Scourge Unending
Live the Nightmare!vom Backcover von Scourge Unending
Bisher waren meine Rezensionen zu den Earthdawn-Produkten von Living Room Games (im Folgenden gewohnt LRG) doch immer durch die Bank weg gut ausgefallen. Ein Auge haben ich dabei wohl manchmal etwas zugedrückt, aber im Endeffekt hat es mir eigentlich nie wirklich leid getan, ein Buch der zweiten Edition von Earthdawn erworben zu haben.
Bisher, denn die Dinge sollten alle an jenem Tage, an dem das vorliegende Buch hereinschneite, anders werden…
Wir erinnern uns zurück. 1995 brachte FASA das Buch "Horrors" raus, '96 dann FanPro die deutsche Ausgabe "Dämonen". Das Buch, welches alle Facetten jener furchtbaren Wesenheiten, die Barsaive in der Plage überrannt hatten, umfasste, gefiel Fans wie Kritikern. Das Artwork, mit Aussetzern wie immer, genial, vor allem viele der im Buch enthaltenen Farbtafeln waren markant, denn nun sah etwa "der Beflecker" (das Dingen auf dem alten Cover) mal richtig gefährlich aus.
Auch der Inhalt war genial, denn ähnlich etwa der "Legenden von Earthdawn" wurde hier viel auf In-Time-Texte gebaut, viel mit Atmosphäre gearbeitet so dass das Buch vor Inspiration fast überquoll.
Nun schreiben wir das Jahr 2003, FASA ist längst in die Ewigkeit geflossen und die Rechte wanderten zu Living Room Games, die bisher auch tapfer weiter gearbeitet haben - und dort dachte man sich wohl, warum kein neues Dämonenbuch machen?
Macht auch Sinn. Die Ereignisse in "Barsaive at War" und "Barsaive in Chaos" legen viele Grundsteine zur Erneuerung … nur was ist dann passiert??
Das Buch liegt hier nun vor mir, dünn wie es ist. Denn trotz angeblich gewachsenem Inhalt ist das gute Stück gut 14 Seiten dünner als sein Vorgänger - das stößt aber im ersten Moment kaum auf, denn der erste Moment gehört klar dem Cover.
Oder was man so Cover nennt. Das Buch kommt in dem selben grünlichen Felsdesign daher wie schon das "Earthdawn Companion, Second Edition" (farbcodierte Herausstellen von Regelwerken - macht Sinn!), doch das Bild selber ist das Problem. Ich weiß nicht, wie man auf die Idee kam, ein computergeneriertes Bild zu verwenden, aber eines ist klar: es sieht katastrophal aus. Ich weiß auch, dass alle bisherigen Cover (mit Ausnahme von "Path of Deception", und das war noch schlimmer…) mit Computerprogrammen erstellt wurden, aber das Cover hier wurde gerendert, sieht aus wie ein Screenshot aus einer mittelprächtigen Videosequenz eines Computerspiel aus den späten Neunzigern.
Man sieht einen Krieger, eindeutig schockiert, der dort steht und mit weit aufgerissenem Mund, indem eine eindeutig krank aussehende Zunge quillt (nein, soll nicht dämonisch aussehen, sieht nur schlecht aus), vor einer ganz nett aussehenden Wand, während sich von oben eine Kralle - oder so - ins Bild schiebt. An der klebt dann noch Erdbeermarmelade, könnte aber auch Blut sein, und der Gesamteindruck ist eigentlich nur ein impulsives Zurückstellen des Buches. Aber gut, man hat es ja per Mailorder bestellt und außerdem kommt es ja nicht aufs Cover an, schauen wir also rein und erblicken … dass die erste Illus eindeutig zu stark vergrößert wurde und nun ganz pixelig aussieht. Egal, man blättert tapfer weiter und … kann nur von Entsetzen ergriffen werden.
Nicht ob der Dämonen, allerhöchstens ob der Dämonen, die hier die Bilder gemalt haben! Ein Bild ist schlechter als das andere, selbst ein Fanzine kann sich da Besseres erlauben. Kein einziger Dämon in diesem Buch, keiner, sieht gut aus, es gibt eine Hand voll Illustrationen, die mir ganz gut gefallen, die sind dann aber auch fast alle von Stephanie Folse und Denise Jones, den üblichen Verdächtigen also.
Aber wenn man mal wehleidig auf die alten Illus blickt, da kriegt man ja regelrecht Magenschmerzen - das hier ist kein Zustand und auch nicht mehr entschuldbar, das ist einfach nur furchtbar…
Aber der Inhalt, vielleicht kann der Inhalt ja vertrösten.
Es gibt eine neue Einführung, ganz nett, danach das bekannte Drumherum über die Gefahren bei Nachforschungen zum Thema Dämonen und all das, danach, das ist neu, folgen acht "Horror Stories". Nichts bahnbrechendes, nett zu haben, aber das Wortspiel im Titel ist schon das Nennenswerteste hier.
Nun gut, so ist man dann schon auf Seite 26, es bleiben also noch 70 Seiten für die Dämonen, ihre Konstrukte und ein Wenig mehr.
