Festival Obscure – Jahrmärkte und fahrendes Volk

Die schillernde und unterhaltsame, aber auch fremdartige Welt der Kuriositätenkabinette und Monstrositäten, Geisterbahnen und Zauberer wird in diesem Buch zum Leben erweckt.
vom Backcover von Festival Obscure

Als der vorliegende Band erstmals angekündigt wurde, wurde ich eigentlich augenblicklich hellhörig. Ein Quellenband über Jahrmärkte für ein Horrorrollenspiel, das versprach packende und verstörende Unterhaltung, wenn es denn gut umgesetzt würde. Oder eben langweilige Erläuterungen historischer Begebenheiten und Ursprünge der Jahrmarktsbräuche ohne wirkliche Spannung, wenn nicht.
Jetzt liegt er hier, ein dünnes Hardcover ist es geworden. 175 Seiten für knapp 18 Euro, dass liegt sogar knapp über dem, was „Geisterschiffe“ geboten hat und ist daher durchaus als fair anzusehen. Der Einband ist matt wie eh und je, der Buchrücken rund und das Papier – anders als bei der „Orient Express“-Kampagne – nicht hochglänzend geraten. Solides Handwerk also, leider erneut ohne Lesezeichen.

Das Cover kommt einmal mehr von Manfred Escher und sieht gewohnt gut aus. Sieht man es aus der Nähe, so wirkt es wie eine Collage aus den typischen Handschriften, Kirmesimpressionen und einem Bilderrahmen. Tritt man weiter weg, so sieht man zudem, dass das, was man für weiße Schlieren gehalten haben mag, eigentlich eine verschwommene Horrorfratze ist, die sich fein in das sonstige Arrangement einfügt. Einmal mehr definitiv ein schöner Einband.

Neu ist ein Symbol auf dem Rücken und Backcover, das auf den ersten Blick an das Templerkreuz erinnert, bei näherer Betrachtung aber das Logo für das Jubliäumsjahr 2006 ist. Denn es gilt, 20 Jahre lang „Cthulhu“ in Deutschland zu feiern. Sieht hübsch aus, fügt sich gut ein, sehr lobenswert also.

Doch so wie beim Umschlag alles beim Alten ist, so ist gilt dies auch für die Innengestaltung. Leider, muss man ja sagen. Denn auch diesmal wieder finden sich die gleichen Layoutfehler wieder, auf die an dieser Stelle nun bereits seit etwa einem halben Jahr immer wieder anmerke.
Wer sich etwa das Pegasus-Logo im Impressum anschaut, wird feststellen, dass dessen Hintergrund weiß ist und nicht etwa in dem Grau gehalten, dass der Seite unterliegt. Stattdessen ist es in ein hart abgeschnittenes, weißes Rechteck gebettet. Das sieht unschön aus und kann, mehr oder weniger deutlich, rund um alle Bilder in dem Buch gesehen werden. Da muss man auch gar keine Seite angeben; wenn ein Bild bis an den Rand heranreicht, kann das Phänomen beobachtet werden – bei den schwarzen Textkästen, die ja weiß auslaufen, umso schlimmer. Apropos Textkästen: Andere Passagen in „Festival Obscure“ sind mit „zerknittertem Papier“ unterlegt. Das geht in Ordnung. Wiederum andere Passagen hingegen wurden weder damit noch mit den schwarzen Kästen, sondern mit einem grauen, pixeligen Brei versehen – auch das sieht nicht toll aus.
Die Bilder zuletzt sind wie immer schön und es sind definitiv einige faszinierende Fotos darunter. Doch einerseits kann ich mich auch hier nur wiederholen – nach Jahren des Gebrauchs von historischen Fotos werden die Bände, so finde ich, langsam einfach etwas konturlos. Es fehlt die eigene, die visuelle Note, die „Festival Obscure“ einem ins Gedächtnis gebrannt hätte. Zudem wurden auch hier wieder Bilder über Gebühr vergrößert, wodurch vereinzelte Bilder zwar schön gestochen scharf sind, andere dagegen aber unscharf und verschwommen.
Der Band ist noch immer schön, keine Frage. Doch gemessen an dem optischen Traum, den Konstantyn Debus mit den „Orient Express“-Bänden gezaubert hat, sieht der vorliegende Band einfach etwas mau aus. Die Weißränder um die Bilder gibt es nun aber schon seit dem Erscheinen des Spieler- und Spielleiterhandbuchs, wenn der damalige Layouter es auch teilweise besser zu verbergen wusste. Dass das aber nun noch immer so aussieht, führt zu Punktabzug, wenn auch von Verlagsseite baldige Besserung versprochen wurde.

