Cthulhu - Rollenspiel in der Welt des H.P. Lovecraft

Die Großen Alten herrschten eins, lange vor dem Zeitalter der Menschheit, über die Welt

Dereinst kamen sie von einer anderen Welt - nun schlafen sie tief im Dunkeln der Erde, in den Tiefen des Meeres oder...Und wenn die Sterne die richtige, die wahre, Konstellation zeigen, werden sie wiederkehren und erneut über diese Welt herrschein.
vom Backcover von Cthulhu

Ich habe in den letzten Monaten ja so manche Rezi geschrieben, habe mit der Zeit ein Gefühl bekommen, wie lang und wie detailliert ich eine sinnvolle Rezension in meinen Augen sein soll aber das hier ist neu: die Rezension eines Grundregelwerks.

Aber da wir gerade mit Cthulhu begonnen haben und ich erstmals ein System zu leiten erwählte, an das mich nicht ein guter Freund (Gruß an dich, Sebastian!) herangeführt hat, dachte ich mir, ich gebe auch mal wieder, wie man so mit diesem Buch parat kommen kann.

Aber fangen wir mal mit der Außenseite von Cthulhu - Rollenspiel in der Welt des H.P. Lovecraft an. Das Buch ist ein Hardcoverbuch im grundbuchtypischen "knapp über DinA4"-Format. Betrachtet man es von der Seite, so wirkt es vom Aufdruck her wie ein alter, in Leder gebundener Foliant, was ja durchaus zur Thematik des Spiels passt. Auch wurde der etwas längliche Titel auf der Seite weg gelassen. Dort steht nur, unter einem Bild Lovecrafts (auf den ich beim Inhalt noch mal zu sprechen komme), "H.P. Lovecrafts CTHULHU", und weiter unten ist noch, über einem stilisierten Bildnis von Cthulhu "Compendicum Mystica" zu lesen. Einzig das zwar obligatorische, aber auch grellbunte Pegasus-Logo stört diesen Gesamteindruck ein wenig, aber das ist zu verschmerzen.
Die Frontseite ist hingegen ein genialen Meisterwerk. Man ist bei Pegasus nämlich nicht hingegangen und hat einfach, wie es in der "Szene" ja eigentlich üblich ist, das englische Cover der aktuellen Ausgabe mit deutschen Texten versehen und reproduziert, sondern etwas komplett Eigenes geschaffen: eine irre Collage, die sich aus diversesten Manuskripten, vergilbten Notizen, Hieroglyphen, chinesischen Schriftzeichen und dem Lovecraft-Zitat "Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis daß die Zeit den Tod besiegt" zusammensetzt. Im Hintergrund prangt dann noch wie ein Wasserzeichnen ein alt wirkendes Siegel.
Vom Cover der vorletzten englischen Cthulhu-Ausgabe hat das beunruhigend wirkende Auge, welches hinter dem Titelschriftzug liegt, noch Einzug gehalten und oben, etwas wie ein Medaillon wirkend, schwebt auch das Cover der aktuellen Englischen Version (Version 5.5 oder 5.6), aber in einen rötlichen Schimmer getaucht, was dem ganzen einen dämmerungsartigen Eindruck verleit.
Wer das englische Cover im Original sehen will, der muss das Buch nur umdrehen, denn die linke Hälfte des Backcovers zeigt das ebenfalls stimmungsvolle Bild in seinen originalen Blautönen. Oben links steht dann noch der kurze Werbetext, der auch diese Rezension einleitete, während unten rechts eine kurze Information über H.P. Lovecraft enthält, die hier für alle, die ihn nicht kennen, auch noch einmal wiedergegeben sein soll:
"H.P. Lovecraft wurde 1890 in Providence, USA geboren. Zu seinen Lebzeiten wurde nur eine seiner etwa 50 Geschichten als Buch verlegt, die meisten Anderen erschienen in Weird Tales, einer Zeitschrift für phantastische Literatur.
Der größte Teil seiner Geschichten drehte sich um den Cthulhumythos in den 20er Jahren und von vieler wird er als der J.R.R. Tolkien des Horrors bezeichnet."
Nicht sehr detailliert, aber für's erste erklärend genug.
Insgesamt weiß also auch der Buchrücken zu entzücken - einzig das erste 'D' des auf der linken Seite stehenden Textes wirkt etwas sehr verrückt, so dass ich auf einen Layoutfehler tippe ... aber auch das tut niemandem weh.
Aber auch das innere Layout weiß sehr wohl zu überzeugen. Das ganze Buch hat einen durchgehenden Stil, ist ausgesprochen gut aufgemacht (es gibt Brandlöscher in den Seiten u.ä. stimmungserzeugende Mittel, einen hübschen Rahmen am Seitenrand, eine coole Schrifttype auf Basis der Handschrift von Leonardo da Vinci uvm.) und es gibt viele gute Illustrationen, teilweise, soweit ich weiß, auch eigens für die deutsche Ausgabe angefertigt...
