Barsaive

Als die Magier das Ende der Plage verkündeten, erbrachen Jaro, ich und drei andere die Siegel der Türen und gingen ins Freie. Wir hatten gehofft, eine neue Welt zu finden, erfüllt von blühendem Leben. Statt dessen dehnte sich eine verwüstete und kahle Landschaft vor uns aus.
vom Backcover von Earthdawn – Barsaive

Neben dem Grundregelwerk dürfte die alte „Barsaive“-Box eines der bedeutsamsten Produkte aus den Anfangstagen von Earthdawn gewesen sein. Das „Boxed Set“ enthielt nicht nur eine weitaus genauere Karte als das Grundregelwerk, sondern vor allem zwei Büchlein, mit denen das Setting erst zum Leben erwachte.
Sträflich, dass dieses wegweisende Produkt so lange nicht mehr gedruckt wurde. Games-In schaffen dem aber nun Abhilfe und bringen den alten Boxinhalt als Softcover-Buch mit stolzen 184 Seiten auf den Markt.

Neu ist dabei vor allem die optische Gestaltung. Nach dem katastrophalen, neuen Cover von „Arkane Geheimnisse“ hat Horst Laber dieses Mal mal wieder ein besseres Stück Illustration abgeliefert. Das gerade durch einige zusätzliche Bearbeitungen (man vergleiche das endgültige Umschlagsbild einfach mal mit der in Details markant anderen Version direkt auf der folgenden Seite, auf dem Schmutztitel) zum Leben erwachte Bild geht zumindest in Ordnung, trotzdem war das alte Bild eigentlich schöner.
Während das Cover aber noch okay ist, enttäuscht die Innengestaltung aus gleich mehrerlei Gründen. Der praktische Navigator am Rand, wie ihn das neue Grundbuch hat, fehlt auch hier wieder, wenn auch zumindest wieder der Name des jeweiligen Kapitels dort nachzulesen ist. Nerviger ist aber die Qualität der Bilder. Die sind fast ausnahmslos bei näherer Betrachtung pixelig geraten. Ob es nun am Druck oder am Layout liegt, weiß ich nicht. Ich habe zum Vergleich einmal meine alte FanPro-Ausgabe der Box aus dem Schrank geholt und muss festhalten, damals war das alles gestochen scharf. Doch selbst Bilder, die in der 2007er-Fassung kleiner sind als anno 1994 in der Box, sehen einfach schlechter aus. Wie furchtbar!
Ein, zwei Bilder wurden auch gegenüber der alten Ausgabe horizontal gespiegelt, was teilweise komisch wirkt, aber zumindest steht keine Illu Kopf, wie es noch in „Arkane Geheimnisse“ der Fall war.
Überhaupt wirkt die Games-In-Bearbeitung auch dieses Mal eher lieblos. Es gibt wieder mal einen Tippfehler im Impressum (Die Stadt heißt „Chicago“, liebe Münchener, nicht „Chikago“) und auch manchen in den minimalen, neuen Textzeilen im Buch.
Geradezu eine Leistung ist es aber schon, dass es tatsächlich Fehler in das Buch geschafft haben, die es so in der alten Ausgabe nicht gab. So liest man bei der Öde nicht nur, dass sie die „westlieche Grenze“ Barsaives bildet, nee, das arme Dingen wird auch kurzerhand an einer Stelle mal in „die Ode“ umbenannt. Ansonsten ist es aber auch schon eher dreist, dass im Impressum steht, die Übersetzung sei vom Games-In-Team angefertigt worden. Diverse Stichproben sagen mir, dass hier die alte Übersetzung von Peter Kathe der FanPro-Fassung verwendet wurde, denn die ist im Wortlaut gleich. Nur an die neue Rechtschreibung wurde das Werk angepasst.
Und wo wir schon bei dreist sind: Es geht ja in Ordnung, auf Regionalbände zu verweisen, wenn der Text im Buch etwas nur zusammenfasst. Aber gleich den Titel des Produktes mit Artikelnummer zum sofortigen Bestellen in den Fließtext zu stopfen, das muss nun echt nicht sein, oder?
Zuletzt: Das alte Produkt hatte eine gewaltige Barsaive-Karte anbei, sowie ein lustiges Gimmick. Einen Pappsextanten gab es dazu, den man dazu verwenden konnte, die Dauer von Reiserouten mit Hilfe der beigefügten Karte zu bestimmen. Die Elemente gibt es zwar auch noch bei Games-In, doch die schönen Pappteile von einst wollen nun direkt aus dem Buch kopiert werden und die ehemalige Posterkarte wurde durch eine A4-Seite im Buch ersetzt. Details gibt es da natürlich keine zu bewundern.

