Earthdawn, zweite Edition (HC)

In den Zeiten des frühen Weltalters, war jeder Schritt ein Aufbruch aus der Dunkelheit, jeder Schatten ein Schrecken aus den Eingeweiden der Welt und jeder Abenteurer ein Wanderer im Zeitalter der Legenden.
vom Backcover von Earthdawn – 2te Edition

Das ist ja mal mittlerweile richtig kompliziert geworden. Da gab es Earthdawn in der ersten Edition, auf Englisch von FASA und auf Deutsch von FanPro. Dann erwarben allerdings FanPro die DSA-Lizenz und traten Earthdawn ab an den Games-In Verlag. So weit, so gut.
FASA machten den Laden zu und aus dem Wust der Lizenzmasse erwarb der frisch gegründete Verlag Living Room Games wiederum die englischen Rechte am Spiel. Auf Basis dieser Rechte veröffentlichten sie eine 2nd Edition, deren Regeländerungen weithin begrüßt wurden, deren Manga-artiges Artwork dagegen sehr gescholten wurde.
Games-In brachten ihrerseits eine zweite Edition und übernahmen einige, aber nicht alle Änderungen der LRG-Ausgabe und schufen so ein seltsames Mischwerk, immerhin mit klassischem Layout. Jüngst ergatterte der neuseeländische Verlag Red Brick nun auch noch eine ED-Lizenz aus der FASA-Masse und begann, Bücher auf Basis der ersten, alten FASA-Ausgabe zu publizieren. Diese veränderten jedoch manchen Text und manches Reglement, so dass ihr „Earthdawn Classic“ de facto eine zweite 2nd Edition darstellt, eine dritte, rechnet man das deutsche Mischwerk mit ein.
Ja, und jetzt bringen Games-In erneut eine, wie schreibt das Cover, „2te Edition“, um sich nach der letzten Schmach mit Pauken und Trompeten zurück zu melden. Diese Rezension beschränkt sich dabei auf die Bewertung des neuen Regelwerks von Games-In. Weder das System selbst noch die Regeledition sollen darin jetzt en detail umrissen werden – das haben wir und andere bereits an dieser und anderer Stelle gemacht.

Rein optisch überzeugt das Buch zumindest augenblicklich. Es ist ein „Hardcover vom alten Format“, wenn man so sagen will. Schwarzweißer Innendruck, 368 dicke Seiten, Rundrückenbindung – wer noch die alte, erste Edition kennt, wird sich freuen, dass das Buch direkt wieder das alte Feeling vermittelt. Das matte Cover mit Glanzelementen ist technisch sehr modern und schnieke, vom Motiv her aber das gleiche Bild, dass schon in den 90ern das deutsche Regelwerk schmückte. Gewissermaßen ist es auch eine Metapher für das gesamte Spiel.
Das Artwork wurde fast vollständig aus der FASA-Ausgabe übernommen und vermittelt dadurch direkt wieder den alten Flair. Das mag man positiv wie negativ bewerten, da heutige Rollenspielillustrationen einfach anders aussehen. Wer mit den bunten D&D-Welten oder den Illus eines Tobias Mannewitz, moderneren DSA-Illus, mangaesker Exalted-Illustration oder den schwarzweißen Bildern von Künstlern wie Klaus Scherwisnki und Eva Widermann groß geworden ist, dem dürften die alten Zeichnungen von Illustratoren wie Janet Aulisio oder Jeff Laubenstein recht seltsam erscheinen. Ich finde sie allerdings weitestgehend großartig – sie haben einen ganz eigenen Flair und auch wenn ich selber mal Anderslautendes geschrieben habe: Earthdawn wäre nicht Earthdawn, sähe es nicht so aus.
Ergänzt wurde das ganze von Horst Laber, der wohl zum deutschen Earthdawn-Hauszeichner zu werden scheint, aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack trifft. Er hat sich definitiv mittlerweile in die Materie eingearbeitet und Dinge wie einige der „Drachen von Barsaive“-Illustrationen sucht man hier vergebens. Zwei seiner Bilder sind sogar kleine Meisterwerke: Da die Disziplinen des Luftseglers und des Scouts nun endlich, wie schon bei LRGs 2nd Edition im Grundbuch angekommen sind (dazu gleich mehr), mussten für die jeweiligen Archetypen noch Bilder angefertigt werden, da keine alten Zeichnungen vorlagen. Was Laber da geschaffen hat, ist auf den ersten Blick kaum von den alten Bildern zu unterscheiden. Überhaupt fügen sich viele seiner Bilder gut in das Buch ein ... andere dagegen fallen auf die bunte Hunde.

