Arcana Cthulhiana

Im Mittelpunkt dieses Quellenbandes über Magie und Okkultismus stehen die Zauber selbst, neuartig und übersichtlich präsentiert, alle mit einem Vorschlag versehen, wie der Spielleiter ihre Auswirkungen im Spiel atmosphärisch darstellen kann, und einige von ihnen in der Tradition von Necronomicon – Geheimnisse des Mythos (fast) authentisch bebildert.

vom Backcover von Arcana Cthulhiana

Aus einer einfachen Idee ist mittlerweile eine ganze Reihe geworden. Es begann mit dem Malleus Monstrorum, dass sich mit dem Kreaturenkapitel einen Kernaspekt des Grundregelwerks nahm und gehörig aufpolierte, erweiterte, ausformulierte und neu präsentierte. Das gleiche Spiel wurde dann auch mit den Zauberbüchern unter dem oben im Zitat bereits genannten Titel „Necronomicon - Geheimnisse des Mythos“ praktiziert. Und nun liegt der vorletzte Teil dieser Reihe vor uns, denn vor dem Geisteskrankheitenband „Dementophobia – Wahn und geistiger Verfall“ liegt es eben noch, das „Arcana Cthulhiana“. „Arcane Codex“-Spieler und wohlgeneigte Mitbewohner Aachens mögen mir verzeihen, aber fortan sei es hier per Akronym genant – AC.

Das AC schnappt sich das schwierige Thema „Magie des Mythos“ und präsentiert es nun auf 240 Seiten durchaus ansprechend. Der Umschlag wurde wir immer von Manfred Escher designt und sieht hervorragend aus, ziert gekonnt den Hardcover-Einband des Buches. Ein Lesebändchen in goldgelber Farbe veredelt das Buch zudem.
Doch auch das Innere gereicht zum freudigen Jauchzen: Nach deutlich zu langer Wartezeit ist es endlich fertig, das neue Innendesign. Verschwunden sind der verbrannte Seitenrand und die seit Monaten hier bemängelten Layoutfehler, gewichen einer stimmungsvollen Collage von Zetteln und Gegenständen, stilvoll gesetzt und übersichtlich. Die Leonardo-Schrifttype wird nur noch reduziert eingesetzt und ist von einer Rollenspielern vermutlich wohlbekannten Caslon-Variante ersetzt worden, Bilder sind nun mit Rahmen in das Design geflochten. Das wirkt alles sehr schön und stimmig, irgendwie einfach eleganter als das alte Layout. Wäre die Anzahl der Fotos – vor allem innerhalb des Grimoires (s.u.) – jetzt noch einen deut höher und wären nicht auch bei den neuen Designelementen noch einige sehr wenige Pannen passiert (Ein definitiv nur drauf geklatschtes Dingen auf S. 52, Verpixelungen à la S. 77) würde es die Höchstwertung geben, so ist es „nur“ noch sehr gut zu nennen. Dennoch ganz klar ein Quantensprung gegenüber der vorigen Bücher.

Doch so gut mir das Layout gefällt, so unzufrieden bin ich dieses Mal leider mit dem Inhalt gewesen. Die große Stärke von „Malleus“ wie „Necronomicon“ war für mich, dass sie ein Thema namen, das man zu kennen glaubte und es derart erweiterten, dass man sich fragen musste, wie man jemals anders hatte leben bzw. spielen können. Doch genau diese Elemente, der frische Betrachtungswinkel und die neuen Ideen, scheint die Redaktion im Bezug auf das AC selber nicht gehabt zu haben.
Das Buch ist grob in drei Abschnitte zu gliedern – „Magie und Okkultismus“, „Ein Grimoire des Mythos" und, naja, noch mal „Magie und Okkultismus“. Ist das eigentlich in der Redaktion keinem aufgefallen? Und warum hat der dritte Teil diesen doppelten Titel eigentlich nicht ebenso pompös und groß als Überschrift wie der erste Teil? Irgendwie wirkt das auf mich ungewohnt konzeptlos für ein Pegasus-Buch.

