Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall

Dementophobiaist das ultimative Buch über den Wahnsinn.
vom Backcover von Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall

Mit „Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall“ wurde bei Pegasus dieses Jahr etwas beendet, was man bereits vor Jahren begann. Das „Malleus Monstrorum“ kann man als erstes Buch sehr, dass ein typisches Spielleiter-Kapitel nahm und erheblich im Rahmen eines eigenen Quellenbandes ausbaute. Es folgten seither bereits das „Necronomicon“ (über okkulte und mythische Bücher), „Arcana Cthulhiana“ (über Zauberei) nun liegt eben auch „Dementophobia“ vor und hat sich, gewissermaßen als letzten großen Block, das Kapitel Wahnsinn auserkoren.

Von außen her wirkt das Buch wie ein typischer Vertreter seiner Zunft. Hardcover, matt eingeschlagen und wie immer mit einer Collage von Manfred Escher veredelt, der mich dieses Mal auch wieder richtig mit der Qualität seiner Arbeit überzeugen konnte. Ein rotes Lesebändchen findet sich ebenfalls noch zwischen den kräftig bedruckten, sehr solide geleimten Seiten, so dass das Buch im Bereich Verarbeitung die gewohnten Höchstnoten mitnehmen kann.
Auch am Innenlayout habe ich dieses Mal so gar nichts auszusetzen, das Layout ist schwungvoll und von den von mir dereinst so vehement bemängelten Pannen ist nichts mehr geblieben, wenn man mal von einigen, wenigen recht verpixelten Bildern absieht.
Alles in allem kann „Dementophobia“ optisch wie haptisch voll begeistern.

Doch geht das auch inhaltlich?
Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass das Wahnsinnsbuch offenbar in einigen Punkten spürbar andere Wege geht als seine geistigen Vorgänger. Das betrifft vor allem, aber nicht nur, die Aufteilung, denn wo die Vorgänger nur Quellenmaterial und keine Abenteuer beinhaltet haben, bringt „Dementophobia“ gleich drei Szenarien mit. Rund 120 Seiten Hintergrundinformationen stehen somit in etwa auf einer Höhe mit 100 Seiten Abenteuer, weshalb es wohl Sinn hat, sich beiden Komplexen nacheinander zu widmen.

Auch innerhalb des Quellenteils aber gibt es ein paar willkommene Neuerungen. So hat nach einem ersten Ansatz in „Cthulhu Now“ dieses Mal erstmalig eine umfangreiche Filmliste in ein Pegasus-Produkt Einzug gehalten. Ich liebe derartige Inspirationsgeber, wenn die Liste hier auch etwas willkürlich zusammengestellt wurde (und da auch zu steht). Man kann durchaus Fragen, ob eine solche Liste wirklich ohne „A Beautiful Mind“ oder „Session 9“ auskommen kann oder ob „Das Schweigen der Lämmer“, „Hannibal“ und „Roter Drache“ wirklich gleich drei der 60 Plätze einnehmen mussten, aber die Liste ist dennoch sehr vielseitig und hat auch kreativere Einträge wie eine bestimtme „Buffy“-Episode oder „K-Pax“. Finde ich gut, alles in allem.

Aber beißen wir uns mal nicht zu sehr an dieser insgesamt lobenswerten Liste fest, schon schauen wir mal generell in den Quellenteil. Der ist, wie man das von Cthulhu her kennt, gut und umfassend recherchiert, vor allem aber erfreulich am Spiel orientiert. Da werden sogar direkt eine ganze Reihe von Makeln behoben, die das Regelwerk einfach von sich aus hat.
Ein Beispiel wäre da beispielsweise die Tabelle, die „Anlässe von Wahnsinn bei Cthulhu und die sich daraus ergebenden Störungen“ auflistet. Da gibt es dann allgemeine Einträge wie „Bad in Insekten“ oder „Nach eigenem Tod ins Leben zurückgeholt“, zu denen dann jeweils ein bis drei kurzfristige und Langfritige Traumata sowie Beispiele der geistigen Umnachtung genannt werden. Endlich ein Ende mit den willkürlichen Zufallstabellen!
So könnte, nur auszugsweise, „Folter am eigenen Körper“ etwa kurzfristig zu Ohnmacht oder Halluzinationen führen, langfristig zu Amnesie und beu geistiger Umnachtung zu Anthropophobie. Sowas finde ich sehr gut.
Die Tabelle ist zudem mit gut sieben Seiten ziemlich umfangreich und reicht von A wie „Anblick: Abartiges menschliches Verhalten (z.B. Kannibalismus, Verzehren von rohem Katzenfleisch)“ bis Z wie „Zeitreise“. Sehr gut.

Rund 40 Seiten an umfangreichen Beschreibungen existierender, geistiger Ausfallerscheinungen haben mir da auch sehr gut gefallen. Das gewählte Format ist hier vor allem sehr zu loben. Einige Zeilen einer kurzen Erzählung, dann ein beschreibender Text und abschließend Tipps zur Anwendung im Spiel. Damit kann man arbeiten und es schlägt einfach um Längen die willkürlichen Phobielisten voriger Bücher zu dem Thema. Wobei es die in einer verbesserten Form durchaus auch noch gibt.
An einigen wenigen Fällen hat mir die Darstellung der geschilderten Phänomene allerdings nicht so ganz gefallen wollen, wirkte bisweilen etwas plakativ. Das wäre bei einem Rollenspielbuch per se kein Problem, da aber andere Teilgebiete mit beeindruckender Exaktheit geschildert werden, wirkte das dann immer etwas irritierend auf mich.