Dieses insgesamt eben doch überzeugende Bilderwerk hat man anschließend in ein modernisiertes und einfach schön zu nennendes Layout gelegt. Ergänzt man noch einen wirklich guten, logischen und hilfreichen Navigator am Außenrand der Seiten, kommt man bei einer rundum guten, optischen Gesamtnote an, die allerdings doch nicht ganz ohne Macken ist. Zunächst einmal wechselt das Buch spontan zwischen zwei- und dreispaltigem Satz. Das ist mir anfangs gar nicht aufgefallen, wirkt an manchen Stellen aber doch schrecklich unmotiviert und bleibt zumeist unerklärt. Zugegeben, Talente sind übersichtlicher im dreispaltigen Satz, aber warum Beispielsweise gleich zu Beginn die Spielweltbeschreibung auf ihrer zweiten Seite (das ist S. 8) dreispaltig und auf der nächsten dann zweispaltig ist, wird vermutlich ewig Horst Labers Geheimnis bleiben. Gelayoutet hat der nämlich auch.
Die andere Kritik betrifft ebenfalls die Stringenz des Layouts, denn auch die Art der Kapiteleinleitung ist recht sprunghaft. Manche Kapitel haben ein Einleitungsbild in voller A4-Größe, andere nicht. Gut, mag man sagen, so entstehen zumindest nirgends leere Seiten, wenn ein Kapitel einmal rechts endet und auch rechts wieder beginnen soll. Aber hat man einmal ein solches A4-Bild, so ist der beschreibende Text mal unter dem Bild (S. 10), mal mitten drin (S. 30) und ein Mal ist die Seite gar ganz anders aufgemacht (S. 18).
Alles keine Gründe, das Buch nicht zu kaufen, aber Abzüge bei der B-Note, sozusagen. Schade, wenn auch mit Kostengründen erklärt, ist die Abwesenheit von Farbtafeln. Da gibt es alleine aus der ersten Edition heraus auch einige schöne und es wäre nett gewesen, von denen auch hier etwas zu sehen zu bekommen. Naja, so leider nicht. Dafür liegt zumindest eine flammneue Karte von Barsaive dem Buch wieder bei – löblich.

Kommen wir aber endlich zum Inhalt. Das Buch entspricht nun regeltechnisch exakt der englischen Ausgabe von Living Room Games, ebenso was die Auswahl des regelbezogenen Materials betrifft. Also sind entsprechend Scout und Luftsegler nachgerückt, doch die höheren Kreise der Disziplinen bleiben weiterhin in andere Quellenbücher ausgelagert. Das neue Fertigkeitensystem der englischen 2nd ist enthalten, die Talent- und Fertigkeitsbeschreibungen stimmen mit der LRG-Ausgabe überein und etwa die neuen Blutamulette sind ebenso wie der Strukturzerfall (Depattering) mit an Bord.
Geht es dagegen um Hintergrundtexte, so bleibt man bei Games-In der alten Ausgabe treu. So ist die Einleitungsgeschichte beispielweise noch immer keine Übersetzung von „The Mark of Judgement“, sondern weiterhin die klassische Geschichte „Das Vermächtnis“.
Man muss dies allerdings mit einem klaren „aber“ versehen, denn das deutsche Regelwerk liegt auch in einem ganz anderen Kontext. In Amerika erschien mehr oder weniger zeitgleich „Barsaive at War“, das aufbrausende Ende aller Konflikte mit den Theranern. Der Schwerpunkt dort wanderte mehr zu einem offenen Konflikt mit den Dämonen („Barsaive in Chaos“). Das ist in Deutschland schlicht anders.
Wir sind noch immer auf dem Stand von „Vorboten des Krieges“ („Prelude to War“) was weder die Richtung der Kurzgeschichte, noch etwa die ebenfalls nicht ganz angepasste Zeitleiste in ihrer jetzigen Form sogar sinnvoller macht als eine Übersetzung all des neuen Materials.