Aber kommen wir endlich mal zum Inhalt. Denn nachdem einen die äußere Gestaltung schon begeistert hat, schlägt man also das Inhaltsverzeichnis so sieht man, dass sich das ganze Buch in vier Teile gliedert: "Spielmechanismen", "Referenzen", "Szenarien" und "Spielhilfen". So kann man schon mal festhalten, das Cthulhu eine fast genaue Übersetzung der aktuellen Ausgabe des Systems aus dem Hause Chaosium ist; fast deshalb, weil die Kurzgeschichte Call of Cthulhu (deutscher Titel: Cthulhus Ruf) im Gegensatz zum englischen Original, aufgrund einiger lizenzrechtlicher Querelen mit dem Suhrkamp Verlag, nicht enthalten ist, woran man aber leider nichts ändern kann.
Vollkommen unverständlich ist hingegen das Fehlen zweier Zeitleisten in Teil vier; mehr dazu zu gegebener Zeit.
Im ersten Teil kriegt man dann also auch erst mal erklärt, was Cthulhu eigentlich ist, denn ist vom Stile ganz anders als jedes andere Rollenspiel. Es ist eine spielgewordene Geistergeschichte, ohne große Action, ohne Hack'n'Slay und derartiges, sondern subtil, spannend und auf nachdenken und Recherche angelegt.
Das Regelwerk selbst entpuppt sich dann als W100-System, ganz klassisch wie man es kennt. Man hat einen %-Wert, würfelt mit dem W100 und ist man drunter, so gelingt die Probe. Klar gibt's Ausnahmen, aber das ist im Prinzip schon die Essenz des Systems.
Dazu kommt noch seine Klassenlosigkeit. Jeder Spieler sucht sich einen Beruf aus, aber ist dabei prinzipiell völlig frei. Der SL sagt nur, ob ihm das behagt, und wenn dem so ist, welche Skills der Charakter sich von Anfang an steigern darf. Er hat nämlich alle, wenn auch teilweise nur mit einer Grundchance von 01%, getreu dem Motto: "Er könnte ja zufällig beim Schlösserknacken die Haarnadel so bewegen, das die Türe aufspringt.
Ist er besonders erfolgreich bei einer Aktion, so bekommt er einen s.g. "Haken" für den Skill, was bedeutet, dass er ihn am Ende des Abenteuers steigern darf. So kommt Cthulhu auch ohne Erfahrungspunkte oder ähnliches aus, was verhindert, das man für einen bezwungenen Gegner auch gleich seinen Wert bei "Literatur" steigern kann, wie man es von vielen anderen Systemen her kennt...
Dazu finden sich dann noch Regeln zum Ungang mit den Geisteskrankheiten, welche Charaktere sich bald zuziehen werden, wenn sie all den kosmischen Grausamkeiten gegenüber treten werden und zur Magie des Mythos.
Während letzteres eher selten Verwendung finden wird, da hier Rituale und nicht Zauber wie Feuerbälle gemeint sind, sind die Geisteskrankheiten ein fast schon essentieller Teil des Systems.
Wie in Lovecrafts Geschichte wird es auch dem Geist der Spieler schwer fallen, all die Dinge zu verstehen, die sie erwarten. Ob sie das Gesehene verarbeiten können, wird dabei stets mit einem Wurf auf das Attribut "geistige Stabilität" (gS) bestimmt, bei einem Fehlschlag sinkt das Attribut ein wenig. Erreicht es null %, oder sinkt es zu schnell, dann verfällt der Charakter dem Wahnsinn, was, je nach Stärke, zwischen einer Marotte und einer den Charakter unspielbar machenden Geisteskrankheit schwankt. Das ganz ist auch regeltechnisch wesentlich detailliert und auch glaubwürdiger als in anderen Systemen (etwa Warhammer) gemacht.
Nachdem auf nunmehr 100 Seiten alle Eventualitäten der Regeln abgehandelt wurden, geht es weiter mit den "Referenzen", dem Hintergrundkapitel. Einem Kapitel, wo die Spieler nichts zu suchen haben, das steht fest. Hier findet der geneigte Spielleiter auf 164 Seiten alles, was er über die Hintergründe des Mythos wissen muss. Da werden die Hintergründe des Mythos, das legendäre Neconomicon, Lovecraft selbst, diverse okkulte Bücher, die Geistesstörungen (passend zu den Mechanismen aus Teil 1), die Aufgaben des Spielleiters, Persönlichkeiten aus Lovecrafts Geschichten als NSCs und natürlich die Gottheiten und Kreaturen des Mythos (inkl. Werten) abgehandelt.
Eine einzige Beschwerde habe ich aber zu diesem Kapitel: es gibt kein realweltlichen Hintergrundinformationen. Cthulhu ermöglicht einem das Spielen in drei Zeitepochen: 1890, 1920 und 1990. Klar, für die 1990er (mittlerweile wohl auch eher 2000er, oder?) brauche ich nicht unbedingt großartige Hintergrundinformation, aber einige Infos zum Lebensstil der Jahre 1890 oder 1920 hätten nicht geschadet. Ein wenig dazu findet man später noch in Teil 4 (siehe auch weiter unten), aber wer z.B. wirklich über die 1920er Bescheid wissen will, der braucht wohl auch Amerika - In Städten und Wäldern, ein Buch, das ich hier später einmal rezensieren werde.
