Auf den Inseln

Feindselige Fischer, verwesende Quallen, brütendes Sommerwetter, aufgedunsene Wasserleichen, befremdliche Missbildungen, uralte Geheimnisse, sagenhafte Piratenschätze, geifernder Wahnsinn, tragische Tode, Männer aus dem Meer, eiskalte Winterstürme, geduckte Friesenkaten, vermummte Monstren, untergegangene Dörfer, vergessene Kulte, bestialische Morde, staubige Folianten, nächtliche Lichter, verrostendes Kriegsgerät, gigantische Kavernen, glitzernde Reichtümer, abartige Geschwüre, Monstrositäten aus der See, tosende Sturmfluten, winzige Friesendörfer, versunkene Städte, lauernde Kultisten, schreckliche Verwandlungen, verkommende Gräber, ekelhafte Erkrankungen, tödliche Tauchgänge, magische Schätze, massive Mutationen, schwimmende Inseln, Rufe aus dem Meer, das Volk aus der Tiefe
Werbetext von Auf den Inseln

Nach der Übersetzung der mächtig alten und inzwischen auch mächtig überholten großen alten Kampagne „In Nyarlatotheps Schatten“, die trotz all ihrer Schwächen vor nicht allzu langer Zeit noch mit einem Origin-Award ausgezeichnet wurde, hat Pegasus zur SPIEL 2002 mit „Auf den Inseln“(AdI) den ersten deutschen Kampagnenband veröffentlicht.
Ob die deutschen Autoren damit bessere Arbeit abgeliefert haben als die Amerikaner soll sich nun zeigen.

Wir haben also die stabile Box vor uns in freudiger Erwartung was uns denn darin nun erwartet, nun bin ich eigentlich kein Freund von Boxen, den sperrigen Überresten aus der Zeit als Schmidt-Spiele noch DSA vertrieb, aber im Falle von AdI hat die Box eine wichtige Funktion nämlich dem überaus edlen Inhalt Schutz zu bieten. Neben dem Kampagnenband enthält die Box auch viel sehr schönes unterstützendes Material: Da wären zum einen die für Cthulhu schon obligatorischen Handouts, welche aber hier das erste Mal auf in Farbe und auf Hochglanzpapier gedruckt sind, dazu gibt es dann noch einen Touristenführer sowie eine Karte zu der Insel Borkum, dem Schauplatz des ersten Abenteuers, die Beide absolut authentisch wirken, abgerundet wird das Zusatzmaterial durch ein Heft mit Sagen und Legenden aus dem Nordseeraum. Wie bereits ist alles sehr gut gestaltet und verarbeitet, sodass man der Ausstattung der Kampagne durchaus verdient das Prädikat 'edel' verleihen kann.
Der Kampagnenband selber ist im gewohnten Cthulhu-Layout gehalten, was nicht abwertend gemeint ist, das Layout ist gewohnt gut, aber ich denke, dass ich es nicht noch einmal komplett beschreiben muss.
Insgesamt macht AdI einen optisch sehr guten Eindruck, was ihm aber paradoxerweise auch ein wenig zum Nachteil gereicht: Die fantastischen Handouts würde ich an meine Spieler niemals verteilen, alleine der Gedanke daran, dass sie in einem Cola-See vom Tisch schwimmen könnten ist mir fast schon zuviel also würde ich ohnehin wieder zu Kopien greifen. Die schönen Handouts haben also im Spiel eher wenig Relevanz und dann fällt es leider auf, dass diese den Preis der Box auf stolze 44 Euro hochschrauben. Ich hätte durchaus mit weniger 'edlem' Zusatzmaterial leben können, wenn das Produkt dafür ein paar Euro billiger gewesen wäre.
So erkauft sich AdI seine Layout-Wertung im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten des Preisleistungsverhältnisses.