Doch auch die Kehrseite wird natürlich beleuchtet: Heilmethoden, Psychoanalyse, Gesundheitssysteme, der Beruf des Irrenpflegers und, natürlich, Irrenanstalten findet man hier genauso.
Alles in allem hat mich der Quellenteil hier noch einmal restlos überzeugen können. War beim „Arcana Cthulhiana“ noch meine Hauptkritik grob in der Frage, wer sowas denn überhaupt brauche, zu finden, so kann „Dementophobia“ auch am Spieltisch auf voller Länge glänzen. Egal ob man nun im Umfeld des Irrsinns spielen oder seine Charaktere dem Wahnsinn selbst überantworten will, dieses Quellenbuch ist eine grenzenlose Hilfe dabei.
Es sticht dabei seinen englischen Kollegen „Taint of Madness“, der mich dereinst so begeistern konnte, locker aus und lässt die entsprechenden Abschnitte des Spielerhandbuchs blass aussehen. Wer mit dem Thema spielen will, in jedweder Lesart dieses Satzes, der ist hier richtig aufgehoben.

Verbleiben die Abenteuer, derer drei, wie gesagt. Eines davon ist eine Übersetzung, zwei davon sind eigene Anfertigungen. „Das verlorene Gestern“ ist ein Heimspiel und entstammt der Feder von Stefan Franck. Es bringt die Charaktere mit Amnesie in eine Nervenheilstalt, nachdem – um die Einleitung zu zitieren – „die erste Hälfte – chronologisch gesehen – bereits vorüber ist.“ Das Szenario ist daher recht anspruchsvoll und spielt auf recht vielen Ebenen, hat mir aber extrem gut gefallen. Es verwendet durch seinen Rückblenden-Charakter ein sehr spannendes Stilelement und die Umsetzung dieses spielerisch kniffligen Themas ist extrem gut gelungen. Fernab aller Cthulhu-Matrix, schön viel persönlicher Horror; gerne mehr davon!

„In Scherben“ legt sogar noch einen drauf. Der zweite, deutsche Beitrag des Buches kommt von Christoph Maser und ist eines der faszinierendsten, aber auch anspruchsvollsten Szenarien, die ich seit langem gesehen habe.
Die Charaktere werden über familiäre Beziehungen dort in eine Geschichte verwoben, die persönlich und dramatisch, cthuloid und doch komplex ist, die aber vor allem nicht nur an ihrer Realitätswahrnehmung, sondern direkt an der der Spieler rüttelt.
Ich glaube, man braucht einige wirklich hingebungsvolle Spieler und einen fitten SL, um das volle Potential von „In Scherben“ auskosten zu können; gelingt einem das aber, dürfte es eine Rollenspielerfahrung werden, die keiner in der Runde mehr vergessen wird. Sehr intensiv, das dürfte sicher sein.
Auch hier: Gerne mehr!

Verbleibt die Übersetzung: „Das Sanatorium“, geschrieben von Keith Herber und übersetzt von Jens Kaufmann. Wo „Das verlorene Gestern“ und „In Scherben“ geradezu experimentelle Elemente beinhaltet haben, glänzt „Das Sanatorium“ mit der üblichen Direktheit der amerikanischen Szenarien. Man verstehe mich nicht falsch: Auch der dritte Abenteuerbeitrag des Bandes macht einen sehr soliden Eindruck. Action, Konfrontation und eine ganz konkrete Gefahr zeichnen Herbers Odyssee aus und ich bin sicher, auch daran werden viele Runden ihren Spaß haben. Die Spieler sitzen auf einer Insel fest, auf der die Bewohner der lokalen Irrenanstalt ausgebrochen sind und müssen nicht nur überleben, sondern am Ende noch ein gänzlich anderes Grauen konfrontieren.

Der Ton ist in jedem Szenario ein ganz anderer, doch das kann man nur lobend hervorheben. Ob nun die beklemmende Situation, selber Insasse zu sein („Das verlorene Gestern“), selber langsam den Verstand zu verlieren („In Scherben“) oder eben konkret und körperlich von Außen durch Wahnsinnige bedroht zu werden („Das Sanatorium“), „Dementophobia“ bedient da jeden Geschmack.
Insofern kann dieser Abenteuerteil bei nur umso besser punkten. Ich habe lange keinen Pegasus-Band mehr gesehen, wo mir die Szenarien, obschon so unterschiedlich, durch die Bank weg so gut gefallen haben. „Dementophobia“ ist hier ein klarer Gewinner, sowohl durch Qualität im Einzelnen wie auch durch Vielseitigkeit im Ganzen.

Insgesamt kann man sagen, „Dementophobia“ ist ein fulminanter Quellenband geworden. Das Thema wird von vielen Seiten beleuchtet und ausgiebig dargeboten, sowohl in Quellen- wie auch in Abenteuerform. 240 Seiten im Hardcover für 29,95 Euro sind nach heutigen Industriestandards auch durchaus im Rahmen, die Verarbeitung gewohnt gut – alles in allem gibt es eigentlich keinen Grund, das Buch nicht zu kaufen.
Ganz, ganz dicke Kaufempfehlung!


Name: Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall
Verlag: Pegasus Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: Heiko Gill (Redaktion) u.v.a.
Empf. VK.: 29,95 Euro
Seiten: 240{jcomments on}