbar sein soll, ist gerade die Vorstellung von klassischen Revolverhelden und Schatzjägern in diesem Setting sehr reizvoll.
Schön.

"Die Spur der schwarzen Katzen" ist von Ingo Ahrens und richtet sich, der Titel sagt schon alles, an Katzulhu-Spieler. Das sind lyrisch gesagt Detektive auf Pfoten, praktisch gesprochen halt Katzen. Die Handlung zeigt dabei eindeutige Spuren des Romans/Zeichentrickfilms Felidae, hat aber einen sehr starken Mythos-Einschlag erhalten.
Anders als Frank Hellers "Der Fluch des Rattenwesens" (CW 4) ist das vorliegende Szenario allerdings sehr ernst und nicht satirisch gemeint, liest sich spannend und dürfte, insbesondere bei Gruppen, die den oben genannten Katzenkrimi nicht kennen, sehr gut ankommen können.
Gerade für Leute, die einer Katzenkampagne nichts abgewinnen könnten aber das Setting selbst mal ausprobieren möchten, bietet das Abenteuer eine sehr elegante Möglichkeit, dies auch mal zu tun.

Das vierte und letzte Abenteuer des Bandes, "Projekt Pi", stammt von Nautilus- und Kartefakt-Redakteur Peer Kröger und entführt die Spieler in die Gegenwart. Sie schlüpfen, höchst ungewöhnlich, in die Rolle von Navi Seals und rücken aus, als das im Regierungsauftrag entsandte Schiff Roger Revelle nicht mehr antwortet.
Die Fahrt führt diese ungewöhnlich gut ausgebildeten und bewaffneten Charaktere, die komplett als Archetypen vorliegen, hinaus auf das Meer und letztlich sogar bis auf den Grund des Meeres – wer oder was da ruht, dürfte den meisten Spielleitern wohl klar sein...
Das Szenario ist höchst ungewöhnlich und funktioniert, dank gut durchdachter, spannender Handlung und gutem Setting, sauberen Schock-Effekten und gekonnter Dramaturgie. Es hat mir sehr gut gefallen, vom Schreibstil bis zur Handlung wohl klar mein Favorit in dem Band.

Das ist allerdings auch so, weil "Projekt Pi" schlicht das einzige Szenario ist, welches komplett alleine stehen kann. Sowohl "Der goldene Skorpion" als auch "Die Spur der schwarzen Katzen" brauchen gar eine längst vergriffene und nahezu unbezahlbare Ausgabe der CW zum Gelingen, das "Baphomet"-Abenteuer verlangt zumindest nach dem Sonderband 1, um sauber zu funktionieren.
Das mag zugegebenermaßen zum Erscheinen von "Hinter den Schleiern" Sinn gemacht haben, heute aber wirkt das ganze etwas unelegant, da auf diese Weise grundlegende Informationen für viele Spielleiter einfach nicht verfügbar sind.

Dem entgegen wirkt zumindest der satte Umfang des Buches, welches jedem der Szenarien den nötigen Raum lässt, den es braucht, um sich vollständig zu entfalten. Daher kann der obige Kritikpunkt auch nicht als Geldmacherei ausgelegt werden – im Gegenteil ist sehr positiv anzumerken, dass sich die CW-Sonderbände offenkundig nicht zwangsläufig an die "großen" Settings halten, sondern hier auch Randgruppen gut bedient werden.
Das Problem ist allenfalls, dass jemand, der eben nicht gleich allen eher sonderlichen Epochen zugeneigt ist, mit entsprechend großen Teiles des Bandes auch nichts anfangen kann.

Dafür ist der Preis einmal mehr vorbildlich. Vier Szenarien für unter 15 Euro sind heute eindeutig eine Seltenheit und gerade im Vergleich zur regulären Pegasus-Reihe erfrischend günstig – das gefällt.
Daher kann man abschließend nur festhalten, dass der Nutzen des Bandes aus unterschiedlichen Gründen, etwa den gespielten Szenarien und der Frage nach der Verfügbarkeit von "Cthulhu Wild West" und "Die Spur der schwarzen Katzen" aus der CW1, sehr fluktuiert. Doch der günstige Preis und die durchweg hohe Qualität der einzelnen Szenarien lassen einen auch gerne diese Wermutstropfen ertragen und trotz allem klar sagen: wer nicht zwanghaft die 1920er als Hintergrund braucht, der sollte "Hinter den Schleiern" eine Chance geben.
Sehr, sehr schön.


Name: Hinter den Schleiern
Verlag: Pegasus
Sprache: Deutsch {jcomments on}
Autoren: Steffen Köhn, Frank Heller, Ingo Ahrens und Peer Kröger
Empf. VK.: 14,80 Euro
Seiten: 120