Grundregelwerk

Before the Imperium before the Mythic Ages before the Sundering before there was a World of Darkness there was something else. And now it is revealed, at last. Come adventure in the Second Age of the World, the fantastic world of the Exalted.
- vom Backcover von Exalted

Rollenspielern dürften White Wolf seit Jahren bekannt sein durch ihr erfolgreiches Spiel Vampire: The Masquerade und den Folgesystemen der düsteren Horrorvision unserer Zivilisation, der World of Darkness. Nach einem Ausflug in die Science Fiction (Trinity) wagte sich der amerikanische Riese nun auch auf das Gebiet der Fantasy. Ein mutiger Schritt denn gerade der Sektor ist ziemlich überlaufen mit meist sehr beliebten und etablierten Spielen und Randsystemen die jede wie auch immer geartete Nische füllen, trotzdem ist das neue Spiel, Exalted, wider Erwarten sofort ein Hotseller geworden, woraufhin nun in guter White Wolf-Manier jetzt folgerichtig massig Supplements auf den Markt geworfen werden. Nun, die reine Tatsache dass unsere Freunde aus der besten Demokratie des Planeten etwas kaufen wie blöd, sagt ja nicht unbedingt etwas über die Qualität des Produkts aus. Oder gerade... Schauen wir, was drin ist, in Exalted.

Das Konzept fängt gar nicht erst klein an, die Spieler kriegen die Rolle von Exalted (etwa: Erhabene), einer Art Superhelden, die jedem anderen Menschen in allem überlegen sind und dazu noch über Superkräfte und Zauberfähigkeiten verfügen. Nun ist man fast versucht, laut "Powergaming!" zu schreien und in der Tat hat das Spiel einen extrem hohen Powerlevel, ein durchschnittlicher Anfangscharakter, der nicht einmal besonders auf Kampf ausgelegt ist, kann recht problemlos dutzend Gegner niedermähen bevor er überhaupt nur einen Treffer abbekommt. Das Spiel bewegt sich aber bewusst in solchen Dimensionen, der Spieler stellt einen Übermenschen dar, der an der Spitze riesiger Armeen ganze Landstriche unterwirft, gegen gigantische Ungeheuer kämpft oder sich gegen noch mächtigere Exalted wehren muss. Das ganze Erste Stufe-Spiel entfällt damit völlig und Abenteuer sollten eher im Bereich durchschnittlicher Comicaction angelegt sein. Überhaupt zeigt allein die ganze Gestaltung des Spiels, dass es sich an japanischen Animationsfilmen orientiert (wem "Record of Lodoss War" bekannt ist, der hat eine ungefähre Vorstellung von einer Exalted-Runde) und coole Action wird echtem Rollenspiel klar vorgezogen.

Zur Aufmachung ist zu sagen, dass sie recht durchschnittlich ausfällt. Das seidenmatte, beige Cover mit dem Motiv des Spielleiterschirms blass im Hintergrund und einer bunten Mangastyle-Dame im Vordergrund ist zwar recht schön, aber doch unspektakulär, die Bindung liegt zwar über dem, was der durchschnittliche Amerikaner fertigbringt, aber ist um Längen hinter der deutschen Norm zurück. Das Layout ist ebenso nix Besonderes und die Zeichnungen reichen von ein paar recht guten Stücken über nichtssagenden Durchschnitt bis hin zu ein paar ganz grausamen Bildern. Man scheint zu merken, dass nicht allzuviel Mühe in die Produktgestaltung gesteckt worden ist und in dem Bereich liegt Exalted klar unter dem, was man sonst an Grundregelwerken von den weißen Wölfen kennt.

