Hesinde-Vademecum

Das ist ein skurriles Produkt, was hier vor mir liegt. Im handlichen Format A6 kommt das Hesinde-Vademecum daher, also das Gebetbuch für Spieler der wissenden Göttin des schwarzen Auges. Das Buch weist sich dabei gleich als Spielhilfe in zweierlei Sinne aus: Einerseits klassisch als Ressource für die heimische Spielrunde, andererseits als potentielles Accessoire für mögliche LARP-Spieler.
Das sind ja gleich zwei Ambitionen auf einmal – schauen wir sie uns also auch getrennt voneinander an.

Aber beginnen wir bei der optischen Erscheinung. Das Buch kommt im Format A6 daher, ist also klein. Der Text im Inneren ist nicht winzig, aber klein genug, um auf eine ordentliche Menge bei intakter Lesbarkeit zu kommen, das ist schön.
Eingeschlagen ist es in grünes Sowas-wie-Kunstleder, was an sich recht ansprechend ist. Die Hesinde-Schlange ist auf die Frontseite geprägt, was ebenfalls einen ziemlicher Blickfang darstellt. Das Material fühlt sich sehr angenehm an und das Buch liegt damit insgesamt sehr, sehr gut in der Hand möglicher Leser.
Während das Lesebändchen vor allem eine nette Dreingabe ist, ist die restliche Innengestaltung neuerlich Pluspunkt, denn das in einem Sepiaton gehaltene Hintergrundmuster der Seiten ist stimmungsvoll und sieht verdammt schön aus. Tristan Denecke zeichnet sich im wahrsten Sinne des Wortes für die Innenillustrationen verantwortlich und auch wenn diese objektiv sicherlich nicht zu den Meisterwerken der Reihe zählen, so gefällt ihr etwas gröberer Stil gerade deshalb, weil er so gut zur stimmigen Aufmachung als ein Buch direkt aus der Spielwelt passt. Was uns nun auch überleitet zu Funktion 1, der LARP-Requisite.

Mein Urteil hier ist so kompakt wie vernichtend. Sicherlich kann man dieses Buch im Live-Rollenspiel verwenden, aber jedwede Versuche es als wirkliches Requisit zu vermarkten sind entweder von unglaublicher Naivität oder einem gewissen Maß an Etikettenschwindel geprägt. Natürlich ist der Einband toll, das Material stimmungsvoll und die geprägte Schlange auf dem Cover wunderschön. Diese Blase platzt aber schnell, wenn im gleichen Stil auf dem Backcover der Schriftzug „Ulisses-Spiele“ nebst DSA-Logo ebenso eingeprägt sind. Oder ist „Ulisses-Spiele“ die Druckerei der Hesinde-Kirche? Ich denke nicht.
Diese Inkonsequenz setzt sich innen fort. Das beginnt ja schon damit, dass die ersten Seiten des Buches, also die komplette Titelei nebst Impressum, Inhaltsverzeichnis, Vorwort und sozusagen der Bedienungsanleitung alle in realweltlichem Bezug stehen. Das Buch ist einfach keine tolle Quelle direkt aus der Spielwelt, wenn das erste Vorwort von Daniel Simon Richter stammt. Egal, was Meliodane Espenhain dann im Anschluss aus Aventurien heraus zu berichten weiß.

Aber das ist ja nicht mal der Gipfel. Der findet sich in Form eines bei DSA wohl unvermeidlichen Regelteils. Sicher, das sind nur 11 Seiten, aber zusammen mit der Titelei von sechs Seiten und immerhin acht Vakatseiten (also solchen ohne Inhalt) am Ende des Buches sind 25 von 160 Seiten nicht Teil der aventurischen Spielwelt. Das ist mir zu viel.
Wenn es nur darum ginge, stimmungsvolle Texte zu liefern, hätte man aus dem Buch auch einen normalformatigen Quellenband machen können. Wobei dabei natürlich schnell deutlich geworden wäre, dass 160 Seiten A6 ein relativ geringer Umfang sind, gerade auch angesichts des Preises. Wenn ich aber schon ein Buch veröffentliche, das ausschaut, als könnte es direkt aus Aventurien stammen – dann doch bitte nicht so halbherzig.
Sechs, setzen.

