Geheimnisvolles Marokko

Marokko ist [...] das Land uralter Geheimnisse, viel älter als die Menschheit selbst.
vom Backcover von Geheimnisvolles Marokko

Mit „Geheimnisvolles Marokko“ legt die Pegasus-Truppe rund um das Cthulhu-Rollenspiel den nunmehr sechsten Band der Reihe „Cthuloide Welten Bibliothek“ vor. Das ist, um es noch mal ganz kurz zu machen, eine Reihe von Bänden, bisher alles Softcover, in denen Quellenmaterial und Abenteuer veröffentlicht werden. Was sie von den „Großen“ unterscheidet ist ihr Status als Teil der CW-Reihe, die zwar auch via Pegasus erscheint, aber nicht zur offiziellen Linie gehört. Insofern bieten die Bibliotheksbände häufig eher den Raum für abgefahrene oder schräge Ideen, frischen Wind und dergleichen. Und sie sind in der Regel recht preisgünstig, wie auch in diesem Falle, wo man rund 80 Seiten Material für gerade mal 12,95 Euro bekommt.
Dann prangt da noch ein Logo auf dem Cover – „Expeditionen“. Das verbindet ihn wiederum mit einem offiziellen Band, namentlich „Expeditionen – Ins Herz der Finsternis“, der die Spielercharaktere heraus aus staubigen Bücherstuben und alten Dörfern führt, hinaus in die unerforschte Welt. „Geheimnisvolles Marokko“ setzt das durchaus in diesem Sinne fort.
Und eine dritte Zugehörigkeit kann man vorweg noch nennen, wenn diese auch nicht auf dem Cover steht. Dem Band zugrunde liegt „Mysteries of Morocco“, das bei Chaosium als „Monograph“ erschienen ist. Diese Monographien sind eine recht clevere, wenn auch neppige Einrichtung des amerikanischen Cthulhu-Lizenzgebers. Die darin erscheinenden Produkte werden komplett von einer Person gestemmt, also dem, der sie auch schreibt. Der bewältigt auch Layout, besorgt sich irgendwie die Illustrationen und macht die ganze Arbeit. Chaosium binden das Endprodukt dann so mehr oder eher weniger professionell und vertreiben das Egrebnis so quasi exklusiv über ihre Webseite. „Morocco“ dürfte nun die erste Monographie sein, die es so ins Pegasus-Programm schafft, was zumindest für die Qualität einiger Veröffentlichungen in dieser Reihe spricht, das generelle Publikationskonzept der Amerikaner ist mir aber sehr unlieb. Da freut man sich doch, mit „Geheimnisvolles Marokko“ einen vorzeigbaren und gewohnt gut aufgemachten Quellenband in Pegasus-Qualität zu kriegen.

Die Aufmachung ist dabei dann auch wirklich das gewohnte Bild. Das Cover ist von Manfred Escher und, naja, okay. Da hat es schon weitaus schönere Motive gegeben, auch wenn er handwerklich wie immer gute Arbeit abliefert, fehlt mir diesmal das gewisse Etwas, was das Bild zu „mehr“ als nur einer Collage macht. Ist halt ganz nett.
Die Verarbeitung des Softcover-Buches ist gut, die Bindung scheint einiges abzukönnen und der Druck ist durchweg gut. Pegasus arbeiten auf einem hohen Maßstab und viele kleine Details tragen auch dieses Mal wieder dazu bei, den zu halten, sei es nun das durchgehende Buchrücken-Design oder seien es die wundervoll aufgemachten Handouts im Inneren des Buches.
Illustriert wird der Text dabei wie immer durch zeitgenössische Fotos, was gut funktioniert. Das Layout ist diesmal mit ganz wenigen Ausnahmen perfekt geraten, einzig dass das Foto, dass teilweise unter Karten der Region gelegt wurde (ganz à la Indiana Jones, bzw. der Reisekarten dort in den Filmen) immer das gleiche ist, fand ich auf Dauer etwas dröge, kommt es doch oft genug vor. Aber, hey, das sind Details.