Die Spielwelt von Exalted ist... groß. In der Tat scheinen sich White Wolf bemüht zu haben, jeden auch nur denkbaren Bereich von High Fantasy, dessen sie habhaft werden konnten irgendwie miteinzubauen. Die Karte ist riesig und der Spielleiter sollte keine Schwierigkeiten haben, ganze Reiche ohne Widerspruch zu offiziellem Material einbauen zu können. Die Landschaft ist grob nach den klassischen fünf chinesischen Elementen orientiert, dementsprechend liegen im Norden stürmische Eisgipfel, im Westen ein weiter Ozean, im Süden heiße Wüsten, im Osten ausgedehnte Waldgebiete und in der Mitte die Blessed Isle mit dem Imperial Mountain. Dazwischen gibt es alles, Tundra, dampfender Dschungel, karibische Inselgruppen, Steppenland, felsige Einöden, Flusslandschaften, Gebirge, was der Spielleiter gerade braucht, große Städte, dörfliche Gegenden, totale Wildnis. Wem dieses normale Terrain (natürlich komplett mit tausend Kulturen, Kreaturen und was auch immer) noch nicht reicht, der hat noch die Deathlands, klassische Reiche der Finsternis, wo sich die Welt und die Lande der Toten überschneiden, was zu monströsen Festungen aus Stahl, Fleisch und Knochen, Untotenheeren und endlosen Ascheebenen führt und die Wyld Places, Regionen, wo die Schöpfung nicht zusammenhält und das Chaos durchbricht, weswegen neben Realitätsverzerrungen, Mutationen und Parallelwelten so ziemlich alles dort auftauchen kann, was einem irgendwie einfällt. Diese Zonen können übrigens überall in der ganzen Welt auftauchen. Ach ja, außerdem gibt es überall Geister, die beliebig aussehen und handeln können. Generell ist alles sehr vage und ungenau beschrieben (nicht das folgende Publikationen das nicht ändern würden), was dem Spielleiter enorme Freiheiten lässt (Orkhorden? Ein Berg aus Glas, der von einem kriegerischen Mäusevolk bewohnt wird? Eine fliegende Stadt mit millionen von unsterblichen Einwohnern? Alles kein Problem...), ihm andererseits aber auch die ganze Verantwortung allein aufbürdet (man kann eben nicht schnell mal was nachlesen und muss sich von den Beschreibungen inspiriert fast alles selbst ausdenken). Mir persönlich hat das nicht schlecht gefallen, aber ich kann mir vorstellen, dass sich auch viele das Gefühl haben, dass man sich ja kein teures Buch erwerben muss, wenn man sich doch am Ende alles selbst ausdenkt.

Ok, der Spielhintergrud besteht ja nicht nur aus einer Spielwelt, sondern auch aus einem Metaplot: Aaalso, am Anfang gab es die Schöpfung und die Menschen darin. Als die dann von Mächten der Finsternis bedroht wurde, erwählten die höchsten Götter die Besten unter den Menschen und verliehen ihnen besondere Kräfte, um gegen das Böse anzukämpfen. Der höchste Gott, die Sonne erwählte die Solar Exalted (die Exalted, die die Spieler führen werden), die stärksten unter allen und machte sie zu mächtigen Helden und Anführern. Der Mond erwählte die Lunar Exalted, die besondere Verbindung zur Natur hatten und sich verwandeln konnten (und jau, es sind mächtigere Versionen der WoD-Werwölfe) und den Solars im Kampf zur Seite standen. Die fünf Planeten erwählten die Sidereal Exalted, die die Fähigkeit besaßen, das Schicksal zu sehen und zu beeinflussen und die die Solars berieten. Und die fünf elementaren Drachen wählten die Terrestrial Exalted, jeder einem Element zugetan und die Offiziere der menschlichen Armeen, deutlich schwächer als die anderen, dafür zahlreicher und mit der Fähigkeit ausgestattet, ihre Kräfte auch an ihre Kinder zu vererben. Das Dunkle wurde zurückgeschlagen und die Solars gründeten ein riesiges Reich, das die ganze Schöpfung umspannte. Mit der Zeit begann dieses Reich aber immer mehr einer inneren Korruption anheimzufallen und die Sidereals fürchteten, die Solars seien durch den Kampf gegen das Böse selbst wahnsinnig geworden. So führten sie die Terrestrials zum Aufstand, die Solars wurden vollständig vernichtet, die Lunars in die Wildnis vertrieben. Die Sidereals verschwanden aus der Öffentlichkeit, um das Geschick der Welt im Geheimen zu lenken und die Terrestrials übernahmen die Geschäfte. In der folgenden Zeit suchte eine Seuche die Menschen heim und durch die starke Dezimierung der Bevölkerung konnten der menschliche Glaube und die Zivilisation die Kräfte des Chaos nicht mehr zurückhalten, die Menschheit wurde von Feen, mutierten Barbarenhorden und wilden Geistern bedroht. Am Ende konnte eine mächtige Terrestrial mit einem Ritual das Wyld bannen, sie gründete ein Imperium, dem sie als Gottkaiserin (Scarlet Empress) vorstand und das von den Terrestrials (wegen ihrer Afinition zu den Elementardrachen auch "Dragonblooded" genannt) regiert wurde. Die Lunars waren inzwischenin die unzugänglichsten Winkel der Welt verschwunden und hegten einen Hass auf die Zivilisation, die sie so betrogen hatte, die Sidereals maskierten sich hinter der Staatsreligion des Reiches und die Solars wurden erschlagen, sobald sie erwählt wurden und begannen, ihre Kräfte zu verstehen.