Ist „Barsaive“ also nun ein schlechtes Produkt?
Eigentlich keineswegs. Es stecken zahllose Details in dem Buch und wer etwas sucht, dass ihm den Flair der Spielwelt von Earthdawn vermittelt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Vieles, was das Grundbuch nur anreisst und was vielleicht in anderen Büchern zum direkten Thema gemacht wurde, wird hier schön zusammengefasst.
Am Ende der Lektüre von „Barsaive“ weiß der Leser, was so alles in Barsaive abgeht, wer offiziell und wer inoffiziell die Fäden in der Hand hält und welche Risiken die Region sonst noch bietet. Dabei liest sich das Buch sehr gut und wären die Bilder besser aufgelöst, dann würde es uneingeschränkt Spaß machen, in diese Seiten abzutauchen.
Die alte Zweiteilung der Box wurde beibehalten. Der erste Teil des Buches, d.h. bis einschließlich Seite 124, ist das s.g. „Handbuch für Entdeckungsreisende“. Das umfasst schnieke Beschreibungen der Plage und des Lebens in Barsaive, vor allem aber viel zur Region an sich. Da gibt es Beschreibungen von Reisen, von den wichtigsten Landstrichen, mystischen Orten, Flora und Fauna. Sehr lehrreich und wegweisend für jede Runde.
Der Rest des Buches wird dann vom „Barsaive Spielleiterbuch“ eingenommen. Hier findet der Leser dann Anmerkungen zu „Legenden“ im Spiel, sowie eine Menge konkretes Material: Geheimgesellschaften, benannte und generische NSCs, Kreaturen und magische Schätze – alles da, was das Herz begehrt. Auch einige Raritäten aus den Anfangstagen findet man vor allem hier, etwa die Invae, Insektengeister und Zeugnisse der alten Verbindung von Earthdawn und Shadowrun.

Positiv ist auch zu bemerken, dass Games-In es geschafft haben, die Verarbeitung weiter zu verbessern. Die Bindung ist ziemlich bombig und erweckt den Eindruck, auch in einigen Jahren noch das Papier an seinem Platz zu halten und der Einband ist von zuverlässiger Dicke, nicht so flattrig wie etwa der vom „Theranischen Imperium“.
Wer die alte Box hat, der braucht das neue Buch trotzdem nicht. Neue Inhalte gibt es gar keine. Doch alle, denen diese praktischen Texte bislang entgangen sind, sollten zugreifen. „Barsaive“ ist ein Grundstein für alle nachfolgenden Bücher und zugleich eine allgemeine Referenz für Themen, die andere ED-Produkte einmal lang und breit ausarbeiten werden.
An einigen Punkten merkt man sicherlich auch, dass die Texte aus der absoluten Anfangszeit des Spieles stammen, aber das tut dem Lesespaß tatsächlich keinen Abbruch. Dieses Buch verleiht der Spielwelt dermaßen Farbe und Individualität, dass man es kaum ignorieren kann.

Schade ist nur, dass Games-In es mal wieder nicht verstanden haben, das Produkt tatsächlich aufzuwerten. Das neue Cover tut zwar nicht weh, ist aber auch keine Verbesserung, der Innendruck ob der schlecht aufgelösten Bilder nicht wirklich schön. Die Navigation im Buch ist sperrig und die Aufteilung des Inhaltes auf ehemals zwei Bücher ist weiterhin im Text zu spüren, wirkt in einem Band aber weniger sinnvoll.
Wer Earthdawn nach Hintergrund spielt, der kommt am „Barsaive“-Buch nur dann vorbei, wenn er die Box schon hat – das Buch ist essentiell. Allerdings gibt es einfach Abzüge in der B-Note, denn leider kann die Adaption des alten Inhalts durch Games-In vorne und hinten nicht punkten.
Name: Barsaive
Verlag: Games-In Verlag
Sprache: Deutsch
Autoren: Christopher Kubasik uva.
Empf. VK.: 28 Euro
Seiten: 184{jcomments on}