Great City, The – Kampagnenschauplatz

The Great City ist ein generisches Stadtsetting für Fantasywelten, das mit den Pathfinder-Regeln ausgeliefert wird. Damit dürfte es das erste deutschsprachige Pathfinder-Produkt eines Drittanbieters sein! Im Original erschien das Setting "nur" als PDF bei 0one Games, einer italienischen Firma, die von Mario Barbati 2000 gegründet wurde und nach eigenen Angaben die ersten Drittanbieter von d20-Material im PDF-Format waren. Sie wurden vor allem für ihre Bodenpläne bekannt, die sie halt irgendwann mal in einem Setting zusammenfassten.

Nun hat die deutsche Ausgabe, aus Gründen die ich nicht nachvollziehen kann, den englischen Originaltitel The Great City behalten, obwohl im Text immer die Rede von der großen Stadt ist. Die ist mit 50.000 Einwohnern wirklich bevölkerungsreich ... vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ausmaße etwa denen der Aachener Innenstadt bis zum äußeren Ring ähneln. Demnach müsste die große Stadt eigentlich ein urbaner Alptraum sein, in dem sich enge Mietskasernen voller Menschen wie in einer dystopischen Zukunftsvision um Platz streiten. Das ist aber nicht so, eigentlich gibt es viele freie Flächen und auch die Beschreibung erwähnt nichts von Überbevölkerung. Auch sieht die Stadt für recht eckig und geplant aus, dafür dass sie eigentlich über Jahrhunderte gewachsen ist. Dafür sieht der Stadtplan, der wohl mit einem 3D-Programm erstellt wurde richtig schick aus!

Das gilt leider nur bedingt für die Gebäudepläne. Diese sind zwar sehr zahlreich, schlicht und übersichtlich, aber wenn man von den normalen 2,50 Metern für ein Kästchen ausgeht, dann sind die Außenmauern eines mittelgroßen Gebäudes schon mal ein bis zwei Meter dick. Dazu hat sich konstant ein fieses Element durch die Pläne geschlichen. Diese liegen immer auf einer Textur, worauf wohl auch der Titel des Gebäudes lag. Da man aber natürlich deutsche Titel einfügen wollte, liegt hinter dem deutschen Eintrag immer ein weißer Kasten, der sich von der Textur gut abhebt. Und bisweilen schauen auch, wie auf S. 50, noch die Buchstaben des Originals darunter hervor.

Ansonsten ist The Great City optisch nicht eindrucksvoll. Das Cover von Karsten Schreurs ist nicht übel, aber auch sehr generisch. Okay, nicht so generisch wie die völlig egale Originalversion, aber es zeigt die Stadt, um die es eigentlich geht nur kaum sichtbar im Hintergrund. Auffällig ist das "The" im Titelschriftzug, das sehr viel verschnörkelter ist, als der Rest des Titels und so überhaupt nicht passt. Das wurde seltsamerweise gegenüber dem Original ausgetauscht, wo das "the" noch in der gleichen Schriftart war, wie der Rest des Schriftzugs. Sehr obskur. Im Inneren schmiegt sich dann das schwarz-weiße, zweispaltige Layout durch das Buch, ab und zu unterbrochen von einer eher mäßigen Illustration. Diese Zeichnungen zeigen vor allem Charaktere aus der Stadt, die sich meistens durch alberne Kleidung und lächerliche Hüte auszeichnen.

Aber kommen wir einmal zum Inhalt von The Great City. Drei Viertel des Buches sind den sechs Distrikten der Stadt gewidmet, die jeweils von einem anderen Autoren geschrieben wurden. Das wird vor allem durch die Qualität der Stadtteilbeschreibungen deutlich, die von "völlig egal" bis hin zu "völlig abgedreht und großartig" reichen. Das restliche Viertel wird von neuen Monstern, einem Abenteuer und einem generellen Überblick über die Stadt, sowie vor allem durch die Werte der NSCs eingenommen.

Die sechs Stadtviertel sind thematisch sortiert und Militär, Adel, Hafen, Villen, Tempeln und Handel zugeordnet. Während sich in den ersten drei beschriebenen Vierteln so gar nichts Interessantes abspielt, was man nicht in einem Viertel mit diesem Namen erwarten könnte, bricht das Villenviertel enorm aus dem Muster aus. Hier haben aufgebrachte Bürger irgendwann einmal die magischen Toiletten der Adligen verstopft und sie dann aus ihren Häusern vertrieben. Seitdem hausen dort Schöngeister, Rebellen, Aussteiger und allgemein ein sehr farbenfrohes und wildes Volk, das jede Nacht eine Riesenparty schmeißt, den Adligen aus den anderen Vierteln ihre exotischen Haustiere klaut, um sie dann zu verzehren, dem Verwalter des Viertels Steuern in abstruser Form zu präsentieren, und und und. Das ganze Kapitel von Tim Hitchcock ist von der Zufallstabelle für Begegnungen in der Nacht mit rülpsenden und pfurzenden Elfen, über die dort ansässigen NSCs und deren Gebräuche, bis hin zu den Straßenbanden, die Schreine bewachen, die von Geistern bewohnt werden großartig und so voller Ideen, dass man alleine in dem Viertel einige Spielabende verbringen kann. Auch die Namen der Organisationen und Charaktere, die eh im ganzen Buch sehr putzig geraten sind, laufen hier zur Höchstform auf! So heißen etwa die Haustierdiebe "Die Genusssüchtigen Füße" und die Straßenbanden nach den Kreuzungen, die sie bewachen, wodurch dann solche Gruppen wie die Spatenschinder, die Blutmelker oder die Ungeduldigen Tunten (!) entstehen. Wow, ganz ganz groß dieses Kapitel! Hut ab! Der Tempel- und Handelsdistrikt können damit nicht mithalten, bieten aber zumindest interessantere Ansätze und Abenteuerideen als die ersten drei Kapitel. Zwar stelle ich es mir schwierig vor, wie sich Religionen aufgrund von Platzmangel im Tempelviertel ihre heiligen Stätten teilen, aber nun gut ... könnte ja auch weiteren Platz für Abenteuer bieten. Zwar gibt es am Ende eines jeden Kapitels ein paar Ansätze, aber die sind oftmals keine. Wenn man mir erzählt, dass ein alter Kauz seine Villa an seltsame Leute, Verbrecher und Geisteskranke untervermietet und man nun seit einiger Zeit nichts mehr von ihm gehört hat, dann wird daraus auch kein Szenario, wenn einen dessen Schwester anheuert, um mal nach ihm zu sehen.