Vor kurzem jedoch ist die Scarlett Empress verschwunden und das Reich zerfällt. Die Randprovinzen, die sich nie vollständig der Kaiserin unterworfen haben beginnen nun, eigene Interessen zu entwickeln, Die Lunars und ihre Tiermenschenhorden wagen sich aus der Wildnis hervor, die unheilvollen Deathlords haben sich selbst Abyssal Exalted geschaffen, deren düstere Kräfte denen der Solars in nichts nachstehen und die Solars, die nun nicht mehr systematisch vernichtet werden kehren in großer Zahl zurück.

Diese Erwählten Priester der Sonne sollen nun also die Spieler führen. Jeder Solar ist allein aufgrund seiner Werte einem normalen Menschen extrem überlegen (die Sonne erwählt nur Sterbliche, die schon zuvor herausragende Helden waren), dazu kann er Essence, die Energie die die ganze Welt durchflutet, dazu verwenden, magische Effekte hervorzurufen. Die Solars werden in fünf Kasten unterteilt, die alle verschiedene Kräfte und Aufgaben haben (wen verwundert es bei einem White Wolf-Spiel?). Die Dawn Caste sind die Kriegsherren und Kämpfer unter den Solars, die völlig übernatürliche Waffenfertigkeiten haben (und JA, man kann den ganzen coolen Kram machen, den man von Matrix, Xena oder Jackie Chan kennt) und deren Kräfte jeden Feind in die Flucht schlagen. Die Zenith Caste sind die Anführer und Priester der Exalted, die vor allem Fähigkeiten im Bereich Überleben und Anführen haben und deren Blick Untote vernichten und Dämonen bannen kann. Die Twilight Caste stellt Handwerker und Gelehrte, vor allem auch Zauberer, die eine unglaublich hohe Abwehr haben (haargenau, damit sie auch im Kampf in Ruhe zaubern können), die Night Caste sind die Scouts, Diebe und Assassinen, bewandert in Schleichen, Klettern und Kriminalität und mit der wertvollen Fähigkeit gesegnet, die oft sehr spektakulären Anwendungen von übernatürlichen Kräften tarnen zu können. Zu guter Letzt sind die Eclipse Caste Diplomaten, haben vor allem Sozialskills und alles, was mit Reisen zu tun hat und besitzen die sehr mächtige Fähigkeit jeden dazu zu zwingen, ein gegebenes Versprechen einzuhalten.