Wie das geht merkt man dann schnell und erneut mit großem Entsetzen: vorbei ist die Zeit der atmosphärischen Beschreibung, vorbei die Zeit der aufwendigen Darbieten. Kaum einer der benannten Dämonen, ehemals hatte jeder von ihnen vier Seiten, bringt es noch gerade Mal auf die Hälfte. Die neuen Illus sind selten größer als eine Viertelseite (okay, mehr hätten sie auch nicht verdient), die langen Kurzgeschichten Beschreibungen von teilweise weniger als sieben Zeilen gewichen.
Was einst ein Hort voller einzigartiger Antagonisten für ganze Kampagnen war, mutet nun mehr wie ein Monsterkompendium einer OGL-Subfirma an.
Vorgestellt werden auf sage und schreibe 30 Seiten nun Aazhvat Many-Eyes, Andokhas, Artificer, Bone Crown the Usurper, Cauthrunne, Chantrel's Horror, Corabidose, the Devourer, Druistadt, Giftbringer, the Hunter of Hunters, Joie, Life Leach, Nebis, Nemesis, Ristul, Swarm, Taint, the Tempter, Twiceborn and the Vivane Factions, the Horror Clouds, Ubyr, Verjigorm und Ysrthgrathe.
Eine ganze Reihe Neuzugänge also, dennoch sind einige ja nicht wirklich neu (erst Recht nicht Twiceborn), andere von ihrer Grundidee her einfach schwach (etwa die Live Leach) und selbst die, die mehr sein könnten, leiden an dem geringen Umfang, den sie einnehmen. Auch der Abschnitt zu den Horror Clouds ist ein Witz, kürzer als manch anderer steht dort auch nichts, was nicht schon in "Barsaive in Chaos" gestanden hätte, spoilert so aber schon mal einen ganzen Handlungsfaden daraus. Außerdem … Stats für eine "Horror Cloud Kila" hätte ich auch nicht gebraucht.
Danach folgen dann noch 24 Seiten Dämonenkonstrukte und kleinere Dämonen. Um es kurz zu machen: hier hätten wir dann den Ashzombie, Astral Nightmare, Bonewarden, Breacher, Burning Ghost, Cloud Spawn, Corpse Thief, Cyclopean Ghoul, Doppler, Dreadiotas, Ghoster, Gnashers, Gorgon, the Hive of Ashes, Horrorflesh, Kaer Lord, Knifecats, Lake Monster, Marionette, Nightwists, Plagues, Qural'lotectica, Spine Devil, Storm Shards, Terror Birds, Tortured Knight, Trap Spider, Vipercoil, Wasteshadow und Wingflayers … ebenfalls also massig neue Einträge, wobei es die wahre Schwämme aus "Barsaive in Chaos" noch nicht mal in das Buch geschafft hat. Hier fällt dann auch der mindere Umfang nicht mehr wirklich auf, daher ist das Kapitel insgesamt auch weit befriedigender, zumal etwa das "Horrorflesh" auch durchaus Potential haben. Traurigerweise mehr sogar als einige der neuen benannten Dämonen.
Danach folgt noch die gewohnte Übersicht über die neuen Dämonenkräfte, wohingegen das alten Kapitel über die verfluchten magischen Gegenstände wie auch der Index aller bisher publizierten Dämonen dem Kürzungswahn anheim gefallen ist.
Dafür folgt dann zum Abschluss noch eine neunseitige Abhandlung über die frischgegründeten "Hunters of Throal", die sozusagen ein Ersatz für den ja schon "Barsaive in Chaos" verwendeten "Horror Stalker", ganz interessant, aber nicht so richtig neu.
Und dann ist das Buch auch schon zuende, eine Frage hinterlassend: habe ich da gerade irgendwas von Belang gelesen?
Die benannten Dämonen sind uninteressant präsentiert und reizen nicht im Mindesten zur inspirierten Verwendung, die Horror Constructs sind teilweise nett, teilweise uninspiriert aber wenigstens als Schwertfutter denkbar, die Dämonenkräfte genau, was man erwartet und auch das letzte Kapitel bietet einem nichts an, was einen nun wirklich umhaut.
Unterm Strich kann man also einfach nur sagen, LRG haben Mist gebaut. So richtig. Sie haben es geschafft, aus einem der schönsten und nützlichsten Bücher der ersten Edition ein hässliches Entlein mit dem Nährwert eines Big Macs zu machen, haben konsequent alle guten Seiten gestrichen und die Lücken mit weiterem Standardkram gefüllt.
Wer mit der zweiten Edition eingestiegen ist, der wird im Amiland mit "Scourge Unending" keinen totalen Schiffbruch erleiden, denn immerhin kriegt er so mal alle wichtigen Dämonen, wenn auch mangelhaft, vorgestellt und ein Kernthema des Systems sind sie ja auch weiterhin. Für ihn kann das Buch daher als "noch Befriedigend" angesehen werden. Insbesondere, da "Horrors" schon lange out of print ist.
Wer das alte Buch allerdings schon hat, für den wird die Neuauflage eine große Enttäuschung sein und kaum genug Neues bieten, um jemand anders als einen vollständigen Sammler zu bringen, 18 Dollar zu bezahlen.
Und da in Deutschland "Dämonen" auch weiterhin erhältlich und nahezu überall verfügbar ist, muss ich entgegen aller bisherigen Trends und so leid es mir auch tut eindeutig eher zum Kauf der alten Auflage raten.
Name: Scourge Unending
Verlag: Living Room Games
Sprache: Englisch
Autoren: diverse
Empf. VK.: 18 US-$
Seiten: 96{jcomments on}