Inhaltlich gliedert sich das Buch in drei Teile, von denen zwei aus William Jones‘ amerikanischen Original stammen. Da wäre zunächst mal „Geheimnisvolles Marokko“, der Quellenteil. Gegliedert in die Unterkapitel „Wie Marokko wurde, was es ist“, „Rabat“, „Casablanca“, „Rif- und Atlasgebirge und die Sahara“ sowie „Konflikte, Untergrundbewegungen, Kulte“ wird hier die Region beschrieben, die nicht zuletzt durch den Bogart-Klassiker „Casablanca“ irgendwie in den Köpfen mit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts untrennbar verknüpft ist. Ich will dabei nicht mutmaßen, ob es an der amerikanischen Urheberschaft des Quellenteiles liegt, doch der ist genau nach meinem Geschmack, was den Ansatz betrifft. Weniger in Akribie und nicht so sehr auf Zahlen und Daten versteift, wohl aber getreu der Fakten und mit einem Schwerpunkt auf die Atmosphäre der Zeit präsentiert das Buch Marokko hier genau so, dass man kein Referat darüber halten kann und an Detailfragen scheitern würde, umgekehrt aber eine ziemlich gute Idee bekommt, was für Abenteuer man da wohl spielen könnte.
Wie für einen guten Regionalband üblich, bekommt der Leser hier ein „Gefühl“ für die Region und zahlreiche gute Inspirationen an die Hand, die Lust machen, einmal vor Ort zu spielen. Sehr löblich, gefällt mir sehr gut.

Die anderen beiden großen Teile des Buches sind Abenteuer. Ebenfalls von Jones ist „Die Tafeln von Ur-Nansha“, wohingegen in Pegasus‘schem Auftrag Jacob Schmidt noch „Zwischen den Zeiten“ beisteuert.
Die Abenteuer sind ziemlich unterschiedlich geraten. „Die Tafeln von Ur-Nansha“ ist sehr frei und besteht eigentlich mehr aus Anlaufstellen in Marokko und Angaben, was wie und wo passiert, überlässt den Rest dem Spielleiter und seiner Gruppe. Dem Gegenüber ist „Zwischen den Zeiten“ deutlich geradliniger und hat eine sehr klare Handlungsfolge, ist aber dafür von seiner Prämisse her, finde ich jedenfalls, auch abgedrehter (was hier als Lob zu verstehen ist).
Schmidts Abenteuer ist das, was ich einmal ein eher typisches Pegasus-Szenario nennen möchte. Die Idee ist ziemlich verquer und es sind gute, ja sogar neue Ideen enthalten und auch wer schon länger dabei ist, kriegt hier noch mal etwas nettes, ja, Neues geboten. Umgekehrt ist Jones‘ Szenario wesentlich komplizierter zu überblicken, wenn man der ist, der hinter dem Spielleiterschirm sitzt, belohnt das allerdings mit der angesprochenen Handlungsfreiheit. Das sind beides Spielstile, die unterschiedliche Zielgruppen haben. Was mir so gut gefällt an dem Buch ist: Beide Szenarien sind gut!
Je nach Gruppe kann man sowohl mit den „Tafeln von Ur-Nansha“ wie auch „Zwischen den Zeiten“ viel Spaß haben, da entscheidet alleine der Geschmack. Das ist etwas, was mir an dem Buch gut gefällt und eine Ambivalenz, die generell derzeit bei Pegasus zu bemerken ist. Das gefällt mir einfach gut, muss man so sagen.

Somit ist „Geheimnisvolles Marokko“ insgesamt ein Buch, das eine absolute Kaufempfehlung bekommt, wenn man an dem Setting generell Interesse hat. Das ist einfach eine Grundvoraussetzung, denn wessen Cthulhu schlichtweg nur in Weimar beheimatet ist, oder in Neuengland, der braucht das Buch einfach nicht und wird auch ohne glücklich sein.
Für alle anderen ist aber der günstige Preis alleine schon ein Grund, zuzugreifen. Minimalste Kerben im Layout kann man sicher problemlos ignorieren, so dass am Ende ein sehr guter Quellenteil und zwei grundverschiedene, aber rundum gute Abenteuer übrig bleiben.
Einmal mehr fühle ich mich bestätigt: Mit den Bänden der „Cthuloide Welten Bibliothek“ kann man im Grunde nichts falsch machen.


Name: Geheimnisvolles Marokko
Verlag: Pegasus Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: William Jones, Jacob Schmidt, Redaktion: Frank Heller {jcomments on}
Empf. VK.: 12,95 Euro
Seiten: 80