Savage Worlds - Mars

Das Genre der „planetary romance“ ist in Deutschland quasi unbekannt und ihr populärster Vertreter John Carter wird vielleicht erst nächstes Jahr mit dem gleichnamigen Film von Disney in unseren Breiten überhaupt wahrgenommen. Die Ähnlichkeiten zwischen MARS und John Carter des vor allem durch Tarzan bekannten Edgar Rice Burroughs sind enorm und so offensichtlich, dass es noch auf der Seite des Inhaltsverzeichnisses einen Disclaimer gibt, dass dieses Buch nicht auf dem Werk eines speziellen Autors fußt, sei es nun gemeinfrei oder nicht. Dabei wird so implizit auf Burroughs verwiesen, dass es dadurch nur noch offensichtlicher wird, wessen Anwälte man hier abschrecken  will.

MARS hält sich getreu dem Genre nicht mit wissenschaftlichen Fakten auf, sondern stellt den roten Planeten so dar, wie ihn naive Wissenschaften vor etwa hundert Jahren sahen. Der Mars war einst ein Planet voller Leben und Wasser, aber irgendwann geriet das Klima aus dem Tritt und alles vertrocknete. Über Jahrhunderte errichteten die Roten Marsianer enorme Kanäle, die das Wasser aus den Polen über den ganzen Planteten leiten und in deren Nähe ein Überleben möglich ist. Während der sozialen Umschichtungen, um ein solches generationenumspannendes Projekt verwirklichen zu können, gingen viele technologische wie kulturelle Errungenschaften verloren. Daher ist das Technologieniveau des Mars ein kruder Mix aus Strahlenpistolen, fliegenden Schiffen, Zweihändern und Knochenrüstungen. Conan mit Knarre wäre vielleicht passend, auch wenn die Bewohner des roten Planten trotz des ständig erwähnten kalten Klimas offensichtlich eine Aversion gegen solche Kleidung zu haben scheinen, die mehr als nur die Geschlechtsorgane bedeckt.

Das führt uns zur Betrachtung des allgemeinen Artworks des Bandes. Das Cover, dass effektiv nur auf der rechten Seite überhaupt das Motiv zeigt und fast die Hälfte der linken Seite für den Titel MARS aufbringt, lässt bereits eher durchwachsene Qualität vermuten. Die Kapiteleinleitungen mit ganzseitigen Illustrationen im Stile von Frank Frazetta zeigen genau das, was ich von dem Spiel erwarte: fiese Monster, muskelbepackte Helden und fast nackte Frauen in einer exotischen Welt. Der Rest der Illus scheint dabei nur gerne so sein zu wollen. Während ein Großteil des Bandes Illustrationen aufweist, in denen die Figuren Kleidung im Stil der 80-er Version von He-Man tragen und immer dumm aus der Wäsche schauen, zeigen andere wunderliche anatomische Ideen. Männer haben schon mal an sonderbaren Stellen Beulen die Muskeln darstellen sollen und die Frauen dürften aufgrund der raketenartigen Brüste kaum die Arme bewegen können. Das die Bilder im Buch nicht unbedingt toll sind, wird auch dadurch nicht besser, dass sich viele wiederholen. Das zweispaltige Layout ist sehr schlicht gehalten, aber oftmals trotzdem leider unübersichtlich, da Zeilenabstand und Seitenaufteilung einem ständigen Wandel unterzogen sind. Der Text ist richtig groß gesetzt, so dass man flott durch die 181 Seiten des PDFs bzw. die 192 der Druckfassung kommt.

Das zusätzliche Material der Printfassung ergibt sich aus dem Abdruck des sonst separat zu erwerbenden PDF-Abenteuers „Caravans of Mars“, in dem die Helden etwas holen und beschützen sollen und dann einen Plottwist erleiden. Am Ende findet sich allerdings in beiden Fassungen noch eine Kurzkampagne mit fünf Szenarien über Sklavenhalter, damit man direkt etwas zu spielen hat. Diese war in der d20-Vorgängervariante noch nicht erhalten und musste separat erstanden werden. Nett, dass die Savage-Worlds-Variante direkt Spielmaterial zum Starten enthält. Dass das Setting bereits vorher als d20-Version existierte, merkt  man aufgrund des miserablen Lektorats leider ab und zu sehr direkt, wenn z.B. auf eine Fertigkeit von D&D 3 verwiesen wird, statt auf Savage Worlds. Die zahlreichen orthografischen Fehler sind jedoch  kaum zu verzeihen, da vorher bereits eine andere Textvariante existierte, die für die neue Fassung eh noch einmal überarbeitet werden musste. Die Regelschwäche der Autoren ist ja eine Sache, das unprofessionelle Layout eine andere, aber … wieso man nicht noch mal jemanden mit gesundem Textverständnis über die Endfassung des Manuskripts lesen lassen kann, erschließt sich mir nicht. Die Fehlerdichte ist ärgerlich und unterstreicht nur weiter die unprofessionelle Wirkung des Produkts, was sich unter anderem auch durch den fehlenden Index der Printfassung zeigt. Im PDF kann man wenigstens die Lesezeichen und die Volltextsuche nutzen, um nach bestimmten Inhalten zu suchen. Das Herauskopieren von Textpassagen ist möglich, was das Leiten, bzw. das Vorbereiten von eigenen Unterlagen erleichtert und eigentlich Standard sein sollte.

