Der Ruf #6

Du hälst derzeit die erste gedruckte Ausgabe von Der Ruf in deinen Händen[.]
vom Backcover von Der Ruf Nr. 6

Seit einer ganzen Weile nun erscheint bereits das Online-Magazin „Der Ruf“. Vornehmlich in den düsteren Gefilden der Szene wildernd, produziert Herausgeber Oliver Fedtke dort ein eZine, das sich schon ohne Probleme mit professionellen Produkten messen kann, sowohl inhaltlich wie auch, vielleicht sogar erst recht, optisch. Da gibt es „Profis“ in der Szene, die sich hier noch viele, viele Scheiben abschneiden könnten.
Da ist es eigentlich nur ein konsequenter Schritt, dass dieses Heft nun mit der sechsten Ausgabe das Medium wechselt und im Druck erscheint. Damit ändert sich natürlich auch etwas das Verhältnis zum Kunden, lässt dieser doch zumindest (extrem günstige) 6 Euro da und hat durchaus einen ganz anderen Anspruch an Qualität. Grund genug für uns, das Heft einmal auf den Tisch zu legen und zu schauen, wie gut das Produkt geworden ist.

Aber heute gehen wir das mal anders an als sonst. Wir fangen wie immer mit dem Layout an, aber werden danach nicht Eintrag für Eintrag vorgehen, sondern thematisch. Doch fangen wir vorne an – beim Cover.
Das Titelbild der Ausgabe 6 wurde von Manfred Escher gestaltet, der vor allem für seine Cover der offiziellen Cthulhu-Projekte bekannt ist, und sieht schon mal richtig bombig aus. Im Inneren wird das aber noch besser: „Der Ruf 6“ ist eines der schönsten schwarzweißen Rollenspielprodukte, die ich in den letzten Monaten vor mir liegen hatte. Hier verlieren eigentlich die gesamten, „echt kommerziellen“ Magazine schon auf den ersten Blick, selbst die ja durchaus auch schöne „Cthuloide Welten“, und auch die Vollpreisprodukte der meisten Verlage können kaum mithalten.
Da macht es direkt einfach Spaß, im „Ruf“ zu blättern; ein Genuss, der durch die prinzipielle Abwesenheit von Werbung nur noch vergrößert wird.
Wow, volle Punktzahl.

Widmen wir uns also dem Inhalt. Den würde ich einmal grob in vier grobe Kategorien einordnen: Allgemein Redaktionelles, Artikel und spielfertige Abenteuer, teilweise auch verknüpft.
Der redaktionelle Inhalt begrenzt sich allerdings auf einige Einleitungen, das Impressum und zwei Musik-Rezensionen unter dem Label „Soundcheck“. Da ist nichts zu bemeckern, aber auch nichts was mich vom Stuhl gerissen hat. Gute, durchschnittliche Kost.