Doch genug über Äußerlichkeiten geredet, es sind ja doch die inneren Werte die zählen und da sei gleich vorweggenommen, dass Ingo Ahrens, Frank Heller und Jan Christoph Steines gegenüber „In Nyarlathotheps Schatten“ die bei weitem bessere Kampagne geschrieben haben.
Die Kampagne besteht aus drei Abenteuer, von denen eines auf Borkum, eines auf Sylt und eines auf Pellworm spielt, die ersten beiden Abenteuer trennt dabei ein Zeitraum von etwa einem hlaben Jahr, während das Letzte wiederum 5 Jahre später spielt.
In der Folge werden die Abenteuer knapp besprochen, sodass es ausreichen sollte sich ein Bild von der Kampagne zu machen ohne dabei Gefahr zu laufen sich allzu große Spoiler einzufangen.

Das erste Abenteuer trägt den Namen „Mediis tranquillum in undis“ und stammt aus der Feder von Ingo Ahrens. Die Spieler schlüpfen hier in die Rolle einer Gruppe Urlauber auf der beschaulichen Insel Borkum, die allerdings bald gar nicht mehr so beschauliche sein wird, den ein „Ökoterrorist“ der ganz besonderen Art treibt hier sein Unwesen. Schon bald geschehen also ein erster Mord und spätestens nachdem auch ein alter Studienfreund einer der Charaktere in Mitleidenschaft gezogen wird werden die diese wohl gewillt sein den Ereignissen auf den Grund zu gehen.
Das Szenario trägt durchaus starke Züge dessen was Frank Heller in einem Artikel der cthuloide Welten als 'Cthulhu-Matrix' bezeichnete: Die Spieler werden durch einen alten Freund in die Ereignisse gezogen, recherchieren und kommen schließlich etwas Unglaublichem auf die Spur.
Trotz dieser Kritik wusste es durchaus zu gefallen, insbesondere das „Unglaubliche“, welches die Charaktere entdecken ist alles andere als ein Klischee und verpasst den Wesen aus der Tiefe – ich denke mal ich verrate nicht zuviel, wenn ich sage, dass es diese in einer Nordseekampagne eine zentrale Rolle spielen – wesentlich mehr (charakterliche) Tiefe als diese „Orks de Cthulhu-Mythos“ bisher inne hatte. Alles in allem ein durchaus gelungen zu nennendes Abenteuer.

Das zweite Abenteuer, verfasst von Frank Heller, trägt den merkwürdig anmutenden Namen „Ekke Nekkepenn“ und spielt ein halbes Jahr nach den Ereignissen von Borkum auf einer der wohl bekanntesten Nordseeinseln, auf Sylt.
Die Charaktere bekommen die Reise nach Sylt von einem befreundeten Major geschenkt, da dieser selbige nicht wahrnehmen kann und deshalb wünscht einer der Charaktere, welchen er noch aus dem Krieg kennt, an seiner Statt an einem Offizierstreffen teilnimmt.
Auch auf Sylt mehren sich mit der Zeit die seltsamen Vorkommnisse welchen die Charaktere nachgehen können ob wohl der Namensgeber des Abenteuers Ekke Nekkepenn, der Herrscher der Meere, etwas damit zu tun hat?
Dies ist wohl das Beste der drei Szenarien, es ist wesentlich freier als die beiden anderen, die Charaktere erleben hauptsächlich die Atmosphäre von Sylt, der Plot des Abenteuers ist eigentlich nur gleichzeitig mit ihnen dort und gelegentlich kommt es zu Begegnungen ob man sich dann wirklich miteinander abgeben will bleibt den Spielern völlig selbst überlassen. So sie es denn tun offenbaren sich allerdings doch ein paar Schwächen so stehen die Charaktere wenn sie Pech haben völlig unvorbereitet einem viel zu mächtigen Gegen gegenüber, dann zu sagen die Charaktere können sich völlig zurückziehen, hochrüsten und so vorbereitet wieder zurückkehren erinnert mich ein wenig an ein Computerspiel wo ich erst die richtige Waffe besorgen muss um den Endgegner zu erledigen und wirkt für mich in einer Rollenspielkampagne eher befremdlich.
Ferner hat das Abenteuer auch einen recht pulpigen Einschlag von dem jeder selber entscheiden muss ob er ihm gefällt, mir persönlich gefällt so etwas meist weniger auch wenn es sich hier besser einfügt als in anderen Szenarien.