Dazu besitzt noch jeder Exalted Charms, effektiv kleine Zauber, die entweder Würfelpools vergrößern oder vermehren oder minimale Effekte hervorrufen. Typische Charms sind heftigere Schläge, mehrfachschüsse, über Wasser laufen, Wunden heilen, ohne Essen überleben. Jeder Charm ist direkt mit einem Skill verbunden, den er unterstützt. Dazu kann man dann mit dem Sorcery-Charm noch Spells lernen, mächtigere magische Effekte, etwa Dämonenbeschwörung, ein Schild gegen Projektile, ein Sturm unendlich vieler Obsidianschmetterlinge, die alles auf ihrem Weg zerstören... Um Magie in irgendeiner Form zu nutzen, verbraucht ein Exalted Essence. Diese Energie regeneriert sich recht schnell und einem Solar stehen ziemlich große Mengen davon zur Verfüguntg, so dass im Prinzip wenig gehaushaltet werden muss. Allerdings, verbrauchte Essence zeigt sich in besonderem Maße: Exalted... leuchten. Je mehr Essence ein Solar verbraucht, desto deutlicher und heller leuchtet eine Art Aura um ihn und schon nach wenigen Charms ist ein Exalted auf Kilometer hin sichtbar und es dauert recht lange, bevor das sonnenhelle Strahlen nachlässt. Einerseits ist es recht cool, wenn der Charakter durch ein gleißendes Licht seine Macht offenbaren kann, andererseits macht es aber ein subtiles Vorgehen ziemlich unmöglich, weil auch schon Charms, die mich ungesehen Stehlen lassen oder mein Verhandlungsgeschick erhöhen mich unübersehbar strahlen lassen. Und da dank Reichspropaganda die Solars als bösartige Dämonen gelten, wird das kaum jemand ignorieren.

Exalted verwendet das altbekannte Storytelling System zum Spielen und das ist... schlecht. Normalerweise mag ich das recht simple und minimalistische System gern und für die World of Darkness funktioniert es auch. Allerdings handlen Exalted derartig riesige Würfelpools, dass das System sehr aufwendig wird. Herr, wer hat schon Lust mit irgendwas richtung vierzig W10 Schaden zu würfeln, nur um zu sehen, wie tot der wehrlose Bauer nun eigentlich ist? Durch die übermäßigen Fähigkeiten und die Charms kann man sowieso davon ausgehen, dass einem Exalted so ziemlich jede Aufgabe gelingt. Etwa sechs Erfolge sind rein würfeltechnisch kein Problem, das System sieht aber einen Erfolg als vollen Erfolg, zwei als herausragend und drei als legendär an. Legendär ist sowas wie zehn Gegnern in einer fließenden Bewegung seine Initialien auf die Garderobe zu säbeln - in dieser superkomplizierten Exalted-Piktogrammschriftart. Daher habe ich mich beim Spiel oft gefragt, wozu ich überhaupt würfle - es klappt doch sowieso alles. Dazu kommt dann noch die Idee der Stunts - wenn ein Spieler eine Aktion besonders gelungen beschreibt, kriegt er Extrawürfel dafür. Belustigenderweise klappt daher ein "I raise my blade in a smooth circle of silver flashing, beheading two of the soldiers on its way and wield it around my body in a backflip to pierce the curved blade through the breastplate of the dragonblooded in my back, avoiding the blow of his axe when the jump carries me over his him. At the highest point right over him my feet grab his head and break his neck. When his dead body hits the ground I stand there to draw my sabre out of his body, moving into a perfect steel magnolia position." mit höherer Wahrscheinlichkeit als ein "I hit him with my sword!", an sich eine schöne Idee, die aber durch das System ziemlich ausgebremst wird und dann nur selten zur Geltung kommt.

Exalted ist ein recht schönes System für Leute, die einfach einmal auf abgefahrene Action spielen wollen oder Spielleiter, die bisher ihr geniales Wahnsinnsprojekt nie so recht in eine Fantasywelt einbauen konnten. Die Megalomanie des Spiels führt einen ziemlich weit weg vom eigentlichen Erzählen und der Charakterdarstellung, das System stört den Spielfluss extrem. Exalted ist sicher kein Primärsystem, aber dank der professionellen Ausführung von White Wolf und des Eklektizismus des Hintergrunds eigentlich auch keine Geldverschwendung.{jcomments on}