Der erste „Magie und Okkultismus“-Abschnitt ist in sieben Artikel gegliedert, was aber noch näher erläutert gehört. Den Auftakt macht ein kleiner Essay namens „Cthuloide Magie im Spiel“ und ist wohl einer der besten Beiträge des ganzen Buches. Rollenspieler haben in der Regel wohl ein ganz bestimmtes Bild von Magie und hier bringen Matthias Oden und Holger Göttmann einmal ein paar Ideen, wie man es anders machen kann. Wie man es andersartig machen kann. Sehr löblich, spielorientiert und kompakt.
Dann aber geht es los. Die restlichen 74 (!) Seiten des ersten Teils füllen dann diverse Autoren mit sehr unterschiedlichen Beschreibung „realer Magieformen“. Der erste, sehr umfassende Abschnitt über „Magie und Schamanismus in der Geschichte der Welt“ ist gar in Form eines Briefverkehrts verfasst. Das ist ja nett gemeint und auch sehr detailreich, mir aber ehrlich gesagt zu viel des Guten. Einige Abschnitte sind noch recht gut geworden und wer sich über okkulte Praktiken informieren will, der wird hier sicher fündig. Braucht man echt acht Seiten über die Kabbala, die man so in kompakterer Form vermutlich auch im Internet hätte finden können? Das hat mit cthuloider Magie nichts zu tun, der halbseitige Textkasten mit Regelvorschlägen ist zum Gruseln und das hätte ich echt nicht in einem Quellenband gebraucht.
Diese Pauschalkritik betrifft aber jeden der Abschnitte hier, ob nun magische Orte, Voodoo oder magische Paraphernalia, zu einem gewissen Grad. Manche Abschnitte sind besser, andere schlechter, aber wirklich cthuloid ist eigentlich keiner davon.

„Ein Grimoire des Mythos“ folgt danach und ist eben das erweiterte Zauberverzeichnis, wie man es schon mit Kreaturen im „Malleus“ und Büchern im „Necronomicon“ erlebt hat. Die bislang sehr knappe Schilderung aller Zauber ist damit nun passé, die Art der Auflistung hat sich markant gewandelt. Mir persönlich kam das alles ziemlich stark wie die Darstellung im DSA-Zauberbuch „Liber Cantiones“ vor, denn ab sofort gibt es zu jedem Spruch die Unterpunkte Wirkung, Kategorie, Zuordnung, Zaubernde, Kosten, Art, Zauberdauer, Wirkungsdauer, Zauberort, Reichweite und ein Beispielritual. Gerade die Kategorien (etwa Geistbeeinflussung oder Reise), die Angaben zu Zauber- und Wirkungsdauer oder auch die Zurodnung (also etwa „Kult: Brüder der Haut“ direkt beim allerersten Eintrag „Absorbiere Fleisch“) erinnern an verschiedene Fantasysysteme.
Die Aufstellungen sind dabei gut, die Angaben hilfreich und oftmals durch weitere Textkästen ergänzt (im obigen Fall etwa einer zu den Brüdern der Haut), was das ganze Kapitel sehr gewinnbringend für das eigentlich Spiel macht und den Lesern von den Allgemeinplätzen des ersten Drittels fortführt. Es gibt allerdings eine Sache, die mich etwas stört.
Im AC werden knapp 230 Zauber beschrieben. Doch satte 201 davon sind auch schon im Spielleiter-Handbuch gewesen. Nicht so ausführlich, ohne die stimmungsvollen Texte, klar, dennoch – rechnerisch heißt das, dass gerade mal 12,22% der enthaltenen Zauber nicht schon in den Grundregeln standen. Von diesen also 28 Zaubern, die nicht im Grundregelwerk waren, sind dann noch mal satte 21 Stück aus dem Necronomicon. Wer also „Spielleiter-Handbuch“ und „Necronomicon“ schon hat, für den sind gerade mal sieben Zauber wirklich neu – das entspricht gut drei Prozent der enthaltenen Sprüche.
Natürlich ist es kein einfacher Neudruck, dennoch finde ich diese Ausbeute, gerechnet auf den Umfang des Grimoires im AC (134 Seiten, mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs), einen ziemlich vernichtenden Schnitt, ganz egal, wie schön die Zauber hier präsentiert werden.