Doch gibt es aber ja eine Kehrseite der Medaille, oder vielmehr diese zweite Ebene, auf der das Vademecum um die Gunst des Lesers bittet: Schlicht als Quellenbuch.
Und hier kehrt sich mein Fazit dann schnell um. Das Buch ist toll geschrieben, voller guter Ideen und stimmungsvoller Texte. Vor allem, weil hier nicht nur die Mirakel verkleidet werden, sondern weil man wirklich einen ordentlichen Gebete-Schatz für das Spiel erhält, ob nun alltägliche Bittgebete oder das ungeheuer schmissige „Gebet der Eisernen Schlange im Kampf gegen Ausgeburten der Niederhöllen“ für den Sacer Ordo Draconis. Dazu gibt es Hintergrund-Material, kurze Texte, Lieder (leider sehr wenige) und Wortlaute zu den regelrelevanten Liturgien – das ist alles sehr, sehr schön geraten.
Ich sehe da auch wirklich einen Gewinn am Spieltisch, wenn auch natürlich rein auf der erzählenden Ebene. Aber mit gerade solchen Elementen kann ein Geweihter einfach auch mal mehr sein als eine Art Zauberer, der halt die Art von Sprüchen kann, die man mit der anderen Art von Punkten bezahlt. Hier kriegt man Wortlaut an die Hand, den man sich schnappen und anbringen kann, damit klar ist, dass dieser oder jener Charakter eben nicht einfach nur ein Bücherwurm ist, sondern dass sein ganzes Leben und Wirken von dem Denken und Preisen seiner Gottheit durchdrungen ist. Denn letztlich ist es doch das, worum es geht, wenn man einen Geweihten spielt.

Allerdings muss ich einschränkend sagen, dass mich auch unter diesem Gesichtspunkt der spieltechnische Teil am Ende eher gestört hat. Weist man ihn nämlich nicht schlicht aufgrund seines Vorkommens schon ab, sondern riskiert einen Blick hinein, so findet man da beispielsweise Anreize, einen Hesinde-Geweihten überhaupt ins Abenteuer zu werfen. Das ist ja an sich nett und gut, aber braucht jemand wirklich Ratschläge der Sorte: „So sollte jede Hesinde-Geweihte ohne zu zögern aufbrechen, wenn sie hört, dass ein sinistrer Zauberer irgendwo seine Magie nutzt, um den Menschen zu schaden“?
Ich meine, wow, das ist jetzt quasi Railroading, ohne dass überhaupt ein Plot vorhanden wäre. Ich bin dahingehend, sagen wir vorsichtig, unüberzeugt.

Was uns zum Fazit bringt.
Ist das Hesinde-Vademecum ein gutes Buch? Nun, im Grunde schon. Bei aller Detailkritik kriegt ein Spieler mit entsprechender Ausrichtung sehr viel Handwerkszeug geliefert, um seinem Charakter im Rahmen des Rollenspiels sehr viele neue Facetten und zumindest farbenfrohe Ausgestaltungen zukommen zu lassen. Die Texte sind gut geschrieben und das Buch ist, das kann man nur noch mal betonen, auch echt hübsch.
Ich habe im Grunde, neben dem Kritikpunkt der kurzen und in jedem Sinne unnötigen Spielertipps, vor allem zwei Probleme mit dem Buch: Die „Ein Buch aus der Spielwelt“-Idee wurde durch brachiale Inkonsequenz leider zunichte gemacht, und der Preis ist mit 15 Euro für 160 Seiten A6 nicht gerade geschenkt.
Wer über beides hinwegsehen kann und will, und wer einen grundsätzlichen Bedarf an Spielwelt-Details zum Hesindeglauben hat, der tätigt mit dem vorliegenden Buch einen guten Kauf.{jcomments on}

Mit freundliche Unterstützung von Ulisses Spiele und des F-Shops.


Name: Hesinde-Vademecum
Verlag: Ulisses Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: Daniel Simon Richter et al.
Empf. VK.: 15,00 Euro
Seiten: 160 Seiten Hardcover A6