Aber immerhin bietet das Buch auch ein Abenteuer zum Einstieg, für einen Spielabend. Das Abenteuer hebt sich dabei angenehm von den sonst üblichen Dungeoncrawls ab und präsentiert einen Mordfall, bei dem es vor allem auf die investigativen Fähigkeiten der Spieler und Fertigkeitseinsatz ankommt. Auch wenn das Szenario okay ist, so ist es mir zu wenig mit den Eigenheiten der Stadt verknüpft und könnte eigentlich auch irgendwo anders spielen. Das ist eh ein Problem von The Great City. Das Szenario hat zu wenige Eigenheiten, um als etwas Besonderes zu gelten. Schlimmer ist da, dass es zu wenig Konflikte und Reibungspunkte liefert und den eigentlich immer wieder erwähnten Konflikt zu wenig selbst nutzt. Auch wenn das Buch sich als generisches Produkt sieht, so ist der zentrale Konflikt des Settings zwischen Einheimischen und den in Clans zähneknirschend zusammenarbeitenden Eroberern doch recht speziell und nicht ohne weiteres in bestehende Settings zu übertragen. Am Ende findet sich immerhin der Hinweis auf zwei Abenteuer der Kampagne "Der Weg zur Revolution", die im Original sechs Teile umfasste und sehr gute Kritiken erhielt. Es bleibt zu hoffen, dass mit diesen Abenteuern die Eigenheiten der großen Stadt stärker umgesetzt werden.

Ein weiterer Knackpunkt sind die vielen Tipp- und Flüchtigkeitsfehler, die sich vor allem im NSC-Kapitel finden. Darunter sind unter anderem anderen falsche Schriftarten (S. 41), fehlende Worte, durch die unklar wird, wie oft ein Ereignis nun stattfindet (S. 38 beim Blutgeld), seltsame Übersetzungen wie Käferbär (obwohl Grottenschrat direkt folgt, S. 112) oder komplett vergessene Abschnitte, wie die englischsprachige Beschreibung der Talquarfußsoldaten (S. 117). Auch gibt es hier und da Probleme durch die Kopierfunktion ... so findet sich auf S. 144 ein PaRK, wo wohl die Abkürzung der Rüstungsklasse gesucht und ersetzt wurde. Der Rote Senator Harlo Belano hat auf S. 139 neben seiner Ausrüstung auch genau die Ausrüstung des vorangegangenen Paladins. Bei den NSCs stehen leider auch keine Seitenverweise für die Beschreibung, wer das überhaupt ist und was er in der Stadt tut. Andererseits stehen bei den Beschreibungen im Settingteil auch keine Verweise zu den Werten. Dazu fehlt ein Index, so dass man sich auf einige Sucherei einstellen kann, wenn man einen Ort oder eine Person finden möchte. Hier hätte man leicht Abhilfe schaffen und eine wirkliche Unterstützung für den Spielleiter schaffen können.

Tja, kann man nun The Great City empfehlen? Ich denke schon. Auch wenn ich viel zu meckern hatte, lohnt sich die Investition der sehr günstigen 25 Euro fast schon alleine für das Villenviertel. Das Kartenmaterial ist gut und auch viele weitere Elemente können, wenn sie schon nicht direkt in diesem Setting verwendet werden, leicht ihren Weg in die eigene Kampagne finden. Als eigenständiges Setting halte ich The Great City zu schwach, aber als Buffet, wo sich jeder frei nach Geschmack bedienen kann, weiß es durchaus zu gefallen.

Mit freundliche Unterstützung von Edition Erlkönig.


Name: The Great City – Kampagnenschauplatz
Verlag: Edition Erlkönig
Sprache: deutsch
Autoren: Lou Agresta, Rone Barton, Tim Hitchcock, John E. Ling, Greg Oppedisano und Brendan Victorson
Empf. VK.: 25 EUR
Seiten: 160 s/w, Hardcover
ISBN: 9783868894011{jcomments on}