Doch genug zur Optik, auf zum Inhalt. „Festival Obscure“ untergliedert sich in einen Quellen- und einen Abenteuerteil, wobei die drei Szenarien definitiv den Großteil des Bandes ausfüllen.
Nach einem Vorwort folgt zunächst einmal „Feiern und Feste in deutschen Landen“ von Sixt Wetzler. Auf neun Seiten gibt es einen kleinen Überflug über Weihnachts-, Oster- und Traditionsfeste quer durch Deutschland, wie gehabt natürlich mit Schwerpunkt auf den 1920ern. Aufgelockert werden seine Ausführungen mit Textkästen zu speziellen Festen, etwa dem Nürnberger Christkindlesmarkt, dem Ulmer Fischerstechen oder auch einfach dem Kölner Karneval. Mit dem Letztgenannten kennt sich der geneigte Rezensent unfreiwillig noch am Besten aus und zumindest da muss ich zugeben, dass der Kasten ungeheuer informativ und gut recherchiert ist, selbst für einen aus der Region. Wenn ich nun davon ausgehe, dass der Rest entsprechend gleichermaßen korrekt ist, so kann man nur den Hut ziehen und für eine derart gelungene Zusammenstellung.
„Bunt ist die Lieblingsfarbe der Schausteller“ ist darauf folgend eine sechs Seiten umfassende Darstellung des Lebens als Schausteller. Sebastian Weitkamp war hier federführend und erzählt kurz und bündig eben alles, was man wissen muss. Dazu ein Kasten zu Dr. Caligari, ein kleines Glossar und den Schausteller als Cthulhu-Beruf in Regelform – keine Offenbarungen in diesem Abschnitt, aber dennoch nett.
Der letzte und mit Abstand längste Quellenteil stammt von der Herausgeberin Julia Erdmann selbst und stellt auf immerhin 31 Seiten einen archetypischen Jahrmarkt vor. An Lob muss man vor allem loswerden, dass hier, in Form des generisch einzusetzenden Jahrmarktes, zahlreiche Attraktionen sehr genau beschrieben werden und man als Spielleiter einen guten Eindruck bekommt, was es damals so alles gab. So stellt man dann auch verwundert fest, was es damals für irrsinnige Konstrukte gab. Man nehme nur „Das drehbare Haus“ (s. 48). Etwas gestört hat mich dagegen die ungemein hohe Dichte von Regelinformationen, vornehmlich NSC-Werten. Brauche ich denn wirklich die kompletten Stats eines jeden Ausstellers auf diesem Jahrmarkt? Und brauchen die Brüder Meutsch, allesamt zwischen 25 und 35 jahre alte Raufbolde und Schausteller, echt alle ein eigenes Profil mit allen Attributen? Ich denke, eigentlich nicht...

Somit sind wir dann aber auch zu den Szenarien vorgedrungen und betrachten zunächst einen 48 Seiten umfassenden Beitrag von Jakob Schmidt und Nathanael Busch. „Eine Frage der Perspektive“ basiert von der Idee her auf einem weissrussischen Märchen von einem Zauberspiegel, der Menschen die Seele raubt, wenn sie hineinblicken. Das ganze wurde hier an ein cthuloides, wurmartiges Volk namens Shubn‘yech (mit Kreis über dem u, was mein Textprogramm mir aber gerade verweigert). Das Abenteuer ist in Deutschland angesiedelt und mit deutschen Charakteren bevorzugt zu spielen, ist sehr sorgfältig präsentiert und gewinnbringend gegliedert. Abgerundet wird das durch teilweise angebotene Optionen für den Spielleiter und, nicht zuletzt, einen recht umfangreichen Spielbericht, der einem zumindest vorführt, wie das Szenario laufen kann. Vorbildlich.

Das zweite Szenario des Bandes stammt von einer Person, die im deutschen Rollenspielbereich mehr als nur Rang und Namen hat: Momo Evers, langjährige DSA-Autorin und Lektorin, ist die Verfasserin von „Das doppelte Lottchen“, das auf 44 Seiten dargeboten wird. Freunde von „Rollenspiel-Szene-Trivias“ sollten ohnehin mal einen Blick auf die Widmung auf S. 99 lesen, ganz nett, finde ich.
Aber nun gut, zurück zum Thema. Diesmal führt es uns nach London, genauer gesagt in das Umfeld der Wachsfiguren von Madame Tussaud‘s. Den Charakteren wird ein exklusiver Blick hinter die Kulissen eines Zirkus‘ beschert, was jedoch nicht wirklich ein Gewinn ist, da sie so Zeuge eines Unfalls beim Seillaufen werden. Sie stoßen, während sie dazu ein paar Fragen stellen, auf eine ganz besondere Art der Herstellung von Wachfiguren und öffnen damit eine Büchse der Pandora, die sie für ihr eigen‘ Seelenheil besser verschlossen gelassen hätten.
Auch dieses Szenario ist sehr spielleiterfreundlich präsentiert, mit umfangreicher Einleitung, Vorgeschichte und vagem Handlungsablauf. Die Geschichte selber ist „schön“, bietet viel Gelegenheit, das zuvor erworbenen Wissen über Jahrmärkte der Zeit einzubauen, bietet mit Puppen ein wahrhaft gruseliges Thema und ist sogar noch in historische Ereignisse eingeflochten. „Eine Frage der Perspektive“ fand ich schon gut, „Das doppelte Lottchen“ sogar noch besser.

