Von eigenen Gnaden

DSA4, ja... die alte Magierbox hatte es damals geschafft, dass ich mich komplett von Aventurien und seinem Regelsystem verabschiede. Zu aufgebläht, zu kompliziert und zu aufwändig ist mir Das Schwarze Auge damals geworden. Erst einige Jahre später weckte ein Abenteuerband meine Neugier und ich beschloss es zu riskieren und mir „Von eigenen Gnaden“ (VeG) zu besorgen. Und schon einmal vorweg: dieser Band hat mich so begeistert, dass auch mein Interesse an DSA wieder aufflammte.
Und warum das so ist, werde ich gerne in dieser Rezension offen legen.

Beginnen wird mit der Verarbeitung, die wie den meisten anderen DSA-Produkten der letzten Jahre bombenfest und hochqualitativ ist. Die Bindung ist hervorragend, das Harcover kann vermutlich als ballistischer Schild dienen und das Papier ist angenehm dick. Volle Punktzahl für die polnische Druckerei! Das Cover ist zwar mit Schwert und Krone thematisch passend, wirkt insgesamt aber wenig eindrucksvoll. Das Layout im Inneren ist mit Zierrand außen, zwei Spalten und grau unterlegten Textkästen ansprechend, wenn auch nicht hübsch, jedoch übersichtlich. Eine Fuß- oder Kopfzeile wäre noch hilfreich gewesen, um direkt erkennen zu können, in welchem Kapitel man sich befindet. Die Illustrationen im Inneren sind eher uneinheitlich was den Stil betrifft, jedoch allesamt gut. Besonders hervorzuheben sind die hervorragenden Karten der Städte, die nicht nur gut aussehen, sondern auch sehr nützlich sind. Ab und zu finden sich Kapitelenden, welche die Seite kaum ausnutzen und vor allem viel weiß bieten. Das ist zwar kein Beinbruch, wirkt aber wie Platzverschwendung, auch wenn die Aufteilung mit dem Kapitelbeginn auf der folgenden Seite sinniger ist.
VeG spielt in der vom Krieg gegen die Horden Borbarads verwüsteten Wildermark, einem anarchistischen und sehr gefährlichem Ort, bei dem die aus dem Mittelreich gekannte Ordnung keinen Bestand hat und man eigene Ansprüche am besten mit blankem Stahl in der Hand durchsetzt. Oder um es kurz zu fassen: der ideale Ort um Abenteuer zu erleben! Doch VeG lässt die Charaktere nicht wie in einem Onlinerollenspiel von einem Auftraggeber zum nächsten hüpfen, sondern gibt ihnen die Möglichkeit, die Zukunft des ganzen Gebietes mit zu bestimmen, indem sie sich einen Landstrich erobern können, aber dann auch verteidigen müssen. Als Herrscher können sie sich keineswegs zurück lehnen, sondern müssen sich weit mehr Gefahren stellen, da sie nun eine große Menge an Schutzbefohlenen unter sich haben. Und in der Wildermark gibt es nicht nur gefährliche Kulte, Dämonen und Untote, sondern auch Verrat, Liebe und Rache unter den Menschen, die einfach nur versuchen zu überleben. Neben der zentralen, aber frei gehaltenen Handlung um die Helden als Herrscher des Landstrichs gibt es viel, was die Helden tun können, jedoch nur wenig, was sie tun müssen. Es ist ein sehr freies Abenteuermodul, das zwar für den Spielleiter etwas mehr Arbeit bedeutet, insgesamt aber weit befriedigender wirken sollte als die übliche Abenteuerstruktur. Das wird besonders während eines Überfalls auf die Stadt der Spielercharaktere deutlich, wenn vieles gleichzeitig geschieht und die Helden extrem viel zu tun haben. Anstatt einen simplen Ablaufplan mit vordefinierten Szenen zu haben, gibt es einige Geschehnisse, die der SL passend einbauen kann und die oftmals Entscheidungen der Helden zur Folge haben, die sich später noch auswirken werden. Was mir auch sehr gut gefallen hat, war der sinnvolle Einsatz von sonst eher vernachlässigten, bzw. eher durch Ausspielen umgangenen Fertigkeiten wie Heilkunde: Seele.

Die mitgelieferten Szenarios sind dabei düsterer und magischer, als ich es von Aventurien gewohnt bin. So gilt es etwa einen vermeintlichen Kor-Geweihten in eine Dämonendimension zu begleiten, einen ketzerischen Praioskult zu stellen, dessen Anführer sich als Halbgott ansieht, eine Stadt die von magischen Golems geschützt wird und eine mächtige Entität der Region, die nicht nur unsterblich scheint und große Macht besitzt, sondern auch etwas gegen die neuen Herrn des Landstrichs hat. Es gibt viel zu tun und Spielrunden können extrem viele Spielsitzungen mit dem Material füllen, das in VeG zu finden ist... ganz zu schweigen von den zahlreichen Möglichkeiten, die sich erst durch die Anregungen in diesem Band befinden. Man sollte jedoch beachten, dass die Wildermark kein Ort für Pazifisten ist. Viele der Konflikte erfordern einen starken Schwertarm oder eine profunde Kenntnis der Magie, da es viele Gegner in sich haben. Die Helden sollten also auch eine gute Portion Erfahrung mit in diese Region bringen, ansonsten kann es leicht brenzlig für die Spielercharaktere werden. Dies kann man ein wenig ausgleichen, indem man sich mit einigen der beschriebenen NSCs gut stellt. Die Beziehungen der NSCs, sowie die ganzen Verweise auf anderen Bände lassen zwar irgendwie das Gefühl einer aventurischen Soap-Opera aufkommen, andererseits stecken viel Atmosphäre und Handlung in deren Beziehungen untereinander und zu den Helden. Weniger wichtige NSCs des eroberten Landstrichs werden übrigens kurz mit Name, Alter und wichtigen Charaktereigenschaften wie Auffälligkeiten beschrieben. Das hat mir ausgezeichnet gefallen, da ich trotz der knappen Infos direkt ein Bild der Person vor Augen hatte, ohne ausführliche Wertekolonnen oder ermüdende Details erfahren zu müssen.

Um dem Spielleiter Arbeit abzunehmen und den Spielern die Geschehnisse in ihrem Landstrich auch mechanisch vorstellen zu können, enthält VeG auch ein System zur Verwaltung des eigenen Landstrichs. Das System macht einen guten Eindruck, da es detailliert, aber nicht kompliziert ist. Eigentlich lohnt sich VeG schon aufgrund dieses Systems, da man die Besitztümer und Ländereien von Spielern damit auch außerhalb der Wildermark verwalten kann, was ganz neue Aspekte und Optionen ins Spiel bringt.

VeG weiß zu begeistern, da es extrem viele gute Ideen hat und das Regelsystem sinnvoll ins Spiel einbindet statt es zu brechen, was ja oft genug bei DSA-Abenteuern geschieht, um die Geschichte des Autors durchzudrücken. Bei VeG gestalten die Spielercharaktere die Geschichte, sie stehen im Zentrum und sie sind diejenigen, die Änderungen bewirken. Dieser Abenteuerband ist einer der besten die ich jemals gelesen habe und ich kann ihn uneingeschränkt empfehlen, selbst für andere Systeme. Drei Daumen hoch!
Name: Von eigenen Gnaden
Verlag: Ulisses Spiele
Sprache: Deutsch
Autoren: Uli Lindner, Jens Fichtner, Marcus Friedrich, Martin John, Michael Masberg und Anton Weste
Empf. VK.: 18 Euro
Seiten: 112{jcomments on}