Das wird bei den Artikeln schon besser. Einen Artikel für Spieler bietet Strategien für Ermittlungsabenteuer – den fand ich okay, allerdings war es nichts, was ich mir je gewüscht hätte. Gleiches gilt für den Text über automatische Schrotflinten – der ist gut, keine Frage, ob ich das aber je gebraucht habe, sei dahingestellt. Aber wer sich für so etwas interessiert, wird da sicherlich froh mit sein.
Danach wird es aber sehr schnell und direkt bedeutend besser: Das Handout-Tutorial „Das Erstellen einer InGame-Zeitung“ ist extrem gut geworden, behandelt alle Aspekte vom Layout über den Inhalt bis hin zum spieltechnischen Nutzen und das auch noch genauso kompakt wie gekonnt. Einer der besten Handout-Artikel, die ich je gelesen habe.
Mein persönliches Highlight ist aber der Artikel über episodenhaftes Rollenspiel, Kampagnendesign im Sinne einer Fernsehserie. Der ist grandios geschrieben, fasst Fernsehkonzepte wie Pilotepisoden und Mehrteiler gut zusammen und bereitet die Ideen so auf, dass man sie auch am Spieltisch verwenden kann. Das ist generell ein Thema, das mich sehr interessiert und das auch, in Ansätzen, vor Jahren schon mal in der Mephisto ausgebreitet wurde; aber noch nie so gut wie hier. Umfassend, kompakt und wirklich inspirierend, selbst wenn man sich mit dem Thema noch nicht befasst hat.
Etwas gesondert steht dann noch „Guns kill, but so does the truth“. Der ist auch ziemlich gut, wenn auch theoretisch, und widmet sich einem Hintergrundaspekt von SLA Industries. Wer SLA spielt, wird den Artikel von Johann Daniel Weyer sicherlich spannend finden. Allen anderen bringt er nichts, aber gut, das ließ sich hier auch nicht vermeiden.
Macht fünf Artikel, von denen zwei okay, aber für mich nicht interessant sind, einer systemspezifisch, aber gut, sowie zwei, die mich wirklich begeistern können: Exrem guter Schnitt also.
Einen gewissen Sonderstatus nehmen da dann noch die Erzählungen ein. Die Leseprobe aus „Disturbania“, naja, ist da, kurz und ganz okay, aber irgendwie auch nichtssagend. Besser hat mir da durchaus „5 Yen gegen den Krieg“ gefallen, eine Cyberpunk-Kurzgeschichte. Auch kurz, aber kam mir insgesamt in sich geschlossener vor. Rein subjektiv jedenfalls.

Zum Episodenartikel passend ist dann auch direkt „Der gefallene Engel“, ein SpaceGothic-Abenteuer, das zugleich Episode 0 eines kommenden „Episodenstrangs“ ganz im Sinne des besagten Artikels. Löblich und inhaltlich auch direkt auch noch gut.
Verbleiben die restlichen Abenteuer – auch das sind nicht gerade wenig. Um sie einfach mal beim Namen zu nennen: „In der Nacht“ ist ein 1920er-Cthulhu-Abenteuer; klassisch, aber gut. „The Darkness in Our Souls“ ist ein KULT-Szenario, das One-on-One mit einem Spieler und einem Spielleiter gespielt werden kann. Was erstaunlich gut funktioniert. „Das Dorf“ richtet sich an Degenesis-Spieler und machte einen ganz guten Eindruck, aber da ich von dem System gar keine Ahnung habe, verzichte ich da auf ein weiteres Fazit. „Persona“ ist dagegen ein richtig cooles „Unknown Armies“-Szenario, was nicht nur das im Pen&Paper-Segment immer knifflige Konzept, Zeitdruck zu erzeugen, sehr gut umsetzt, sondern auch insgesamt eine schöne und stimmige Geschichte erzählt. Verbleibt „Innsmouth, TX“, ein ganz eigenwilliges Dingen für ... Feng Shui. Es folgt dabei grob Lovecrafts „Schatten über Innsmouth“, aber eben im Sinne eines typischen Feng Shui-Abenteuers. Um den Text da zu zitieren: „einem Fischmenschen mal richtig in die Fresse treten!“
Eigentlich alle richtig gut, soweit ich das – im Degenesis-Bereich – sagen kann.


Fassen wir zusammen: Für regelrecht selbstausbeuterische sechs Euro liefert „Der Ruf“ ein randvolles Heft mit wundervollem Druck und stabiler Bindung, vielen guten Abenteuern und auch ansonsten richtig viel gutem, spielrelevanten Material. Wer hier nicht zugreift, ist selber Schuld – wer generell zu der „düstere Rollenspiele“-Zielgruppe des Rufs gehört, für den lohnt sich die Nr. 6 von vorne bis hinten.
Dickes Lob an Oliver Fedtke – wenn Fanzines generell so wären, müssten sich die „Großen“ richtig warm anziehen. Es bleibt zu hoffen, dass man bei dem Druck-Konzept bleibt und auch die Nr. 7 erfolgreich ihren Weg auf Papier schafft.
Verdient hat dieses Wunderwerk des Arbeitseinsatzes allemal!


Name: Der Ruf Nr. 6 
Verlag: Eigenverlag 
Sprache: Deutsch{jcomments on}
Autoren: Oliver Fedtke et al.
Empf. VK.: 6 Euro 
Seiten: 130