Bleibt der dritte und letzte Beitrag. Der kommt von Ingo Ahrens, ist mit 32 Seiten das dünnste Szenario in dem Band und hört auf den klangvollen Titel „Der Lachende Mann“. Und irgendwie ist‘s komisch. Denn obschon auch dieses Abenteuer eigentlich alles richtig macht, den Plot sorgfältig präsentiert, strukturiert und durchdacht vorgeht, keine Denkfehler enthält und ebenfalls mit einem umfassenden Spielbericht, der schon mehr ein Blick hinter die Kulissen der Entstehung des Szenarios ist, auftrumpfen kann, ist der Funke hier nicht ganz so übergesprungen.
Die Wurzeln des Szenarios liegen bei den sogenannten Comprachicos, also umherziehenden, nomadenhaften Gruppierungen, die im 17. Jahrhundert junge Kinder kauften, zu monstrositäten umoperierten und an Jahrmärkte als Attraktion weiterverkauften. Eine solche Geschichte nahm ein tragisches, ja, dramatisches Ende und bildet, zusammen mit einer mysteriösen Gestalt, die im Text nur der Gaukler genannt wird, den Grundstein dieses Abenteuers.
Für die Spieler allerdings dreht es sich erst einmal um eine Reihe seltsamer Morde, die letztlich, um viele Ecken und über einige rote Heringe hinweg, zu einem Wanderzirkus führt, deren Oberhaupt, der Clown Horrobin, in direkter Verbindung zu besagter Vorgeschichte steht. Nur die Spieler sind in der Lage, die Zusammenhänge ganz zu durchblicken und ein rituelles Blutbad von gigantischem Ausmaß zu verhindern.
Ich mochte die Idee mit dem Gaukler inklusive der Option, dass dieser für Cthulhu ungewohnt als „Endschurke“ geeignete Charakter wiederkehren könnte und böse Clowns sind ohnehin immer ein lohnendes Thema. Und, doch, irgendwie sprang der Funke bei mir nicht über, ohne dass ich den Finger darauf legen könnte, woran das genau liegt.
Ich nehme an, es ist einfach Geschmackssache und andere Leser werden an diesem (objektiv sicherlich guten) Szenario ebenso ihre Freude haben können, denn direkt falsch macht Ahrens jedenfalls nichts.

Insgesamt bleibt „Festival Obscure“ aber so oder so ein ziemlich herausragender Abenteuerband. Der Quellenteil ist nett, aber sicherlich ziemlich speziell und daher auch eher ein Mittel dazu, den enthaltenen Abenteuern mehr Tiefe verleihen zu können. Die „Perspektive“ fand ich gut, das „Lottchen“ sogar sehr gut und dem „Lachenden Mann“ würde ich ein befriedigend geben – was im Durchschnitt noch immter gut ist.
Allerdings hat der Band in einigen Punkten auch Potential verschenkt. Wenn schon drei Szenarien zu Jahrmärkten, zu so einem speziellen Thema, warum gibt es dann nirgends eine gescheite Option, diese Szenarien irgendwie zu verbinden, zu einer Minikampagne umzubauen?
Das würde vielleicht auch den Abenteuereinstiegen etwas aushelfen, die zweifelsfrei für mich der schwächste Teil der gesamten Texte sind. Da wird mir klar zu sehr auf die Neugierde der Spieler gesetzt und manchmal auch einfach gemauert. Wenn ich etwa in Momo Evers Abenteuer lese, dass es „[Anzahl der Spieler] Karten“ gibt, die sich als Joker erweisen, dann ist das schon sehr forciert. Zugegeben, Wolfgang Schiemichen hat seinerzeit im „Berlin“-Band ein Abenteuer vorgelegt, wo lange Zeit nur ein Charakter eine echte Motivation hatte, was auch keine Lösung war. Aber so gefällt mir die Lösung des Problems sicherlich auch nicht.
Überhaupt ist der „...dann fahren wir halt wieder...“-Ansatz teilweise zu verlockend. Es fehlt mir teilweise ein direkterer Einbezug der Spieler in die eigentliche Handlung, woraus auch mehr Horror entstehen könnte, als die direkte Angst um Leib und Leben.

Aber gut, wollen wir nicht weiter meckern. „Festival Obscure“ ist ein überraschend guter Band geworden und gefällt mir ziemlich gut. Kleine Macken im Konzept, gröbere Schnitzer im Layout und ein mir nicht ganz zusagendes Szenario lassen mich von der Bestnote zurückschrecken, aber wirklich falsch macht man mit diesem Band auch nichts.
Wer sich für das Thema interessiert und Cthulhu spielt, der sollte definitiv einmal einen Blick riskieren.


Name: Festival Obscure – Jahrmärkte und fahrendes Volk
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch
Autoren: Ingo Ahrens, Nathanael Busch, Julia Erdmann, Momo Evers, Jakob Schmidt, Sebastian Weitkamp und Sixt Wetzler {jcomments on}
Empf. VK.: 24,95 Euro
Seiten: 175