Abgesehen von den zahlreichen Fehlern wird im Buch auch nur bedingt klar, was man bei MARS eigentlich tun soll. Klar, irgendetwas Heroisches wie Prinzessinnen retten, Ruinen erkunden und sich Verfolgungsjagten mit Luftschiffen liefern, doch bleibt das Werk über sein angestrebtes Spielziel sehr abstrakt. Vermutlich dachten die Autoren, dass die Leser und Interessenten mit dem Genre vertraut genug sind, um schon zu wissen was man da tut. Es gibt zwar den üblichen Abenteuergenerator, doch bleibt auch dieser vage (und unübersichtlich).

Auch wenn mehrere spielbare Rassen angeboten werden, so geht MARS doch klar davon aus, dass die meisten, wenn nicht alle Spielercharaktere die sehr menschenähnlichen Red Men sind. Die Green Men gelten insgesamt als zu barbarisch, um überall akzeptiert zu werden und füllen die Nische des Orks auf dem Mars. Die Affenmenschen der White Men sind eine Kriegergesellschaft und sind die organisierte und greifbare Bedrohung im Hintergrund, wohingegen die geheimnisvollen Grey Men hyperintelligente Land-Oktopus-Wissenschaftler sind, die über alle von uns als moralisch richtig empfundenen Gesetze stehen, wodurch sie zusammen mit anderen Nachteilen als Spielerrasse eigentlich komplett rausfallen. Dazu gesellen sich die aus dem Benennungsschema herausbrechenden Synthie-Men, eine Rasse künstlicher Humanoider, die sich um den Erhalt und den Schutz der Marskanäle kümmern. Alternativ kann man auch Erdenmenschen spielen, die auf dem Mars seltsame Kräfte entwickelt haben, die bis zu geringen Superkräften reichen können. Die Regeln der Rassen wirken so, als ob die Autoren mal die Savage-Worlds-Regeln überflogen und dann schnell die Völker runter geschrieben hätten. So erhalten die Green Man natürliche Rüstung, natürliche Waffen, erhöhte Startattribute auf Stärke und Konstitution und eine Größe von +3, wodurch sie zu geborenen Kämpfern werden, die alle anderen kämpferisch veranlagten Charaktere anderer Rassen in den Schatten stellen. Das reißen dann auch nicht mehr der Charisma-Malus und der zugegebenermaßen harte Nachteil ihrer Größe aus, wodurch sie andere leichter treffen.

Einige Settingregeln sollen für noch cineastischere und pulpigere Action sorgen. So kann man Bennies ausgeben, um sich Fakten im Abenteuer zu erkaufen und Bennies erhalten, wenn man besonders waghalsige Aktionen versucht. Mit den Mooks werden Gegner geschaffen, die bereits bei Angeschlagen ausgeschaltet werden und mit den Henchmen Statisten mit Wildcard-Würfel. Das die Charaktere nur durch den gezielten Todesstoß eines benannten Schurken sterben können, passt da schon besser. Dass Charaktere auch schon gefangen werden, um dann heroisch ausbrechen zu können, könnte für meine Vorlieben zu sehr in railroading ausarten, ist aber durchaus ein Teil des Genres und daher okay. Eine nette Idee ist jedenfalls der Werkzeugkasten, mit dem man nach einigen Würfen eine mundane Kreatur zu einem exotischen und gefährlichen Monster des Mars machen kann. Definitiv auch für andere Settings anwendbar und sei es nur als Ideengeber! Leider werden nur wenige eigene Kreaturen mitgeliefert, die auf den Illus zwar ebenso doof gucken wie die Heroen, aber ein paar nette Ideen mitbringen, etwa wasserstehlende Einhörner oder Sandkraken.

MARS bereitet ein sehr spezielles Genre fürs Rollenspiel auf, das hierzulande quasi unbekannt ist. Das Konzept der verklärten Sci-Fi auf fremden Planeten hat mit seinen pulpigen und heroischen Anleihen ist jedoch sehr faszinierend und gut geeignet für Rollenspiele. Allerdings setzt MARS bereits eine Vertrautheit mit den Eigenheiten des Genres und der dazugehörigen Literatur voraus, die den Start ins Spiel unnötig erschwert. Hier wäre es klar besser gewesen, dem Leser das ganze Genre näher zu bringen. Weniger entschuldbar sind die Schludrigkeiten in Layout, Regeln und Orthografie, gerade wenn man den übertriebenen Preis von 35 US-Dollar für die Hardcover-Ausgabe bedenkt. Das PDF gibt es jedoch bei diversen Aktionen immer mal wieder für einen oder zwei Dollar, die man durchaus einmal riskieren kann, um sich einen Einblick in ein spannendes, aber leider kaum bekanntes Genre zu verschaffen. Schade dass das Produkt seine Möglichkeiten durch Schlampereien verspielt, denn es hätte der Vorreiter für ein ganzes Genre werden können.


Titel: MARS
Autor: Lizard, Gareth-Michael Skarka, Walt Ciechanowski, Aaron Rosenberg und Jess Nevine
Verlag: Adamant Entertainment
ISBN: 9781907204012
Seitenzahl: PDF 181 Seiten / Hardcover 192 s/w
Sprache: englisch
Preis: PDF 14,99 US-Dollar / Hardcover 34,95 US-Dollar{jcomments on}