Teil 3 bietet einem dann auch dem geneigten SL einiges an Futter, um direkt zu beginnen: vier Szenarien erwarten ihn hier. Zwei davon habe ich auch bereits gespielt, die anderen beiden möchte ich daher auch nicht werten. Das erste Szenario, "Der Spuk", ist im Prinzip eine klassische Geisterhausgeschichte ohne große Umschweife, aber wohl auch ein ideales Szenario für den Einstieg, da es auch recht leicht zu meistern ist. Wer will, kann aber auch gut noch weitere Ideen einbinden, schätze ich...
Szenario Nr. 2 heißt "Am Rande der Finsternis" und dreht sich ebenfalls über etwas, dass in einem Haus umher spukt, aber es geht thematisch doch in eine ganz andere Richtung. Es bringt auch bereits ein paar schöne Mythen aus dem diesbezüglich sehr ergiebigen Ägypten mit sich, weshalb man auch dieses Szenario insgesamt als sehr gelungen bezeichnen kann.
Die anderen beiden Szenarien, "Der Wahnsinnige" und "Blues für Marnie", habe ich noch nicht gespielt, da sie mir beide noch nicht so recht zugesagt haben, aber das ist wohl auch Geschmackssache...
Insgesamt sieben "Spielhilfen" an der Zahl bilden dann den vierten und letzten Teil des Buches. "Lovecraft County - ein Reiseführer" führt den Leser tiefer in die Stadt Arkham, Massachusetts, welche Lovecraft gerne in seinen Erzählungen als Handlungsort verwendete. Das allerdings auf gerade mal drei Seiten, die insgesamt höchstens anderthalb Seiten, so dass man auch hier, will man genaue Informationen haben, auf Amerika - In Städten und Wäldern zurückgegriffen werden sollte.
"Ereignisse in der Welt des H.P. Lovecraft" ist eine Zeitleiste, die auf einer DinA4-Seite über die wichtigsten Ereignisse aus Lovecrafts Erzählungen, in einem Zeitraum von 1877 bis 1935, informiert. "Okkulte, kriminelle und futuristische Ereignisse" ist eine Zeitleiste von 1890 bis 1998, die zu jedem einzelnen Jahr die wichtigsten Ereignisse, die in die o.g. Kategorien passen, auflistet, so dass ein SL damit seine Kampagne ausschmücken kann. Wie schon gesagt fehlen hier zwei weitere Zeitleisten aus dem englischen Original, namentlich "Hundert Jahre und mehr" und "Katastrophen, vom Menschen geschaffen, wie auch natürlicher Art". Das ist aber kein Grund zum Verzweifeln, kann man sich besagte Zeitleisten doch mittlerweile auf der Pegasus-Homepage www.pegasus.de kostenlos herunter laden.
Es folgen die "Optionale Regeln: Verfolgungsjagden", welche auf zwei DinA4-Seiten eben jenes Themengebiet regeltechnisch abdecken, sowie "Geschwindigkeiten und Entfernungen", 2 DinA4-Seiten, die über Reisedauern u.ä. aufklären.
Die doppelseitige Tabelle "Kosten, Ausrüstung und Dienstleistungen" folgt dann gleich in dreifacher Ausführung, nämlich für jede der drei Zeitepochen. Das ist ausgesprochen nützlich, denn wer kennt schon die Preise für das Jahr 1890...
Es folgen noch acht Beispielcharaktere (2x1890, 4x1920, 2x1990) sowie der zweiseitige Charakterbogen (ebenfalls in drei Ausfertigungen) sowie allerlei SL-Dokumente.
Die letzten beiden Seiten, bevor das Buch mit einem guten Index schließt, sind dann noch mit einem Haufen Übersichtstabellen gefüllt, für SLs, die a) schnell mal was nachschlagen wollen und b) nicht im Besitz des nur auf englisch verfügbaren Keeper's Screen sind.

 

Somit bleibt noch eben die Zeit für ein Fazit:
Cthulhu ist ein einmaliges System, das die Atmosphäre wesentlich höher wertet als das im Bereich der Fantasy so typische Hack'n'Slay, dass aber dennoch ein gutes Regelwerk zu bieten hat, das hier in wunderschöner Form in einem erstklassig er- und verarbeiteten Buch zu finden ist.
Wer also mal ein neues System sucht, und glaubt eine geeignete Gruppe für so etwas zu haben, der ist sicherlich mit dem Kauf von Pegasus' neuen Werk bestens beraten!

 


Name: H.P. Lovecrafts Cthulhu
OT: Call of Cthulhu
Verlag: Pegasus Press
Sprache: Deutsch{jcomments on}
Autoren: Sandy Petersen, Lynn Willis
Empf. VK.: 35,80 EUR
Seiten: 336