Falls die Spieler nun immer noch nicht genug von der Nordsee haben schickt und sie immer noch den „Ruf des Meeres“ vernehmen können sie in Jan Christoph Steines Abenteuer noch ein letztes Mal, zumindest im Rahmen dieser Kampagne, dorthin zurückkehren.
Doch diesmal steht die Reise von Beginn an unter keinem guten Stern, denn nicht ein gemütlicher Urlaub, sondern der Tod eines guten Freundes treibt sie auf die Insel Pellworm, wo sich eine Jahrhundertflut zusammenbraut und auch die Aktivität der Tiefen Wesen ist stärker als je zuvor, schließlich soll es zu dem letzten Aufeinandertreffen der beiden unterschiedlichen Rassen 'Mensch' und 'Wesen aus der Tiefe' kommen soll und es zeigt sich, dass das überleben der einen scheinbar das verschwinden der jeweils anderen nach sich zieht. Es geht für beide um das reine Überleben, wie Gut und Böse da wohl zu verteilen sind?
Dieses Abenteuer hat mir von den drei enthaltenen am wenigsten gefallen, dafür ist es einfach zu pulpig geworden, so taucht man nach verlorenen Artefakten, sucht mit einem Heißluftballon nach einer schwimmenden Insel, dem 'Hauptquartier' der Tiefen Wesen' und begibt sich anschließend „an Bord“ derselben, klingt nach einer amüsanten 'Indiana Jones'-Episode hat für mich aber zuviel Abenteuer-Charakter für eine Horrorkampagne.
Ferner kommt es oft zu direkten Konfrontationen zwischen den Charakteren und ihren halbamphibischen Widersachern bei denen diese nicht nur körperlich, sondern oft auch einfach an Zahl überlegen sind, sodass es schnell dazu führen kann, dass die Gruppe einen gewissen Charakterschwund erleidet und neue Charaktere sind in die Geschehnisse eher schlecht zu integrieren, zumal hier auch das alte Cthulhu-Kampagnen Problem wieder zutage tritt: Es verbreitet sich kein wirkliches Grauen, wenn Charaktere wegsterben wie die Fliegen und welche Motivation soll Charakter C noch haben das Abenteuer zu Ende zu bringen?

Wie ich bereits sagte ist die Kampagne bei weitem besser als „In Nyarlathoteps Schatten“, aber eines muss sie sich vorwerfen: Sie ist keine Kampagne. Vielmehr sind es drei Einzelabenteuer, die lose mit einander verknüpft sind, aber so wie es sich hier präsentiert ist es keine wirkliche Kampagne, dies macht sich schon alleine an der mangelnden Glaubwürdigkeit des Aufbaus bemerkbar: Nach den Ereignissen in Borkum begeben sich die Charaktere nur kurz darauf wieder an die Nordsee und als das immer noch nicht reicht fahren sie 5 Jahre später wieder ans Meer.
Als einzige Möglichkeit dies kohärent unterzubringen erscheint es mir die drei Abenteuer jeweils einzustreuen also zwischen anderen Abenteuern zu spielen, aber damit der Kampagnenband für sich alleine als Kampagne stehen kann müsste der jeweilige Spielleiter noch Arbeit investieren, was eigentlich nicht sein sollte.
Trotzdem handelt es sich um eine gelungene Box, die durchaus eine Empfehlung wert ist, wenn auch der hohe Preis dies letztlich etwas dämpft. {jcomments on}