Bleibt uns also des Dramas dritter Akt. Der heißt, das sagte ich schon, laut Inhaltsverzeichnis und Fußzeilen genauso wie der erste Teil, hat aber keine einleitende Überschrift. Naja.
Hier folgen dann noch einige Essays von schwankender Qualität. „Cthuloide Magie selbst gemacht“ ist okay. Nette Anregungen, was man bedenken sollte, wenn man sich selber stimmungsvolle neue Zauber ausdenken will. Keine komplizierten Regeln, nur Anregungen.
„Es geschah am Potsdamer Platz – oder: Wie man ein Abenteuer um einen Zauberspruch herum aufbaut“ ist dann so etwas wie unfreiwillige Selbstironie. Dem Cthulhu-Rollenspiel haben Kritiker ja öfters schon vorgeworfen, zu sehr in seine Handouts vernarrt zu sein. Laut Selbstbekenntnis soll dieser Abschnitt aufzeigen, „wie ein ganzes Abenteuer um einen einzelnen Zauberspruch herum aufgebaut werden kann.“ Soso. Um das zu erreichen werden einem eine Spalte Fließtext und sechzehn Handouts auf achteinhalb Seiten um die Ohren gehauen. Danach weiß ich immer noch nicht, wie ein ganzes Abenteuer darum gestrickt werden kann, erfahre aber wenigstens am Ende, welcher Zauber da dargestellt wurde. Wäre in der CW sicherlich ein netter Artikel gewesen und ist auch liebevoll umgesetzt – aber was macht das in einem der grundlegenden Quellenbücher des Systems?
„Cthuloide Magie – Die Antithese zum Sein der Welt“ ist vielleicht etwas geisteswissenschaftlich betitelt, aber gut. In Ergänzung zum ersten Text des Buches wird auch hier noch mal das Unwirkliche, Andersartige der cthuloiden Magie beschrieben und der Text regt den eigenen Geist an, wie man das auch dann am Spieltisch erhalten kann, wenn die regeltechnische „Realität“ greift. Leider bleibt der Artikel in seinem Bestreben, einen zum Denken zu bringen, dem Leser etwaige Antworten schuldig, aber das ist weniger schlimm, als es klingen mag.
Der letzte Akt mündet dann in einem Zwiegespräch. Zwei Seiten Dialog zwischen einem Wahnsinnigen und einem Arzt, bar jeglicher spieltechnischer Relevanz und, wenn auch ebenfalls nett geschrieben, meines Erachtens allenfalls als Füllwerk zu bezeichnen.

Selbst der abschließende Index hat mir nicht rundum gefallen, werden dort doch nur die neuen Zauber erfasst, nicht sämtliche Inhalte des Buches.

Was mache ich nun also mit diesem Buch?
Den ersten Teil würde ich als befriedigend bezeichnen, wenn auch einzig der Eröffnungstext das „Ausreichend“ vermeidet. Das Grimoire des Mythos ebenso, sehr gut gemacht, aber mit zu starker Überschneidung zum Spielleiter-Handbuch. Und der dritte Teil?
Ein befriedigender und ein guter Essay sowie zwei Abschnitte, die keinerlei Gewinn im Sinne der Spieltisch-Erfahrung bringen und daher allenfalls ein „Ausreichend“ produzieren. Geht man weiter davon aus, dass das schöne, neue Layout einige Anzeichen von Lieb- und Konzeptlosigkeit in dem Buch negiert, so kann ich das Buch dennoch nur noch als „noch befriedigend“ bezeichnen, um haaresbreite schlechtere Noten verfehlend.

Das AC war nett gemeint, ist für mich aber der Beweis, dass offenbar nicht jedes Kapitel des Grundbuchs gleichermaßen zur Erweiterung zu einem ausgewachsenen Hardcover geeinget ist. Würde man die Zauberliste mal etwas ausdünnen, würde die so vermutlich noch ins „Spielleiter-Handbuch“ passen. Dann lagert man die beiden wirklich guten Essays noch aus, verfrachtet die restlichen Artikel in die CW oder ein dünnes Softcover und gut. Das alles so zusammen in einem Hardcover ist aber wahlweise zu repetativ, uninspiriert, uninspierend oder, dann gemessen an dem Rest, einfach zu wenig, um überzeugen zu können.


Name: Arcana Cthulhiana {jcomments on}
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch
Autoren: Jan Christoph Steines mit zahllosen weiteren Autoren
Empf. VK.: 29,95 Euro Seiten: 240