Übersetzung, das ist ohnehin noch ein gutes Stichwort. Das Fließtext im Buch ist gut. Das Impressum lässt leider keinerlei Rückschlüsse auf die Identität des Übersetzers zu, aber eine stichprobenartige Kontrolle lässt vermuten, dass Teile, die so auch schon in der alten Edition zu lesen waren, auch in der Übersetzung von Christian Jentzsch belassen wurden. Abweichungen bewegen sich in einem Rahmen, den ein Beispiel verdeutlicht: das alte Kapitel „Das Wesen der Zauberei“ heißt nun „Das Wesen der Magie“. Ist also keine große Rede wert.
Neue Teile wurden ebenfalls adäquat übersetzt und fallen fast nicht ins Auge. Fast, weil ich wenigstens den Eindruck hatte, dass die Fehlerquote dort eine Ecke höher war und bisweilen auch der Sprachstil etwas verrutschte – nicht vom Niveau, aber regional mehr ins Norddeutsche. Es lese den Scout an, wer ein Beispiel sucht. Der war im alten „Kompendium“ sogar korrekt zulesen und hat nun Fehler. Hmm.
Aber allgemein ist es das, was die Gesamtnote auf sprachlicher Ebene deutlich nach unten zieht: die Fehlerdichte. Das Lektorat des Buches, ebenfalls anonym vom „Games-In Team“ durchgeführt, hätte definitiv einige weitere Blicke auf das Buch werfen sollen. Dann hieße es wohl auch „FASA Corporation“ und nicht „FASA Corporatuion“, dann würden Sätze nicht mit Kommas beendet, Klammern mit einem Semikolon geschlossen und die Wörter stünden in den korrekten Fällen. Oh, und ganz kurios: Anführungsstriche setzt man im deutschen bekanntermaßen zu Beginn unten und am Ende oben. Das klappt auch noch im Impressum bei Mike „Woodchuck“ Williams, im Rest des Buches dann aber nicht mehr. Zumindest nicht in der Einleitung „Zeit der Legenden“ oder der Kurzgeschichte „Das Vermächtnis“. Wohl dann aber wieder im anschließenden Historienkapitel „Wie alles begann“. Eher ein trübes Bild.
Auch hier gilt, keiner der Kritikpunkte sollte vom Erwerb des Buches abschrecken, aber zumindest die reine Welle an Fehlern in dem Buch stößt schon unangenehm auf und führt, abermals, zu dezenter Abwertung.

Verbleibt eine Einschätzung des spielrelevanten Inhalts und hier kann das Buch dann richtig punkten. Es steht massig verwertbares Material darin, man bekommt einen guten Abriss über die Welt, das vollständige Reglement (abzüglich der Disziplinen in höheren Kreisen, aber das kennt man ja) und genug Material geboten, um damit lange Zeit spielen zu können.
Das Earthdawn-Regelwerk ist dahingehend gewissermaßen Oldschool – zahllose Talente, Fertigkeiten, Zauber, Monster, Beschreibungen, Artefakte, Ausrüstungsgegenstände und dergleichen mehr, alles in einem Band, das ist heute eher selten. Ob nun aufgeteilt wie bei DSA und D&D, oder zusammengeschossen wie WFRP2nd, häufig sind Grundregelwerke heute mehr Grundrisspläne als Fundamente. Earthdawn 2nd ist dagegen aus massivem Stein gefertigt und steht auch bei stärkerem Wind schützend und stabil.

Es hat lange gedauert, aber ich denke, endlich kann man als deutscher respektive deutschlesender Käufer endlich wieder beherzt bei Earthdawn zugreifen: „Earthdawn – 2te Edition“ ist zwar beileibe nicht makellos, aber ein tolles Grundregelwerk geworden.
Und Earthdawn ist seit jeher ein tolles Spiel.
Riskiert einen Blick – und werdet selbst ein Teil des Zeitalters der Legenden!
Name: Earthdawn - zweite Edition
Verlag: Games-In Verlag
Sprache: Deutsch
Autoren: Louis J. Prosperi, Tom Dowd, Michael Mulvihill u.v.a., ins Deutsche übertragen vom Games-In Team
Empf. VK.: 39,95 Euro
Seiten: 368{jcomments on}